Wirksamkeit einer Vorleistungspflicht des Fluggastes

OLG Köln: Wirksamkeit einer Vorleistungspflicht des Fluggastes

Die Beklagte ist eine Luftfahrtgesellschaft und bietet bei einer Buchung auf ihrer Webseite an, entweder den gebuchten Flug vollständig bei Buchungsabschluss zu bezahlen oder den Flug zu dem angezeigten Flugpreis für 48 Stunden zu reservieren. Der Kläger sieht hierin eine unangemessene Benachteiligung für den Verbraucher.

In erster Instanz wurde die Klage durch das LG Köln zurückgewiesen. Auch in der Berufung vor dem OLG Köln hatte der Kläger keinen Erfolg.

OLG Köln 6 U 23/14 (Aktenzeichen)
OLG Köln: OLG Köln, Urt. vom 05.09.2014
Rechtsweg: OLG Köln, Urt. v. 05.09.2014, Az: 6 U 23/14
LG Köln, Urt. v. 08.01.2014, Az: 26 O 253/13
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Oberlandesgericht Köln

1. Urteil vom 05.09.2014

Aktenzeichen 6 U 23/14

Leitsatz:

2. Fordert eine Luftfahrtgesellschaft vom Fluggast die Bezahlung des vollständigen Ticketpreises im Zeitpunkt der Buchung des Fluges, stellt dies keine unangemessene Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB dar.

Zusammenfassung:

3. Die Beklagte ist eine Luftfahrtgesellschaft und bietet bei einer Buchung auf ihrer Website an, entweder den gebuchten Flug vollständig bei Buchungsabschluss zu bezahlen oder den Flug zu dem angezeigten Flugpreis für 48 Stunden zu reservieren. Der Kläger, eine Verbraucherschutzorganisation, sieht hierin eine unangemessene Benachteiligung für den Verbraucher. Seiner Ansicht nach, müssten bei der Buchung noch andere Modalitäten berücksichtigt werden, wie etwa, ob der Buchende Unternehmer oder Verbraucher ist, die Flugzeit etc.

In erster Instanz wurde die Klage durch das LG Köln zurückgewiesen. Auch in der Berufung vor dem OLG Köln hatte der Kläger keinen Erfolg und die Klage wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Tenor:

4. Die Berufung des Klägers gegen das am 08.01.2014 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 26 O 253/13 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Dieses Urteil und das des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

5. Der Kläger, der in die Liste qualifizierter Einrichtungen i.S.d. § 4 UKlaG eingetragen ist, nimmt die Beklagte, eine große deutschen Luftfahrtgesellschaft, wegen der Verwendung einer Vorfälligkeits-​Regelung bei der Buchung von Flugreisen über das Internet auf Unterlassung nach § 1 UKlaG sowie Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch. Wegen des Sachverhaltes und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gem. § 540 Abs.1 S.1 Ziff.1 ZPO auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

6. Mit seiner Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts hält der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens das erstinstanzliche Klageziel aufrecht. Das Landgericht habe bei seiner Abwägung die Interessen der Beklagten in den Vordergrund gestellt, ohne die Schutzwürdigkeit der Verbraucherinteressen hinreichend zu berücksichtigen. Bei der streitgegenständlichen Klausel fehle es bereits an der Erforderlichkeit, um die anerkennenswerten Interessen der Beklagten zu wahren. Jedenfalls führe die Klausel dazu, dass die nach dem gesetzlichen Leitbild, §§ 641, 320 BGB, anerkannten Interessen der Verbraucher aufgegeben würden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 10. März 2014 nebst Anlagen sowie den Schriftsatz vom 10. August 2014 inhaltlich Bezug genommen.

