Verlust von Transportgut

OLG Stuttgart: Verlust von Transportgut

Vorliegend streiten die Parteien über Schadensersatzansprüche, wegen dem Verlust von Transportgut. Nachdem das Landgericht Stuttgart der Klägerin einen Schadensersatzanspruch zugesprochen hat, ging die Beklagte in Berufung.

Das OLG Stuttgart wies die Klage zurück und stimmte der Entscheidung des Landgerichts zu, da die Beklagte, hier als Frachtführer, ein Verschulden bezüglich des abhandengekommenen Transportguts trifft und sie ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist.

OLG Stuttgart 3 U 140/09 (Aktenzeichen)
OLG Stuttgart: OLG Stuttgart, Urt. vom 24.02.2010
Rechtsweg: OLG Stuttgart, Urt. v. 24.02.2010, Az: 3 U 140/09
LG Stuttgart, Urt. v. 29.07.2009, Az: 38 O 116/08
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Oberlandesgericht Stuttgart

1. Urteil vom 24. Februar 2010

Aktenzeichen 3 U 140/09

Leitsatz:

2. Der Frachtführer kommt seiner sekundären Darlegungslast nach, wenn er die Umstände darlegt, die seines Wissens zum Schaden geführt haben und dabei die beteiligten Personen benennt, den Organisationsablauf offenlegt und darstellt, welche Schadensverhütungsmaßnahmen getroffen wurden.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall verlangt die Klägerin von der Beklagten, welche hier ein Frachtführer ist, Schadensersatz, da ihr Transportgut abhandengekommen ist. Das Landgericht Stuttgart sprach ihr einen solchen Schadensersatzanspruch zu. Die Beklagte ging dagegen in Berufung.

Das Oberlandesgericht Stuttgart wies die Klage zurück und stimmte dem Landgericht Stuttgart zu. Der Klägerin stehe hier ein Schadensersatzanspruch zu. Die Beklagte hat die Organisation des Transportes übernommen. Nach § 459 HGB treffen die Beklagte somit die Rechte und die Pflichten eines Frachtführers.

Da der Schadensfall hier im Dunkeln liegt und sich im Verantwortungsbereich des Frachtführers abgespielt hat, muss die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nachkommen. Der Frachtführer kommt seiner sekundären Darlegungslast nach, wenn er die Umstände darlegt, die seines Wissens zum Schaden geführt haben und dabei die beteiligten Personen benennt, den Organisationsablauf offenlegt und darstellt, welche Schadensverhütungsmaßnahmen getroffen wurden. Dies hat die Beklagte vorliegend jedoch nicht getan. Sie trifft außerdem ein Verschulden bezüglich des Verlustes des Transportguts. Grundsätzlich ergibt sich bei Anwendung des MÜ zwar eine Haftungsbegrenzung, welche hier allerdings nicht greift, weil die Klägerin und die Beklagte, bei Abschluss des Vertrages, auf Haftungshöchstbeträge verzichtet haben. Die Beklagte hat der Klägerin folglich den entstandenen Schaden zu ersetzen.

Tenor:

4. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LGs Stuttgart vom 29.07.2009 – 38 O 116/08 KfH – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Berufungsstreitwert: 27.819,00 €.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche der Klägerin wegen Verlustes von Transportgut.

6. Wegen des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des LGlichen Urteils verwiesen.

7. Das LG hat der Klage vollumfänglich stattgegeben und dies damit begründet, dass die Beklagte Fixkostenspediteur i. S. d. § 459 HGB gewesen sei. Die Beklagte habe sich selbst auf den Standpunkt gestellt, dass sich ihre Haftung aus § 452 a HGB i. V. m. dem Montrealer Abkommen (MÜ) ergebe.

8. Es könne offen bleiben, welche Rechtsnorm – § 435 HGB; Art. 22 in Verbindung mit Art. 25 MÜ; Art. 25 Warschauer Abkommen (WA) – die Haftung begründe. Jedenfalls sei die Beklagte zu Schadensersatz ohne Haftungsbegrenzung verpflichtet. Es sei davon auszugehen, dass das Schadensereignis auf ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten zurückzuführen sei.

9. Das qualifizierte Verschulden setze alle in Frage kommenden Haftungsbeschränkungen außer Kraft. Nach Einvernahme der Zeugen S… und J… sei davon auszugehen, dass die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) Vertragsbestandteil geworden seien. Die nach dem an sich bestehenden Haftungshöchstgrenzen seien durch Ziff. 27 ADSp abbedungen.

10. Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung der Beklagten.

11. Das LG verkenne den Unterschied zwischen Passivlegitimation und Haftung unter dem Gesichtspunkt einer Fixkostenspedition. Die Beklagte habe den Einwand der fehlenden Passivlegitimation nicht fallen gelassen. Das LG habe sich mit diesem Einwand nicht auseinandergesetzt und nicht erkannt, dass die Klage bereits hieran scheitere.

12. Unterstelle man das Vorliegen der Passivlegitimation, halte das LGliche Urteil auch im Übrigen einer Überprüfung nicht stand. Die Erwägung des LGs, es könne offen bleiben, nach welchen Vorschriften die Beklagte hafte, sei nicht rechtsfehlerfrei. Eine etwaige Haftung der Beklagten ergebe sich nach § 452 a HGB aus den anzuwendenden Vorschriften des ; die dort statuierten Haftungsbegrenzungen seien einschlägig. Auch bei vorsatzgleicher Schuld würde die Haftungsbegrenzung nach Art. 22 Abs. 3 MÜ nicht durchbrochen. Ob die Einlassungspflicht nach den Rechtsprechungsgrundsätzen zum qualifizierten Verschulden nach HGB, CMR oder WA eingehalten sei, spiele für den Bereich des keine Rolle. Entscheidend sei die Festlegung des Schadensorts. Die Klägerin könne sich nicht auf ein schlichtes Bestreiten zurückziehen. Es stehe fest, dass der Verlust des Transportgutes am N.. Flughaften eingetreten sei. Die Haftung folge zwingend nach Art. 18 Abs. 1 MÜ. Anderes gelte auch nicht, wenn nicht auszuschließen sei, dass der Verlust anlässlich einer im Zusammenhang mit der Luftbeförderung stehenden Annexbeförderung erfolgt sei. Deshalb habe sich das LG bei der Frage des anzuwendenden Frachtrechtes festlegen müssen.

13. Die Auffassung des LGs, aus einer – angeblichen – Vereinbarung der ADSp ergebe sich eine Haftung i. S. v. Art. 25 MÜ, sei falsch. Das gehe aufgrund seines zwingenden Charakters vor. Für die Haftungsnormen der ADSp sei kein Raum.

14. Es stehe nicht fest, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine stillschweigende Einbeziehung der ADSp in den Vertrag erfolgt sei.

15. Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LGs Stuttgart vom 29.07.2009 – 38 O 116/08 KfH – abzuändern und die Klage abzuweisen.

16. Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

17. Hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

18. Zutreffenderweise habe das LG festgestellt, dass die Beklagte den Einwand fehlender Passivlegitimation fallen gelassen habe. Die Beklagte habe selbst festgestellt, dass sich ihre Haftung gemäß § 452 a HGB nach den Vorschriften des bestimme. Zu einer solchen Haftung gelange man nur dann, wenn die Beklagte als Fixkosten-Spediteur gegenüber der Versicherungsnehmerin der Klägerin in der Haftung stehe. Die Beklagte habe den entscheidungserheblichen Unterschied verkannt, dass das Kerngeschäft des Luftfrachtspediteurs die Luftfrachtsammelladung sei und dass die Beklagte nach § 460 HGB unter diesem Gesichtspunkt die Rechtsposition eines Frachtführers innehabe.

19. Die Beklagte trage selbst vor, dass sie in dem Luftfrachtbrief einerseits als Vertreter der Versicherungsnehmerin der Klägerin und zum anderen als Vertreter des ausführenden Luftfrachtführers bezeichnet sei. Dass der Fixkostenspediteur sowohl als Agent des Shippers als auch als Agent des Luftfrachtführers den Luftfrachtbrief unterschreibe, sei üblich.

20. Es sei ein sog. „Door-to-Door-Preis“ vereinbart worden. Der Zeuge S… habe bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung erklärt, die Fa. B…. instruiere die Beklagte mit internationalen und nationalen Luftfrachtaufträgen.

21. Die Rechnung über Festkosten bzw. Fracht entfalte eine erhebliche Beweiswirkung n. Die Anwendung der Vorschriften des Frachtrechts über § 459 HGB könne die Beklagte, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln, nicht leugnen. Die Beklagte sei kraft Gesetzes unmittelbar selbst zum Luftfrachtführer geworden.

