Anspruch gegen Reiserücktrittskostenversicherung bei Unfall vor Abreise

AG Münster: Anspruch gegen Reiserücktrittskostenversicherung bei Unfall vor Abreise

Eine Reiserücktrittsversicherung forderte von den Versicherungen von zwei Verursachern, wegen reiserücktrittsbegründenden Unfällen, den Ersatz der übernommenen Stornokosten.

Das Amtsgericht Münster hat die Klage abgewiesen. Bei den Stornokosten handele es sich nicht um erstattungsfähige Schäden der Verunfallten.

AG Münster 3 C 485/15 (Aktenzeichen)
AG Münster: AG Münster, Urt. vom 23.06.2015
Rechtsweg: AG Münster, Urt. v. 23.06.2015, Az: 3 C 485/15
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Amtsgericht Münster

1. Urteil vom 23. Juni 2015

Aktenzeichen 3 C 485/15

Leitsatz:

2. Kann in Folge eines fremdverschuldeten Unfalls eine Reise nicht angetreten werden, stellen die anfallenden Stornokosten keinen erstattungsfähigen Folgeschaden dar.

Zusammenfassung:

3. Zwei Reiserücktrittsversicherungsnehmer konnten unabhängig voneinander ihre jeweilige Reise nicht antreten, nachdem sie durch Fremdverschulden bei Verkehrsunfällen verletzt worden waren. Der Reiserücktrittsversicherer forderte den Ersatz der ausgelegten Stornokosten von den Versicherungen der Unfallverursacher. Er vertrat die Auffassung, dass diese Folgeschäden der Unfälle darstellten, deren Ersatz die Verursacher bzw. ihre Versicherer an die Geschädigten bzw. vorliegend an den Kläger schuldeten, da dieser den entsprechenden Schaden übernommen hatte.

Das Amtsgericht Münster wies die Klage ab. Zwar handele es sich bei der Reiserücktrittskostenversicherung um eine Schadensversicherung und bei den Stornokosten prinzipiell um einen Schaden, dessen Ursache die Unfälle waren. Jedoch hatten die Geschädigten keinen Anspruch auf Ersatz eben dieser gegen die Beklagten. Einerseits versäumte der Kläger es zu belegen, dass seine Versicherten Vertragspartner der jeweiligen Reiseveranstalter geworden waren, andererseits hätte ihnen auch dann die Übernahme von Stornokosten allenfalls als Teil eines Schmerzensgeldanspruchs zugestanden. Einen solchen hatte der Kläger aber nicht ersetzt, folglich konnte er den Ersatz von den Beklagten nicht verlangen.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann eine Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert wird auf 823,85 € festgesetzt.

Tatbestand:

5. Die Klägerin, eine Reiserücktrittskostenversicherung, nimmt den beklagten Versicherungsverein aus übergeleitetem Recht auf den Ersatz erstatteter Reiserücktrittskosten in Anspruch.

6. Am 07.06.2011 buchte Frau S S für sich und ihre minderjährige Tochter F S eine Reise nach Fuerteventura für die Zeit vom 22. bis 29.07.2011. Herr C S schloss für sich, S und F S bei der Klägerin eine Reiserücktrittskostenversicherung ab, bei der S und F S als mitversicherte Personen gelten sollten. Am 13.07.2011 wurde F S bei einem Verkehrsunfall verletzt, an dem ein Versicherungsnehmer des Beklagten beteiligt war. Aufgrund ihrer Verletzungen konnte sie die Reise nicht antreten. Die Reise wurde storniert, wodurch Kosten in Höhe von insgesamt 1.260,70 € anfielen, die von der Klägerin erstattet wurden. Die Klägerin verlangte diesen Betrag mit Schreiben vom 04.09.2012 (Anlage K6, Bl. 35 GA) ersetzt. Der Beklagte wies Ansprüche der Klägerin mit Schreiben vom 11.12.2012 (Anlage K7, Bl. 36 GA) zurück.

