Beweislastverteilung bei Flugzeugabsturz

BGH: Beweislastverteilung bei Flugzeugabsturz

Ein Amateurpilot schloss bei einer privaten Gesellschaft eine Lebensversicherung ab. Als er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, weigert sich die Gesellschaft die gesamte Versicherungssumme auszuzahlen, da der Verstorbene, den Ausschlussgründen des Versicherungsvertrags entsprechend, nicht nachweisbar nur Fluggast in der Maschine war, sondern sie möglicherweise auch selbst gesteuert hat.
Die Hinterbliebenen verklagen die Gesellschaft nun auf Zahlung der vollen Summe.

Der Bundesgerichtshof hat den Klägern Recht zugesprochen. Die Fluggasteigenschaft sei grundsätzlich ein zulässiger Ausschlussgrund. Allerdings treffe die Beweislast hierfür nicht die Hinterbliebenden, sondern die Versicherungsgesellschaft.

BGH IV ZR 44/98 (Aktenzeichen)
BGH: BGH, Urt. vom 16.06.1999
Rechtsweg: BGH, Urt. v. 16.06.1999, Az: IV ZR 44/98
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BGH-Gerichtsurteile

Bundesgerichtshof

1. Urteil vom 16. Juni 1999

Aktenzeichen: IV ZR 44/98

Leitsatz:

2. Versicherungsgesellschaft trifft die Beweislast für Fluggasteigenschaft des Geschädigten.

Zusammenfassung:

3. Ein Amateurpilot schloss bei einer privaten Gesellschaft eine Lebensversicherung ab. Für den Fall eines Unfalltodes, sollte diese in doppelter Höhe ausgezahlt werden. Für den Fall eines Todes durch einen Flugzeugabsturz wurde jedoch vereinbart, dass der Versicherte das verunglückte Flugzeug nicht selbst gesteuert, sondern lediglich Fluggast gewesen sein dürfe.

Als der Versicherte tatsächlich verunglückte, forderten die Hinterbliebenen die Auszahlung der doppelten Versicherungssumme. Die Gesellschaft zahlte allerdings nur den einfachen Betrag aus, da der Verstorbene auf dem Platz des Co-Piloten saß und nicht nachweisbar sei, ob er das Flugzeug zum Zeitpunkt des Absturzes gesteuert habe.

Der Bundesgerichtshof hat dem Klägerbegehren entsprochen. Die Eigenschaft des Fluggastes als Ausschlussgrund in den Versicherungsvertrag aufzunehmen, sei grundsätzlich zulässig. Die erhöhte Gefahr des eigenständigen Flugbetriebs sei ein Risiko, dass für Versicherungsgesellschaften von großer Bedeutung sei.

Kommt es zu einem Unglücksfall, so besteht im Falle einer klaren Beweislage, kein Zahlungsanspruch der Hinterbliebenen. Ist allerdings, wie vorliegend, im nachhinein nicht nachweisbar, wer das Flugzeug zum maßgeblichen Zeitpunkt geführt hat, so treffe die Beweislast vollumfänglich die Versicherungsgesellschaft. Sofern diese eine Steuerung durch den Geschädigten nicht nachweisen kann, ist sie zur Zahlung verpflichtet.

Tenor:

4. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 10. Zivilsenats des OLGs Koblenz vom 23. Januar 1998 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

5. Der Ehemann der Klägerin hatte Anfang 1994 bei der Beklagten zwei Lebensversicherungen mit Unfallzusatzversicherung abgeschlossen. Danach ist bei Unfalltod die doppelte Versicherungssumme zu zahlen. Am 30. April 1994 kamen der Ehemann der Klägerin und F. J. beim Absturz eines propellergetriebenen Ultraleichtflugzeugs ums Leben. Der ausgebildete Pilot F. J. saß bei dem Rundflug auf dem Pilotensitz, der noch in der Flugausbildung befindliche Ehemann der Klägerin auf dem dahinter befindlichen Co-Pilotensitz, von dem aus das Flugzeug ebenfalls geführt werden konnte. Wer von beiden das Flugzeug im Unfallzeitpunkt gesteuert hatte und ob der Ehemann der Klägerin es absprachegemäß zeitweise steuern sollte, ist streitig.

