Ausschluss des Kündigungsrechtes aus § 649 BGB per AGB durch Fluggesellschaft
AG Köln: Ausschluss des Kündigungsrechtes aus § 649 BGB per AGB durch Fluggesellschaft
Eine Kundin buchte bei einem Flugunternehmen Hin- und Rückflug für die Strecke Düsseldorf-Hamburg-Düsseldorf. Die Kundin stornierte ihre Buchung jedoch einige Zeit vor Flugantritt und bat um die Rückerstattung der Ticketpreise. In den Allgemeinen Beförderungsbedingungen (kurz: ABB) war jedoch festgehalten, dass lediglich teurere Flex-Tarife eine freie Kündigung samt Erstattung beinhalteten. Daher zahlte die Fluggesellschaft nur nicht angefallene Steuern und Gebühren zurück.
Daher verklagte die Kundin die Fluggesellschaft auf Erstattung des vollen Ticketpreises vor dem Amtsgericht (kurz: AG) Köln. Das AG Köln gab der Kundin recht und sprach ihr dir Rückzahlung des vollen Ticketpreises zu.
AG Köln | 133 C 56/15 (Aktenzeichen) |
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AG Köln: | AG Köln, Urt. vom 31.05.2016 |
Rechtsweg: | AG Köln, Urt. v. 31.05.2016, Az: 133 C 56/15 |
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Leitsätze:
2. Ein pauschaler Ausschluss vom Kündigungsrecht in den ABB ist als unfaire Benachteiligung des Kunden anzusehen und somit nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB als ungültig anzusehen.
Einer Fluggesellschaft stehen 5 % des Ticketpreises als Entschädigung bei einer Stornierung zu.
Die Fluggesellschaft muss sich jedoch auf die 5 % berufen, sie werden ihr nicht automatisch zugesprochen.
Zusammenfassung:
3. Die Klägerin war in einem Unternehmen tätig und buchte für einen Mitarbeiter Hin- und Rückflug für die Strecke Düsseldorf-Hamburg-Düsseldorf für insgesamt 398,00 €. Der Buchung lag kein Flex-Tarif zugrunde, es erfolgte während der Buchung aber auch kein Hinweis auf Ausschluss des Kündigungsrechts.
Die Klägerin stornierte am 21.11.2014 ihre Buchung und bat um Erstattung des Ticketpreises. Die Beklagte zahlte jedoch nur 56,81 € für nicht angefallene Steuern und Gebühren zurück.
Daher verklagte die Klägerin die Fluggesellschaft auf Zahlung der fehlenden 353,09 € vor dem AG Köln. Die Fluggesellschaft verwies vor Gericht auf ihre ABB, in denen sie lediglich bei den teureren Flex-Tarifen ein Kündigungsrecht zusprach.
Das AG Köln gab der Klägerin recht. Der pauschale Kündigungsauschluss in den ABB war als unangemessene Benachteiligung des Kunden nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB anzusehen und somit unwirksam. Daher stand der Klägerin das volle Kündigungsrecht zu. Da die Fluggesellschaft sich auch nicht auf § 649 S. 3 BGB berufen hatte, konnte sie auch nicht 5% des Ticketpreises einbehalten, sondern musste die fehlenden 353,09 € zahlen.
Tenor:
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 341,19 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2014 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des je zu vollsteckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird gemäss § 511 Abs. 4 S. 1 ZPO zugelassen.
Tatbestand
5. Die Klägerin nimmt die Beklagte, eine Fluggesellschaft, auf Rückzahlung des Flugpreises nach Stornierung von zwei Flügen in Anspruch.
