Vorliegen einer „unerwarteten“ schweren Erkrankung im Sinne einer Reiserücktrittskostenversicherung
AG Wiesbaden: Vorliegen einer „unerwarteten“ schweren Erkrankung im Sinne einer Reiserücktrittskostenversicherung
Ein Reisender buchte für sich und seine Frau bei einem Reiseveranstalter. Die Reise wurde mit einer Kreditkarte des Reiseveranstalters bezahlt, dadurch kam mit Abschluss des Vertrages auch ein Versicherungsvertrag hinsichtlich einer Reiserücktritt- und einer Reiseabbruchversicherung zustande.
Es kam zu einer unerwartet schweren Erkrankung der Frau und der Reisende musste die Reise stornieren, die Stornokosten zahlte er und stellte sie zur Erstattung beim Versicherer. Der Versicherer lehnte die Zahlung jedoch ab.
Der Reisende verklagte daraufhin den Versicherer vor dem Amtsgericht (kurz: AG) Wiesbaden und bekam recht.
AG Wiesbaden | 93 C 2924/12 (30) (Aktenzeichen) |
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AG Wiesbaden: | AG Wiesbaden, Urt. vom 17.12.2013 |
Rechtsweg: | AG Wiesbaden, Urt. v. 17.12.2013, Az: 93 C 2924/12 (30) |
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Leitsätze:
2. Vorerkrankungen, die keinerlei Anzeichen auf eine Verschlechterung des Zustandes zeigen und erst kurz vor Reisebeginn schlimm genug werden, dass sie eine Reise unmöglich machen sind als unerwartet schlimme Erkrankungen anzusehen.
Der Versicherer kann sich nicht auf vorhandene Vorerkrankungen berufen, die lange Zeiträume stabil waren und sich im Zeitraum zwischen Buchung und Reise erst verschlimmern, um die Erstattung von Stornokosten zu vermeiden.
Zusammenfassung:
3. Der Kläger buchte bei dem Reiseveranstalter A eine Reise für sich und seine Frau. Die Zahlung erfolgte mit der A Card Classic, in Folge dessen wurde mit der Buchung auch gleichzeitig ein Versicherungsvertrag hinsichtlich einer Reiserücktritt- und einer Reiseabbruchversicherung abgeschlossen. Der Reiseanstritt war für den 03.02.2012 angesetzt.
Die Frau des Klägers erlitt jedoch ein Pankreaskarzinom und musste daraufhin am 08.12.2011 operiert werden. Infolge dessen stornierte der Kläger die gebuchte Reise und bekam am 14.12.2011 Stornokosten in Höhe von 1.382,00 € in Rechnung gestellt. Der Kläger zahlte diesen Betrag und reichte ihn bei der Beklagten zur Erstattung ein.
Die Beklagte wies die Erstattung der Stornokosten zurück, da bereits im Januar 2010 ein kleiner Tumor in der Bauchspeicheldrüse der Frau des Klägers diagnostiziert wurde.
Der Kläger verklagte daraufhin die Beklagte vor dem AG Wiesbaden. Das Gericht stellte fest, dass der Tumor zwar diagnostiziert wurde, dieser jedoch als gutartig beurteilt wurde. Somit war, entgegen der Annahme der Beklagten, von einer unerwarteten schweren Erkrankung auszugehen. Das AG Wiesbaden verurteilte die Beklagte zur Zahlung der 1.382,00 € Stornokosten, sowie zur Zahlung der 211,22 € Anwaltskosten des Klägers.
Tenor
5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.382,-- € nebst Zinsen i. H. v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 28. Dezember 2011 zu bezahlen.
Die Beklagte wird weiterhin verurteilt, den Kläger von Honoraransprüchen für die vorgerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts D, Wiesbaden in Höhe von 211,22 € freizustellen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger gegen die Beklagte nur gegen Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages.
