Schadensersatz für fehlende Gegenstände im Fluggepäck

AG Köln: Schadensersatz für fehlende Gegenstände im Fluggepäck

Der Kläger hatte bei der Beklagten eine Flugreise in die Türkei gebucht. Ein beim Abflug als Gepäck aufgegebener Koffer kam nur verspätet und laut Kläger mit fehlenden Gegenständen an. Dies meldete der Kläger telefonisch der Beklagten und der Polizei. Er forderte nach der Rückkehr nach Deutschland Schadensersatz in Höhe von 1.213,00 Euro für die verloren gegangenen Gegenstände sowie Ersatzanschaffungen aus dem Montrealer Übereinkommen für Beschädigungen des Reisegepäcks.

Das Gericht wies diese Klage ab. Nach dem Montrealer Übereinkommen (MÜ) seien Schadensersatzforderungen innerhalb von sieben Tagen nach Kenntnisnahme schriftlich einzureichen. Dies ist nicht geschehen. Daher habe der Kläger keinen Anspruch auf Schadensersatz.

AG Köln 142 C 57/16 (Aktenzeichen)
AG Köln: AG Köln, Urt. vom 06.03.2017
Rechtsweg: AG Köln, Urt. v. 06.03.2017, Az: 142 C 57/16
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Amtsgericht Köln

1. Urteil vom 06. März 2017

Aktenzeichen 142 C 57/16

Leitsätze:

2. Der Reiseveranstalter unterliegt keiner Informationspflicht über die siebentägige Frist aus Art. 31 Abs. 2 S. 1 des Montrealer Übereinkommens für Beschädigungen des Reisegepäcks.

Arglist nach Art. 31 Abs. 4 des Übereinkommens ist aufgrund des autonomen Charakters des Übereinkommens nicht mit Analogien aus dem deutschen Zivilrecht zu definieren.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger hatte bei der Beklagten eine Flugreise von Köln nach Bodrum (Türkei) gebucht. Ein beim Abflug als Gepäck aufgegebener Koffer kam nur verspätet und laut Kläger mit fehlenden Gegenständen an. Dies meldete der Kläger telefonisch der Beklagten und der Polizei. Er forderte erst nach der Rückkehr nach Deutschland Schadensersatz von der Beklagten. Die Beklagte antwortete, dass für solche Schadensersatzforderungen eine siebentägige Anzeigefrist bestehe und lehnte deshalb die Zahlung von 1.059,00 Euro für die verloren gegangenen Gegenstände ab. Die Beklagte zahlte aber 154,00 Eurofür die aufgrund der Verspätung nötig gewordenen Neuanschaffungen. Der Kläger erhob hinsichtlich der nicht gezahlten 1.059,00 Euro für die verloren gegangenen Gegenstände Klage und forderte Zahlung gem. dem Montrealer Übereinkommen für Beschädigungen des Reisegepäcks.

Das Gericht wies diese Klage ab. Das Montrealer Übereinkommen (MÜ) sei grundsätzlich anwendbar, da Deutschland und die Türkei Vertragsstaaten seien. Nach dem seien Schadensersatzforderungen aber innerhalb von sieben Tagen nach Kenntnisnahme schriftlich einzureichen. Dies ist nicht geschehen. Die Beklagte treffe keine Informationspflicht über diese Frist. Es sei auch nicht festzustellen, dass die Beklagte die Frist dem Kläger arglistig verschwiegen habe. Nach der Zeugenaussage der Ehefrau des Klägers habe die Hotlinemitarbeiterin der Beklagten lediglich für die Strafanzeige bei der Polizei den Hinweis gegeben, diese nach der Rückkehr nach Deutschland vorzunehmen. Über die Begründung eines Schadensersatzanspruches gegen die Beklagte sei nicht gesprochen worden und daher auch keine arglistige Fehlinformation geschehen.  Daher habe der Kläger keinen Anspruch auf Schadensersatz, da er die Anzeige an die Beklagte nicht rechtzeitig in der richtigen Form vorgenommen hat.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages geleistet hat.