7. Der Kläger beantragt sinngemäß,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils

die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollstrecken am Vorstand, zu unterlassen,

in Bezug auf Flugbeförderungsverträge, die mit Verbrauchern geschlossen werden, die nachfolgende oder eine inhaltsgleiche Klausel als Allgemeine Geschäftsbedingung einzubeziehen, sowie sich auf die Bestimmungen bei der Abwicklung derartiger Verträge, geschlossen nach dem 01.04.1977, zu berufen:

8. Ihre Zahlweise

9. Entscheiden Sie sich hier, ob Sie die Buchung sofort bezahlen möchten oder ob Sie sich die Flüge und Preise bis zu 48 Stunden reserviert halten möchten

O Jetzt bezahlen

O Reservierung mit Preisgarantie

10. Bitte beachten Sie: Die Buchung muss innerhalb der 48 Stunden aktiv bestätigt und bezahlt werden [ … ],

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 250,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.

11. Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

12. Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Das Landgericht habe zutreffend erkannt, dass den Verbrauchern durch die Aufrechterhaltung der Vorauszahlungspraxis allenfalls zu vernachlässigende Nachteile erwüchsen. Die Beeinträchtigungen auf ihrer Seite bei einer Untersagung der bisherigen Praxis wären hingegen massiv, insbesondere im Hinblick auf den internationalen wirtschaftlichen Gesamtkontext, wie sich aus der Stellungnahme der J (J) vom 17.07.2014 ergebe. Im Übrigen weist die Beklagte erneut darauf hin, dass es sich ihrer Ansicht nach bei der angegriffenen Regelung bereits nicht um eine AGB-​Bestimmung handele. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung vom 02.06.2014 nebst Anlagen sowie den Schriftsatz vom 07.08.2014 nebst Anlage inhaltlich Bezug genommen.

II.

13. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte aus § 1 UKlaG und folglich auch keinen Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten. Ein Anspruch nach § 1 UKlaG setzt voraus, dass in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bestimmungen verwendet werden, die nach §§ 307​309 BGB unwirksam sind, wobei die Vorschriften des UKlaG auch über § 306a BGB Anwendung finden können (s. Palandt-​Grüneberg, Kommentar zum BGB, 73. Aufl., § 306a Rn. 2). Ob die hier streitgegenständliche Vorfälligkeits-​Regelung, bei der es sich nicht um eine allgemeine Geschäftsbedingung i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, sondern um eine faktische Vertragsabwicklungspraxis handelt, als „anderweitige Gestaltung“ i.S.d. § 306a BGB anzusehen ist – insoweit ist fraglich, ob hierunter nur rechtliche oder auch tatsächliche Gestaltungen fallen -, kann dahinstehen, da sie jedenfalls nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam ist.

14. Gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Als solche gesetzlichen Regelungen stehen hier die Werkvertragsrechts-​Regelungen in §§ 641 Abs. 1, 646 BGB, wonach die Vergütung erst nach der Vollendung des Werkes fällig ist, sowie die allgemeine Regelung zu gegenseitigen Verträgen in § 320 BGB, d.h. das Leistungsverweigerungsrecht bei nichterfülltem Vertrag, im Raum.

15. Nach umfassender Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ist es hier im Ergebnis nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte vom Fluggast den vollständigen Ticketpreis bereits im Zeitpunkt der Buchung des Linienfluges verlangt, unabhängig von der Person des Buchenden (Verbraucher, Unternehmer), der Höhe des Ticketpreises und/oder dem zeitlichen Abstands zwischen Buchung und Flugantritt.

1.

16. Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber in der Regierungsbegründung zum AGB-​Gesetz u.a. aufgrund der Interessenlage beim Verkauf von Fahrkarten davon abgesehen hat, eine Vorleistungsverpflichtung durch AGB generell zu verbieten (BT-​Dr. 7/3919, S. 28):

17. „§ 9 Nr. 2 befaßt sich in seinem ersten Teil (Buchstabe a) mit den Fällen des § 320 BGB, in denen der AGB-​Unterworfene die eigene vertragliche Leistung zurückhält, weil die Gegenleistung nicht oder nicht ordnungsgemäß erbracht wird. Da die Vereinbarung der Vorleistungspflicht des AGB-​Unterworfenen dem Leistungsverweigerungsrecht faktisch weitgehend den Boden entzieht, könnte man daran denken, auch die formularmäßige Vereinbarung einer Vorleistungspflicht zu verbieten. Dies ginge jedoch zu weit, zumal in vielen Bereichen die technische Abwicklung des Vertrags ohne Vorleistungen kaum vorstellbar wäre (Eintrittskarten, Fahrkarten). Andererseits ist nicht zu erwarten, daß die vorgeschlagene Regelung zum Anlaß genommen wird, weitergehende Vorleistungspflichten des Kunden als bisher vorzusehen, weil sich dies auf dem Markt schwer durchsetzen läßt. Im übrigen bietet die Generalklausel des § 7 hinreichend Schutz gegen unangemessene Vertragsgestaltungen.“