Tatbestand
6. Der Kläger buchte über den Reiseveranstalter A GmbH für sich und seine Ehefrau eine Reise. Der Kläger bezahlte die Reise mit der A Card Classic. Durch diese Zahlungsweise kam ein Versicherungsvertrag hinsichtlich einer Reiserücktritt- und einer Reiseabbruchversicherung zustande. Reiseantritt sollte der 3.02.2012 sein. Die Ehefrau des Klägers musste sich wegen eines Pankreaskarzinoms am 08.12.2011 einer Operation unterziehen. Der Kläger stornierte die gebuchte Reise. Der Reiseveranstalter A GmbH hat mittels Stornoabrechnung vom 14.12.2011 dem Kläger einen Betrag von 1.382,-- € in Rechnung gestellt. Diesen Betrag hat der Kläger an den Reiseveranstalter gezahlt und den gezahlten Betrag bei der Beklagten zur Erstattung eingereicht. Die Beklagte bedient sich zur Entgegennahme und Bearbeitung der Schadensmeldungen des Assekuranzmaklers der Firma B GmbH in S. Dieses Unternehmen hat mit Schreiben vom 27.12.2011 die Erstattung der Stornokosten zurückgewiesen. Die Ehefrau des Klägers wurde am 27.11.2011 stationär in die V-Kliniken aufgenommen.
8. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.382,00 € nebst Zinsen i. H. v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 28.12.2011 zu bezahlen,
9. sowie die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von Honoraransprüchen für die vorgerichtliche Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten in Höhe von 211,22 € freizustellen.
12. Die Beklagte ist der Auffassung nicht einstandsfähig zu sein, da eine Erkrankung vorlag, die vor Buchung der Versicherung bekannt gewesen sei. Bereits im Januar 2011 habe die Grunderkrankung vorgelegen.
Entscheidungsgründe
13. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das angerufene Gericht gem. § 215 Abs. 1 VVG zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen.
14. Die Klage ist auch begründet.
15. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte gem. § 1 VVG i. V. m. zwischen der Beklagen und der A GmbH (Versicherungsnehmer) abgeschlossenen Versicherungsvertrages. Aus § 1 der allgemeinen Versicherungsbedingungen ergibt sich, dass es sich bei dem abgeschlossenen Versicherungsvertrag um einen Vertrag zugunsten Dritter, nämlich des Klägers als versicherter Person handelt. Ausdrücklich wurde in § 1 der allgemeinen Versicherungsbedingungen die Wahrnehmung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag der versicherten Person übertragen.
16. Die Voraussetzungen, die eine Leistungspflicht der Beklagten begründen, liegen vorliegend vor. Nach § 1 der allgemeinen Versicherungsbedingungen handelt es sich bei der Zeugin M ebenfalls um eine versicherte Person, da sie neben dem Kläger als Inhaber einer gültigen A Card eine Mitreisende auf derselben Reisebestätigung war. In Person, der Zeugin M ist ein versichertes Risiko entsprechend § 2 der besonderen Bedingungen der Reiserücktrittsversicherung eingetreten, nämlich eine unerwartete schwere Erkrankung gem. § 2 Ziff. 1 c der besonderen Bestimmungen für die Reiserücktrittsversicherung.
17. Zu Unrecht ist die Beklagte der Auffassung, der Umstand, dass im Januar 2010 ein kleiner Tumor im Pankreas festgestellt wurde und bei einer weiteren Abklärung der Verdacht auf einen gutartigen Neuroendokrinentumor im Bereich der Bauchspeicheldrüse gestellt wurde, es rechtfertigt, davon auszugehen, dass keine unerwartete schwere Erkrankung i. S. d. Versicherungsbedingungen vorlag, die am 27.11.2011 zur stationären Aufnahme der Ehefrau des Klägers und am 08.12.2011 zu ihrer Operation führte.
