Anwendbarkeit deutschen Rechts bei Geltendmachung von Ausgleichszahlungen nach der EU-​FluggastrechteVO

AG Bremen: Anwendbarkeit des deutschen Rechts bei Geltendmachung von Ausgleichszahlungen nach der EU-FluggastrecheVO

Die Kläger fordern Ausgleichszahlungen nach der Verordnung EG Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 (kurz: FluggastrechteVO) wegen der Annullierung ihres Fluges von Bremen nach London am 13.02.2009. Die Beklagte hat ihren ausschließlichen Unternehmenssitz in Dublin, Irland. Die Beklagte wendet ein, die Ansprüche der Kläger seien wegen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (kurz: AGB) bereits nach zwei Jahren verjährt.

Das Gericht entschied, dass den Klägern ein Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a der FluggastrechteVO zusteht. Ob die AGB wirksam in den Beförderungsvertrag einbezogen wurden war nicht erheblich, da die Regelungen in den AGB der Beklagten lediglich Schadensersatzansprüche, nicht aber Ausgleichszahlungen nach der FluggastrechteVO erfassten. Insofern kam es auf die gesetzlichen Regelungen nach dem einschlägigen nationalen Recht an. Gemäß Art. 28 EGBGB findet deutsches Recht Anwendung, wonach noch keine Verjährung der Ansprüche eingetreten ist.

AG Bremen 9 C 146/12 (Aktenzeichen)
AG Bremen: AG Bremen, Urt. vom 27.09.2012
Rechtsweg: AG Bremen, Urt. v. 27.09.2012, Az: 9 C 146/12
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Amtsgericht Bremen

1. Urteil vom 27. September 2012

Aktenzeichen 9 C 146/12

Leitsätze:

2. Bei der Geltendmachung von Ausgleichsansprüche nach der FluggastrechteVO findet gemäß Art. 28 EGBGB das nationale Recht des Staates Anwendung, zu dem der Beförderungsvertrag die engste Verbindung aufweist.

Dies ist im Falle der Annullierung eines Fluges regelmäßig der Ort des Abfluges, so dass unabhängig vom Sitz des Luftfahrtunternehmens das Recht des Landes Anwendung findet, in dem der Abflugort liegt.

Zur Geltendmachung gilt hinsichtlich des zuständigen Gerichtes der Gerichtsstand des Erfüllungsortes.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger buchten bei der Beklagten einen Flug von Bremen nach London für den 13.02.2009, der am Abflugtag storniert wurde. Sie fordern von der Beklagten Ausgleichszahlungen nach der FluggastrechteVO. Die Beklagte wendet ein, die Ansprüche seien nach der nach irischem Recht wirksam einbezogenen AGB bereits nach zwei Jahren verjährt.

Das Amtsgericht Bremen stellte fest, dass den Klägern ein Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 250,00 € gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a FluggastrechteVO zusteht, da der Flug am Abflugtag storniert wurde. Dieser Anspruch ist nach einschlägigem deutschen Recht auch nicht verjährt.

Ob die AGB der Beklagten in den Beförderungsvertrag mit den Klägern tatsächlich wirksam einbezogen wurden, hat das Gericht nicht entschieden, da die in Betracht kommenden Klauseln keine Ansprüche auf Ausgleichszahlung i.S.d. Art. 7 FluggastrechteVO, sondern lediglich Schadensersatzansprüche erfassen.

Die Verjährung richtet sich folglich nach dem einschlägigen nationalen Recht. Gemäß Art. 28 EGBGB ist, soweit das anzuwendende Recht nicht vereinbart worden ist, das Recht des Staates anzuwenden, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungen aufweist. Die Kläger wohnen in Deutschland, ebenso ist der Ort der Pflichtverletzung Bremen, da die gebuchte Maschine dort nicht startete. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs (kurz: EuGH) und des Bundesgerichtshofs (kurz: BGH )soll der Fluggast auch an dem Abflugflughafen Klage erheben dürfen. Die Anwendung deutschen Rechts führt dazu, dass der Anspruch der Kläger gemäß den §§ 195, 199 I BGB erst am 01.01.2013 (0:00 Uhr) verjährt.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1) einen Betrag in Höhe von 250,00 EUR, an die Klägerin zu 2) einen Betrag in Höhe von 250,00 EUR, an die Klägerin zu 3) einen Betrag in Höhe von 250 EUR, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.04.2012 zu zahlen; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

5. Die Kläger fordern Ausgleichszahlung nach Annullierung eines Flugs.

6. Die in Deutschland wohnhaften Kläger buchten bei der Beklagten den Flug FR 3631, mit dem die Kläger am 13.02.2009 von Bremen nach London befördert werden sollten. Der Flug wurde von der Beklagten, die ausschließlich in Dublin/Irland eine Niederlassung unterhält, am Abflugtag storniert.

7. Die Kläger sind der Ansicht, dass die Beklagte zur Ausgleichszahlung verpflichtet sei. Es gelte insofern nach Deutschem Recht die dreijährige Verjährungsfrist.