18. Die Regelungen des AGB-​Gesetzes sind im Zuge der Schuldrechtsreform in das BGB, §§ 305 ff., integriert worden. § 307 BGB setzt außerdem Art. 3 Abs. 1 der EG-​Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (RL 93/13/EWG) um, nach dem eine Vertragsklausel, die nicht im einzelnen ausgehandelt wurde, als missbräuchlich anzusehen ist, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten des Vertrags der Vertragspartner verursacht.

2.

19. Ausgangspunkt für die Interessenabwägung sind § 641 Abs. 1 BGB und § 320 BGB, denen jeweils eine Leitbildfunktion zukommt (s BGH NJW 2013, 1431, juris-​Tz. 24, 25). Allerdings ist bei näherer Prüfung festzustellen, dass die §§ 641, 646 BGB hier nicht anwendbar sind, und dass das Zurückbehaltungsrecht nach § 320 BGB für den Fluggast faktisch nahezu wertlos ist. Demgegenüber ist es aus organisatorischen und wirtschaftlichen Gründen geboten, dass die Tickets für die Linienflüge der Beklagten bereits im Zeitpunkt der Buchung vollständig bezahlt werden.

a)

20. Eine Verstoß gegen die wesentlichen Grundgedanken der §§ 641, 646 BGB liegt bei der streitgegenständlichen Regelung nicht vor.

aa)

21. Ob der Fluggastbeförderungsvertrag ein Werkvertrag ist (so BGH WM 1974, 396, juris-​Tz. 20, 21; ebenso Palandt-​Sprau, BGB, 73. Aufl., vor § 631 Rn. 17a, 17d, 17e) oder ein Vertrag sui generis mit Elementen des Werkvertrags, kann dahinstehen, da in jedem Fall hier nicht auf §§ 641, 646 BGB als gesetzliches Leitbild abgestellt werden kann, weil die der Vorleistungspflicht im Werkvertragsrecht zugrunde liegenden Erwägungen bei der Fluggastbeförderung gerade nicht greifen. Insoweit kann dem von Staudinger (RRa 2014, 58 ff.) betonten „doppelten“ Leitbildverstoß, § 641 BGB und § 320 BGB, sowie seiner insoweit geübten Kritik an der Entscheidung des Landgerichts nicht beigetreten werden.

22. Auf den Fluggastbeförderungsvertrag sind bereits seiner Natur nach wesentliche Regelungen des Werkvertragsrechts, die der Sicherung des Werkunternehmers dienen, nicht anwendbar, insbesondere das Unternehmerpfandrecht, § 647 BGB. Das Werkvertragsrecht bürdet dem Unternehmer die Vorleistungspflicht jedoch gerade deshalb auf, weil dieser in der dem Gesetzgeber vorschwebenden typischen Falllage ein Werkstück hergestellt, das er nur gegen Zahlung herausgeben muss, und das ihm aufgrund seines Unternehmerpfandrechts als Sicherheit dient (s. Basedow, Der Transportvertrag, S. 316). Bei der Fluggastbeförderung hat die Fluggesellschaft dagegen keinerlei Möglichkeit, eine etwaige Vorleistungspflicht mit irgend gearteten Sicherungsrechten auszugleichen, zumal bei Linienflügen zu ihren Lasten auch noch ein Kontrahierungszwang greift, § 21 Abs. 2 Satz 3 LuftVG. Danach sind Luftfahrtunternehmen, die – wie hier die Beklagte – Linienverkehr betreiben, außer in Fällen der Unzumutbarkeit, jedermann gegenüber verpflichtet, Beförderungsverträge abzuschließen und den Vertragspartner im Rahmen des veröffentlichten Flugplans zu befördern.