6. Die Beklagte verwendet bei dem Abschluss von Flugbeförderungsverträgen Allgemeine Beförderungsbedingungen (ABB), die in Ziffer 3.1.4 vorsehen, dass das Recht zum Rücktritt oder zur Kündigung des Beförderungsvertrages sowie ein Anspruch auf teilweise oder vollständige Rückerstattung des Beförderungsentgeltes nur besteht, wenn dies die Beförderungsbedingungen vorsehen. Die Beklagte bietet u.a. auch eine Buchung eines „Flex-Tarifes“ an, innerhalb dessen eine freie Kündigung samt Erstattung der vollständigen Flugkosten möglich ist. Wegen der ABB im Übrigen wird auf Bl. 167 ff d.A. Bezug genommen
7. Die Klägerin buchte bei der Beklagten einen Hin- und Rückflug für die Strecke Düsseldorf-Hamburg-Düssseldorf für den Dezember 2014 für 398,00 Euro. Der Buchung lag kein teuerer Flex-Tarif zugrunde. Ein expliziter Hinweis auf den Ausschluss des Kündigungsrechtes gem. § 649 S. 1 BGB erfolgte im Rahmen des Buchungsvorganges nicht. Mit Schreiben vom 21. November 2014 stornierte die Klägerin die Flüge bei der Beklagten und bat um die Rückerstattung der Ticketpreise. Die Beklagte erstattete nicht angefallene Steuern (Luftverkehrssteuer) und Gebühren (Flughafengebühr) in Höhe von 56,81 Euro.
8. Die Klägerin fordert die Rückzahlung des vollständigen Flugpreises unter Abzug des bereits erstatteten Betrages. Sie ist der Ansicht, sie habe die Flüge wirksam gekündigt und ihr stehe der Flugpreis gem. § 649 Satz 2 BGB zu. Die Klausel 3.1.4. der ABB, die das freie Kündigungsrecht ausschließt, sei aufgrund des pauschalen Ausschlusses des Stornierungsrechtes unwirksam. Sie verstoße gegen § 309 Nr. 5 BGB, denn wenn eine pauschalierte Schadensersatzregelung bzw. der Ausschluss des Nachweises einer höheren Ersparnis verboten sei, müsse dies erst Recht für den Ausschluss jeglichen freien Kündigungsrechtes gelten. Die Beklagte müsse höhere finanzielle Aufwendungen für die Prüfung von Kündigungen bereits in ihre Preiskalkulation einbeziehen. Die Beklagte müsse sich die Aufwendungen anrechnen lassen, die sie durch den anderweitigen Verkauf des Platzes bzw. die Möglichkeit des Weiterverkaufs erspart habe bzw. hätte ersparen können. Der Rückzahlungsbetrag setzte sich aus dem restlichen Ticketpreis in Höhe von 341,19 euro zzgl. 11,90 Euro Transaktionskosten zusammen.
10. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 353,09 Euro nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2014 zu zahlen.
13. Sie behauptet, die ABB der Beklagten seien bei der Buchung wirksam in den Vertrag einbezogen worden. Die von der Klägerin gebuchten Plätze hätten nicht weiterverkauft werden können. Auf dem Hinflug seien von 144 verfügbaren Plätzen lediglich 139 vergeben worden, auf dem Rückflug seien 84 von 84 Plätzen besetzt gewesen, jedoch hätte dort eine Kapazitätserweiterung auf 90 Plätze vorgenommen werden können. Zudem würden die Kosten für eine mögliche Kündigung außerhalb der „Gruppen- und Flex-Tarife“ nicht in die Preiskalkulation der Flugpreise einbezogen. Die Beklagte ist der Ansicht, es sei Unmöglichkeit eingetreten hinsichtlich des Beförderungsanspruchs der Klägerin, da sie zu den Terminen der gebuchten Flüge nicht erschienen sei. Deshalb stehe der Klägerin lediglich ein Anspruch auf die Rückzahlung der Steuern und Gebühren aus § 326 Abs. 2, 4 BGB zu.
14. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
15. Die Klage ist überwiegend begründet.
16. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Rückzahlung des Flugpreises aus § 812 Abs. 1 S. 2, 1. Alt., 631, 649 S. 1 BGB in Höhe von 341,19 Euro.
