Absturz eines Ultraleichtflugzeugs

OLG Koblenz: Absturz eines Ultraleichtflugzeugs

Vorliegend möchte die Klägerin, aufgrund eines tödlichen Unfalls bei einem Flugzeugabsturz, einen Versicherungsschutz in Anspruch nehmen. Die Beklagte ist jedoch der Ansicht, dass der Ehemann, aufgrund der verwendeten besonderen Bedingungen in der Unfallversicherung, vom Versicherungsschutz ausgeschlossen ist.

Nach Ansicht des OLG Koblenz ist dies danach zu beurteilen, ob der Ehemann der Klägerin, Fluggast im Sinne der besonderen Bedingungen war. Dies war hier allerdings nicht der Fall, da die Beweislage dafür spricht, dass der Ehemann zumindest teilweise selbst geflogen ist. Damit ist er vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.

OLG Koblenz 10 U 963/96 (Aktenzeichen)
OLG Koblenz: OLG Koblenz, Urt. vom 23.01.1998
Rechtsweg: OLG Koblenz, Urt. v. 23.01.1998, Az: 10 U 963/96
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OLG Koblenz

1. Urteil vom 23. Januar 1998

Aktenzeichen 10 U 963/96

Leitsätze:

2. Fluggast ist – mit Ausnahme der Besatzungsmitglieder – nur derjenige Insasse, dem das Luftfahrzeug ausschließlich zur Beförderung auf einem Rundflug oder einem Reiseflug dient.

Fluggast ist nicht, wer dazu bestimmt ist, das Luftfahrzeug verantwortlich zu führen oder den verantwortlichen Luftfahrzeugführer zu unterstützen (fliegendes Personal) oder wer im Auftrag des Veranstalters sonstige Dienste (Flugzeugpersonal) im Flugzeug zu verrichten hat.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall streiten die Parteien darum, ob der von dem Ehemann der Klägerin erlittene tödliche Unfall beim Absturz eines Ultraleichtflugzeuges, nach den von der Beklagten verwendeten Besonderen Bedingungen für die Unfallzusatzversicherung,  vom Versicherungsschutz ausgenommen ist.

Das OLG Koblenz entschied, dass dies davon abhängt, ob der Ehemann der Klägerin als Fluggast zu betrachten ist. Fluggast ist nur derjenige Insasse, dem das Luftfahrzeug ausschließlich zur Beförderung auf einem Rundflug oder einem Reiseflug dient. Ausgenommen sind damit Personen, die das Luftfahrzeug selbst führen oder den eigentlichen Luftfahrzeugführer bei seiner Aufgabe unterstützen.

Hier deutete die Beweislage, trotz Beweiserleichtung, daraufhin, dass der Ehemann der Klägerin zumindest teilweise selbst geflogen ist. Demzufolge ist er kein Fluggast im Sinne der besonderen Bedingungen für Unfallversicherungen und damit vom Versicherungsschutz ausgenommen. Die Klage ist mithin unbegründet.

Tenor:

4. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LGs Koblenz vom 23. Mai 1996 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, daß der Tenor des angefochtenen Urteils unter Ziffer 1 wie folgt berichtigt wird:

Das klageabweisende Versäumnisurteil der 1. Zivilkammer des LGs Koblenz vom 7. Dezember 1995 bleibt aufrechterhalten.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 22.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet. Die Sicherheitsleistung kann jeweils auch durch unwiderrufliche, unbefristete und unbedingte Bürgschaft eines allgemein als Steuerbürgen zugelassenen Kreditinstituts (§ 244 Abs. 2 AO 1977) erbracht werden.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten darüber, ob der von dem Ehemann der Klägerin erlittene tödliche Unfall beim Absturz eines Ultraleichtflugzeuges nach den von der Beklagten verwendeten Besonderen Bedingungen für die Unfallzusatzversicherung (im folgenden: BB-Unfall, Bl. 138 – 139) vom Versicherungsschutz ausgenommen ist.

