Wirksamkeit einer Klageausschlussfrist für Fluggastrechte

LG Berlin: Wirksamkeit einer Klageausschlussfrist für Fluggastrechte

Ein Fluggast forderte für die 5-stündige Verspätung seine Fluges von Berlin nach Nairobi eine Entschädigung.

Die Berufungskammer des Landgerichts Berlin verurteilte die Fluggesellschaft, weil die Verjährungsklausel, auf die sie sich berief, unwirksam war.

LG Berlin 83 S 1/13 (Aktenzeichen)
LG Berlin: LG Berlin, Urt. vom 11.06.2013
Rechtsweg: LG Berlin, Urt. v. 11.06.2013, Az: 83 S 1/13
AG Wedding, Urt. v. 07.12.2012, Az: 11 C 181/12
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Landgericht Berlin

1. Urteil vom 11. Juni 2013

Aktenzeichen 83 S 1/13

Leitsatz:

2. AGB-Klauseln, welche die Verjährung auch solcher Ansprüche auf Ersatz für Schäden an Leib und Leben vorsehen, die auf grober Fahrlässigkeit des Luftfahrtunertnehmens beruhen, sind in Gänze unwirksam, sofern sie sich nicht in einen wirksamen und einen unwirksamen Teil sinnvollerweise teilen lassen.

Zusammenfassung:

3. Ein Flugreisender erklagte von einem Luftfahrtunternehmen eine Entschädigungszahlung wegen der 5-stündigen und damit erheblichen Verspätung seines Fluges von Berlin nach Nairobi. Die Beklagte berief sich auf eine Verjährungsklausel in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen, nach der die Ansprüche des Beklagten verfallen seien.

Das Landgericht Berlin gab der Berufung des Klägers statt. Die Verjährungsklausel der Beklagten war unwirksam, da sie nicht zwischen Ersatzansprüchen wie vorliegend gefordert und solchen für Schäden an Leib und Leben, die auf grober Fahrlässigkeit beruhen, unterschied. Da sich kein wirksamer Teil sinnvollerweise aus der Klausel trennen ließ, war sie als Ganzes untauglich, von der Ausgleichspflicht zu befreien.

Tenor:

4. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Wedding vom 7. Dezember 2012 – 11 C 181/12 -verurteilt, an den Kläger 600,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 31. Januar 2011 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

5. (gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO)

6. Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

7. Dem Kläger steht gemäß Artikel 7 Abs. 1  Ziffer c) in Verb. mit Art. 5 Abs. 1 lit. c) (analog) der Verordnung (EG) 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 eine Ausgleichszahlung von 600,- Euro zu. Mit einer Verspätung des Fluges am 16. August 2009 von Berlin nach Nairobi von mehr als fünf Stunden schon am Abflugort liegt nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des EuGH eine der Annulierung gleichzustellende erhebliche Verspätung vor (vgl. EuGH NJW 2010, 43 ff.; NJW 2013, 671 ff.), die eine entsprechende Ausgleichszahlung auslöst.

8. Die Ansprüche des Klägers sind nicht verjährt. Das Rechtsverhältnis der Parteien beurteilt sich nach deutschem Recht, weil die Parteien sich durch ihre ausschließliche Bezugnahme auf deutsches Recht jedenfalls konkludent auf dessen ausschließliche Anwendung geeinigt haben. Danach beträgt die Verjährungsfrist gemäß §§ 195,199 BGB drei Jahre. Mit Erhebung der Leistungsklage durch den Kläger innerhalb der Verjährungsfrist ist die Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt.

9. Den Ansprüchen des Klägers steht auch nicht die in Art. XVI Abs. 2 der allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten enthaltene Klageausschlussfrist von zwei Jahren entgegen. Denn diese Klausel verstößt gegen § 309 Nr. 7 BGB und ist unwirksam. Nach § 309 Nr. 7 lit. a) und b) BGB darf in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Verschuldenshaftung für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit nicht, für sonstige Schäden nur für den Fall einfacher Fahrlässigkeit ausgeschlossen oder begrenzt werden. Eine Begrenzung der Haftung in diesem Sinn ist auch die zeitliche Begrenzung der Durchsetzbarkeit entsprechender Schadensersatzansprüche durch Abkürzung der gesetzlichen Verjährungsfristen (BGH NJW 2009, 1486 m. w. N.). Da die in Art. XVI Abs. 2 der Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten enthaltene Klageausschlussfrist ausdrücklich für sämtliche Ansprüche – einschließlich Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche – gegen den Luftfrachtführer gelten soll, verstößt die Klausel gegen § 309 Nr. 7 lit. a) und b) BGB, weil diese inhaltlich unbegrenzte Haftungsbeschränkung auch vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzungen umfasst. Verstößt eine Formularbestimmung gegen ein Klauselverbot, so kann sie nur unter der Voraussetzung teilweise aufrechterhalten bleiben, dass sie sich nach ihrem Wortlaut aus sich heraus verständlich und sinnvoll in einen inhaltlich zulässigen und einen unzulässigen Regelungsteil trennen läßt (BGH, a. a. O.; Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 306 Rdnr. 6 lit. f.). Dies ist hier nicht möglich, weil es sich bei der von der Beklagten verwendeten Klausel um eine einheitliche, sämtliche denkbare Ansprüche einbeziehende Regelung handelt, in der gerade nicht zwischen verschiedenen Verschuldensformen differenziert wird. Um zu einer inhaltlich zulässigen Regelung zu gelangen, müsste die Kammer die Klageausschlussfrist um eine Ausnahmeregelung für die in § 309 Nr. 7 BGB genannten Haftungsfälle ergänzen. Dies käme allerdings einer geltungserhaltenden Reduktion gleich, die nach ständiger Rechtssprechung des BGH nicht in Betracht kommt (vg. BGH NJW 2007, 674; NJW 2009, 1486 ff.).

10. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

11. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

12. Die Revision ist nicht gemäß § 543 ZPO zuzulassen, weil die Frage, ob auch die zeitliche Begrenzung der Durchsetzbarkeit etwaiger Schadensersatzansprüche in allgemeinen Geschäftsbedingungen nach § 309 Nr. 7 BGB unwirksam sein kann, obergerichtlich geklärt ist (vgl. BGH, a. a. O.).

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