I.
17. Der wirksam zustande gekommene Flugbeförderungsvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten ist durch die Klägerin wirksam gem. § 649 S. 1 BGB gekündigt worden, sodass der Rechtsgrund für das Einbehalten des Flugpreises durch die Beklagte entfallen ist. Das Kündigungsrecht der Klägerin wurde nicht wirksam ausgeschlossen. Es kann dahinstehen, ob die ABB der Beklagten wirksam in den Vertrag einbezogen wurden; denn die Klausel 3.1.4. in den ABB der Beklagten vermag das Kündigungsrecht nicht auszuschließen. Die Klausel ist unwirksam, da sie eine unangemessene Benachteiligung der Klägerin gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB darstellt.
18. Grundsätzlich besteht das Recht im Rahmen eines Flugbeförderungsvertrages, – der als Unterfall des Werkvertrages einzuordnen ist (BGH, Urt. v. 21.12.1973 – IV ZR 158/72; BGH, Urt. v. 28.05.2009 – Xa ZR 113/08) – dass der Besteller den Vertrag frei kündigen kann gem. § 649 S. 1 BGB. Dieses Kündigungsrecht kann durch Individualvereinbarung wirksam ausgeschlossen werden. Ob ein solcher Ausschluss auch im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist bereits an sich problematisch. Teilweise wird die Zulässigkeit eines solchen Vorgehens vollständig verneint (etwa BGH, Urt. v. 08.07.1999 – VII ZR 237/98 m.w.N.; Jauernig, Mansel, § 649 Rn. 11), bzw. nur für längerfristige Verträge bejaht (Palandt, Sprau, § 649 Rn. 16). Auch wird etwa ein zulässiger Ausschluss bei Beachtung der § 307 ff. BGB angenommen, falls das Interesse des Unternehmers am Bestehenbleiben des Vertrages über das reine Vergütungsinteresse hinausgeht (Bamberger/Roth, Voit, § 649 Rn. 29) – regelmäßig dürfte dies nicht der Fall sein. Ein solcher Grund ist bei Flugbeförderungsverträgen – abgesehen von dem finanziellen Vorteil für die Fluggesellschaft – nicht ersichtlich. In jedem Fall muss ein in AGB geregelter Ausschluss aber den §§ 307 ff BGB entsprechen. Wird der Flugbeförderungsvertrag zwischen Unternehmern geschlossen ist Prüfungsmaßstab für die Inhaltskontrolle §§ 310 Abs. 1 S. 2 iVm 307 BGB. Die Normen der §§ 308 Nr. 1, 2 bis 8, 309 BGB sind jedoch im Rahmen der Angemessenheitskontrolle des § 307 BGB zu berücksichtigen, ein Verstoß gegen eine Norm der §§ 308 Nr. 1, 2 bis 8, 309 BGB ist ein Indiz für die Unangemessenheit der Klausel gem. § 307 BGB unter Berücksichtigung der kaufmännischen Besonderheiten (Palandt, Grüneberg, § 307 Rn. 38, 40; kritisch: Dauner-Lieb/Langen, BGB SchuldR, Kollmann, § 310 Rn. 13).