6. Die Beklagte hat an die Klägerin als Bezugsberechtigte die einfache Versicherungssumme gezahlt, verweigert aber die Leistung aus der Unfallzusatzversicherung. Nach § 3 Abs. 3 der Besonderen Bedingungen für die Unfall-Zusatzversicherung (BB-UZV) bestehe kein Versicherungsschutz, weil das Ultraleichtflugzeug kein Propellerflugzeug und der Ehemann der Klägerin kein Fluggast gewesen sei. Er habe das Flugzeug zumindest teilweise selbst geführt. § 3 BB-UZV lautet:

7. „In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen ?

8. Grundsätzlich besteht unsere Leistungspflicht unabhängig davon, wie es zu dem Unfall gekommen ist.

9. Ausgeschlossen von der Versicherung sind jedoch:

10. Unfälle durch innere Unruhen, wenn der Versicherte auf seiten der Unruhestifter teilgenommen hat;

11. Unfälle, die unmittelbar oder mittelbar durch Kriegsereignisse verursacht sind.

12. Wir werden jedoch leisten, wenn der Versicherte den Unfall während eines Aufenthaltes außerhalb Deutschlands erlitten hat und er an den kriegerischen Ereignissen nicht aktiv beteiligt war;

13. Bei Luftfahrten leisten wir nur, wenn der Versicherte den Unfall bei Reise- oder Rundflügen als Fluggast in einem Propeller- oder Strahlflugzeug oder in einem Hubschrauber erlitten hat. Fluggäste sind, mit Ausnahme der Besatzungsmitglieder, die Insassen, denen das Luftfahrzeug ausschließlich zur Beförderung dient.“

14. Das LG hat die auf Zahlung von 239.275 DM gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung wurde zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin den Anspruch weiter.

Entscheidungsgründe:

15. Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

16. Das Berufungsgericht hat zunächst mit Recht angenommen, daß es sich bei einem Ultraleichtflugzeug der hier verwendeten Art um ein Propellerflugzeug im Sinne von § 3 Abs. 3 BB-UZV handelt (ebenso Wussow/Pürckhauer, AUB 6. Aufl. § 2 Rdn. 50). Der Ansicht der Revisionserwiderung, es sei für jedermann offensichtlich, daß Flüge mit Ultraleichtflugzeugen nicht vom Versicherungsschutz bei Flügen in einem Propellerflugzeug umfaßt seien, kann der Senat nicht folgen. Das hier benutzte Fluggerät war nach allgemeinem Sprachgebrauch und Verständnis ein Ultraleichtflugzeug, also ein Flugzeug, das auch mit Motorkraft von einem Propeller angetrieben wurde. Wenn Versicherungsschutz nur bei Verkehrsflugzeugen oder Propellerflugzeugen ab einer bestimmten Größe hätte gewährt werden sollen, hätte dies in den Bedingungen (wie z.B. in § 2 (4) a AUB 88) klar zum Ausdruck gebracht werden müssen.

17. Nach Ansicht des Berufungsgerichts besteht aber deshalb kein Versicherungsschutz, weil die Klägerin auch bei Zubilligung von Beweiserleichterungen nicht nachweisen kann, daß ihr Ehemann während des Rundfluges lediglich Fluggast im Sinne von § 3 Abs. 3 BB-UZV gewesen sein könne. Nicht als Fluggast, sondern zum Flugpersonal gehörend sei schon der Insasse anzusehen, der absprachegemäß hilfsweise das Flugzeug steuern oder die Führung durch Hilfsdienste unterstützen solle. Ihm diene das Fahrzeug nicht ausschließlich zur Beförderung. Er scheide deshalb vom Beginn des Fluges an als Fluggast aus, selbst wenn er bis zum Unfall die vorgesehenen Tätigkeiten nicht ausgeübt habe. Die Beweislast dafür, daß ihr Ehemann bei dem Unglücksflug lediglich Fluggast gewesen sein könne, trage die Klägerin. Aus dem Wortlaut und der Systematik von § 3 Abs. 3 BB-UZV, der in sprachlich abgewandelter Fassung § 4 Nr. 3a AUB 61 nachgebildet sei, folge, daß die Luftfahrt eine Sondergefahr darstelle und von der Beklagten grundsätzlich nicht versichert werde. Nur das Risiko von Luftfahrtunfällen, die der Versicherte als Fluggast unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 BB-UZV erleide, sei als Ausnahme von dem grundsätzlichen Ausschluß des Luftfahrtrisikos versichert.