7. Am 17.04.2010 wurde Herr K M bei einem Verkehrsunfall verletzt, den ein Versicherungsnehmer des Beklagten alleinschuldhaft verursacht hat. Herr M war einer der Teilnehmer einer Gruppenreise nach Mallorca für die Zeit vom 29.05. bis 05.06.2010, die von Herrn C T gebucht worden war. Auch für diese Reise bestand eine Reiserücktrittskostenversicherung bei der Klägerin. Aufgrund seiner Verletzungen konnte Herr M die Reise nicht antreten. Der Reiseveranstalter berechnete für die Stornierung der Reise des Herrn M einen Betrag von 193,50 €, den die Klägerin erstattete. Die Klägerin machte auch diesen Betrag gegenüber dem Beklagten geltend, der die Ansprüche mit Schreiben vom 01.07.2011 (Anlage K12, Bl. 47 GA) zurückwies.

8. Die Klägerin behauptet, der Verkehrsunfall der F S sei vom Versicherungsnehmer des Beklagten alleinschuldhaft verursacht worden. Die Reise nach Fuerteventura sei von S S als Vertreterin ihrer Tochter F S gebucht worden. Auch Herr T habe als Vertreter des Herrn M gehandelt. Sie ist der Auffassung, dass die Stornokosten ein gemäß den §§ 249 BGB ersatzfähiger Schaden der verletzten Personen seien, so dass ihnen jeweils ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zustehe. Diese Ersatzansprüche der Verletzten seien gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf die Klägerin übergegangen, da es sich bei der Reiserücktrittskostenversicherung um eine Schadenversicherung und nicht um eine Summenversicherung handele, so dass § 86 VVG Anwendung finde.

9. Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 823,85 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 630,35 € seit dem 12.09.2012 und aus 193,50 € seit dem 02.07.2012 zu zahlen.

10. Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11. Er bestreitet zunächst die alleinige Haftung seines Versicherungsnehmers für den Verkehrsunfall der F S. Er ist weiter der Ansicht, dass es sich bei der Reiserücktrittskostenversicherung um eine Summenversicherung handele, auf die § 86 VVG keine Anwendung finde. Im Übrigen hätten sowohl F S als auch K M die Reisen nicht gebucht, so dass ihnen auch keine Reiserücktrittskosten entstanden wären. Schließlich seien die Stornokosten auch kein ersatzfähiger Schaden.

12. Wegen des weiteren Vortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

13. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

1.

14. Die geltend gemachte Zahlung steht der Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Das Gericht ist zwar der Auffassung, dass es sich bei der Reiserücktrittskostenversicherung um eine Schadensversicherung handelt, so dass § 86 Abs. 1 VVG grundsätzlich Anwendung findet (so auch das LG München I im vom Beklagten vorgelegten Urteil vom 27.03.2013 mit zutreffender Begründung). Die beiden verletzten Personen haben jedoch keinen eigenen Schadensersatzanspruch auf den Ersatz der Stornokosten gegen den Beklagten, der auf die Klägerin übergeleitet werden konnte:

A.

15. Hinsichtlich der für die Reise der F S erstatten Stornokosten konnte zunächst dahinstehen, mit welcher Quote der Beklagte für den Schaden haftet. Ein Schaden der F S, für den der Beklagte haftet, würde zunächst voraussetzen, dass sie selbst mit Stornokosten belastet war. Das wäre sie wiederum nur dann, wenn sie selbst Vertragspartnerin des Reiseveranstalters war. Dies ist jedoch unklar:

16. Die Person, die eine Reise für sich und andere Personen bucht, handelt dabei entweder im eigenen Namen und ist damit allein „Reisender“ im Sinne der §§ 651 a ff. BGB, oder er schließt als Vertreter seiner Mitreisenden in deren Namen Verträge ab, die diese wiederum gegenüber dem Reiseveranstalter berechtigen und verpflichten (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 15.06.1989, Az. VII ZR 205/88, juris-​Rnr. 22 mit weiteren Nachweisen). Es ist daher nach den Umständen des Einzelfalls zu ermitteln, welche dieser beiden Möglichkeiten vorliegt.