6. Die Klägerin ist Bezugsberechtigte auf den Todesfall aus zwei Lebensversicherungen mit Unfallzusatzversicherungen (Verdoppelung der Versicherungssumme bei Unfalltod), die ihr Ehemann im Januar/Februar 1994 bei der Beklagten geschlossen hatte (Bl. 124 – 143, 144 – 154). Bei dem Unfallereignis vom 30.4.1994 waren der Ehemann der Klägerin und der ebenfalls tödlich verunglückte F J Insassen des propellerbetriebenen Ultraleichtflugzeuges der Marke S W (technische Beschreibung: Bl. 73) bei einem Rundflug über dem Flugplatz B gewesen. Das Ultraleichtflugzeug verfügt über zwei hintereinander angeordnete Sitzplätze; die doppelsteurige Maschine kann von jedem der beiden Sitze aus geführt werden. Bei dem Unglücksflug hatte F J auf dem vorderen Platz, der Ehemann der Klägerin auf dem hinteren Platz gesessen.

7. Wer das im Luftraum befindliche Ultraleichtflugzeug im Unfallzeitpunkt gesteuert hatte, konnte im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (2 UJs 684/94 StA Limburg) nicht festgestellt werden.

8. Die Beklagte hat die bedingungsgemäßen Leistungen aus den beiden Lebensversicherungen in Höhe von 239.275,00 DM an die Klägerin ausgezahlt, entsprechende Leistungen aus den beiden Unfallzusatzversicherungen aber unter Hinweis auf das in § 3 Abs. 3 BB-Unfall nicht versicherte Flugrisiko mit Schreiben vom 13.10.1994 verweigert (Bl. 7).

9. Die den Versicherungsverhältnissen zugrundeliegenden BB-Unfall – Fassung November 1993 – lauten auszugsweise: „§ 3

10. In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen?

11. Grundsätzlich besteht unsere Leistungspflicht unabhängig davon, wie es zu dem Unfall gekommen ist.

12. Ausgeschlossen von der Versicherung sind jedoch: …

13. Bei Luftfahrten leisten wir nur, wenn der Versicherte den Unfall bei Reise- oder Rundflügen als Fluggast in einem Propeller- oder Strahlflugzeug oder in einem Hubschrauber erlitten hat. Fluggäste sind, mit Ausnahme der Besatzungsmitglieder, die Insassen, denen das Luftfahrzeug ausschließlich zur Beförderung dient.“

14. Die Klägerin hat vorgetragen:

15.Die Beklagte könne sich nicht auf einen Ausschluß nach § 3 Abs. 3 BB-Unfall berufen. Bei einem Ultraleichtflugzeug handele es sich um ein „Propellerflugzeug“ im Sinne der Versicherungsbedingungen; ihr Ehemann habe den Unfall darüber hinaus als „Fluggast“ erlitten.

16. Die Klägerin hat, nachdem sie gegen das im Termin vom 7.12.1995 ergangene klageabweisende Versäumnisurteil rechtzeitig Einspruch eingelegt hat, beantragt,

17. das Versäumnisurteil vom 7.12.1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 239.275,00 DM nebst 4 % Zinsen seit 14.10.1994 zu zahlen.

18. Die Beklagte hat beantragt,

19. das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.

20. Sie hat vorgetragen:

21. Das Ultraleichtflugzeug sei kein Propellerflugzeug im Sinne der Versicherungsbedingungen. Der Ehemann der Klägerin sei auch kein „Fluggast“ gewesen; nach den Gesamtumständen spreche vielmehr alles dafür, daß er zumindest zeitweise – wenn auch nur kurzfristig – das Ultraleichtflugzeug geführt habe.