22. Die Geschäftsbeziehung der am Transport beteiligten Parteien bestehe seit drei Dekaden und sei von Anfang an auf der Basis der ADSp abgewickelt worden. Die Einbeziehung der ADSp sei verkehrsüblich.

23. Die Beklagte habe zu keinem Zeitpunkt qualifiziert bestritten, dass sie als Fixkostenspediteur agiert habe. Das in I. Instanz ungenügende Bestreiten der Passivlegitimation könne im Rahmen der Berufungsinstanz nicht nachgeholt werden. Dies sei verspätet. Die Beklagte habe selbst keinen Zweifel gehabt, dass sie als Fixkostenspediteur agiere. Sie habe sich darauf zurückgezogen, nach den Vorschriften des zu haften.

24. Die Beklagte habe anerkannt, grundsätzlich der Frachtführerhaftung unterworfen zu sein. Falsch sei, dass aufgrund des von ihr geschilderten Sendungsverlaufs feststehe, dass der Verlust am N… Flughafen eingetreten sei. Die Beklagte übersehe, dass sie sich an den Haftungsregeln im Airway-Bill (AWB) festhalten lassen müsse und diese eine Haftung nach dem WA und nicht nach vorsehen würden.

25. Bestritten werde ein Eintreffen des Transportguts am 21.04.2007 in N… und ein Verlust im Rahmen des Gewahrsams der S… Airlines (S..). Es erschließe sich nicht, dass sich der Schadensort auf den Bereich des Flughafens N… eingrenzen lasse. Die Beklagte habe noch nicht einmal eine Verladeliste vorgelegt. Es stehe nicht fest, ob die Sendung in die physische Obhut der S.. gelangt sei.

26. Die Beklagte habe selbst eingeräumt, ihrer Einlassungspflicht nicht nachgekommen zu sein. Hierin liege ein Geständnis. Die Beklagte habe keinen Beweis dafür angetreten, dass die Sendung Hamburg verlassen habe. Der Beklagten sei die Berufung auf Haftungsbeschränkungen nach Art. 22 MÜ daher versagt.

27. Für den Fall einer Abänderung des LGlichen Urteils sei die Revision zuzulassen, weil keine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage einer Haftungserweiterung des Art. 25 MÜ durch Ziff. 27 ADSp vorliege.

28. Wegen der Einzelheiten wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2010 (Bl. 178 ff. d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

29. Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

30. Zu Recht hat das LG die Beklagte dazu verurteilt, an die Klägerin 27.819,44 € nebst Zinsen zu bezahlen.

31. Die Beklagte ist passivlegitimiert. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte im Schriftsatz vom 04.06.2009 (Bl. 70 d. A.) mit dem Vortrag, die Haftung der Beklagten ergebe sich nach § 452 a HGB nach den Vorschriften des Montrealer Übereinkommens und den dortigen Haftungshöchstgrenzen, ein prozessuales Geständnis im Hinblick auf ihre Passivlegitimation abgegeben und sich selbst auf den Standpunkt gestellt hat, ihre Haftung ergebe sich aus dem Frachtführerrecht, denn aus der Anlage K 4 ergibt sich eindeutig ein Speditionsauftrag seitens der Versicherungsnehmerin der Klägerin an die Beklagte.

32. Die Beklagte hat die Organisation des Transportes übernommen. Aus der Anlage K 6 ist ersichtlich, dass dies zu fixen Kosten erfolgt ist. Nach § 459 HGB treffen die Beklagte somit die Rechte und die Pflichten eines Frachtführers.

33. Des Weiteren ist § 460 HGB anwendbar, denn die Beklagte hat als Luftfrachtspediteur den Transport im Rahmen einer Luftfracht-Sammelladung durchgeführt. Die Beklagte haftet daher nach deutschem Recht wie ein Luftfrachtführer (OLG Düsseldorf, TransportR 1996, 443; Koller, Unbeschränkte Haftung des Luftbeförderers nach dem MÜ 1999 ?, TransportR 2005, S. 177 ff.).

34. Das LG hat zutreffenderweise ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten für den Verlust des Transportgutes angenommen. Die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen. Eine solche kommt nach OLG Stuttgart (TransportR 2002, 200) dann zur Anwendung, wenn der Schadensfall im Dunkeln liegt und sich im Verantwortungsbereich des Frachtführers abgespielt hat.
35. In diesem Fall obliegt es dem Frachtführer Umstände darzulegen, die seines Wissens zum Schaden geführt haben. Er ist verpflichtet, beteiligte Personen zu benennen, den Organisationsablauf offenzulegen, und darzustellen, welche Schadensverhütungsmaßnahmen er oder seine Hilfspersonen getroffen haben.