17. Die Klägerin hat insoweit lediglich darauf hingewiesen, Frau S S habe ihre minderjährige Tochter als gesetzliche Vertreterin vertreten. Dass sie dies gegenüber dem Reiseveranstalter gemäß § 164 Abs. 1 S. 1 BGB offen gelegt hätte, trägt die Klägerin jedoch nicht vor. Die Stellvertretung ergibt sich hier auch nicht im Sinne des § 164 Abs. 1 S. 2 BGB aus den Umständen des Vertragsschlusses: Es dürfte vielmehr die Ausnahme sein, dass Eltern ihre minderjährigen Kinder bei der Buchung einer gemeinsamen Reise selbst (auch hinsichtlich des Reisepreises) verpflichten wollen. Der Normalfall dürfte eher sein, dass die Kosten der Reise eine Zuwendung unter Familienangehörigen sein soll. Insofern vertritt auch das OLG Frankfurt in seinem von der Klägerin zitierten Urteil vom 24.05.2004 (Az. 16 U 167/03) die Auffassung, dass bei Familienangehörigen des Buchenden nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, dass diese selbst Vertragspartner des Reiseveranstalters werden sollen.

B.

18. Auch hinsichtlich des Herrn K M wäre durch die Klägerin zu beweisen, dass dieser selbst Vertragspartner des Reiseveranstalters war, was eine Stellvertretung bei der Buchung voraussetzt. Dass ohne weiteres von einer Stellvertretung auszugehen wäre (so OLG Frankfurt, Urteil vom 24.05.2004, Az. 16 U 167/03, juris-​Rnr. 25), ist so nicht nachvollziehbar. Die Auffassung, dass eine Stellvertretung nur dann nicht vorliegen soll, wenn der Buchende ausdrücklich erklärt, in eigenem Namen handeln zu wollen, ist auch nur schwer mit den § 164 Abs. 1 und 2 BGB zu vereinbaren, wonach zunächst eine Stellvertretung offenzulegen ist und das Handeln in eigenem Namen den Normalfall darstellen soll. Erforderlich wären damit Umstände im Sinne des § 164 Abs. 1 S. 2 BGB, die zweifelsfrei auf eine Stellvertretung schließen lassen. Allein der Umstand, dass die Reise für andere Personen gebucht wird, lässt diesen Schluss jedoch noch nicht zu.

19. Letztendlich konnte dies jedoch dahinstehen: Selbst wenn hier K M der Vertragspartner des Reiseveranstalter gewesen ist und selbst die Stornoentschädigung zu zahlen hatte, so hätte er keinen Anspruch auf den Ersatz dieser Kosten gegen den Beklagten gehabt. Die Stornokosten stellen keinen gemäß den §§ 249 ff. BGB ersatzfähigen Schaden dar:

aa.

20. Zunächst ist der Klägerin insoweit zuzustimmen, dass die Stornierung der Reise eine Folge des Unfalls war und damit auch kausal durch den Unfall verursacht worden ist. Die Stornokosten stellen dennoch nicht ohne weiteres einen Schaden dar, denn im Rahmen der Differenzhypothese muss auch berücksichtigt werden, dass infolge der Stornierung die Verpflichtung zur Zahlung des vollen Reisepreises entfällt.

bb.

21. Die Stornokosten könnten daher allenfalls als „frustrierte Aufwendung“ einen materiellen Schadensersatzanspruch begründen. Solche Aufwendungen stellen jedoch nur im Ausnahmefall einen materiellen Schaden dar, wenn anzunehmen ist, dass sich die Aufwendungen ohne das schädigende Ereignis amortisiert hätten. Dies bei Kosten, die für einen Urlaub verauslagt wurden, der wegen einer Körperverletzung nicht angetreten werden kann, nicht der Fall (vgl. LG Bremen, Urteil vom 13.05.2013, Az. 7 O 1759/12 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

22. Die Stornokosten können daher allenfalls gemäß § 253 Abs. 2 BGB im Rahmen der Bemessung eines Schmerzensgeldes eine Rolle spielen (vgl. hierzu LG Bremen a. a. O.; andere Auffassung offenbar OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.10.2011, Az. 1 U 236/10, juris-​Rnr. 51, das die Stornokosten im Ergebnis allgemeiner Billigkeitserwägungen in voller Höhe für ersatzfähig erachtet), bei dem auch die entgangene Urlaubfreude zu berücksichtigen ist. Für diesen immateriellen Schaden des Klaus Michl hat die Klägerin jedoch keinen Ersatz geleistet, so dass der hierauf gerichtete Ersatzanspruch nicht auf sie übergegangen ist.

2.

23. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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