23. Die Beklagte, die jährlich über einhundert Millionen Passagiere befördert, würde bei einer Vorausleistungspflicht gemäß dem Werkvertragsrecht zudem mit einem untragbaren Inkassorisiko belastet. Nach den unbestrittenen Ausführungen der Beklagten sind die Vorlaufkosten einer Fluggesellschaft für Anschaffung und Wartung des Fluggeräts, Treibstoff, Personal pp. enorm hoch und die Gewinnmarge bei den Tickets gering. Schon ein Zahlungsausfall bei relativ wenigen Kunden würde daher dazu führen, dass Flüge nicht mehr kostendeckend durchgeführt werden. Nach Erhalt einer Leistung sind zahlungsunwillige Kunden keine Seltenheit und gerade für Werkunternehmer ein großes Risiko, dem im Rahmen der klassischen Werkverträge z.B. durch Abschlagszahlungen nach § 632a BGB oder die Sicherungshypothek nach § 648 BGB begegnet werden kann. Beide Instrumente scheiden für die Beklagte ebenso aus wie das Unternehmerpfandrecht.

24. Hinzu kommt, dass eine – von der weltweiten Praxis abweichende – Zahlung des Flugpreises erst nach dem Flug für die Beklagte weder in Deutschland noch bei den ausländischen Zielflughäfen organisatorisch durchführbar wäre. Die J, die die Standards für rund 94 % der weltweiten Flüge festlegt, hat den Vortrag der Beklagten bestätigt, dass eine auf Deutschland beschränkte Abweichung von der Vorauszahlungspraxis im Rahmen der globalen Buchungs- und Reservierungssysteme überhaupt nicht möglich wäre und zudem zu einer internationalen Wettbewerbsverzerrung zulasten des Luftfahrtstandorts Deutschland und damit auch der Beklagten führen würde. Der Kläger hat dies pauschal mit Nichtwissen bestritten, ohne sich mit den von der Beklagten vorgetragenen globalwirtschaftlichen Sachargumenten inhaltlich auseinanderzusetzen. Seine Ansicht, die Beklagte könne durch eine Umstellung des Zahlungssystems auch einen Wettbewerbsvorteil erzielen, indem sie sich positiv von den nichteuropäischen Anbietern abhebe, überzeugt nicht. Ohne die Möglichkeit langfristiger Buchungen mit frühzeitiger Zahlung des Flugpreises und der sich daraus für die Beklagte ergebenden Vorteile wie Planungssicherheit, Zinseinsparungen und Liquidität, kann selbst unabhängig von den mit der Umstellung des Buchungssystems zwangsläufig verbundenen Kosten – z.B. für den Aufbau und laufenden Betrieb einer Debitorenbuchhaltung – nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte ihre bisherigen Preise halten kann. Das grundsätzlich zutreffende Argument des Klägers, dass preiskalkulatorische Erwägungen bei der Inhaltskontrolle nicht statthaft sind (s. Palandt-​Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 307 Rn. 18), greift in diesem Zusammenhang nicht, auch nicht das Argument, dass die Vorhaltekosten für Fluggerät, Mannschaft pp. wirtschaftlich in die Sphäre des Unternehmers fallen.

25. Bei einer nachträglichen Bezahlung des Fluges trüge die Beklagte zudem nicht nur das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Kunden, sondern selbst bei zahlungsfähigen Kunden ein erhebliches Durchsetzungsrisiko. Die Passagiere nach einem Flug aufzuhalten, bis sie den Flug bezahlt haben, scheidet sowohl aus tatsächlichen (Flughafenorganisation) wie auch aus rechtlichen Gründen (verbotene Eigenmacht) aus. Die Beklagte wäre daher in voraussichtlich einer größeren Zahl von Einzelfällen gehalten, ihren Zahlungsanspruch gerichtlich durchzusetzen, was insbesondere bei Kunden aus dem Ausland zeitaufwändig, teuer und risikoreich wäre.