Tatbestand

5. Der Kläger nimmt die Beklagte, eine Fluggesellschaft, auf Schadensersatz aufgrund des Verlustes von Reisegepäck in Anspruch.

6. Der Kläger buchte bei der Beklagten eine Flugreise für sich und seine Familie vom 12.07.2015 bis zum 02.08.2015 von Köln über München nach Bodrum. Am Flughafen Köln-Bonn gab der Kläger bei der Beklagten am Reisetag vier Koffer auf, von denen einer die Gepäckscheinnummer XX 000000 erhielt. Die Beklagte verwendet Allgemeine Geschäftsbedingungen (ABB Flugpassage), in denen unter 15.1. geregelt ist, dass bei Gepäckschäden jede Klage ausgeschlossen ist wenn nicht bei internationalen Reisen jedenfalls spätestens sieben Tage nach der Gepäckannahme dem Luftfrachtführer Anzeige erstattet wird, wobei die Schadensmeldung schriftlich erfolgen muss. Wegen der weiteren Einzelheiten der ABB wird auf Bl. 44 ff d.A. Bezug genommen. Bei Ankunft des Klägers am Zielort fehlte der Koffer mit der Gepäckscheinnummer XX 000000. Der Kläger meldete dies vor Ort am Lost & Found-Schalter. Der Koffer wurde am 14.07.2015 in das Hotel des Klägers nachgeliefert. Der Kläger öffnete den Koffer im Beisein des Rezeptionsmitarbeiters und stellte fest, dass diverse Gegenstände aus dem Koffer fehlten. Er wandte sich telefonisch an die Customer Relations-Rufnummer der Beklagten und informierte über den teilweisen Verlustes des Kofferinhaltes. Weiter erstattete der Kläger am 15.07.2015 Anzeige bei der Polizei in Marmaris. Bei seiner Rückkehr in Deutschland wandte er sich erneut telefonisch an die Customer Relations-Hotline. Dort erhielt er die Information, er müsse seine Meldung schriftlich verfassen.

7. Mit Schreiben vom 03.08.2015 an die Beklagte forderte der Kläger sodann Schadensersatz für die fehlenden Gegenstände sowie Erstattung der für die Zeit vom 12.07.2015 bis 14.07.2015 verauslagten Beträge für Kleidung und Hygieneartikel seiner Ehefrau, die aufgrund des verspäteten Eintreffens des Koffers entstanden waren. Er überließ hierzu eine Schadensaufstellung sowie Quittungen, soweit vorhanden, und bezifferte den Gesamtschaden mit 4.078 Euro. Die Beklagte wies mit Schreiben vom 12.08.2015 unter Hinweis auf eine siebentägige Anzeigefrist für Schäden von Reisegepäck die Schadensersatzansprüche für den Verlust der Koffergegenstände zurück. Sie zahlte an den Kläger 154,00 Euro auf die seitens des Klägers in Hinblick auf den verspätet abgegebenen Koffer getätigten Ersatzkäufe im Wert von 456,20 türkische Lira.

