Enteisung eines Flugzeuges als außergewöhnlicher Umstand

AG Frankfurt: Enteisung eines Flugzeuges als außergewöhnlicher Umstand

Ein Fluggast verlangt von seiner Airline eine Ausgleichszahlung, weil der von ihm gebuchte Flug, wegen einer Vereisung der Maschine, erst mit einer mehr als 3-stündigen Verspätung durchgeführt werden konnte.

Das Amtsgericht Frankfurt hat dem Kläger Recht zugesprochen. In der Vereisung eines Flugzeugs sei ein vorhersehbarer Umstand zu sehen, dem die Airline problemlos hätte vorbeugen können.

AG Frankfurt 29 C 3587/13 (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 15.05.2014
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 15.05.2014, Az: 29 C 3587/13
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Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 15. Mai 2014

Aktenzeichen: 29 C 3587/13

Leitsatz:

2. Die Enteisung eines Flugzeuges gehört zu den Aufgaben des Luftfahrtunternehmens und stellt keinen haftungsbefreienden außergewöhnlichen Umstand dar.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger buchte bei der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen, einen Flug. Dieser Flug wurde mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden durchgeführt, weil das betroffene Flugzeug vor dem Start von einer Eisschicht befreit werden musste. Der Kläger verlangt deswegen nun eine Ausgleichszahlung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. c) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004.

Die Beklagte weigerte sich der Zahlung, mit der Begründung, dass ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vorliege.

Das Amtsgericht Frankfurt hat dem Kläger Recht zugesprochen und seine begehrte Ausgleichszahlung bewilligt. Die Enteisung eines Flugzeuges von einem Luftfahrtunternehmen sei abseh- und vollkommen beherrschbar. Der Vorgang der Enteisung gehöre zum regulären Flugbetrieb und müsse von dem Luftfahrtunternehmen so durchgeführt werden, dass der Flug mit der enteisten Maschine planmäßig durchgeführt werden kann.

Ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 liege nur in den Fällen vor, in denen die Airline nicht mit einem, den Start verhindernden, Ereignis rechnen konnte oder sich dieses außerhalb der Handlungsgewalt des Flugunternehmens befinde.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 600,– € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.12.2013 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. (Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.)

Entscheidungsgründe:

6. Die zulässige Klage ist begründet.

7. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der Ausgleichspauschale in tenorierter Höhe nach Art. 7 Abs. 1 lit. c) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11.02.2004 (nachfolgend: VO).

8. Die VO ist anwendbar. Unstreitig wurde der auf den von der Beklagten durchzuführenden Flug mit der Flugnummer … von Frankfurt am Main nach Cancun gebuchte Kläger nicht planmäßig am 09.12.2012 um 12:25 Uhr ab Frankfurt befördert, sondern erst um am 10.12.2012 um 09:30 Uhr, weswegen der Kläger auch nicht planmäßig am 09.12.2012 um 17:20 Uhr in Cancun ankam, sondern erst am 10.12.2012 um 14:00 Uhr. Ob nun der ursprüngliche Flug annulliert und der Kläger später unter einer anderen Flugnummer durch die Beklagte befördert wurde, oder ob es sich um eine Verspätung desselben Fluges handelte, in dem Sinne, dass der Kläger unter derselben Flugnummer, bloß wie dargestellt verspätet, befördert wurde, kann hier bereits deshalb entgegen der Auffassung der Beklagten keine Rolle spielen, weil der Kläger in beiden Fällen den Anspruch in derselben Höhe hat.

9. Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009 steht der Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der VO nicht nur denjenigen Passagieren zu, die nichtbefördert wurden, oder deren Flug annulliert wurde (Art. 7 i. V. m. Art. 4 und 5 der VO), sondern auch den Passagieren, die wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden (vgl. EuGH NJW 2010, 43, diese Rechtsprechung wurde fortgeführt durch Urteil des EuGH v. 23.10.2012, Az. C-581/10 und C-629/10), so dass der Kläger von der Beklagten bei einer Entfernung von mehr als 3.500 km zwischen Frankfurt am Main und Cancun die Zahlung der Ausgleichspauschale in Höhe von 600,– € in jedem Fall verlangen kann.

