Verspätung wegen Enteisung

AG König Wusterhausen: Verspätung wegen Enteisung

Ein Fluggast verlangt von seiner Airline eine Ausgleichszahlung, weil der von ihm gebuchte Flug, wegen einer Vereisung der Maschine, erst mit einer mehr als 3-stündigen Verspätung durchgeführt werden konnte.

Das Amtsgericht König Wusterhausen hat dem Kläger Recht zugesprochen. In der Vereisung eines Flugzeugs sei ein vorhersehbarer Umstand zu sehen, der keine Haftungsbefreiung zur Folge hätte.

Amtsgericht König Wusterhausen 20 C 83/11 (Aktenzeichen)
AG König Wusterhausen: AG König Wusterhausen, Urt. vom 03.05.2011
Rechtsweg: AG König Wusterhausen, Urt. v. 03.05.2011, Az: 20 C 83/11
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Amtsgericht König Wusterhausen

1. Urteil vom 03. Mai 2011

Aktenzeichen: 20 C 83/11

Leitsatz:

2. Die Enteisung eines Flugzeuges stellt keinen haftungsbefreienden außergewöhnlichen Umstand dar.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger buchte bei der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen, einen Flug. Dieser Flug wurde mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden durchgeführt, weil das betroffene Flugzeug vor dem Start von einer Eisschicht befreit werden musste. Der Kläger verlangt deswegen nun eine Ausgleichszahlung im Sinne von Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004.

Die Beklagte weigerte sich der Zahlung und verweist auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004.

Das Amtsgericht König Wusterhauen hat dem Kläger Recht zugesprochen und ihm die begehrte Ausgleichszahlung bewilligt. Ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 liege lediglich dann vor, wenn der, den Abflug verhindernde Umstand für das Unternehmen nicht vorhersehbar sei.

Die Enteisung eines Flugzeuges sei für das Luftfahrtunternehmen jedoch vorhersehbar und leicht in den Zeitplan aufzunehmen. Der Vorgang der Enteisung gehöre zum regulären Flugbetrieb und müsse von dem Luftfahrtunternehmen so durchgeführt werden, dass der Flug mit der enteisten Maschine rechtzeitig durchgeführt werden könne.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1. und den Kläger zu 2. jeweils 400,- €, an den Kläger zu 2. weitere 97,40 €, jeweils nebst 5 Prozentpunkten Zinsen jährlich über dem Basiszinssatz seit dem 21. Januar 2011 zu zahlen.

Mit der weitergehenden Klage werden die Kläger abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu 17 % und die Beklagte zu 83 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin zu 1. gegen Sicherheitsleistung von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zu 1. vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers zu 2. gegen Sicherheitsleistung von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zu 2. vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten um Ausgleichsansprüche wegen der Annullierung von Flügen nach EGV Nr. 261/2004.

6. Die Kläger buchten über den Reiseveranstalter … für den 09. Dezember 2010 einen Flug von Berlin-Schönefeld nach Hurghada in Ägypten. Planmäßige Abflugzeit war 9:25 Uhr mit planmäßiger Ankunftszeit 15:05 Uhr in Ägypten. Nach Einchecken der Kläger am Flughafen in Schönefeld teilte die Beklagte zunächst mit, dass der Flug sich verspäten werde. Um 18:00 Uhr wurde der Flug durch die Beklagte annulliert. Erst am nächsten Tag wurden die Kläger durch die Beklagte an ihr Reiseziel verbracht.

7. Die Kläger fuhren nach Annullierung des Fluges mit dem Taxi vom Flughafen nach Hause und am nächsten Tag wiederum zum Flugplatz, wofür der Kläger zu 2. insgesamt 97,40 € aufwandte.

8. Die Kläger begehren mit der Klage die Pauschale nach EGV Nr. 261/2004 Art. 7, unter Berücksichtigung der Flugstrecke von 3.269 Kilometern jeweils einen Betrag von 400,- €, darüber hinaus die Erstattung der aufgewandten Taxikosten für Ab- und Anreise zum Flughafen. Darüber hinaus machen sie vorgerichtliche Anwaltskosten geltend. Wegen der Berechnung im Einzelnen wird auf Seite fünf und sechs (Blatt 5/6 d. A.) der Klageschrift Bezug genommen.