26. Schließlich würde eine Abkehr von der Vorfälligkeitsregelung auf Seiten der Beklagten zu einem erheblichen Verwaltungsmehraufwand führen, verbunden mit einer umfangreichen Speicherung von sensiblen Kundendaten. Dies hat die Beklagte in der Berufungserwiderung Seite 18 ff. noch einmal detailliert dargelegt, ihre Ausführungen sind vom Kläger nicht bestritten worden. Die Ansicht von Staudinger (RRa, 2014, 58, 62), es sei nicht zu erkennen, dass einer gestaffelten Zahlung des Kunden der Verwaltungsaufwand des Luftbeförderers offensichtlich entgegenstehe, ist insoweit zumindest teilweise widerlegt.

27. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass eine Abkehr von der Vorleistungspflicht vorliegend zu einer unbilligen einseitige Verlagerung der Risiken zu Lasten der Beklagten führen würde. Für eine Vorleistung des Fluggastes spricht im Massengeschäft der Fluggastbeförderung dagegen ein nahezu zwingendes praktisches und wirtschaftliches Bedürfnis.

28. Der Kläger gesteht im vorliegenden Fall im Übrigen selbst zu, dass es grundsätzliche sachlich gerechtfertigt sein möge, wenn Fluggesellschaften das Entgelt bereits vor der Durchführung des Fluges erhalten. Er ist lediglich der Ansicht, dass der volle Preis nicht bis zu einem Jahr (entsprechend der Linienflugplanung der Beklagten) vor der Leistung gefordert werden dürfe, sondern bei der Buchung nur eine geringe Anzahlung gefordert werden könne und die Restzahlung dann vom Fluggast z.B. 30 Tage vor dem Flug zu erbringen sei. Ein konkreter gesetzlicher Anknüpfungspunkt für dieses Zeitargument ist jedoch weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich. Systematisch greift entweder das Leitbild des § 641 BGB – was im vorliegenden Fall letztlich nach Ansicht beider Parteien nicht sachgerecht ist – oder aber es bleibt bei der allgemeinen Regel des § 271 BGB, wonach Ansprüche im Zweifel sofort fällig werden.

bb)

29. Aber selbst dann, wenn hier die §§ 641, 646 BGB als maßgebliches Leitbild zugrunde gelegt würden, beruht das Abweichen von diesem Leitbild jedenfalls auf sachlichen Gründen, was eine Vorleistungspflicht beim Werkvertrag auch nach der Rechtsprechung des BGH rechtfertigen kann (s. BGH NJW 2010, 1449, juris-​Tz. 24, 28 ff.). Den Interessen des Fluggastes wird im konkreten Fall dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass er sich die Fluggesellschaft, bei der er bucht, frei aussuchen und auch den Buchungszeitpunkt – vorbehaltlich der Kapazitäten – frei wählen kann, dass die Beklagte nach einer Buchung zur Beförderung des Fluggastes auf dem durch das Ticket nachweislich gebuchten Linienflug verpflichtet ist, und dass beim Linienflug – anders als beim Charterflug – das wirtschaftliche Risiko durch die Transportgesellschaft getragen wird; eine Linienmaschine fliegt, soweit möglich (Wetter, Streik pp.), garantiert zur vorgegebenen Zeit, unabhängig von der Auslastung. Hinzu kommt die unbestrittene Finanzstärke der Beklagten, eine der größten Fluggesellschaften der Welt mit hervorragender Bonität. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf die Abstraktheit der Klauselkontrolle verweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass trotz der abstrakt-​generellen Charakters der Inhaltskontrolle auch auf die konkreten individuellen Umstände abgestellt werden kann (Palandt-​Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 307 Rn. 8, § 310 Rn. 19).

b)

30. Die streitgegenständliche Vorfälligkeitsregelung führt auch nicht zu einem treuwidrigen Verstoß gegen wesentliche Grundgedanken des § 320 BGB. Die Einrede des nichterfüllten Vertrages soll den Anspruch sichern und auf den Schuldner Druck ausüben, damit dieser seine Verpflichtung alsbald erfüllt (Palandt-​Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 320 Rn. 1).