18. Demgemäß müsse der Versicherer den generellen Ausschluß „Luftfahrt“ und der Versicherungsnehmer oder Bezugsberechtigte die Ausnahme beweisen. Um den Unfallversicherungsschutz nicht unangemessen auszuhöhlen, seien im Falle des Todes sämtlicher Flugzeuginsassen dem Bezugsberechtigten jedoch Beweiserleichterungen zuzubilligen. Es genüge der Nachweis von Mindesttatsachen, aus denen sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ergebe, daß der betroffene Insasse lediglich Fluggast gewesen sein könne. Diesen erleichterten Beweis habe die Klägerin nicht erbringen können. Am Ergebnis ändere sich aber auch dann nichts, wenn die Beklagte zu beweisen hätte, daß die versicherte Person kein Fluggast gewesen sei. Insofern kämen auch dem Versicherer Beweiserleichterungen zugute. Er müsse nur Tatsachen beweisen, aus denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu schließen sei, daß der Insasse kein Fluggast gewesen sein könne. Diesen Beweis habe die Beklagte geführt. Es sei hinreichend wahrscheinlich, daß der Ehemann der Klägerin das Flugzeug in der vom Eigentümer und Piloten gebilligten Absicht bestiegen habe, es zeitweise selbst zu steuern.

19. Dieser Beurteilung stimmt der Senat in den entscheidenden Punkten, der Frage der Beweislast und der Beweisanforderungen, nicht zu. § 3 Abs. 3 BB-UZV enthält keine vom Versicherungsnehmer zu beweisenden Anspruchsvoraussetzungen, sondern einen vom Versicherer voll zu beweisenden Ausschlußtatbestand.

20. Ob der vom Berufungsgericht zu § 4 Nr. 3a AUB 61 vertretenen Auslegung zu folgen ist, kann offen bleiben. In der Überschrift zu § 4 AUB 61 ist von Sondergefahren die Rede und in § 4 Nr. 3b AUB 61 ist ausdrücklich geregelt, eine Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf Luftfahrtunfälle, die die Voraussetzungen des Absatzes a) nicht erfüllten, bedürfe einer besonderen Vereinbarung. Eine § 4 Nr. 3b AUB 61 entsprechende Bestimmung und der Begriff Sondergefahren sind in § 3 BB-UZV nicht enthalten. Schon wegen dieser Unterschiede kann der Annahme des Berufungsgerichts nicht gefolgt werden, § 3 Abs. 3 BB-UZV sei in sprachlich abgewandelter Fassung § 4 Nr. 3 AUB 61 nachgebildet und ebenso auszulegen. Gegenstand der Auslegung sind hier wie auch sonst die vereinbarten Bedingungen.

21. Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muß. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an.

