Anwendung der Fluggastverordnung

AG Düsseldorf: Anwendung der Fluggastverordnung

Der Flug eines Reisenden konnte wegen eines technischen Defekts nur mit starker Verzögerung ausgeführt werden. Die Airline weigert sich die fällige Ausgleichszahlung zu tätigen, da der Abschluss des Beförderungsvertrags zeitlich noch vor Inkrafttreten der Verordnung 261/2004 stattfand.

Das Amtsgericht Düsseldorf hat der Klage stattgegeben. Maßgeblich für die Entschädigungszahlung sei der Zeitpunkt der Vertragsverletzung. Da diese sich erst im Anschluss an das Inkrafttreten der Verordnung ereignete, bestehe ein Anspruch auf Entschädigung.

AG Düsseldorf 41 C 12316/05(Aktenzeichen)
AG Düsseldorf: AG Düsseldorf, Urt. vom 20.01.2006
Rechtsweg: AG Düsseldorf, Urt. v. 20.01.2006, Az: 41 C 12316/05
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Nordrhein-Westfalen-Gerichtsurteile

Amtsgericht Düsseldorf

1. Urteil vom 20. Januar 2006

Aktenzeichen: 41 C 12316/05

Leitsatz:

2. Maßgeblich für die Anwendung von der Verordnung 261/2004 ist der Zeitpunkt der Vertragsverletzung.

Zusammenfassung:

3. Ein Reisender buchte bei einem Luftfahrtunternehmen einen Linienflug. Wegen eines technischen Defekts hatte dieser mehrere Stunden Verspätung. In der Folge verlangte der Kläger von der Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung im Sinne von Art. 7 der Fluggastrechte-Verordnung.

Die Airline weigert sich der Zahlung. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sei die betroffene Verordnung noch nicht in Kraft getreten gewesen. Folglich könne aus ihr kein Entschädigungsanspruch abgeleitet werden.

Das Amtsgericht Düsseldorf hat dem Kläger Recht zugesprochen. Grundsätzlich seien Rechtsvorschriften erst ab dem Zeitpunkt anwendbar, zu dem sie erlassen wurden. Ein nachträglicher Rückgriff auf Verhältnisse oder Ereignisse der Vergangenheit sei ausgeschlossen.
Schutzzweck der Verordnung sei es jedoch den Verbraucher für den Fall der Flugverspätung zu entschädigen. Im Mittelpunkt stehe folglich nicht der Vertragsschluss, sondern die eingetretene Vertragsverletzung.

Da die Verordnung zum Zeitpunkt der Schlechtleistung durch die Airline bereits Bestand hatte, sei sie anwendbar. Dem Kläger stehe aus diesem Grund eine Ausgleichzahlung im Sinne von Art. 7 der Verordnung 261/2004 zu.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Euro 1.200,– nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 30.07.05 zu zahlen; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 86 %, die Kläger zu 14 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. Am 07.12.04 buchte der Kläger für sich und seine namensgleiche Familie bei der Beklagten einen Rückflug für 3 Personen von … nach …, Flug … 109, planmäßige Abflugszeit in … 14.05 Uhr Ortszeit, Ankunft in … um 19.30 Uhr. Ein weiterer Flug der Beklagten – … 107 – war vorgesehen mit einer planmäßigen Abflugzeit in … um 14.10 Uhr und Ankunft in … um 19.40 Uhr. Wegen eines technischen Defekts erfolgte der Abflug des Flugs … 107 verspätet und landete in … um 23.52 Uhr. Auf diesen Flug buchte die Beklagte die Kläger, die sich mit gültigen Flugscheinen am Flugsteig zur Beförderung einfanden, gegen deren Willen zugunsten von anderen Fluggästen, die Anschlussflüge ab … gebucht hatten, um. Mit Schreiben vom 12.07.05 forderte der derzeitige Prozessbevollmächtigte der Kläger die Beklagte vergeblich unter Fristsetzung zum 29.07.05 zur Ausgleichszahlung in Höhe von je Euro 400,– sowie Aufwendungsersatz für Verpflegung in Höhe von Euro 60,– und Erstattung doppelter Fahrtkosten bezüglich der Abholung in Düsseldorf in Höhe von Euro 78,90, Parkkosten des Abholenden in Höhe von Euro 12,– und Aufwendungsersatz für den Abholenden in Höhe von Euro 37,– auf.

6. Die Kläger beantragen die Beklagte zu verurteilen, an sie Euro 1.387,90 nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 14.07.05 zu zahlen.

7. Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.

