Exkulpationsversuch durch nicht näher benannten außergewöhnlichen Umstand

AG Rüsselsheim: Exkulpationsversuch durch nicht näher benannten außergewöhnlichen Umstand

Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug gebucht, der sich verspätete. Sie klagen auf Auskunft über den Verspätungsgrund.

Das Gericht gab der Klage statt. Die Beklagte sei verpflichtet, den Klägern den genauen Grund der Verspätung zu nennen, da darauf ein eventueller Entschädigungsanspruch fußt.

AG Rüsselsheim 3 C 3644/14 (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 20.01.2015
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 20.01.2015, Az: 3 C 3644/14
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Amtsgericht Rüsselsheim

1. Urteil vom 20. Januar 2015

Aktenzeichen 3 C 3644/14

Leitsätze:

2. Die Fluggesellschaft, die einen verspäteten Flug durchführt, ist den Fluggästen zur Auskunft über den Verspätungsgrund verpflichtet.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug von Düsseldorf nach Gran Canaria gebucht, der sich verspätete. Die Beklagte begründete dies abstrakt mit einem außergewöhnlichen Umstand. Die Kläger klagen auf Auskunft über den genauen Verspätungsgrund.

Das Gericht gab der Klage statt. Die Beklagte sei aus dem vertraglichen Schuldverhältnis verpflichtet, den Klägern den genauen Grund der Verspätung zu nennen, da darauf ein eventueller Entschädigungsanspruch fußt.

Tenor

4. Die Beklagte wird verurteilt, den Klägern Auskunft darüber zu erteilen, welcher außergewöhnliche Umstand im Sinne des 14. Erwägungsgrundes der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zur Leistungsfreiheit für den Flug … am … von Düsseldorf (DUS) nach Las Palmas de Gran Canaria (LPA) geführt haben soll.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger 1/3 und die Beklagte 2/3 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Der Kostenstreitwert beträgt EUR 200,00.

Tatbestand

5. Von der Ausführung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

6. Die Klage ist zulässig und in der Hauptsache auch begründet.

7. Die Kläger haben einen Anspruch gegen die Beklagte auf Auskunftserteilung dahingehend, aus welchem Grunde sich der von ihnen gebuchte Flug von Düsseldorf nach Gran Canaria am 03.11.2013 verspätet hat.

8. Die Auskunftspflicht der Beklagten beruht auf Treu und Glauben, § 242 BGB. Eine solche besteht gewohnheitsrechtlich dann, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann (so zum Ganzen schon Palandt, BGB, 2014, § 260, Rn. 4 ff. m.w.N.). Dies ist hier der Fall.

9. Zwischen den Parteien besteht eine Sonderverbindung, nämlich ein gesetzliches Schuldverhältnis. Infolge der unstreitigen Flugverspätung kann die Klägerseite grundsätzlich einen Ausgleichsanspruch analog Art. 6, 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (nachfolgend: VO) beanspruchen, nachdem – auch nach Auffassung des angerufenen Tatgerichts – alle Anspruchsvoraussetzungen unstreitig sind.

10. Auf Seiten der Kläger besteht zudem eine entschuldbare Ungewissheit über das tatsächliche Bestehen des Anspruchs, nachdem die Beklagte vorgerichtlich behauptet hat, dass die Verspätung auf einen außergewöhnlichen Umstand gemäß Art. 5 Abs. 3 VO zurückzuführen sei, ohne diesen Umstand jedoch konkret zu benennen. Sollte tatsächlich ein außergewöhnlicher Umstand bestehen, würde der klägerische Ausgleichsanspruch entfallen. Den Klägern ist es auch nicht möglich, die Information über den abstrakt behaupteten außergewöhnlichen Umstand auf andere Weise als durch die Beklagte zu erhalten. Insbesondere ist es der Klägerseite nicht zuzumuten, die Beklagte gerichtlich auf Zahlung der Ausgleichsforderung in Anspruch und zugleich in Kauf zu nehmen, dass die Beklagte den behaupteten außergewöhnlichen Umstand erstmalig im Prozess konkret darlegt. In diesem Fall müsste die Klägerseite – auch im Falle einer dann erklärten Klagerücknahme gemäß § 269 Abs. 3 ZPO – die Kosten des Rechtsstreits tragen.

11. Die Beklagte ist auch ohne unbillige Belastung ohne Weiteres in der Lage, die Auskunft über den außergewöhnlichen Umstand zu erteilen. Dieser ist ihr, nachdem sie schon hierauf Bezug genommen hat, bereits bekannt; ein nennenswerter Aufwand im Zusammenhang mit der Auskunftserteilung besteht auf Beklagtenseite nicht.

12. Dass vorliegend kein Fall einer Auskunftserteilung betroffen ist, die lediglich der Bezifferung eines späteren Leistungsantrags dient, steht weder der Zulässigkeit noch der Begründetheit der Klage entgegen (vgl. BGH NJW 2007, 1806, Rz. 13: „Bestehen […] seines Rechts“). Gegenstand der Auskunft sind ohne Weiteres auch Informationen, nach denen die Kläger ihr künftiges Verhalten ausrichten wollen, nämlich die weitere Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen. Hiernach besteht auch nicht – wie die Beklagte meint – stets ein Auskunftsanspruch gegen jeden Anspruchsgegner ungeachtet des Rechtsgrundes, sondern nur gegen einen solchen Anspruchsgegner, der sich pauschal auf eine auf dem Anspruchssteller nicht zugänglichen Wissen basierende Einwendung beruft, ohne jedoch die zu deren rechtlicher Bewertung erforderlichen Umstände konkret mitzuteilen.

13. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten ist die Klage indes unbegründet. Eine Pflicht zur Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten kommt allein nach Verzugsgesichtspunkten in Betracht. Dem Klägervortrag ist jedoch trotz entsprechenden Hinweises nicht zu entnehmen, dass ein Schuldnerverzug der Beklagten im Hinblick auf die Auskunftsforderung gegeben war, als die Kläger ihre Prozessvertreter insofern mit der außergerichtlichen Interessenwahrnehmung beauftragt hat.

14. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Im Hinblick auf die konkrete Kostenverteilung kommt es nicht darauf an, ob eine Partei allein im Hinblick auf eine Haupt- oder Nebenforderung unterliegt. Zwar wirken Klageansprüche auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nicht streitwerterhöhend, sie sind bei der Kostenentscheidung gleichwohl quotal zu berücksichtigen, wenn sie – wie hier – mehr als 10 % der (verbleibenden) Hauptforderung ausmachen (so für Teilrücknahme auch: LG Frankfurt JurBüro 1991, 118; für Teilunterliegen auch: OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 24.05.2011, Az. 9 U 110/10; BGH NJW 1988, 2173; BGH NJW 1961, 361; Zöller, § 92, Rn. 11).

15. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

16. Die Zulassung der Berufung war nicht geboten. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und bedarf auch nicht einer Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts im Sinne des § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO. Die der Entscheidung zu Grunde liegenden Rechts- und Tatsachenfragen sind nicht klärungsbedürftig. Es handelt sich vorliegend um einen Regelfall des gewohnheitsrechtlichen Auskunftsanspruchs.

17. Die Kostenstreitwert bezüglich des Auskunftsanspruchs war mit EUR 200,00 zu bewerten, nachdem der im Raum stehende Zahlungsanspruch einen Wert von insgesamt EUR 800,00 aufweist.

18. Der Erlass eines Urteils im schriftlichen Verfahren gemäß § 495a ZPO bedarf keiner Verkündung (so auch Zöller, ZPO, § 495a, Rn. 12 m.w.N.).

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