19. Die Klausel 3.1.4. ABB verstößt gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Sie ist mit dem wesentlichen Grundgedanken des § 649 S. 1 BGB nicht vereinbar. Das freie Kündigungsrecht des Bestellers aus § 649 S. 1 BGB ist eine zentrale Norm des Werkvertragsrechts, dem auch der Flugbeförderungsvertrag. Der Gedanke, der diesem freien Kündigungsrecht zugrunde liegt, ist der, dass grundsätzlich nur der Besteller an der tatsächlichen Durchführung des Werkes ein Interesse hat und für den Unternehmer die Erzielung der Vergütung der Hauptzweck der Vertragsdurchführung ist (Palandt, Sprau, Einf. v. § 631 Rn. 1). Diese generelle Wertung ist auch im Rahmen des Flugbeförderungsvertrages gültig. Es besteht ein alleiniges Interesse des Bestellers daran, per Flugzeug befördert zu werden, während der Unternehmer rein an der Vergütung für den Flug interessiert ist. Dies spricht dafür, dem Besteller auch im Falle eines Flugbeförderungsvertrages das freie Kündigungsrecht des § 649 S. 1 BGB zuzusprechen. Insbesondere wäre es Sache des Gesetzgebers, den Flugbeförderungsvertrag gesondert außerhalb des Werkvertragsrechtes zu regeln und damit auszudrücken, dass er das freie Kündigungsrecht im Rahmen der Flugbeförderungsverträge für ungeeignet hält. Solange dies nicht geschieht, ist das Werkvertragsrecht das anzuwendende Recht auf einen Flugbeförderungsvertrag und so auch dessen grundsätzliche Wertungen und Regelungen. Durch die Klausel 3.1.4. ABB wird das freie werkvertragliche Kündigungsrecht grundsätzlich ausgeschlossen, was der Wertung des § 649 S. 1 BGB elementar widerspricht und so gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB verstößt. Dies gilt unabhängig davon, dass einige andere Normen des Werkvertragsrechtes nicht ohne Wertungskorrektur auf das Flugbeförderungsrecht übertragbar sind. Das Gericht übersieht dabei nicht, dass gerade bei einem Massengeschäft wie dem Flugverkehr die Flugunternehmen mit einem gewissen Auslastungsgrad ihrer Flüge müssen rechnen können bzw. dass das freie Kündigungsrecht zu wirtschaftlichen und finanziellen Aufwendungen führt. Diese können und müssen sie in ihren Flugpreisen einkalkulieren. Zudem dient die Regelung des § 649 S. 3 BGB der Absicherung dieser finanziellen Risiken des freien Kündigungsrechtes bzw. der leichteren Durchsetzung finanzieller Ansprüche des Unternehmers gegen den Besteller. Der Gesetzgeber hat durch § 649 Satz 3 BGB, wonach vermutet wird, dass dem Unternehmer 5 % der auf den nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden Vergütung zustehen, einen Ausgleich zwischen freiem Kündigungsrecht und Interesse des Unternehmers am Erhalt der Vergütung vorgenommen. Der Unternehmer kann sich ohne weiter vortragen zu müssen auf diese Pauschale berufen, deren Berechtigung dann von dem Besteller widerlegt werden muss. Sofern die Pauschale von 5 % für die Abwicklung des Buchungsvorganges als zu niedrig angesehen wird, steht es den Fluggesellschaften frei, unter Beachtung der §§ 307 ff. (insbesondere §§ 308 Nr. 7, 309 Nr. 5 BGB) höhere Pauschalen für den Aufwendungsersatz bei Kündigung gem. § 649 S. 1 BGB zu vereinbaren, unter Umständen auch in Abhängigkeit von dem zeitlichen Vorlauf der Kündigung zum Abflugzeitpunkt.
20. Außerdem verstößt die Klausel 3.1.4. ABB gegen § 309 Nr. 8 lit. a BGB. Die Norm ist gem. § 310 Abs. 1 S. 1, 2 BGB nicht direkt anwendbar auf Verträge zwischen zwei Unternehmern, jedoch kommt einem Verstoß gegen diese Norm eine Indizwirkung bezüglich der Unangemessenheit einer Klausel zu (s.o.; zudem BGH, Urt. v. 29.10.2008 – VIII ZR 258/07, Rn. 26; BGH, Urt. v. 20.03.2003 – I ZR 225/00, Rn. 68; Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Christensen, § 309, Rn. 16). Es besteht auch keine Unanwendbarkeit der Klausel aufgrund von §§ 309 Nr. 8 lit. a, 2. HS iVm. 309 Nr. 7, 3. HS BGB, denn dort ist lediglich von einem Ausschluss der Geltung im Bereich der Beförderungsbedingungen des Linienverkehrs von Straßenbahnen, Obusse und Kraftfahrtzeuge die Rede. Linienflüge sind gerade nicht genannt und die Norm ist auf diese auch nicht anwendbar (vgl. Ermann, BGB, Roloff, § 309 Rn. 83, § 305a, Rn. 3). Deshalb ist die Klärung der Frage, ob es sich bei der Durchführung der Flüge zwischen Düsseldorf und Hamburg durch die Beklagte um eine Linienflugverbindung handelt, nicht relevant.
