Unerwartetheit einer Erkrankung

BGH: Unerwartetheit einer Erkrankung

Ein Versicherungsunternehmen legte Beschwerde vor dem Bundesgerichtshof (kurz: BGH) ein. Ihm wurde in einem Prozess kein Recht auf Revision eingeräumt.

Das BGH wies die Beschwerde zurück, das Urteil hinsichtlich der Leistungspflicht bei unerwartet schlimmer werdenden Vorerkrankungen blieb bestehen.

BGH IV ZR 227/09 (Aktenzeichen)
BGH: BGH, Urt. vom 15.06.2014
Rechtsweg: BGH, Urt. v. 15.06.2014, Az: IV ZR 227/09
OLG Köln, Urt. v. 30.10.2009, Az: 20 U 62/09
LG Bonn, Urt. v. 02.03.2009, Az: 9 O 485/07
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Bundesgerichtshof

1. Urteil vom 15. Juni 2014

Aktenzeichen IV ZR 227/09

Leitsätze:

2.Eine Reisekrankenversicherung erstattet dem Versicherten Behandlungskosten im Ausland, sollten diese während der Reise anfallen.

Ein Herzinfarkt aufgrund einer koronalen Vorerkrankung ist nicht als erwartete Konsequenz einer Reise anzusehen, wenn ärztliche Aussagen dem Reisenden die Reisetauglichkeit bestätigten.

Der Herzinfarkt nimmt in solch einem Fall die Versicherung in die Leistungspflicht.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin schloss bei der Beklagten eine Reisekrankenversicherung zum Preis von 286 € ab. Sie reiste am 28.09.2007 in Deutschland ein und erlitt am 05.10.2007 einen Herzinfarkt und musste deshalb einer Bypassoperation unterzogen werden. Die Behandlungskosten beliefen sich insgesamt auf 23.821,33 €. Die Klägerin sieht die Beklagte in der Pflicht, da ein Herzinfarkt aus ihrer Sicht nicht zu erwarten war.

Die Klägerin litt bereits zuvor unter einer koronalen Erkrankung, allerdings war sie nach ärztlichen Aussagen reisetauglich. Die Beklagte lehnte die Erstattung ab, da der Herzinfarkt ihrer Ansicht nach nicht unerwartet war.

Das Oberlandesgericht (kurz: OLG) Köln gab der Klägerin in einem Berufungsverfahren recht, zuvor unterlag die Klägerin vor dem Landgericht (kurz: LG) Bonn. Die Beklagte legte Beschwerde beim BGH ein, da die Revision nicht zugelassen wurde. Sie sah einen Rechtsfehler beim OLG Köln, da dieses den medizinischen Sachverständigen nicht anhören wollte.

Der BGH hatte die Beschwerde zurückgewiesen. Es sei kein Rechtsfehler gewesen den medizinischen Sachverständigen nicht anzuhören. Die Auslegung des Begriffes „unerwartet“ ist auf die subjektive Sicht des Versicherungsnehmers anzuwenden. Die objektive Sicht eines medizinischen Sachverständigen kann dazu nicht beitragen. Hätte die Klägerin einen Herzinfarkt erwartet, dann hätte sie aufgrund der damit einhergehenden Lebensgefahr die Reise nicht angetreten. Das Urteil des OLG Köln blieb rechtskräftig.

Tenor:

4. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 30. Oktober 2009 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Streitwert: 23.821,33 €.

Gründe:

5. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

6. Gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:

1.