8. Der Kläger behauptet, dass der teilweise Verlust des Kofferinhaltes in der Obhut der Beklagten eingetreten und auf ein leichtfertiges Verhalten der Beklagten zurückzuführen sei. Im Rahmen des Telefonates mit der Customer-Relations-Hotline der Beklagten vom 14.07.2015 sei er dahingehend informiert worden, er solle vor Ort Anzeige erstatten und sich nach Urlaubsrückkehr mit seiner Strafanzeige sowie der Schadensaufstellung erneut an die Customer-Relations-Hotline wenden. Von einer siebentägigen Frist zur Schadensanzeige habe der Kläger erst mit Schreiben der Beklagten vom 12.08.2015 Kenntnis erlangt. Der Kläger behauptet, dass sich in dem Koffer folgende Gegenstände befunden hätten: A. Denim Schuh für 121,90 Euro, B.- Umhängetasche für 124,95 Euro, Sommerschal für 300,00 Euro, C.- Poch XXX XX für 325,00 Euro, C.- Monogramm Tasche für 1.330,00 Euro, D.- Sonnenbrille für 108,00 Euro, Parfum und Rouge für 90,00 Euro zwei Hosen für 200,00 Euro, eine Bluse für 39,95 Euro sowie Schmuck im Wert von 1.000,00 Euro. Hinzu komme als Schaden eine Beschädigung an dem Koffer, die 95,00 Euro ausmache und eine Kostenpauschale in Höhe von 25,00 Euro. Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm der nach Ziffer 14.4.2 ABB maximale Betrag für Verspätungsschäden in Höhe von 1.213,00 Euro abzüglich gezahlter 154,00 Euro, insgesamt 1.059,00 Euro als Schadenersatz zu stehe.

9. Der Kläger beantragt,

10. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.059,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2015 nebst vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 201,71 Euro zu zahlen.

11. Die Beklagte beantragt,

12. die Klage abzuweisen.

13. Sie ist der Ansicht, dass die schriftliche Schadensanzeige des Klägers vom 03.08.2015 aufgrund der siebentägigen Anzeigefrist aus Art. 31 Abs. 2 S. 1 des Montrealer Übereinkommens für Beschädigungen des Reisegepäcks verfristet sei. Eine Hinweispflicht auf diese Frist durch die Beklagte bestehe nicht. Wenn sie bestünde habe die Beklagte diese Pflicht durch die Einbeziehung der ABB Flugpassage erfüllt. Die Beklagte ist weiter der Ansicht, dass sich der Kläger in Hinblick auf den Schmuck und die C.-Tasche ein Mitverschulden anrechnen lassen müsse, da diese nicht ins Reisegepäck gehörten.

14. Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 18.07.2016 (Bl. 64 ff. d.A.) durch Vernehmung der Zeugin E. und F. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 16.11.2016 auf die Zeugin F. verzichtet. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 24.10.2016 (Bl. 83 ff d.A.) verwiesen.

15. Weiter wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16. Die Klage ist unbegründet.

17. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung eines Schadensersatzes für den Teilverlust von Gepäckinhalt, die Beschädigung des Koffers sowie Ersatzkäufe anlässlich des bei der Beklagten für den 12.07.2015 gebuchten Fluges in die Türkei gemäß Artikel 17, 19 des Montrealer Übereinkommens ( im Folgenden: MÜ) in Höhe von 1.059,00 Euro.

18. Der Anspruch auf Schadenersatz für den Verlust von Gepäckinhalt und die Beschädigung des Koffers gemäss Art. 17 MÜ anlässlich des bei der Beklagten gebuchten und von ihr ausgeführten Fluges von Köln über München nach Bodrum am 12.07.2015 scheitert daran, dass der Kläger den Verlust von Teilen des Gepäckes und die Beschädigung nicht innerhalb von sieben Tagen nach Entgegennahme des Koffers der Beklagten gegenüber schriftlich gemäss Art. 31 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 MÜ anzeigte und eine solche Anzeige auch nicht entbehrlich war.

19. Der Kläger war verpflichtet den von ihm behaupteten Verlust von Gegenständen aus dem bei der Beklagten für den Flug nach Bodrum am 12.07.2015 aufgegebenen und am 14.07.2015 ausgelieferten Koffer sowie dessen Beschädigung binnen sieben Tagen gemäss Art. 31 Abs. 2 Satz 1 MÜ schriftlich anzuzeigen, um seine Ansprüche auf Schadenersatz gegen die Beklagte nach Art. 17 MÜ zu erhalten. Die Anzeige vom 03.08.2015 war verspätet.