21. Eine Auslegung der Klausel 3.1.4. ABB ergibt, dass nicht nur das Kündigungsrecht gem. § 649 S. 1 BGB – also das freie Kündigungsrecht – von der Klausel umfasst ist, sondern allgemein ein Ausschluss des Rücktritts- bzw. Kündigungsrechtes (etwa aus §§ 634 Nr. 3 iVm. 323, 326 Abs. 5 BGB) vorgenommen wird unter Ausnahme einer ausdrücklichen Anordnung eines solchen in den AGB der Beklagten. Ein solch allumfassender Ausschluss hält den Anforderungen des § 309 Nr. 8 lit. a BGB nicht stand, denn auch eine Kündigung bzw. ein Rücktritt bei einer Pflichtverletzung durch den Unternehmer ist von der Regelung umfasst. Insbesondere ist es dem Anwender der AGB nicht zuzumuten, sämtliche Regelungen der ABB auf eine mögliche Geltung eines Rücktritts- bzw. Kündigungsrechtes zu durchsuchen (Umfang der Beförderungsbedingungen: 42 Seiten!), diese hätten vielmehr bereits bei der Buchung oder aber in der Klausel 3.1. aufgeführt werden müssen.
22. Die Angemessenheit der Klausel ergibt sich auch nicht daraus, dass der Unternehmer ggfs. für die Prüfung von Kündigungen einen erhöhten Kosten- sowie Verwaltungsaufwand hat, weil diese sich erheblich von dem Aufwand der Prüfung der Erstattung von Steuern und Gebühren nach einer erfolgten Kündigung unterscheiden.
23. Grund dafür ist, dass jede Fluggesellschaft auch so genannte Low Cost Carrier die Kosten für die Erfüllung ihrer gesetzlichen Pflichten bei ihrer Preisgestaltung zu berücksichtigen haben und sie nicht dadurch umgehen können, dass sie in einem teureren „Flex-Tarif“ die Möglichkeit einer freien Kündbarkeit ausdrücklich gewähren (so in einem vergleichbaren Fall auch Kammergericht Berlin, Urt. v. 12.08.2014 – 5 U 2/12). Der Vorteil des „Flex-Tarifes“ der Beklagten – in den ABB in 19.4. geregelt – erschöpft sich – bezogen auf die Stornierung – darin, dass im Rahmen einer frühen Stornierung gem. 19.4.3. S. 1 ABB die Pflicht zur Zahlung der Vergütung gem. § 649 S. 2 BGB entfällt. Dies ist ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender Vorteil und würde das erhöhte Entgelt, welches die Beklagte für diesen Tarif verlangt, erklären. Die Existenz einer solchen Regelung und Buchungsoption befreit die Beklagte jedoch nicht von der Einhaltung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen. Vielmehr müssen die einzelnen Klauseln zur Regelung der Tarife für sich genommen dem Verbot einer unangemessenen Benachteiligung standhalten. Zudem wird vor Abschluss des Vertrages außerhalb des „Flex-Tarifes“ nicht eindeutig auf den vollständigen Ausschluss des § 649 S. 1 BGB hingewiesen, was ebenfalls ein Indiz für die Unangemessenheit der Klausel ist.