22. Mit dem angefochtenen Urteil hat das LG (ohne das bereits ergangene klageabweisende Versäumnisurteil im Tenor zu berücksichtigen) die Klage abgewiesen mit der Begründung, Versicherungsleistungen aus den Unfallzusatzversicherungen seien gemäß § 3 Abs. 3 BB-Unfall ausgeschlossen. Bei dem von dem Ehemann der Klägerin benutzten Ultraleichtflugzeug handele es sich nicht um ein „Propellerflugzeug“ im Sinne der Versicherungsbedingungen; auch wenn die AUB 88 mit dem dort in § 2 Abs. 1 Ziffer 4 a AUB 88 vorgesehenen Risikoausschluß für Ultraleichtflugzeuge in den Versicherungsverträgen nicht vereinbart gewesen seien, müßten die Bedingungen der AUB 88 bei der Auslegung der hier maßgebenden BB-Unfall herangezogen werden.

23. Mit der hiergegen eingelegten Berufung beantragt die Klägerin,

24. das angefochtene Urteil abzuändern und unter Aufhebung des Versäumnisurteils des LGs Koblenz vom 7. Dezember 1995 die Beklagte zu verurteilen, an sie 239.275,00 DM nebst 4 % Zinsen p.a. seit 14.10.1994 zu zahlen.

25. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

26. Beide Parteien wiederholen, vertiefen und ergänzen ihre jeweiligen gegenteiligen Standpunkte aus der ersten Instanz. Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die in der Berufungsinstanz eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen (ab Bl. 107 ff.) sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 7.3.1997 (Bl. 182 – 183) und vom 21.11.1997 (Bl. 225 – 230) Bezug genommen.

27. Der Senat hat – nach rechtlichem Hinweis zur Auslegung der BB-Unfall und zur Beweislast (Bl. 183) – gemäß Beweisbeschluß vom 18.4.1997 (Bl. 193 – 196) Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen E W G R und S J. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift im Sitzungsprotokoll vom 21.11.1997 Bezug genommen (Bl. 225 – 230). Der Senat hat darüber hinaus die Klägerin ergänzend gemäß § 141 ZPO angehört.

28. Die Ermittlungsakten der StA Limburg 2 UJs 684/94 waren beigezogen.

Entscheidungsgründe:

29. Die Berufung ist unbegründet.

30. Das LG hat im Ergebnis mit Recht Ansprüche der Klägerin aus den beiden Unfallzusatzversicherungen in Höhe von 239.275,00 DM nebst Zinsen verneint.

31. Entgegen der Auslegung in dem angefochtenen Urteil fällt das von dem Ehemann der Klägerin benutzte propellerbetriebene Ultraleichtflugzeug als „Propellerflugzeug“ zwar noch in den Schutzbereich des § 3 Abs. 3 BB-Unfall; der Klageanspruch scheitert jedoch deshalb, weil die Klägerin nicht hat nachweisen können, daß ihr Ehemann während des Rundfluges – auch bei Zubilligung von Beweiserleichterungen – lediglich „Fluggast“ im Sinne der Versicherungsbedingung gewesen sein kann.

32. Die Klägerin wendet sich mit Erfolg gegen die vom LG aus § 2 I Nr. 4 a AUB 88 hergeleitete, einschränkende Auslegung des Begriffs „Propellerflugzeug“ in den hier maßgebenden BB-Unfall.

33. Für die Auslegung von in Allgemeine Versicherungsbedingungen verwendeten Ausdrücken ist grundsätzlich nicht deren juristisch-technischer Sinn maßgebend; die Auslegung hat sich vielmehr am Maßstab des „verständigen Dritten“ entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch des täglichen Lebens auszurichten. Entscheidend ist dabei die Verständnismöglichkeit des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, der die Versicherungsbedingungen aufmerksam liest und verständig – unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs – würdigt (BGH, VersR 1991, 417 und ständig; Prölss-Martin, VVG, 25. Auflage, Vorbemerkung III Anm. 9 a). Daher sind auch Vorstellungen des Versicherers nur maßgeblich, wenn sie in den AVB zumindest unvollkommen Ausdruck gefunden haben.