9. Die Kläger beantragen die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1. einen Betrag in Höhe von 400,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Januar 2011 zu zahlen,

10. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 2. einen Betrag in Höhe von 497,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Januar 2011 zu zahlen,

11. ferner,

12. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu 1. in Höhe von 96,39 € sowie den Kläger zu 2. in Höhe von 96,39 € von der Zahlung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten der … Rechtsanwälte freizustellen.

13. Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.

14. Sie ist mit näheren Ausführungen der Auffassung, das AG Königs Wusterhausen sei örtlich nicht zuständig. Darüber hinaus sei die Klage unschlüssig, weil Klage weder der Flugschein noch die bestätigte Buchung vorgelegen habe. Ansprüchen aus EGV Nr. 261/2004 stehe entgegen, dass der Flug aufgrund eines außergewöhnlichen Umstandes verspätet durchgeführt worden sei. Die mit der Enteisung des Flugzeugs beauftragte Firma … … habe nicht über hinreichende Mengen an Enteisungsflüssigkeit verfügt, weil die Witterungsverhältnisse zu Lieferengpässen bei den Herstellern der entsprechenden Flüssigkeiten geführt hätten. Wegen des frühen Wintereinbruchs in Europa habe der Hersteller seine vertragliche Verpflichtung, innerhalb von 24 Stunden Enteisungsflüssigkeit nachliefern zu können, bereits seit Anfang Dezember 2010 nicht mehr einhalten können. Am 09. Dezember 2010, dem gebuchten Flugtag, hätten bei der Firma … neun Bestellungen für die beiden Flughäfen in Berlin ausgestanden. Sie, die Beklagte, sei über den Umstand, dass Enteisungsflüssigkeit nicht zur Verfügung stehe, erst gegen 13:48 Uhr durch … unterrichtet worden.

15. Die Erstattung von Anwaltskosten stehe den Klägern nicht zu, weil EGV Nr. 261/2004 eine solche Erstattung nicht vorsehe. Darüber hinaus sei der angesetzte Gebührenrahmen mit dem 1,5-fachen Satz überhöht. Schließlich bestreitet sie eine getrennte Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Kläger vorgerichtlich durch diese.

16. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf deren gewechselte Schriftsätze, jeweils nebst Anlagen, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

17. Die Klage ist zulässig und begründet.

18. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Klage schlüssig. Die Kläger haben vorgetragen, welcher Flug annulliert worden ist.

19. Den Klägern steht auch jeweils ein Anspruch auf die Pauschale nach EGV Nr. 261/2004 Art. 5 Abs. 1 c) i. V. m. Art. 7 Abs. 1 b) von jeweils 400,- € zu. Die Beklagte kann sich auch nicht auf außergewöhnliche Umstände im Sinne des EGV Nr. 261/2004 Art. 5 Abs. 3 berufen. Soweit sie geltend macht, dass aufgrund der Witterungsverhältnisse Voraussetzung für die Aufnahme des Fluges die Enteisung des Flugzeuges erforderlich gewesen sei, indessen durch das entsprechend beauftragte Unternehmen keine hinreichende Enteisungsflüssigkeit vorrätig gehalten wurde, sodass die Enteisung der Maschine nicht möglich gewesen sei, liegt dieser Umstand im alleinigen Verantwortungsbereich der Beklagten. Es kann dahinstehen, ob schon nur die Witterungsverhältnisse, über einen längeren Zeitraum Temperaturen deutlich unter dem Gefrierpunkt, die die Beklagte im Übrigen schon nicht hinreichend substantiiert dargelegt hat, die Annahme außergewöhnlicher Umstände tragen. Der Umstand, dass die mit der Bereitstellung des Enteisungsmittels und der Enteisung beauftragte Firma auf die Witterungsverhältnisse nicht vorbereitet war und deshalb die Enteisung gegenüber der Beklagten nicht vertragsgemäß erbringen konnte, ist kein außergewöhnlicher Umstand.