8. Sie beantragen,

die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1) einen Betrag in Höhe von 250,00 EUR, an die Klägerin zu 2) einen Betrag in Höhe von 250,00 EUR, an die Klägerin zu 3) einen Betrag in Höhe von 250 EUR, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.September 2009 zu zahlen.

9. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10. Sie ist der Ansicht, dass die Ansprüche der Kläger verjährt seien und erhebt insofern die Einrede der Verjährung. Nach den einbezogenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Anlage B1, Bl. 30 ff. d.A.) sei die Verjährungsfrist auch für Ausgleichszahlungsansprüche auf 2 Jahre begrenzt worden. Dies sei nach dem einschlägigen Irischen Recht rechtswirksam erfolgt.

11. Die Klage ist der Beklagten am 23.04.2012 zugestellt worden.

Entscheidungsgründe:

12. Die zulässige Klage ist begründet.

13. Das angerufene Gericht ist aufgrund des Gerichtsstands des Erfüllungsortes örtlich zuständig (vgl. BGH NJW 2011, 2056).

14. Den Klägern steht ein Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 250,00 € gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a der Verordnung EG Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 (im Folgenden VO) zu.

15. Unstreitig wurde der Flug FR 3631, mit denen die Kläger am 13.02.2009 von Bremen nach London befördert werden sollten, am Abflugtage storniert.

16. Einwendungen im Sinne des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO wurden von der Beklagten nicht geltend gemacht.

17. Die Ansprüche sind nicht verjährt.

18. Einschlägig ist vorliegend Deutsches Recht (vgl. BGH NJW 2010, 1526). Gemäß den §§ 195, 199 I BGB verjähren die Ansprüche der Kläger erst am 01.01.2013 (0:00 Uhr). Da die Klage am 23.04.2012 rechtshängig gemacht wurde, ist die Verjährung zwischenzeitlich gehemmt worden (§ 204 Nr. 1 BGB).

19. Die o.g. Fluggastrechteverordnung regelt die Verjährung der Ansprüche nach Art. 7 FluggastrechteVO zumindest nicht ausdrücklich; ob Art. 15 FluggastrechteVO einer individualvertraglichen Verjährungsvereinbarung zu Lasten des Fluggastes entgegenstehen könnte, ist vorliegend nicht zu entscheiden.

20. Ebenso kann dahinstehen, ob die AGB der Beklagten in den vorliegenden Beförderungsvertrag wirksam einbezogen wurden. Ob die Klauseln gegen die §§ 307 ff. BGB, insbesondere 309 Nr. 7 BGB, verstoßen, ist nicht zu entscheiden.

21. Denn die in Betracht kommenden Klauseln der Beklagten erfassen keine Ansprüche auf Ausgleichszahlung i.S.d. Art. 7 FluggastrechteVO, sondern lediglich Schadensersatzansprüche.

22. So heißt es in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten:

„Klagefristen

Gerichtliche Klagen auf Schadensersatz müssen innerhalb von zwei Jahren, beginnend mit dem Tag der Ankunft des Flugzeugs oder an dem Tag, an dem das Flugzeug hätte ankommen sollen, erhoben werden.“

23. Unter Art. 15.2 der Allgemeinen Beförderungsbedingungen für Fluggäste und Gepäck heißt es:

„Das Recht auf Schadensersatz erlischt, wenn nicht innerhalb von zwei Jahren, gerechnet vom Tag der Ankunft am Bestimmungsort oder vom Tage, an dem das Flugzeug planmäßig hätte ankommen sollen, oder vom Tage, an dem die Beförderung abgebrochen wurde, Klage eingereicht wird.“

24. Die Klausel Klagefrist entspricht dem Art. 35 des Montrealer Übereinkommens vom 28.05.1999, inkorporiert in das Europäische Recht durch Verordnung EG Nr. 2027/97 und Nr. 889/2002.

25. Nach dieser Norm kann die Klage auf Schadensersatz nur binnen einer Ausschlussfrist von zwei Jahren erhoben werden. Die Ausschlussfrist des Art. 35 MÜ findet nach Höchstrichterlicher Rechtsprechung auf den Ausgleichsanspruch nach Art. 5 Abs. 1 c), 7 Abs. 1 VO keine Anwendung. Ausgleichsansprüche nach Art. 5 Abs. 1 lit. c), 7 Abs. 1 VO bestehen anders als Ansprüche nach Art. 19 ff. MÜ unabhängig von dem Nachweis eines tatsächlichen Schadens. Art. 5 Abs. 1 lit. c), 7 Abs. 1 VO gewähren einen Anspruch auf eine pauschale und einheitliche Ausgleichszahlung wegen der mit der Annullierung oder großen Verspätung eines Flugs verbundenen Unannehmlichkeiten. Für Ansprüche, die auf die VO gestützt sind, und Schadensersatzansprüchen, die auf dem Montrealer Übereinkommen beruhen, gelten insoweit unterschiedliche Regelungsrahmen, was der übergreifenden Anwendung des Montrealer Übereinkommens auf die Ansprüche aus der VO entgegensteht (EuGH, NJW 2009, 2801 f; BGH NJW 2010, 1526; NJW 2011, 2056).