8. Die Beklagte ist der Ansicht, die von den Klägern ihren Ansprüchen zugrundegelegte EG-VO Nr. 261/2004 vom 17.02.05 sei nicht anwendbar, da die Kläger bereits vor deren Inkrafttreten den Beförderungsvertrag mit ihr abgeschlossen hätten. Da sie die Kläger mit dem Flug … 107 befördert habe, läge eine Nichtbeförderung nicht vor. Die Beklagte bestreitet die geltend gemachten Kosten für den Verpflegungsaufwand sowie die Kosten der Abholung nebst Aufwand des Abholenden.

Entscheidungsgründe:

9. Die Klage ist teilweise begründet. Den Klägern steht ein Ausgleichsanspruch in Höhe von Euro 400,– je Person gemäß Art. 7 Abs. 1 b VO (EG) Nr. 261/2004 zu.

10. Die EG-VO Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.04 ist vorrangiges Recht und sie ist auf den vorliegenden Sachverhalt auch zeitlich anwendbar.

11. Für die Frage ihrer Anwendbarkeit ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen Fluggast und Fluggesellschaft abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der den Schaden auslösenden Vertragspflichtverletzung. Schutzzweck der Norm ist, Fluggäste bei Flügen durch ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft vor Nichtbeförderung, Annullierung und großer Verspätung zu schützen, so dass sich die Erfüllung der Vertragspflicht realisierte am Rückflugtag, dem 04.04.05 und nicht dem Buchungstag. Am 04.04.05 war aber die Verordnung bereits in Kraft getreten.

12. In Art. 4 wird auf Art. 7 Bezug genommen. Die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 3 liegen vor. Den Klägern wurde gegen ihren Willen die Beförderung verweigert. Unstreitig waren die Kläger für den Rückflug gebucht für den Flug der Beklagten … 109 mit einer planmäßigen Abflugzeit in … um 14.05 Uhr Ortszeit und Ankunft in … um 19.30 Uhr. Ausweislich des handschriftlichen Vorbehalts mit Stempel der Beklagten in … vom 04.04.05 wurden die Kläger unfreiwillig umgebucht auf den Flug … 107. Hierin liegt die Verweigerung der Beförderung mit dem vertraglich gebuchten Fluggerät zur vertraglich vereinbarten Zeit gegen den Willen der Kläger. Die Begriffsbestimmung der Nichtbeförderung ist in Art. 2 j erfolgt.

13. Demnach stellt eine Nichtbeförderung die Weigerung des Luftunternehmens dar, „obwohl sie sich unter den in Art. 3 Abs. 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z.B. im Zusammenhang mit der Gesundheit… oder unzureichenden Reiseunterlagen.“ Die Voraussetzungen dieser Bestimmung sind gegeben. Vertretbare Gründe im Zusammenhang mit der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit lagen nicht vor, da der von der Beklagten behauptete technische Defekt gerade nicht den Flug 109 sondern allenfalls den Flug … 107 betraf. Nach der Legaldefinition des Art. 2 j ist damit eine Beförderungsverweigerung zu bejahen, ohne dass es darauf ankommt, dass die Kläger letztendlich mit dem Flug … 107 ersatzweise befördert wurden.

14. Neben dem Ausgleichsanspruch stehen den Klägern dem Grunde nach auch die Unterstützungsleistungen gemäß Art. 8 und 9 zu. Nach Art. 9 Abs. 2 ist den Klägern anzubieten, unter anderem unentgeltlich zwei Telefongespräche zu führen. Unstreitig erfolgte ein derartiges Angebot nicht, vielmehr wurde die von den Klägern selbst geäußerte Bitte abschlägig beschieden. Die Kläger haben aber nicht vorgetragen, dass sie infolge der verweigerten Betreuungsleistung vor Ort selbstständige Aufwendungen getätigt haben, indem sie auf eigene Kosten den Kundenservice in Düsseldorf anriefen. Auch der Höhe nach ist der beanspruchte Aufwendungsersatz unschlüssig, da die Kläger die Kosten für ein derartiges Telefongespräch nicht belegt haben.

15. Ein Aufwendungsersatzanspruch für Verpflegungsleistungen steht den Klägern nicht zu, da sie unwidersprochen Verpflegungsgutscheine erhielten.

16. Einen weitergehenden Schadensersatzanspruch gemäß Art. 12, auf die die zu gewährende Ausgleichsleistung angerechnet werden könnte, haben die Kläger nicht substantiiert vorgetragen. Obwohl die Beklagte die von den Klägern behauptete erfolglose verfrühte Abholung sowie eine weitere Abholung in Düsseldorf nebst den behaupteten hierdurch bedingten Kosten bestritten hat, haben die Kläger Grund und Höhe eines etwaigen Schadensersatzanspruchs nicht substantiiert vorgetragen.

17. Der Zinsanspruch ist nur im tenorierten Umfang gemäß § 288 BGB begründet.

18. Die Nebenentscheidungen ergehen nach §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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