18. Bei der Auslegung von Bedingungen einer Reiserücktrittsversicherung, die zum Schutz des Versicherers vor vorvertraglichen Risiken das Leistungsversprechen auf Krankheiten beschränken, deren Eintritt unerwartet war, ist auf die subjektive Sicht des Versicherungsnehmers oder der versicherten Person abzustellen. Andernfalls würde die dem Versicherer nach der gesetzlichen Konzeption des Versicherungsvertrags obliegende Gefahrtragung unzulässig auf den Versicherungsnehmer übertragen. Dies hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 21.09.2011 zu Aktenzeichen IV ZR 227/09 für die Reisekrankenversicherung entschieden. Nichts Anderes kann aber für die Reiserücktrittversicherung gelten. Bei dem Begriff der unerwarteten Erkrankung geht es nicht um einen sekundären Risikoausschluss, sondern um die primäre Risikobeschreibung. Bei dem Auslegungsmaßstab der hinsichtlich des Begriffs der unerwarteten schweren Krankheit zugrunde zu legen ist, kommt es nicht nur auf das Verständnis der durchschnittlichen versicherten Person, sondern auch auf deren Interessen an. Die berechtigten Interessen der durchschnittlichen versicherten Person sind nicht darauf gerichtet, dass der Versicherungsschutz davon abhängt, ob eine vertragsfremde Person bei Reisebuchung den späteren Krankheitseintritt erwartet hätte. Sein berechtigtes Interesse geht vielmehr dahin, dass es auf seine subjektive Beurteilung ankommt. Dies entspricht auch der Risikoverteilung zwischen versicherter Person und Versicherung. Die Versicherung soll davor geschützt werden, dass eine versicherte Person, die bei Reisebuchung erwarten konnte, dass sie aufgrund des bei Reisebuchung bereits im Kern angelegten Risikos die Reise nicht antreten kann. Mit anderen Worten soll der Versicherer vor einem unredlichen Handeln der versicherten Person geschützt werden.
19. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze gelangt das Gericht im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass mit der nach § 286 ZPO notwendigen Gewissheit feststeht, dass bei der Ehefrau des Klägers eine unerwartete schwere Erkrankung i. S. d. § 2 Ziff. 1 c der besonderen Bedingungen der Reiserücktrittsversicherung vorlag. Das Gericht stützt sich hierbei einerseits auf den hausärztlichen Befundbericht des behandelnden Arztes Dr. C vom 07.01.2012 (Bl. 78 d. A.) und andererseits auf die Bescheinigung der Dr. H. S. Kliniken vom 15.12.2011.
20. Im hausärztlichen Befundbericht des Dr. C wurde ausgeführt, dass zunächst ein gutartiger Tumor im Bereich der Bauchspeicheldrüse festgestellt wurde und der Ehefrau des Klägers ein abwartendes Verhalten empfohlen wurde. Erst im November 2011 sind therapieresistente Oberbauchschmerzen aufgetreten. Zu diesem Zeitpunkt wurde ärztlicherseits bei einer Kontrolluntersuchung der Verdacht auf ein Pankreaskarzinoms festgestellt. Darüber hinaus ergibt sich auch aus der von der Regulierungsgehilfin der Beklagten eingeholten ärztlichen Bescheinigung der V-Kliniken vom 15.12.2012 unter Ziffer 2.4. das vor dem Operationstermin am 08.12.2011 noch sicher mit dem planmäßigen Antritt gerechnet werden konnte und erst ab der Operation nicht mehr sicher mit dem planmäßigen Reiseantritt abgerechnet werden konnte. Vor diesem Hintergrund steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es sich bei der Erkrankung, die zur Stornierung der Reise geführt hat, um eine unerwartete schwere Erkrankung i. S. d. Versicherungsbedingungen der Beklagten gehandelt hat. Es besteht auch kein Ausschlussgrund i. S. d. § 3 Ziff. 2 der allgemeinen Bestimmungen über die Reiserücktrittsversicherung, denn unabhängig davon, ob dieser Risikoausschluss wirksam vereinbart wurde, ergibt sich aus den vorgelegten ärztlichen Attesten, dass zum Zeitpunkt der Buchung nicht mit der Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Ehefrau des Klägers zum Zeitpunkt der Buchung zu rechnen war.
21. Der Freistellungsanspruch hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Klägers ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzugschadenersatzes.
22. Die zugesprochenen Zinsen sind aus dem Gesichtspunkt der Verzugszinsen gerechtfertigt.
23. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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