34. Nach diesen Auslegungsmaßstäben kann demgemäß nur auf den eigenständigen Text der vereinbarten BB-Unfall abgestellt werden, nicht aber auf die davon abweichende Fassung der AUB 88. Die AUB 88 sind weder in die beiden Versicherungsverträge einbezogen worden noch enthalten die vereinbarten BB-Unfall einen für durchschnittliche Versicherungsnehmer erkennbaren Anhalt, daß einzelne Bestimmungen aus den AUB 88 für das Versicherungsverhältnis maßgebend sein sollen. Der Wortlaut der vereinbarten BB-Unfall ist, wie die Beklagte selbst erstinstanzlich eingeräumt hat (Bl. 18 f.), vielmehr eher vergleichbar mit der sprachlichen Fassung der AUB 61; die AUB 61 sind allerdings ebenfalls nicht in die Versicherungsverträge einbezogen worden.

35. Den in den hier maßgebenden BB-Unfall verwendeten Begriff eines „Propellerflugzeuges“ wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer, auch unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs, allerdings nicht anders verstehen können als er im allgemeinen Sprachgebrauch verstanden wird, der in allgemein zugänglichen Nachschlagewerken seinen Niederschlag gefunden hat (vgl. z.B. Brockhaus Enzyklopädie, 17. Auflage, Band 6, Stichwort „Flugzeug“). Als Flugzeug wird danach ein Beförderungsmittel zur Fortbewegung in der Luft verstanden, dessen Hauptbaugruppen für jede Flugzeugart sind: Tragwerk, Leit- und Steuerwerk, Fahrwerk, Rumpf- und Triebwerksanlage. Diese Merkmale des allgemeinen Aufbaus für Flugzeugarten liegen auch bei dem im Unfallzeitpunkt benutzten propellerbetriebenen Ultraleichtflugzeugs vor, wie sich aus dessen technischer Beschreibung im einzelnen ergibt.

36. Soweit die Beklagte eine einschränkende Auslegung des in den BB-Unfall verwendeten Begriffs „Propellerflugzeug“ aus der besonderen baulichen Ausführung des Ultraleichtflugzeuges herleiten und auf die Definition in § 1 Luftverkehrsgesetz abstellen will, kann sie sich darauf mangels erkennbarer Anhaltspunkte für ein dahingehendes einschränkendes Verständnis in den BB-Unfall nicht berufen. Für die versicherungsrechtliche Frage, wie der durchschnittliche Versicherungsnehmer den in den BB-Unfall verwendeten Begriff des „Propellerflugzeuges“ verstehen kann, kommt es nicht auf eigenständige Definition in den Vorschriften des Luftverkehrsgesetzes an, die in erster Linie der Sicherheit des Luftverkehrs zu dienen bestimmt sind (vgl. BGH, VersR 1988, 714).

37. Entgegen der Auffassung der Beklagten läßt sich eine einschränkende Auslegung auch nicht aus dem fehlenden Bestimmungszweck als „Verkehrsflugzeug“ herleiten. Die Beklagte mag bei Abfassung ihrer Versicherungsbedingungen zwar in erster Linie oder möglicherweise ausschließlich an Verkehrsflugzeuge üblicher Bauart gedacht haben; eine solche Einschränkung, die einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar sein müßte, findet sich in dem Bedingungswerk der Beklagten indessen noch nicht einmal im Ansatz. Das im vorliegenden Fall zum Einsatz gelangte Ultraleichtflugzeug verfügt über zwei Sitzplätze; damit dient es einer oder zwei Personen zur Fortbewegung im Luftraum. Auch wenn der sportliche Zweck im Vordergrund steht, können mit einem Ultraleichtflugzeug durchaus „Rundflüge“ oder – wenngleich nur auf kürzeren Strecken – „Reiseflüge“ im Sinne der Versicherungsbedingungen (vgl. BGH, VersR 1984, 155; Prölss-Martin, a.a.O., § 4 AUB 61 Anm. 3 a) für einen auf dem zweiten Platz befindlichen „Fluggast“ durchgeführt werden, wie beispielsweise bei einem Rundflug/Reiseflug für einen Fluggast, der Luftbildaufnahmen fertigen oder der (ohne eigenes Interesse am Selbstfliegen) die nähere Umgebung einmal aus der Luft beobachten will oder der in einem dringenden Fall schnell an einen anderen Ort mit Flugplatz befördert werden soll.