7. Zwar ist – anders als das Berufungsgericht meint -​ bei der Auslegung von Bedingungen einer Reisekrankenversicherung, die zum Schutz des Versicherers vor vorvertraglichen Risiken das Leistungsversprechen auf Krankheiten beschränken, deren Eintritt nicht vorhersehbar oder „unerwartet“ war (hier: Teil B. § 1 Nr. 1 der „Versicherungsbedingungen Reise-​Versicherungen für Besucher der Bundesrepublik Deutschland – Reise-​Krankenversicherung“ -​ im Folgenden: AVB), auf die subjektive Sicht des Versicherungsnehmers oder der versicherten Person abzustellen (vgl. OLG Köln NVersZ 1999, 131, 132; OLG Hamm VersR 2001, 1229 f.; vgl. auch OLG Brandenburg VersR 2002, 350; Nies, NVersZ 2001, 535, 536). Anderenfalls würde die dem Versicherer nach der gesetzlichen Konzeption des Versicherungsvertrages obliegende Gefahrtragung unzulässig auf den Versicherungsnehmer übertragen (vgl. dazu Senatsurteil vom 2. März 1994 – IV ZR 109/93, VersR 1994, 549 unter 2).

2.

8. Die Nichtzulassungsbeschwerde legt aber nicht dar, dass dem Berufungsgericht damit ein entscheidungserheblicher Rechtsfehler unterlaufen wäre, der die Zulassung der Revision erfordert. Das Berufungsgericht ist von seinem Rechtsstandpunkt aus zu dem Ergebnis gelangt, der von der Versicherten während ihres Deutschlandaufenthalts erlittene Herzinfarkt sei ungeachtet ihrer – insbesondere auch koronaren – Vorerkrankungen „unerwartet“ eingetreten und mithin versichert.

9. Die zutreffende – subjektive – Auslegung des Begriffs „unerwartet“ führt zu keinem anderen Ergebnis. Auch sie erforderte es nicht, den medizinischen Sachverständigen zu der Frage zu hören, inwieweit die Vorerkrankungen der Versicherten und der mit der Reise von den Philippinen nach Deutschland verbundene Klimawechsel ihr Herzinfarktrisiko nach medizinischem Ermessen objektiv erhöht hatten (vgl. dazu auch OLG Köln NVersZ 1999, 131 ff.). Entscheidend wäre allein gewesen, welche Informationen dem Versicherungsnehmer und der Versicherten durch behandelnde Ärzte konkret gegeben worden waren. Dass der Sachverständige nicht angehört worden ist, stellt deshalb keine entscheidungserhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten dar.

10. Die Nichtzulassungsbeschwerde zeigt auch im Übrigen keine Umstände auf, die den Schluss nahelegen, der Versicherungsnehmer oder die Versicherte hätten mit einem Herzinfarkt während des Deutschlandaufenthalts gerechnet. Dagegen spricht vor allem, dass die Versicherte ungeachtet der Lebensgefahr, die mit einem Herzinfarkt verbunden sein kann, ihre Reise angetreten hat.

3.

11. Ob der Herzinfarkt „absehbar“ im Sinne des Leistungsausschlusses des § 1 Nr. 2 a) Satz 1 AVB war, kann dahin stehen. Beim Vergleich der Leistungsbeschreibung des § 1 Nr. 1 AVB mit dem Risikoausschluss in § 1 Nr. 2 a) Satz 1 AVB erkennt der durchschnittliche Versicherungsnehmer, dass akute, mithin im versicherten Zeitraum neu und plötzlich auftretende Erkrankungen Versicherungsschutz genießen, während die Behandlung bereits bestehender und bekannter Vorerkrankungen einschließlich möglicher Behandlungsfolgen vom Versicherungsschutz ausgenommen ist. Er wird daher annehmen, dass eine akute, unerwartete Erkrankung i.S. des § 1 Nr. 1 AVB etwas anderes ist als die bekannten Beschwerden, Erkrankungen und Verletzungen, denen der Leistungsausschluss allein gilt.

12. Das Berufungsgericht hat deshalb zutreffend zwischen erstattungsfähigen Kosten für die Behandlung der akuten Erkrankung (des Herzinfarktes) und nicht erstattungsfähigen Kosten für die Behandlung der bekannten Vorerkrankungen unterschieden. Dass es den Herzinfarkt der Versicherten als bedingungsgemäß akute Erkrankung eingestuft hat, nimmt die Nichtzulassungsbeschwerde ausdrücklich hin.

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