20. Das ist gemäss Art. 1 Abs.1 MÜ auf die Luftbeförderung von Reisegepäck auf Flüge zwischen Deutschland und der Türkei anwendbar, da beide Staaten Vertragsstaaten des sind. Nach Art. 17 haftet der Luftfrachtführer für Schäden, die durch Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von aufgegebenem Reisegepäck entstehen. Im Fall einer Beschädigung des Gepäckes muss der Empfänger des Gepäckes gemäss Art. 31 Abs. 2 S. 1 MÜ unverzüglich nach Entdeckung des Schadens, bei aufgegebenem Reisegepäck jedenfalls binnen sieben Tagen nach der Annahme, dem Luftfrachtführer Anzeige erstatten. Gemäß Art. 31 Abs. 3 MÜ muss eine solche Beanstandung schriftlich erfolgen. Die Anzeigepflicht gilt auch für den Verlust von Gepäckstücken aus einem Koffer, da dies ein Unterfall der Beschädigung darstellt. (Reuschle, Montrealer Übereinkommen, 2.Aufl., Art. 31 Rn 18 f.; EBJS/Pokrant, MontrealÜb, Art. 31 Rn. 8). Der Grund für die Ausdehnung der Anzeigepflicht auf diese Fälle liegt darin, dass ein Entfallen der Anzeigepflicht nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen der Luftfrachtführer wie bei der Zerstörung oder dem Verlust ganzer Fracht- oder Gepäckstücke diese selbst nachvollziehen kann, während bei dem Verlust von einzelnen Gegenständen aus einem Koffer dem Frachtführer diese Möglichkeit fehlt, er hat keine Kenntnis von dem konkreten Inhalt eines Koffers und darf hiervon auch nicht Kenntnis nehmen. In diesen Fällen ist der Luftfrachtführer auf eine schnelle Information durch den Fluggast angewiesen, um die zu einer Beweissicherung erforderlichen Massnahmen zu treffen.

21. Vorliegend trägt der Kläger das Abhandenkommen von einzelnen Gegenständen aus dem verspätet ausgelieferten Koffer vor, so dass ein Teilverlust nach den o.g. Grundsätzen vorliegt. Der Kläger hätte demnach nach Art. 31 Abs. 2 MÜ den Verlust innerhalb von sieben Tagen nach Entdeckung am 14.07.2015 schriftlich bei der Beklagten anzeigen müssen. Dies ist unstreitig nicht geschehen, vielmehr erfolgte die schriftliche Anzeige bei der Beklagten erst am 03.08.2015 und damit erst 20 Tage nach Entgegennahme des Gepäckstückes.

22. Die schriftliche Anzeige war nicht entbehrlich. Weder ersetzt die Meldung bei „Lost and Found“ noch die Anzeige bei der Polizei die schriftliche Anzeige bei der Beklagten.

23. Die am 12.07.2015 am Flughafen erstatte Verlustmeldung und die mit Datum vom 15.07.2015 bei der Polizei erstattete Anzeige können die fehlende schriftliche Anzeige nach Art. 31 Abs. 2 MÜ nicht ersetzen. Die Verlustanzeige im Flughafen (sog. property irregularity report – PIR) löst nur eine allgemeine Nachforschung nach dem verloren gegangenen Gepäckstück aus, setzt aber keine Erkundigungen des Luftfrachtführers wegen der Ursachen einer konkret beschriebenen Beschädigung oder dem Abhandenkommen des konkreten Inhaltes von einzelnen Reisegepäckstücken in Gang. Bei der Meldung des Fehlens von ganzen Gepäckstücken im Sinne eines Totalverlustes liegt noch kein Umstand vor, der auf eine innerhalb von sieben Tagen anzeigepflichtige Beschädigung an einem Gepäckstück hindeutet. Da der Polizei lediglich die Ermittlung des Täters obliegt und sie keine Aufgabe in der Abwicklung von Schadensersatzansprüchen zwischen den Vertragspartnern eines Luftbeförderungsvertrages wahrnimmt, kann auch die Anzeige bei der Polizei eine Anzeige gegenüber der Fluggesellschaft nicht ersetzen, (LG Frankfurt, Urteil vom 23.03.2012 – 2-24 O 290/11 -, zitiert nach juris). Insbesondere erfüllt die polizeiliche Anzeige nicht den Zweck der Anzeige nach dem , der wie dargelegt darin besteht dem Luftfrachtführer zeitnahe Nachforschungen und Ermittlungen zu den Ursachen der Beschädigung bzw. des Abhandenkommens von Teilen des Gepäckes zu ermöglichen.