38. Die Versicherungsbedingungen der Beklagten ermöglichen somit keine einschränkende Auslegung des Begriffs „Propellerflugzeug“ im Sinne eines Ausschlusses von propellerbetriebenen zweisitzigen Ultraleichtflugzeugen. Für den versicherungsvertraglichen Ausschluß des Unfallrisikos kommt es somit ausschließlich auf die vom LG offengelassene Frage an, ob der auf dem zweiten Sitzplatz befindliche Ehemann der Klägerin „Fluggast“ gewesen ist oder nicht (in dem von Prölss-Martin, § 4 AUB 61 Anm. 3 d zitierten Fall LG München R+S 1990, 69 ist letztlich darauf abgestellt worden, daß der Versicherte nicht „Fluggast“ im Sinne des § 4 Nr. 3 a AUB 61 gewesen ist).

39. Unfallversicherungsschutz besteht vorliegend deshalb nicht, weil die Klägerin – auch bei Zubilligung von Beweiserleichterungen – nicht nachweisen kann, daß ihr Ehemann während des Rundfluges lediglich „Fluggast“ im Sinne der BB-Unfall gewesen sein kann.

40.  Fluggast ist – mit Ausnahme der Besatzungsmitglieder – nur derjenige Insasse, dem das Luftfahrzeug ausschließlich zur Beförderung auf einem Rundflug oder einem Reiseflug dient. Fluggast ist nicht, wer dazu bestimmt ist, das Luftfahrzeug verantwortlich zu führen oder den verantwortlichen Luftfahrzeugführer zu unterstützen (fliegendes Personal) oder wer im Auftrag des Veranstalters sonstige Dienste (Flugzeugpersonal) im Flugzeug zu verrichten hat (BGH, VersR 1984, 155; OLG Köln, RUS 1989, 66).

41. Zum fliegenden Personal zählt auch der Insasse, der hilfsweise das Flugzeug steuern oder die Führung durch Hilfsdienste unterstützen soll; er scheidet von Beginn des Fluges an als Fluggast aus, selbst wenn er bis zum Unfall die vorgesehenen Tätigkeiten nicht ausgeübt hat. Er wird schon dadurch in die Besatzung eingegliedert, daß mit dem Halter des Flugzeuges, dessen Stellvertreter oder dem Piloten abgesprochen wird, er solle sich für den konkreten Flug zur Übernahme technischer (Hilfs-) Tätigkeiten bereit halten. Mit der Erklärung seiner Bereitschaft für den konkreten Flug begibt er sich in den Bereich des besonderen – von dem Unfallversicherungsschutz nicht umfaßten – Besatzungswagnisses (BGH, VersR 1984, 155/156 f.). Anders ist die Sachlage nur, wenn der Insasse erst während des Fluges Aufgaben übernimmt, wie etwa bei einem Eingreifen im Falle einer Notlage (BGH, a.a.O.).

42. Die Klägerin trägt als Bezugsberechtigte die Beweislast dafür, daß ihr Ehemann bei dem Unglücksflug lediglich Fluggast gewesen sein kann.

43. Aus dem Wortlaut und der Systematik des § 3 Abs. 3 BB-Unfall, der in sprachlich abgewandelter Fassung dem § 4 Nr. 3 a AUB 61 nachgebildet ist, folgt, daß die Luftfahrt eine Sondergefahr darstellt und von der Beklagten grundsätzlich nicht versichert wird („Bei Luftfahrten leisten wir nur …“). Nur das Risiko von Luftfahrtunfällen, die der Versicherte als Fluggast unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 BB-Unfall erleiden kann, soll aus Ausnahme von dem grundsätzlichen Ausschluß des Luftfahrtrisikos in den bedingungsgemäßen Unfallversicherungsschutz einbezogen sein. Den generellen Ausschluß „Luftfahrt“ muß demgemäß der Versicherer beweisen; die Ausnahme muß der Versicherungsnehmer bzw. der Bezugsberechtigte beweisen (vgl. zu § 4 Nr. 3 a AUB 61 auch OLG Köln, RUS 1989, 66; OLG Oldenburg, NJW-RR 1986, 1474; Prölss-Martin, a.a.O., § 4 AUB 61 Anm. 3 e m.N.).