24. Soweit die Beklagte der Ansicht ist, Rückerstattung und Kündigung seien verschiedene Dinge und sie habe in ihren AGB in 10.2. ABB ausdrücklich die Geltung des gesetzlichen Rückerstattungsanspruchs im Einklang mit § 309 Nr. 5 BGB aufgenommen, so liegt dies neben der Sache. Zum einen ist der Rückerstattungsanspruch des Flugpreises im Rahmen der § 649 S. 2, 3 BGB eine Folge des freien Kündigungsrechts aus § 649 S. 1 BGB und hängt sehr wohl mit diesem zusammen. Zum anderen belegt die Existenz der Klausel 10.2. ABB nicht, dass die AGB der Beklagten bezüglich der Rückerstattung von Flugpreisen im Einklang mit § 309 Nr. 5 BGB stehen. Denn die Klausel 10.2. ABB enthält eine Öffnungsklausel für abweichende Regelungen in den ABB: „Soweit sich aus diesen Beförderungsbedingungen nicht ausdrücklich etwas anderes ergibt, richtet sich die Höhe von Rückerstattungen nach den gesetzlichen Regelungen“ (10.2.ABB, Bl. 178). Diese Klausel gibt also allein den Grundsatz wieder, dass bei fehlenden vom Gesetz abweichenden AGB-Klauseln die gesetzlichen Regelungen anzuwenden sind. Die Möglichkeit, vom Gesetz abweichende Regelungen zu treffen, behält sich die Beklagte ausdrücklich vor. Ob diese Regelungen wiederum mit § 309 Nr. 5 BGB in Einklang stehen, ist nicht Gegenstand des Verfahrens.
25. Dem Vorbringen der Beklagten, aus § 309 Nr. 9 BGB könne geschlossen werden, dass die Abbedingung von § 649 S. 1 BGB in AGB möglich sei, da es sich bei Flugbeförderungsverträgen um Massenverträge handle, die mit einem Dauerschuldverhältnis vergleichbar seien, folgt das Gericht nicht.
26. Ein Flugbeförderungsvertrag ist kein Dauerschuldverhältnis zwischen den Parteien vor. Allein daraus, dass ein Kunde bei einer Fluggesellschaft öfter Flüge bucht, begründet kein Dauerschuldverhältnis. Vielmehr wird bei jeder Buchung ein gesondertes Vertragsverhältnis zwischen Kunde und Fluggesellschaft begründet. Es handelt sich um eine einmalige Leistung. Zwar handelt es sich bei dem Handel mit Flügen um ein Massengeschäft. Der Unterschied zu einem Dauerschuldverhältnis ist jedoch, dass die Schuldner bei einem Massengeschäft regelmäßig wechseln, während bei einem Dauerschuldverhältnis dieselben Parteien regelmäßige und fest vereinbarte Vertragsbeziehungen haben. Dadurch entsteht ein besonderes Vertrauensverhältnis. Ein solches ist bei einem Massengeschäft wie der Flugbeförderung gerade nicht gegeben, denn den Kunden steht es frei, bei einem anderen Anbieter Flüge zu buchen ohne Abhängigkeit von dem einen Anbieter, bei dem sie sonst regelmäßig buchen. Eine Gleichstellung von Dauerschuldverhältnis und Massengeschäft ist aufgrund der unterschiedlichen Zielrichtung also nicht anzunehmen. Dadurch verbieten sich auch Rückschlüsse aus § 309 Nr. 9 BGB auf die Wirksamkeit der Klausel 3.1.4. ABB.
27. Auch der Verweis der Beklagten auf § 312 Abs. 2 Nr. 5 BGB kann die Angemessenheit der Klausel 3.1.4. ABB nicht begründen, denn diese Norm dient der Regelung von Verbraucherverträge. Im streitigen Fall stehen sich jedoch zwei Unternehmer gegenüber, für die die besonderen Wertungen und Schutzvorschriften des Verbraucherrechts gerade nicht gelten sollen.