26. Bei der Auslegung der AGB der Beklagten ist daher von der Prämisse auszugehen, dass der Ausgleichsanspruch gerade kein Schadensersatzanspruch im Sinne der Klauseln ist. Die von der Beklagten formulierte Klausel ist nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont insofern restriktiv zu lesen: Ein Schadensersatzanspruch setzt nach dem allgemeinen Sprachgebrauch den Eintritt eines Schadens, also eine unfreiwillige Vermögenseinbuße, voraus. Dies trifft auf den Ausgleichsanspruch nach Art. 5 Abs. 1 lit. c), Art. 7 Abs. 1 VO nicht zu, der den Eintritt eines konkreten Schadens bei dem Fluggast nicht fordert, sondern dem Fluggast einen Anspruch auf eine pauschale und einheitliche Ausgleichszahlung wegen der mit der Annullierung oder großen Verspätung eines Flugs verbundenen Unannehmlichkeiten gewährt. Bei der Auslegung des Begriffes „Schadensersatz“ für die Bestimmung des Anwendungsbereichs der von der Beklagten verwendeten Klauseln ist nicht auf die irische Auslegung des Begriffs „Schadensersatz“ abzustellen, die nach dem Vortrag der Beklagten auch Ausgleichszahlungen erfassen soll. Maßgeblich ist der allgemeine Sprachgebrauch nach dem Verständnis des zuständigen (deutschen) Richters, dem die Würdigung der Auslegungsfrage obliegt.

27. Im Übrigen wird die Klausel nach Art. 15.2 im Zusammenhang der Regelung von Ansprüchen hinsichtlich aufgegebenen Gepäcks verortet (vgl. Ziff. 15.1). Diese Regelung betrifft zweifelsfrei keine Ansprüche auf Ausgleichszahlung.

28. Somit richtet sich die Verjährung nach dem einschlägigen nationalen Recht.

29. Abzustellen ist auf Art. 28 EGBGB (vgl. BGH NJW 2010, 1526).

30. Art. 28 I 1 EGBGB (a.F.) lautet: Soweit das auf den Vertrag anzuwendende Recht nicht nach Artikel 27 vereinbart worden ist, unterliegt der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist.

31. Dies führt nach Ansicht des erkennenden Gerichts im vorliegenden Fall zur Anwendbarkeit des Deutschen Rechts. Denn die Kläger sind in Deutschland wohnhaft. Der Ort des Vertragsabschlusses kann nicht entscheidend sein, weil die Beförderungsverträge mit der Beklagten via Internet von jedem Ort der Welt aus geschlossen werden. Maßgeblich ist unter Berücksichtigung der neueren BGH und EuGH Rechtsprechung, der (auch) in Deutschland, nämlich Bremen, liegende Erfüllungsort (vgl. EuGH, NJW 2009, 2801). Zwar setzt der Ausgleichszahlungsanspruch einen Beförderungsvertragsabschluss voraus; Art. 7 VO gewährt jedoch dem zu befördernden Fluggast und nicht dem Vertragspartner Ansprüche; der Anspruchsinhaber muss mit der Person des Vertragspartners also nicht zwangsläufig identisch sein. Somit handelt es sich bei dem Anspruch nach Art. 7 VO um einen gesetzlichen und keinen primär vertraglichen Anspruch. Ort der Pflichtverletzung ist vorliegend Bremen, da die gebuchte Maschine dort nicht startete. Nach Ansicht des EuGH und des BGH soll der zu befördernde Fluggast – offenbar aus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes – auch an dem (regelmäßig nahe gelegenen) Abflugflughafen Klage erheben dürfen. Auch wenn die Pflichtverletzung mit einer unerlaubten Handlung i.S.d. Art. 40 EGBGB nicht ohne Weiteres gleichzusetzen ist, erscheint es gleichwohl konsequent, dass das angerufene Gericht das Recht des Staates am Gerichtsort bzw. dem Ort der Pflichtverletzung anzuwenden berechtigt ist. Der streitgegenständliche Flug hat keinen Bezug zu Irland, da dort nicht einmal ein Zwischenstopp erfolgen sollte. Für die Vermutungswirkung nach Art. 28 II EGBGB besteht daher kein Raum (Art. 28 V EGBGB).

32. Angemerkt sei, dass nach irischem nicht abbedungenem Recht die Verjährungsfrist sogar zwischen 6 und 12 Jahren läge (vgl. sec. 11 subsec. 1a, No. 6/1957/SL des irischen Statute of Limitations von 1957).

33. Die Nebenforderung basiert auf den §§ 288 I, 291 BGB. Zu einer wirksamen Inverzugsetzung wurde nicht ausreichend substantiiert vorgetragen.

34. Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 708 Nr. 11, 711, 511 IV ZPO.

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