24. Das Klagerecht des Klägers bleibt trotz Fristversäumnis nicht deshalb erhalten, weil die Beklagte arglistig im Sinne von Art. 31 Abs. 4 MÜ gehandelt hätte, weil sie den Kläger nicht oder nicht ausreichend über seine Pflichten informierte bzw. ihm durch eine falsche Auskunft von einer rechtzeitige Anzeige abhielt.

25. Ein arglistiges Verhalten der Beklagten kann nicht darin gesehen werden, dass die Beklagten den Kläger nicht ausreichend über seine Rechte und Pflichten bei Gepäckverlust, insbesondere nicht ausreichend über die nach Art. 31 Abs. 2 MÜ einzuhaltenden Pflichten aufgeklärt hätte. Zwar kann sich ein arglistiges Verhalten auch aus der Verletzung von Hinweispflichten ergeben, indes bestand keine gesetzliche Pflicht der Beklagten zu einer Information über die aus Art. 31 Abs. 2 MÜ resultierenden Pflichten und steht der Annahme einer vertraglichen Pflicht zur Information über die Fristen des Art. 31 Abs. 2 MÜ dem abschliessenden Charakter des entgegen.

26. Nach Art. 31 Abs. 4 MÜ führt die Versäumung der Anzeigefrist zu einem Verlust des Klagerechtes gegen den Luftfrachtführer. Als einzige Ausnahme lässt das arglistiges Verhalten des Luftfrachtführers gelten. Arglist setzt aber ein bewusstes Handeln voraus. Im Rahmen des Art. 31 Abs. 4 MÜ handelt demnach der Luftfrachtführer arglistig, wenn der Luftfrachtführer den Empfänger des Gepäcks in irgendeiner Weise schuldhaft daran gehindert hat, die Anzeige in der vorgeschriebenen Frist zu erstatten. (MüKoHGB/Ruhwedel MÜ Art. 31 Rn. 30-32, Reuschle, a.a.O, Rn 41; EBJS/Pokrant, MontrealÜb, Art. 31 Rn. 24). Da Arglist Vorsatz voraussetzt, genügt Fahrlässigkeit nicht. Welcher Art das schuldhafte Verhalten ist, ist dem nicht zu entnehmen. Es ist jedoch anerkannt, dass eine widerlegbare Vermutung für eine unverschuldete Versäumung einer Frist besteht, wenn die Säumnis darauf zurückzuführen ist, dass die Frist betreffende Informations- und Hinweispflichten pflichtwidrig verletzt wurden. So verpflichtet z.B. § 6 Abs. 2 Nr. 8 BGB Info VO – mit dem die EG Richtlinie 90/314 Pauschalreiserechts-Richtlinie umgesetzt wurde – den Reiseveranstalter zur Information des Reisenden über die einmonatige Anmeldefrist des § 651 g BGB und führt das Unterlassen dieses Hinweises dazu, dass ein Versäumung der Frist unverschuldet ist (BGH, NJW 2007, 2549). In Bezug auf die Frist des Art. 31 Abs. 4 MÜ fehlt es aber an einer der BGB Info VO entsprechenden gesetzlichen Pflicht zur Information. Das selbst regelt keine Hinweis- oder Informationspflichten über die im enthaltenen Fristen. Eine Hinweispflicht ergibt sich auch nicht aus EG VO 889/2002 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass Art. 6 Abs. 1 der VO nur anordnet, dass alle Luftfahrtunternehmen, die in der Gemeinschaft Luftbeförderungen gegen Entgelt anbieten, sicher zu stellen haben, „dass den Fluggästen an allen Verkaufsstellen, auch beim Verkauf per Telefon oder Internet, eine Zusammenfassung der wesentlichen Bestimmungen