31. Bei sofortiger Fälligkeit des Flugpreises wäre der Fluggast nach § 320 BGB befugt, seine Zahlung bis zur Ankunft am Bestimmungsort zurückzuhalten, so dass sich die Leistungsverweigerungsrechte beider Seiten gegenseitig blockieren würden – was daran liegt, dass beim Transportvertrag Leistungen ausgetauscht werden, deren Erfüllung nicht synchron verlaufen (s. Basedow, Der Transportvertrag, S. 320, Bl. 62 GA). Dieses Problem kann interessengerecht durch AGB oder eine Regelung wie vorliegend von der Beklagten gewählt gelöst werden, wobei das vom Kläger angeregte Zahlungsmodell – Anzahlung bei Buchung und Schlusszahlung kurz vor der Reise – in die Interessenabwägung mit einzubeziehen ist.

aa)

32. Das Zurückbehaltungsrecht des einzelnen Passagiers ist schon im Ansatz kein effektives Druckmittel gegenüber der Beklagten, die ein Massentransportgeschäft betreibt. Dies gilt auch dann, wenn mit dem Vortrag des Klägers nicht nur auf den einzelnen Passagier abgestellt wird, sondern auf die Gesamtheit der für einen bestimmten Flug gebuchten Passagiere. Vorliegend geht es um Linienflüge, die – solange die Beklagte nicht insolvent wird – unabhängig von ihrer Auslastung durchgeführt werden müssen, § 21 Abs. 3 LuftVG, und wenn überhaupt erst kurzfristig vor der aus dem Flugplan folgenden Abflugzeit aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse wie Unwetter, Streik oder Beschädigung der Maschine pp. ausfallen. In all diesen Fällen ist das Zurückbehaltungsrecht kein taugliches Mittel zur Druckausübung, und der Flugpreis wäre auch nach den Vorstellungen des Klägers – Anzahlung bei Buchung, Restzahlung 30 Tage vor dem Abflug – zum Zeitpunkt des Flugausfalls bereits vollständig bezahlt.

33. Zudem wirkt aufgrund der Spezialregelungen in der VO (EG) Nr. 261/2004 bereits ein starker wirtschaftlicher Druck auf die Beklagte, die aufgestellten Flugpläne einzuhalten. Die Fluggastrechtsverordnung schützt den Passagier im Fall von Leistungsstörungen wie Änderungen, Verspätungen, Streichungen pp., indem sie den Fluggesellschaften verschiedene Leistungsverpflichtungen wie Betreuungsleistungen, anderweitige Beförderung, Erstattung der Flugscheinkosten, Ausgleichszahlungen pp. auferlegt.

bb)

34. Das Sicherungsinteresse des Fluggastes ist tatsächlich weitgehend abgedeckt. Zwar besteht bei Luftfahrgesellschaften generell ein Insolvenzrisiko, das steigt, je früher der Flug bezahlt wird, dieses Risiko wird jedoch durch die VO (EG) Nr. 1008/2008 über die Genehmigung von Luftfahrtunternehmen erheblich gemindert. So wird nach Art. 5 der Verordnung die erstmalige Betriebsgenehmigung einem Luftverkehrsunternehmen nur erteilt, wenn die dort festgelegten finanziellen Bedingungen erfüllt sind, nach Art. 8 der Verordnung wird der Finanzstatus und die Liquidität der Luftverkehrsunternehmen von der zuständigen Genehmigungsbehörde regelmäßig überwacht, und nach Art. 9 der Verordnung kann bei Hinweisen auf finanzielle Schwierigkeiten die Betriebsgenehmigung entzogen werden.