44. Um den Unfallversicherungsschutz im Interesse der Versicherten oder bezugsberechtigten Personen nicht unangemessen auszuhöhlen, hält es der Senat allerdings für sachgerecht, die Beweisanforderung für den Bezugsberechtigten zu erleichtern, wenn sämtliche Insassen des Flugzeuges – wie hier – tödlich verunglückt sind und eine Klärung des tatsächlichen Geschehensablaufs ab Antritt des Fluges nicht mehr möglich ist.

45. In diesen Fällen genügt es, wenn der Bezugsberechtigte Mindesttatsachen nachweist, aus denen zumindest mit hinreichender Wahrscheinlichkeit folgt, daß der betroffene Insasse bei einer zweisitzigen und doppelsteurigen Maschine lediglich Fluggast gewesen sein kann.

46. Den aufgezeigten – erleichterten – Beweis hat die Klägerin nicht erbringen können. Der Senat hat sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht davon überzeugen können, daß der Ehemann der Klägerin bei dem Unglücksflug – zumindest mit hinreichender Wahrscheinlichkeit – lediglich Fluggast in dem Ultraleichtflugzeug gewesen sein kann. Die Beweislage spricht umgekehrt gegen diese Möglichkeit.

47. Aus dem Umstand, daß der Ehemann der Klägerin auf dem Co-Pilotensitz des doppelsteurigen Ultraleichtflugzeuges gesessen hatte, von dem das Flugzeug ebenfalls zu steuern war, läßt sich zwar nicht der zwingende Schluß auf die naheliegende Möglichkeit ziehen, daß er von vorneherein das Ultraleichtflugzeug zumindest teilweise im Luftraum führen sollte oder sonstige flugtechnische Dienste während des Rundfluges verrichten sollte. Der Insasse auf dem Co-Pilotensitz kann im Einzelfall durchaus – wie oben unter 1. aufgezeigt – auch Fluggast sein. Die Ergebnisse der Beweisaufnahme rechtfertigen eine solche Annahme indessen nicht.

48. Der Ehemann der Klägerin hatte, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, seine im Oktober 1992 unterbrochene Flugausbildung für Ultraleichtflugzeuge im Frühjahr 1994 wieder aufgenommen. Bis zum Unfallereignis hatte er acht praktische Unterrichtseinheiten auf einem Ultraleichtflugzeug unternommen (mit Fluglehrer), darin eingeschlossen oder zusätzlich einen Alleinflug (Bl. 229). Wie der Zeuge R, Eigentümer/Halter des von dem Unglücksfall betroffenen Ultraleichtflugzeuges, erläutert hat (insoweit im Protokoll nicht vermerkt), sind während der Ausbildung für Ultraleichtflugzeuge zumindest zwei Alleinflüge vorgeschrieben.

49. Über die bereits in der praktischen Ausbildung erlangte Flugerfahrung hinaus hatte der Ehemann der Klägerin, wie die Beweisaufnahme weiter ergeben hat, auch ein Interesse daran gehabt, eine Haltergemeinschaft mit dem Zeugen R einzugehen: Der Zeuge hat auf eine dahingehende telefonische Anfrage des ihm bekannten Fliegers F J als Vermittler zwar zunächst telefonisch erklärt, kein Interesse an einer Haltergemeinschaft mit dem ihm damals unbekannten Ehemann der Klägerin zu haben. In dem Telefonat hat er jedoch ein Treffen mit dem Piloten F J und dem Ehemann der Klägerin für den nächsten Tag, den 30.4.1994, auf dem Flugplatz verabredet; dort befand sich das Ultraleichtflugzeug des Zeugen und das Flugzeug des Piloten F J (Fox C 22).

50. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat sich das allgemeine Interesse an einer Haltergemeinschaft in der Folgezeit (vor Antritt des Unglücksfluges) weiter konkretisiert in einem – vom Zeugen R gebilligten – Interesse des Ehemannes der Klägerin am „Mitfliegen und Selbst-Fliegen“ in dem Ultraleichtflugzeug:

51. Mit dem Ultraleichtflugzeug des Zeugen R hat der Pilot F J zunächst allein einen ca. 10minütigen Rundflug gegen 15.47 Uhr unternommen und anschließend erklärt, die Maschine sei okay. Bei einem zweiten Rundflug (gegen 17.09 Uhr) ist der Zeuge R als Co-Pilot mit dem Piloten F J geflogen. Bevor es zu dem dritten Rundflug gegen 17.37 Uhr kam, hat der Ehemann der Klägerin gegenüber dem Zeugen R – wie sich der Zeuge erinnert – sinngemäß geäußert, wegen seiner kurz bevorstehenden Prüfung wolle er das Gerät (gemeint ist: Ultraleichtflugzeug) mal sehen und mal selber fliegen, weil er Interesse an der Haltergemeinschaft habe. Wie der Zeuge aus dem damaligen Gesamtverhalten des Ehemannes der Klägerin entnommen hat, war er „scharf auf das Fliegen, und zwar auf das Mitfliegen und das Selbst-Fliegen“.

52. Vor dem dritten Rundflug (Unglücksflug) hat der Pilot F J – wie es für den Zeugen als selbstverständlich erschien – den vorderen Platz, der Ehemann der Klägerin den dahinter befindlichen Co-Pilotenplatz eingenommen. Der Zeuge R wäre, so seine Aussage, zwar nicht damit einverstanden gewesen, wenn der noch in der Ausbildung befindliche Ehemann der Klägerin den vorderen Platz des Piloten eingenommen hätte; Start und Landung sollten nach der Vorstellung des Zeugen von dem Piloten F J durchgeführt werden. Der Zeuge hatte aber von vornherein nichts dagegen und hat auch damit gerechnet, daß der hinten sitzende und mitfliegende Ehemann der Klägerin in der Luft einmal selbst das Flugzeug steuert. Die Wetterverhältnisse vor und bei dem dritten Rundflug haben im übrigen aus der Sicht des Zeugen R nicht dagegen gesprochen, daß der Ehemann der Klägerin als Co-Pilot die von ihm – dem Zeugen – generell gebilligte Führung des Ultraleichtflugzeuges im Luftraum übernimmt.

53. Das durch die Beweisaufnahme belegte Interesse des Ehemanns der Klägerin an einer Haltergemeinschaft, am Mitfliegen und am Selbst-Fliegen in dem Ultraleichtflugzeug des Zeugen R und das konkludente vorherige Einverständnis des Zeugen, daß der Ehemann der Klägerin das Flugzeug im Luftraum auch einmal selbst steuert, werden durch die Bekundungen der Zeugin S J (Ehefrau des zu Tode gekommenen Piloten F J) nicht ausgeräumt.