über die Haftung für Schäden der Fluggäste und an deren Reisegepäck, einschließlich der Fristen für die Erhebung von Schadensersatzklagen und der Möglichkeit der Abgabe einer besonderen Erklärung zum Reisegepäck, bekannt gegeben wird“, aber „diese Zusammenfassung oder Hinweise …. weder als Grundlage eines Schadensersatzanspruchs noch zur Auslegung dieser Verordnung oder des Übereinkommens von Montreal herangezogen werden“ können. Zum einen erfasst damit die Verordnung die Frist zur Anzeige nach Art. 31 Abs. 4 MÜ nicht, sondern nur die Frist zur Klageerhebung nach Art. 35 MÜ, zum anderen schliesst die Verordnung gerade aus, dass ein Verstoß gegen eine aus der Verordnung resultierende Informationspflicht bei der Auslegung des zu beachten ist. Gerade diese Auslegungsregel zeigt aber, dass der europäische Gesetzgeber das Problem der Rechtsfolgen bei einer Informationspflichtverletzung in Bezug auf Fristversäumnisse im Rahmen des erkannt hat, jedoch eine Regelung insoweit in Hinblick auf die Exklusivität des bewusst unterlassen hat. Wegen des eigenständigen, autonomen und abschliessenden Charakters des ist auch für eine etwaige analoge Anwendung der Rechtsprechung des BGH zu den Rechtsfolgen einer Verletzung von Informationspflichten aus der BGB Info VO im Rahmen der Fristen des kein Raum. Der abschliessende Charakter des , der sich auch aus Art. 29 MÜ ergibt, wonach Ansprüche auf Schadenersatz bei der Beförderung von Reisegepäck sich nur nach den Regelungen des richten, führt daher auch dazu, dass es im Geltungsbereich des sanktionslos bleibt, wenn der Luftfrachtführer Informationen nicht erteilt, zu deren Erteilung er möglicherweise aufgrund eines zwischen Fluggast und Luftfrachtführer geschlossenen Luftbeförderungsvertrages als Nebenpflicht verpflichtet sein könnte.

27. Besteht daher bereits aus Rechtsgründen keine Pflicht der Beklagten den Kläger über die Pflicht zur schriftlichen Anzeige innerhalb von sieben Tagen gemäss Art. 31 Abs. 2 MÜ zu informieren und bleibt wegen des Anwendungsvorranges des eine etwaige vertragliche Nebenpflichtverletzung sanktionslos, kann dahinstehen, ob die Beklagte ihre Pflichten dadurch erfüllt hat, dass sie ihre ABB dem Kläger im Rahmen des Buchungsvorganges zur Kenntnis brachte bzw. ob die Angaben darin ausreichen, um einer Informationspflicht in Bezug auf die bei der Anzeige von Gepäckschäden zu beachtenden Fristen zu genügen.

28. Ebenso kann der Kläger sich in Hinblick auf den Erhalt seines Klagerechtes nicht auf ein arglistiges Verhalten der Beklagten berufen, weil sie dem Kläger anlässlich eines Telefonates eine unzutreffende Antwort in Hinblick auf die Frist zur Schadensanzeige gegeben habe. Zwar würde sich entgegen der Ansicht der Beklagten eine derartige unzutreffende Auskunft als arglistig erweisen, es ließ sich aber nicht feststellen, dass die Beklagte dem Kläger vorliegend bewusst am 14.07.2015 eine unzutreffende Auskunft in Hinblick auf die Frist des Art. 31 Abs. 4 MÜ erteilte.