28. Aufgrund der danach wirksamen Kündigung, kann die Klägerin auch den restlichen Ticketpreis in Höhe von 341,19 Euro beanspruchen. Die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast im Rahmen des § 649 S. 2 BGB hinsichtlich der durch die Kündigung der Klägerin ersparten bzw. böswillig nicht ersparten Aufwendungen nicht ausreichend nachgekommen. Diese Darlegung ist aber notwendig, um der Klägerin ihrerseits zu ermöglichen, zu ersparten Aufwendungen der Beklagten Stellung nehmen zu können.
29. Grundsätzlich trifft den Besteller die Darlegungs- und Beweislast für die ersparten Aufwendungen des Unternehmers gem. § 649 S. 2 BGB. Jedoch ist es für ihn meistens unmöglich, diese darzulegen und nachzuweisen mangels Einblicks und Kenntnis über die Firmenführung des Unternehmers. Deshalb trifft den Unternehmer eine sekundäre Darlegungslast, sodass dem Besteller eine sachgerechte Rechtswahrung möglich ist (BGH, Urt. v. 08.01.2015 – VII ZR 6/14 – zitiert nach juris). Es müssen die kalkulatorischen Grundlagen vom Unternehmer beigebracht werde, sodass es dem Besteller möglich ist, eine geringere Vergütung im Rahmen des § 649 S. 2 BGB als den vollen Verdienst nachzuweisen (BGH, ebd.). Angeknüpft werden muss für den Umfang der Darlegungslast stets an den individuellen Vertrag. Für den Flugbeförderungsvertrag bedeutet dies, dass der Unternehmer zu den Abläufen des Buchungsvorgangs substantiiert vortragen muss und darüber, wie bei vorzeitigen Stornierungen vorgegangen wird. Es muss dargelegt werden, ob es andere Buchungen gab oder welche Anstrengungen unternommen wurden, um solche zu erreichen. Grenzen sind dabei Firmengeheimnisse, konkrete Unternehmenstaktiken und Vertrags- bzw. Geschäftsverhältnisse zu Dritten.
30. Die Beklagte führt aus, dass durch den nicht mitfliegenden Mitarbeiter der Klägerin möglicherweise ein geringfügiger Kerosinverbrauch erspart worden sei. Dazu werden allgemeine Angaben bezüglich eines Airbus A-319 gemacht (Bl. 77), jedoch unabhängig von den prozessgegenständlichen Flügen und mit widersprüchlicher Darstellung. So ist in dem Berechnungsbeispiel (Bl. 77) von 100 Fluggästen in einem Airbus A-319 die Rede, während im Rahmen der streitgegenständlichen Buchung eine Gästezahl von 139 in demselben Flugzeug behauptet wird. Die Beklagte behauptet, bei einer Kapazität von 144 Plätzen seien lediglich 139 besetzt gewesen. Dies sagt jedoch nichts darüber aus, ob der Platz der Klägerin unter den freien Plätzen war. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, sagt dies ebenfalls nichts darüber aus, ob der Platz zwischen Stornierung am 21.11.2014 und Flug am 02.12.2014 zwischenzeitlich anderweitig vergeben werden konnte, also zu einem bestimmten Zeitpunkt zwischen Stornierung und Abflug der Flug aus- oder vielleicht sogar überbucht war. Dass ein Flug bei Abflug nicht ausgebucht war sagt nichts darüber aus, dass dies ein durchgehender Zustand von Stornierung bis Abflug war. Es kann Neubuchungen und Neustornierungen gegeben habe. Auch in diesen Fällen wäre eine Ersatzbuchung für den streitgegenständlichen Hinflug erfolgt und hätte die Beklagte Aufwendungen bezogen auf den konkreten Vertrag erspart. Die Beklagte hätte daher den Buchungsverlauf über die streitgegenständlichen Plätze vorlegen können, sowie die Liste der tatsächlich auf dem Flug anwesenden Passagiere. Dies erscheint möglich, da die Beklagte selbst die Existenz einer solchen Liste bestätigt (Bl. 235), zudem hat die Beklagte eine Unmöglichkeit hinsichtlich der Darlegung nicht geltend gemacht. Dass es auf den Buchungsverlauf ankommt zeigt die Situation bei dem Rückflug; denn dieser war mit 84 von 84 Plätzen besetzt. Soweit die Beklagte sich auf eine Kapazitätserweiterungsmöglichkeit beruft ist das unerheblich. Die Beklagte kann nicht im Nachhinein die einbehaltene Vergütung damit rechtfertigen, dass sie ja noch mehr Flüge hätte verkaufen können, wenn sie tatsächlich mit einer geringeren Kapazität plante. Auch ist nicht ersichtlich, wie genau die behauptete Kapazitätserweiterung auf 90 Plätze vorgenommen wird und warum diese nicht von vorneherein zur Verfügung stand.