54. Auch wenn der Ehemann der Zeugin J kein Fluglehrer gewesen ist und er den auf seinem eigenen Ultraleichtflugzeug Typ F mitgenommenen Fluggästen – nach der Vermutung der Zeugin – das Steuer nicht überlassen hatte, schließt dieser geschilderte Umstand einen abweichenden Geschehensablauf im vorliegenden Fall keineswegs aus. Wie die Zeugin angegeben hat, sind bei dem Flugzeug F, das ihrem Ehemann gehört hat, die beiden Sitze nebeneinander angebracht; der einzige Steuerknüppel befindet sich in der Mitte zwischen dem Sitz des Piloten (linke Seite) und dem Sitz des Co-Piloten (rechte Seite). Die Zeugin hält es daher nur theoretisch für möglich, daß der Co-Pilot mit der linken Hand ein solches Flugzeug steuern kann. Nach Einschätzung der Zeugin J hat ihr Ehemann ein Ultraleichtflugzeug des Typs S W am Unfalltag allerdings zum ersten Mal geflogen. Bei dem Ultraleichtflugzeug S W ist aber – bauartbedingt – ein selbständiges Fliegen des Co-Piloten im Luftraum ohne weiteres möglich. Bei diesem Flugzeugtyp sind – wie bereits früher dargelegt – die Sitze hintereinander angeordnet und jeder Sitz verfügt über einen eigenen Steuerknüppel. Beide Steuerknüppel sind, so die Erläuterungen des Zeugen R (insoweit im Protokoll nicht vermerkt), miteinander mechanisch verknüpft, so daß die auf einen Steuerknüppel ausgeübten Bewegungen parallel auf den anderen Steuerknüppel übertragen werden. Der Pilot kann im Luftraum daher die Flugzeugführung an den Co-Piloten abgeben und sodann wieder vom Co-Piloten rückübernehmen. Auf eine dahingehenden Handhabung hat sich auch das bereits oben erläuterte Einverständnis des Zeugen R vor Antritt des dritten Rundfluges bezogen.

55. Der Senat kann sich daher zusammengefaßt nicht davon überzeugen, daß der Ehemann der Klägerin mit zumindest hinreichender Wahrscheinlichkeit nur Fluggast gewesen sein kann.

56. An dem Ergebnis würde sich nichts ändern, wenn – entgegen der Auffassung des Senates – die Beklagte nach ihren Versicherungsbedingungen die Beweislast dafür tragen sollte, daß die versicherte Person kein Fluggast gewesen ist (Hilfserwägung).

57. Die Beweisanforderungen an den Versicherer dürften in einem solchen Fall ebenfalls nicht unzumutbar überspannt werden, denn der Versicherer steht dem jeweiligen Geschehensablauf noch weiter entfernt als der von dem Unfall betroffene Versicherungsnehmer und der Bezugsberechtigte. Dem Versicherer müssen dann auch Beweiserleichterungen zugute kommen. Der Versicherer kann den ihm obliegenden Beweis dann erbringen, wenn er Mindesttatsachen nachweist, aus denen sich mit zumindest hinreichender Wahrscheinlichkeit ergibt, daß der Insasse kein Fluggast gewesen sein kann.

58. Auch bei einem solchen Verständnis von der Darlegungs- und Beweislast zum „Fluggast“ kommt der Senat zu keinem anderen Ergebnis. Nach der Beweislage sprechen die maßgebenden Umstände, wie sie oben unter Buchstabe c) dargelegt sind, nach der Überzeugung des Senates insgesamt dafür, daß der Ehemann der Klägerin mit zumindest hinreichender Wahrscheinlichkeit kein Fluggast gewesen sein kann.

59. Triftige Gründe für das Gegenteil hat die Klägerin nicht nachweisen können.

60. Die Klägerin hat daher gemäß § 3 Abs. 3 BB-Unfall keinen Anspruch auf Leistungen aus den Unfallzusatzversicherungen.

61. Die Berufung ist folglich zurückzuweisen.

62. Der Tenor des angefochtenen Urteils ist allerdings gemäß § 319 ZPO zu berichtigen.

63. Das LG hat die Klage abgewiesen, ohne das bereits vorausgegangene klageabweisende Versäumnisurteil vom 7.12.1995 im Tenor des angefochtenen Urteils zu berücksichtigen (§ 343 Satz 1 ZPO). Der unrichtig gefaßte Tenor ist daher durch den Senat zusammen mit der Entscheidung über die Berufung zu berichtigen (vgl. BGH, NJW 1967, 1858).

64. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

65. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

66. Der Streitwert für die Berufungsinstanz und die Beschwer der Klägerin werden auf 239.275,00 DM festgesetzt.

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