29. Wie bereits ausgeführt wird ein arglistiges Handeln nach Art. 31 Abs. 4 MÜ angenommen, wenn der Luftfrachtführer den Empfänger in irgendeiner Weise schuldhaft daran gehindert hat, die Anzeige in der vorgeschriebenen Frist zu erstatten, wobei Fahrlässigkeit nicht genügt. Darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen von Arglist ist dabei der Anzeigepflichtige. Zum Teil wird bei der Frage, welches Verhalten arglistig ist, zwischen Treuwidrigkeit und Arglist differenziert. Ging etwa der Empfänger allein auf Grund von unzutreffenden Erklärungen eines Angestellten des Luftfrachtführers von der irrigen Annahme aus, dass er seiner Anzeigepflicht Genüge getan hätte, so soll die Berufung des Luftfrachtführers auf das Erfordernis einer frist- und ordnungsgemäßen Anzeige nur als treuwidrig, nicht aber als arglistig anzusehen sein (MüKo HGB / Ruhwedel MÜ Art. 31 Rn. 31). In der Rechtsprechung wird hingegen eine Anwendung des § 242 BGB für zutreffend erachtet. Danach soll dem Luftfrachtführer ein Berufen auf die Fristversäumnis verwehrt sein, wenn z.B. dem Empfänger eine sofortige schriftliche Schadensmeldung verweigert wurde und ihm ein Schadensformular ohne Nennung der einzuhaltenden Fristen übergeben wird (OLG Stuttgart, Urteil vom 29.03.2006 – 3 U 272/05 – BeckRS 2006, 14747). Auch wurde angenommen, dass eine Fristversäumnis nicht als schuldhaft zu bewerten ist, wenn der Empfänger den Verlust bei dem Luftfrachtführer telefonisch meldet und ihm gesagt wird, dass es ausreichend ist, wenn die schriftliche Verlustanzeige erst bei Antritt des Rückfluges erfolgt (OLG Frankfurt, Urteil vom 09.01.2007 – 8 U 184/06 – zitiert nach juris, insbesondere Rn 33). Nach Auffassung der erkennenden Abteilung des Gerichtes überzeugen diese Ansichten, soweit sie auf den Gedanken von Treu und Glauben entsprechend § 242 BGB zurückgreifen, nicht. Entsprechend dem o.g. Gesagten steht der Anwendung dieser Norm des nationalen Rechtes der autonome und abschliessende Charakter des entgegen. Der Begriff der Arglist ist daher nicht durch einen Rückgriff auf § 242 BGB auszulegen oder abzugrenzen sondern aus dem heraus zu bestimmen. Danach lässt sich sicher feststellen, dass das entscheidende Merkmal der Arglist das bewusste Handeln zum Nachteil des anderen ist. In der englische Originalfassung wird auch der Begriff „fraud“, also wörtlich übersetzt Betrug, verwendet. Nur bewusstes Handeln zum Nachteil des Empfängers von Gepäck erhält dem Empfänger seine Rechte bei Fristversäumnis. Ein solches bewusst nachteiliges Handeln liegt aber auch dann vor, wenn im Rahmen der Bearbeitung von Schadensfällen nach Art. 17 MÜ durch den Luftfrachtführer bewusst falsche Auskünfte erteilt werden, die geeignet sind, den Empfänger des Gepäckes von einer fristgerechten Anzeige abzuhalten. Gleichgelagert ist der Fall, wenn Auskünfte in Kenntnis einer fehlenden Wissens- oder Beurteilungsgrundlage ins Blaue hinein erteilt werden und der Empfänger hierdurch von einer fristgerechten Anzeige abgehalten wird. Erkennt die Auskunftsperson in diesen Fällen, dass die Auskunft für den Empfänger von Bedeutung ist, handelt es sich bewusst nachteiliges Handeln und damit Arglist im Sinne des Art. 31 Abs. 4 MÜ ohne dass es eines Rückgriffes auf Treu und Glauben nach § 242 BGB bedarf.