20. Das Fluggerät technisch in einem flugbereiten Zustand zu halten, die die Beförderung der Fluggäste zum vereinbarten Zeitpunkt ermöglicht, liegt im alleinigen Verantwortungsbereich der Beklagten. Wenn sie diese Aufgabe – aus Kostengründen – an Dritte delegiert, muss sie sich deren Versagen vollumfänglich zurechnen lassen. Dass die Unmöglichkeit, über die erforderliche Menge an Enteisungsflüssigkeit zu verfügen und daher nicht in der Lage zu sein, der vertraglichen Verpflichtung der rechtzeitigen Enteisung nachzukommen, so dass die Beklagte wiederum ihrerseits die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Klägern nicht zu erfüllen vermochte, auf Umständen beruht, die für die beauftragte Firma … einen außergewöhnlichen Umstand darstellte, ist substantiiert nicht dargetan. Dass Flugzeuge in kalten Jahreszeiten, insbesondere in der Kernzeit des Winters der vorherigen umfassenden Enteisung bedürfen, darf inzwischen als allgemeinkundig angesehen werden. Insbesondere die Beklagte als auch die beauftrage … mussten dies zuvörderst wissen. Es oblag ihnen, die umfassende und jederzeitige Versorgung mit Enteisungsflüssigkeiten hinreichend sicherzustellen. Wenn die Beklagte die Aufgabe der Enteisung an Dritte delegiert und diese, unter Berücksichtigung gegebenenfalls der Witterungsbedingungen früherer Winter im Zweifelsfalle aus Kostengründen die erforderlichen Mengen nicht frühzeitig bestellt und/oder bevorratet, unterliegt dies dem alleinigen Risiko der Beklagten.

21. Dem Kläger zu 2. steht darüber hinaus aus EGV Nr. 261/2004 Art. 5 Abs. 1 b) i. V. m. Art. 9 Abs. 1 c) die Erstattung der Kosten für die Taxifahrt vom Flughafen nach Hause und am Folgetag von zu Hause zum Flughafen zu.

22. Der Zinsanspruch folgt jeweils aus Verzug, §§ 286, 288 BGB.

23. Wegen der mit der Klage verfolgten Erstattung der Kosten der vorgerichtlichen Tätigkeit ihrer Prozessbevollmächtigten waren die Kläger indessen mit der Klage abzuweisen. Eine Erstattung der Kosten kommt als Schadensersatzanspruch in Betracht, soweit deren Erstattung in den Schutzbereich der verletzten Norm fällt. Dies ist bei Ansprüchen aus EGV Nr. 261/2004, wie die Beklagte zu Recht geltend macht, nicht der Fall.

24. Ansonsten können solche Kosten nur aus Verzug, § 286 BGB, geltend gemacht werden. Das allerdings setzt voraus, dass sich die Beklagte bei Beauftragung in Verzug befand. Dass die Kläger vor Einschaltung ihrer Prozessbevollmächtigten die Beklagte gemahnt und damit in Verzug gesetzt hätten, ist indessen weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

25. Nur ergänzend und ohne dass es nach dem Vorstehenden noch darauf ankommt: Die Beklagte hat eine getrennte Beauftragung bestritten, ohne dass die Kläger hierzu weiter vorgetragen hätten. Dann allerdings wäre ohnehin nur die einmalige Vergütung in Verbindung mit der Erhöhung für einen zweiten Mandanten zur Erstattung in Betracht gekommen. Darüber hinaus liegen erkennbar die Voraussetzungen für die durch die Kläger geltend gemachte Gebührenerhöhung über den Mittelsatz von 1,3 hinaus nicht vor. Bei Rechtsstreitigkeiten nach der hier anzuwendenden Verordnung handelt es sich regelmäßig nicht um besonders schwierige Sachen. Dies gilt insbesondere für den vorliegenden Fall.

26. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

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