31. Aufgrund der nicht ausreichend erfolgten Darlegung seitens der Beklagten wird zugunsten der Klägerin vermutet, dass die Beklagte die Aufwendungen vollständig erspart hat. Dagegen spricht auch nicht die Tatsache, dass die Stornierung durch die Klägerin erst 11 Tage vor Abflug der Flüge erfolgte. Auf einer Kurzstrecke wie der Strecke Düsseldorf-Hamburg, die insbesondere für geschäftliche Reisen genutzt wird, ist es nicht unwahrscheinlich, dass innerhalb dieses Zeitraums noch Ersatzbuchungen vorgenommen wurden.
32. Die Vermutung des § 649 S. 3 BGB kommt der Beklagten aufgrund des fehlenden Berufens auf diese Norm nicht zugute: Sinn und Zweck des § 649 S. 3 BGB ist es, den Unternehmer in Höhe von 5 % des Verdienstes von seiner sekundären Darlegungslast zu befreien und so die Durchsetzung seines Zahlungsanspruches zu erleichtern (BT-Drucks. 16/511, S. 17). Er muss sich entscheiden, ob er sich auf die Pauschale beschränkt oder aber einen höheren Vergütungsanteil darlegt. Zumindest muss er sich hilfsweise auf die Pauschale berufen, von Amts wegen ist sie nicht beachten.
33. Nicht begründet ist der Anspruch der Klägerin indes in Höhe von Transaktionskosten von 11,90 Euro, da insoweit nicht dargelegt ist um was für Kosten es sich hierbei handeln soll und ob diese überhaupt Gegenstand des Flugpreises waren oder ob es sich hierbei nicht um Kosten der gewählten Zahlungsart handelt.
II.
34. Die Pflicht der Beklagten zur Zahlung von Verzugszinsen ab dem 23. November 2014 ergibt sich aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB, 288 Abs. 2 BGB. Eine ernsthafte und endgültige Verweigerung, den Flugpreis zu erstatten, ist in der Formulierung der E-Mail der Beklagten vom 22. November 2014 zu sehen, sie könne dem Wunsch der Klägerin auf Zahlung nicht nachkommen, zudem ergebe sich nach Prüfung auch keine Erstattungsmöglichkeit aufgrund von Kulanz.
III.
35. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
V.
37. Die Berufung ist gem. § 511 Abs. 4 S. 1 ZPO zuzulassen wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Buchungen von Unternehmen bilden einen großen Marktanteil innerhalb des Flugbeförderungsverkehrs, insbesondere auf Kurzstrecken. Kurzfristige Stornierungen können aufgrund von unternehmerischer Planungen immer wieder vorkommen, weshalb ein Ausschluss des Erstattungsanspruches in solchen Fällen in AGB zu Einnahmeeinbußen führt und bei den Fluggesellschaften einen unzulässigen Vorteil im Falle von Ersatzbuchungen gewährt.
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