36. Zu Recht hält das LG den Vortrag der Beklagten, der sich in der Vorlage des Beförderungsprotokolls in Anlage B 3 und einer schriftlichen Bestätigung der Airline in Anlage B 4 erschöpft, zur Erfüllung der sekundären Darlegungslast nicht für ausreichend. Dieses Vorbringen beschränkt sich darauf, der Verlust der Sendung sei auf dem Flughafen N… eingetreten. Aus dem vorgelegten Computerausdruck lassen sich keinerlei Rückschlüsse ziehen, ob tatsächlich und in welchem Bereich des Flughafens N… der Verlust der Sendung festgestellt worden ist.

37. Das LG konnte deshalb zutreffenderweise offen lassen, nach welchem Frachtführerrecht die Beklagte haftet. Bei Anwendung jeder der in Betracht kommenden Normen (§ 435 HGB, Art. 25 Abs. 3 WA und Art. 25 MÜ unter Anwendung von Ziff. 27 ADSp) haftet die Beklagte auf vollen Ersatz des Schadens.

38. Dies gilt auch bei Anwendung des , weil die Beklagte auf die sich aus Art. 22 Abs.3 MÜ ergebenden Haftungshöchstbeträge durch Einbeziehung von Ziff. 27 ADSp in den Vertrag verzichtet hat (vergleiche nachstehend Ziff. 4)

39. Der Senat ist nach § 529 ZPO an die Tatsachenfeststellungen des LGs gebunden. Dieses hat nach Einvernahme des Zeugen S… die Überzeugung gewonnen, dass die ADSp Vertragsinhalt geworden sind. Es bestehen keine Zweifel im Hinblick auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen des LGs.

40. Bei Anwendung des ergibt sich zwar grundsätzlich nach Art. 18 Abs. 1, Art. 22 Abs. 3 MÜ eine Haftungsbegrenzung auf 17 Sonderziehungsrechte für das Kilogramm. Diese Haftungsbegrenzung greift jedoch nicht, weil die Parteien des Beförderungsvertrages durch Einbeziehung von Ziff. 27 ADSp auf Haftungshöchstbeträge verzichtet haben.

41. Dies ist nach Art. 25 MÜ möglich. Nach Art. 26 MÜ sind die Haftungsbestimmungen des nur zu Lasten des Frachtführers zwingend (Koller, Transportrecht, 6. A. 2007, Art. 25 MÜ Rn.1; Münchener Kommentar-Ruhwedel, HGB, 2. A. 2009, Art. 22 MÜ Rn. 7).

42. Die Vereinbarung von Ziff. 27.2 ADSp ist als Verzicht auf Haftungshöchstbeträge im Sinne der Öffnungsklausel des Art. 25 MÜ anzusehen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2008, 18 U 160/07, S. 14 ff, vorgelegt als Anlage K 9; OLG Karlsruhe vom 29.11.2006, 15 U 65/06, S. 7 ff., vorgelegt als Anlage K 10; AG Hamburg TranspR 2007, 328; AG Esslingen, Urteil vom 20.01.2009, 10 C 1451/08, S. 11 f., vorgelegt als Anlage K 11). Nach Ziff. 27.2 ADSp sollen die in den ADSp geltenden Haftungsbefreiungen und Haftungsbegrenzungen (vergleiche insbesondere Ziff. 23 und 24 ADSp) nicht gelten, wenn der Schaden vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, verursacht worden ist. Durch Ziff. 23.1.2 ADSp wird der ersatzfähige Schaden auf den für diese gesetzlich festgesetzten Haftungshöchstbetrag begrenzt, im Falle der Luftbeförderung mithin den in Art. 22 Abs. 3 MÜ festgelegten Betrag von 17 Sonderziehungsrechten pro Kilogramm. Durch die Verweisung in Ziff. 23.1.2 ADSp ist die in Art. 22 Abs. 3 MÜ geregelte Haftungsbegrenzung zugleich eine „vorstehende Haftungsbegrenzung“ im Sinne von Ziff. 27 ADSp geworden, die unter den Voraussetzungen von Ziff. 27.2 ADSp nicht gilt.