35. Das Insolvenzrisiko wird durch die VO (EG) Nr. 1008/2008 zwar nicht vollständig beseitigt, gleichwohl ist die EU-​Kommission der Ansicht, dass die darin enthaltenen Regelungen und die VO (EG) Nr. Nr. 261/2004 bereits einen angemessenen Rechtsrahmen für die Unterstützung von Fluggästen bei Insolvenzen von Luftfahrtunternehmen bieten (Mitteilung vom 18.03.2013 zum Schutz der Fluggäste bei Insolvenz des Luftfahrtunternehmens, COM/2013/0129). Vor diesem Hintergrund ist auch gemessen an dem von Staudinger (RRa 2014, 58, 59, 63) zu Recht betonten Mindestschutz nach Art. 3 Abs. 1 der EG-​Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, RL 93/13/EWG, nicht davon auszugehen, dass die streitgegenständliche Klausel entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten des Vertrags der Vertragspartner verursacht – zumal die VO (EG) Nr. Nr. 261/2004 selbst von einer Vorauszahlung des Flugpreises als Selbstverständlichkeit ausgeht, wenn sie z.B. in Art. 8 bei einem im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden Flug einen „Anspruch auf Erstattung“ in Form einer „binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten“ vorsieht.

36. Schließlich kann der Fluggast selbst sich gegen das verbleibende Insolvenzrisiko durch eine Flugticketversicherung absichern, die nach dem Vorbringen der Beklagten bereits zum Preis von 5,00 EUR pro Person und Ticket erhältlich ist. Dass die Beklagte über eine entsprechende Versicherung das Insolvenzrisiko der Fluggäste ebenfalls abdecken könnte, besagt nicht, dass sie hierzu auch verpflichtet ist. Bei einer Gesamtabwägung unter Einbeziehung insbesondere der tatsächlichen Gegebenheiten im internationalen Flugverkehr und der wirtschaftlichen Auswirkungen einer nationalen Insellösung einerseits sowie andererseits der tatsächlichen und rechtlichen Situation des Fluggastes in Bezug auf seine durch § 320 BGB geschützten Interessen, stellt sich die unbegrenzte Vorfälligkeitsklausel auch ohne eine solche Versicherungsleistung nicht als unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB bzw. als erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis bezüglich der Rechte und Pflichten der Vertragspartner i.S.d. Art. 3 Abs. 1 der RL 93/13/EWG dar.

37. Darauf, dass die VO (EG) Nr. 1008/2008 und VO (EG) Nr. Nr. 261/2004 kein mit der im Reisevertragsrecht nach § 651k Abs. 4, 5 BGB vorgesehenen Vorfälligkeitsregelung – Zahlung des Reisepreises vor Beendigung der Reise nur gegen Sicherungsschein – vergleichbares Verbraucherschutzinstrument bieten, kann entgegen der Ansicht des Klägers nicht abgestellt werden. Der Fluggastbeförderungsvertrag ist nach der Interessenlage und den tatsächlichen Besonderheiten nicht mit dem Reisevertrag vergleichbar, so dass aus den Regelungen zum Reisevertrag weder für noch gegen die jeweiligen Ansichten der Parteien etwas Konkretes hergeleitet werden kann.

cc)

38. Die vom Kläger vorgeschlagene Zahlungsregelung – Anzahlung bei Buchung (ggf. der Höhe nach gestaffelt entsprechend dem noch verbleibenden Zeitraum bis zur Leistung) und Restzahlung zu einem (ggf. nach der Höhe des Reisepreises gestaffelten) Zeitpunkt relativ kurz vor Flugbeginn trägt weder zu einer vertretbaren Lösung der auf Seiten der Beklagten bestehenden Probleme bei einer Abkehr von der Vorfälligkeitsregelung bei, noch verschafft sie dem Fluggast im Ergebnis einen wirtschaftlich messbaren oder rechtlich relevanten Vorteil gegenüber der gewohnten Zahlungspraxis. Sowohl für die Beklagte als auch den Fluggast wäre eine Abkehr vom international üblichen Zahlungssystem vielmehr mit zusätzlichen Kosten und auf Seiten der Beklagten zudem mit unzumutbaren Risiken verbunden.

III.

39. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision wegen der mit der Sache aufgeworfenen grundsätzlichen Fragen und im Interesse der Rechtsvereinheitlichung durch Entwicklung höchstrichterlicher Leitlinien zugelassen, § 543 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO.

IV.

40. In Abänderung des Beschlusses vom 07.04.2014 wird der Streitwert für das Berufungsverfahren auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

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