22. Gemäß § 1 BB-UZV, der nach seiner Überschrift besagt, was versichert ist, wird die vereinbarte Unfallzusatzversicherungssumme gezahlt, wenn der Versicherte an den Folgen eines Unfalls stirbt. Daraus und aus der allgemeinen Definition des Unfalls in § 2 Abs. 1 BB-UZV (inhaltsgleich mit § 2 Abs. 1 AUB 61) wird der verständige Versicherungsnehmer zunächst ein umfassendes Leistungsversprechen für Unfälle jeglicher Art und Ursache entnehmen. In § 2 Abs. 2 und 3 BB-UZV werden (wortgleich mit § 2 Nr. 2 und 3 AUB 61 und ergänzt durch eine Selbsttötungsklausel) Grenzfälle beschrieben. Zu den danach nicht als Unfall geltenden Fällen gehören Luftfahrtunfälle nicht. In welchen Fällen der Versicherungsschutz ausgeschlossen ist, ergibt sich aus § 3 BB-UZV. Dabei wird in Abs. 1 nochmals betont, daß die Leistungspflicht grundsätzlich unabhängig davon bestehe, wie es zu dem Unfall gekommen sei. Dadurch kommt besonders deutlich zum Ausdruck, daß es sich bei den folgenden Absätzen um die in der Überschrift angekündigten Ausschlüsse vom Versicherungsschutz und um Ausnahmen von der grundsätzlichen Leistungspflicht handelt.

23. In Abs. 2 werden bestimmte Gefahren generell vom Versicherungsschutz ausgenommen. Bei den Buchstaben a), c) und d) werden jedoch wieder Gegenausnahmen genannt, bei deren Vorliegen Versicherungsschutz besteht. In Abs. 3 wird dagegen nicht gesagt, daß Unfälle bei Luftfahrten von der Versicherung ausgeschlossen und nur in bestimmten Fällen gedeckt sind. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird diese Klausel deshalb bei verständiger Würdigung und nach dem Sinnzusammenhang aller Absätze von § 3 BB-UZV so verstehen, daß das Risiko von Luftfahrtunfällen grundsätzlich versichert und nur in bestimmten Ausnahmefällen vom Versicherungsschutz ausgeschlossen ist, nämlich dann, wenn die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 BB-UZV nicht vorliegen. Dieses Verständnis liegt auch deshalb nahe, weil das Flugzeug inzwischen ein übliches Verkehrsmittel ist. Wer heutzutage eine Unfallversicherung abschließt, wird nicht annehmen, das Risiko von Luftfahrtunfällen sei generell vom Versicherungsschutz ausgeschlossen und nur in bestimmten, von ihm zu beweisenden Fällen versichert.

24. § 3 Abs. 3 BB-UZV stellt damit nach seinem sachlichen Gehalt eine Einschränkung des grundsätzlichen Leistungsversprechens und folglich einen Risikoausschluß dar, dessen Voraussetzungen der Versicherer nach allgemeinen Grundsätzen zu beweisen hat. Für diese Beurteilung kommt es nicht entscheidend auf die Formulierung („Bei Luftfahrten leisten wir nur, wenn …“), sondern auf den sachlichen Gehalt der Klausel an. Dies hat der Senat zu den von der sprachlichen Konstruktion her gleichartigen Ausschlußklauseln in § 10 Nr. 2 und Nr. 5 AUB 61 bereits entschieden.

25. Deshalb muß die Beklagte beweisen, daß der Ehemann der Klägerin nicht Fluggast gewesen ist. Zur Klärung dieser Frage ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

26. Für diesen Beweis gilt § 286 ZPO. Beweiserleichterungen sind der Beklagten nicht zuzubilligen. Im Gegensatz zur Diebstahlsversicherung muß der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall in der Unfallversicherung voll beweisen. Dem Versicherer sind daher auch keine Erleichterungen für den Beweis der Voraussetzungen eines Risikoausschlusses einzuräumen.

27. Daß die Beklagte den Vollbeweis geführt habe, der Ehemann der Klägerin sei nicht Fluggast gewesen, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. In rechtlicher Hinsicht sind die Ausführungen des Berufungsgerichts dazu, unter welchen Umständen ein Flugzeuginsasse nicht als Fluggast im Sinne von § 3 Abs. 2 BB-UZV anzusehen ist, nicht zu beanstanden. Insoweit bestehen keine Bedenken, die Grundsätze des Senatsurteils zu § 4 Nr. 3a AUB 61 vom 30. November 1983 (IVa ZR 32/82 – VersR 1984, 155 unter II 2) anzuwenden.

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