43. Die gegen diese Auffassung von Boettge (Haftungserweiterung nach Art. 25 MÜ durch Ziff. 27 ADSp?, TranspR 2007, 306) vorgebrachten Argumente hält der Senat in Übereinstimmung mit dem OLG Düsseldorf nicht für überzeugend. Das Argument, Ziff. 23.1.1, Ziff 23.1.2 und Ziff. 27 ADSp seien als einheitliche Regelung anzusehen und wegen unzulässiger Abweichung von Art. 26, 49 MÜ als AGB nicht wirksam, trägt nicht. Ziff. 23.1.2 ADSp enthält gerade, wie seinem Wortlaut zu entnehmen ist, eine von Ziff. 23.1.1. ADSp abweichende Regelung und bewegt sich innerhalb des von Art. 25, 26 MÜ eröffneten Rahmens zur Abweichung von der gesetzlichen Regelung. Auch die weitere Argumentation von Boettge, Anknüpfungspunkt des Art. 25 MÜ sei der originäre Beförderungsvertrag zwischen Absender und Luftfrachtführer und nicht der Speditionsvertrag, und der Auftraggeber erwarte bei der Anwendung der ADSp keineswegs eine unbeschränkte Haftung des Spediteurs bei Luftfrachtspeditionen, so dass für eine erweiternde Auslegung des Begriffs Beförderungsvertrag kein Bedarf bestehe, greift nicht. Gemäß Ziff. 2.1 ADSp gelten die ADSp für Verkehrsverträge über alle Arten von Tätigkeiten, darunter auch Speditions- und Frachtverträge (OLG Düsseldorf aaO). Auch vorliegend wurden die ADSp gerade für die Rechtsbeziehung der Parteien vereinbart.

44. Die jüngst in der Literatur von Bahnsen (AGB-Kontrolle bei den ADSp, TranspR 2010, 22) erneuerte Kritik gegen eine Aufhebung der Haftungsbeschränkung nach bei Einbeziehung von Ziff. 27 ADSp bietet ebenfalls keinen Anlass, der Auffassung des OLG Düsseldorf nicht zu folgen. Sein Argument, wenn Ziff. 27 ADSp von den vorstehenden Haftungsbefreiungen und -begrenzungen spreche, könne Ziff. 23.1.2, weil diese Bestimmung nur auf die gesetzlichen Vorschriften verweise, nicht gemeint sein, sondern nur in den ADSp selbst begründete Haftungserleichterungen, beachtet nicht, dass diese Bestimmung in die Gesamtregelung der ADSp ausdrücklich mit aufgenommen worden ist, und sie im systematischen, untrennbaren Zusammenhang mit den „vorstehenden Haftungsbefreiungen und -begrenzungen“ steht. Gegen die Anwendung von Ziff. 27 ADSp spricht auch nicht, wie Bahnsen meint, dass sonst gefolgert werden müsse, Ziff. 27 ADSp wolle auch den Maßstab der CMR für die Durchbrechung der Haftungsschranken von bewusster Leichtfertigkeit zu grober Fahrlässigkeit herabsetzen, was weder sinnvoll noch rechtlich zulässig wäre (Art. 41 CMR). Denn Art. 41 CMR verbietet – im Unterschied zu Art. 25, 26 MÜ – abweichende Vereinbarungen. Richtig weist Bahnsen schließlich zwar darauf hin, dass in beteiligten Verkehrskreisen allgemein bekannt sei, dass das später, nämlich am 28.06.2004, in Kraft getreten sei als die ADSp 2003. Aus diesem zeitlichen Aspekt lässt sich jedoch auch nichts Zwingendes gegen eine Durchbrechung der Haftungsbeschränkung des durch eine Vereinbarung von Ziff. 27 ADSp ableiten. Es ist gerichtsbekannt, dass Spediteure / Frachtführer auf diese neue bzw. nicht eindeutige Rechtslage dadurch reagiert haben, dass sie in ihre allgemeinen Bedingungen ergänzende Regelungen aufgenommen haben, wonach die Vereinbarung von Ziff. 27 ADSp nicht zu einem Verzicht auf Haftungshöchstbeträge im Sinne der Öffnungsklausel des Art. 25 MÜ führt. Dies wurde mit den Parteien im Termin vom 20.01.2010 erörtert. Vorliegend gibt es eine entsprechende Ergänzung nicht.

45. Die Höhe der Haftung greift die Beklagte nicht an. Ein eventuelles Mitverschulden wendet sie nicht ein.

46. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

47. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

48. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen vor.

49. Der BGH hat bisher nicht über die Frage der Anwendbarkeit von Bestimmungen der ADSp. im Rahmen der Geltung des entschieden.

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