10. Der Anspruch des Klägers ist nicht nach Art. 5 Abs. 3 VO ausgeschlossen. Nach Artikel 5 Abs. 3 der VO ist ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Darlegungs- und beweisbelastet für diese Ausnahme ist schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („wenn es nachweisen kann“) die Beklagte. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass die Annullierung des streitgegenständlichen Fluges auf „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne der Vorschrift zurückging.

11. Nach der Rechtsprechung des EuGH können Umstände im Zusammenhang mit der Annullierung/Verspätung eines Fluges nur dann als „außergewöhnlich“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung qualifiziert werden, wenn sie ein Vorkommnis betreffen, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens ist und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist (vgl. EuGH Urteil vom 22.12.2008, Az. C 549-07 – Wallenthin-Herman/Alitalia – Rdnr. 23; BGH Urteil vom 12.11.2009, Az. Xa ZR 76/07, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 13).

12. Soweit die Beklagte geltend macht, dass aufgrund der extremen Witterungsverhältnisse am 09.12.2012 (starke Schneefälle) eine Enteisung für die Aufnahme des Fluges erforderlich gewesen sei, die Enteisungsvorgänge aber nur schleppend vorangegangen und eine Enteisung der für den streitgegenständlichen Flug vorgesehenen Maschine erst um 15:30 Uhr möglich gewesen sei, liegt dieser Umstand im alleinigen Verantwortungsbereich der Beklagten.

13. Ungeachtet dessen, dass bereits kein ausreichend substantiierter Vortrag der Beklagten zu den Witterungsverhältnissen am Abflugtag vorliegt, ist der Umstand, dass die mit der Enteisung beauftragte Firma … & Support offensichtlich auf die Witterungsverhältnisse nicht vorbereitet war und die Enteisung gegenüber der Beklagten nicht vertragsgemäß erbringen konnte, kein außergewöhnlicher Umstand. Das Fluggerät technisch in einem flugbereiten Zustand zu halten, die die Beförderung der Fluggäste zum vereinbarten Zeitpunkt ermöglicht, liegt im alleinigen Verantwortungsbereich der Beklagten. Wenn sie diese Aufgabe – aus Kostengründen – an Dritte delegiert, muss sie sich deren Versagen vollumfänglich zurechnen lassen.

14. Dass die Unmöglichkeit, die Fluggeräte rechtzeitig zu enteisen und so der vertraglichen Verpflichtung der rechtzeitigen Enteisung nachzukommen, so dass die Beklagte wiederum ihrerseits die Verpflichtungen gegenüber den Fluggästen nicht zu erfüllen vermochte, auf Umständen beruht, die für die beauftragte Firma einen außergewöhnlichen Umstand darstellte, ist ebenfalls substantiiert nicht dargetan. Dass Flugzeuge in kalten Jahreszeiten, insbesondere in der Kernzeit des Winters der vorherigen umfassenden Enteisung bedürfen, kann als allgemeinkundig angesehen werden. Insbesondere die Beklagte als auch die beauftrage Enteisungsfirma mussten dies wissen. Wenn die Beklagte die Aufgabe der Enteisung an Dritte delegiert und diese – aus vorliegend nicht einmal vorgetragenen Gründen – nicht in der Lage sind, die Enteisung pünktlich durchzuführen, unterliegt dies dem alleinigen Risiko der Beklagten (ebenso AG Königs Wusterhausen zu nicht ausreichend vorhandenem Enteisungsmittel, Urteil v. 03.05.2011, Az. 20 C 83/11).

15. Die Entscheidung über die Zinsen folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB (Prozesszinsen).

16. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO; die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708. Nr. 11, 711, 709 ZPO.

17. Die Berufung war nicht gemäß §§ 511 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 ZPO zuzulassen.

18. Die Rechtssache hat zum einen keine grundsätzliche Bedeutung, zum anderen ist für die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erforderlich.

19. Der Streitwert wird auf 600,– € festgesetzt. Der Klage liegt -unabhängig davon, ob der streitgegenständliche Flug annulliert wurde oder verspätet erfolgte – ein einheitlicher Lebenssachverhalt zugrunde, der nicht doppelt beim Streitwert berücksichtigt werden kann.

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