30. So liegt der Fall hier indes nicht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme konnte sich das Gericht nicht die notwendige Überzeugung verschaffen, dass eine Mitarbeiterin der Beklagten bewusst unrichtige Auskünfte erteilte. Die Zeugin E., die Ehefrau des Klägers hat ausgesagt, dass man, als man feststellte, dass der am 14.07.2015 angekommene Koffer halb leer war, bei Lost & Found angerufen habe. Dort habe man eine Nummer erhalten, mit der man bei der Polizei Anzeige erstatten sollte. Die Anzeige solle man, sobald man aus dem Urlaub zurück sei, einreichen. Die Zeugin hat weiter bekundet, dass dieses Telefonat von ihrem Mann in der Lobby geführt worden sei. Sie sei dabei gewesen. Er habe mit einer Dame telefoniert. Zu einer Frist zur Anmeldung habe die Dame nichts gesagt. Es kann hier offen bleiben, ob die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin deshalb Zweifeln unterliegt, weil sie den Inhalt des Gespräches nur aufgrund der Angaben des Klägers, der das Telefonat führte, wiedergeben konnte; denn selbst bei unterstellter Richtigkeit der Aussage, ergebe sich hieraus keine der Beklagten anzulastende Arglist. Nach der Aussage der Zeugin E. bezog sich die dem Kläger erteilte Auskunft alleine auf die Anzeige des Verlustes bei der Polizei und weiter darauf, dass man den Nachweis der Anzeige bei der Polizei bei Rückkehr aus der Reise einreichen könne. Damit ist aber keine Auskunft zu der Schadensanzeige nach dem der Beklagten gegenüber erteilt worden. Auch hat die Zeugin gerade die Behauptung des Klägers, die Auskunft habe gelautet, dass man sich nach der Rückkehr mit der Strafanzeige und der Schadensaufstellung an die Beklagte wenden solle, nicht bestätigt. Die Zeugin hat nur die Anzeige bei der Polizei also die Strafanzeige erwähnt. Damit steht aber nicht fest, dass bei dem Telefonat um die für etwaige Ansprüche der Beklagten gegenüber erforderliche Schadensmeldung nach Art. 17, 31 MÜ ging, sondern es lässt sich nur feststellen, dass Gegenstand des Telefonates die Meldung des Diebstahles von Gegenständen aus dem Koffer war. Eine bewusst falsche Auskunft hätte nur dann vorgelegen, wenn gesagt worden wäre, dass diese nach Rückkehr und damit ohne Fristbindung eingereicht werden kann. Sofern aber seitens der Beklagten keine Auskunft dergestalt erteilt wurde, dass die Schadensaufstellung erst nach Reiserückkehr abgegeben werden kann, lag keine bewusst falsche Auskunft vor, vielmehr wurden die für den Kläger massgeblichen Fristen zur Anmeldung eines Schadens nach Art. 31 Abs. 2 MÜ schlicht nicht erwähnt. Dass dieses Unterlassen aber bewusst erfolgte, um den Kläger von der fristgerechten Geltendmachung von Ansprüchen abzuhalten, lässt sich nach der Beweisaufnahme nicht feststellen. Das fahrlässige Unterlassen dieser Auskunft bleibt jedoch im Geltungsbereich des wie dargelegt sanktionslos.

31. Der Kläger hat darüber hinaus gegen die Beklagte keinen weiteren Anspruch auf Schadensersatz für die Ersatzbeschaffung von Kleidungs- und Hygieneartikeln aufgrund von Verspätung des Reisegepäcks gemäß Art. 19 S. 1 MÜ. Dieser Anspruch ist zwar entstanden, jedoch durch Zahlung eines Betrages von 154,00 Euro seitens der Beklagten durch Erfüllung erloschen.

32. Nach Art. 19 MÜ haftet der Luftfrachtführer für Schäden, die durch die Verspätung von Reisegepäck entstehen. Zu den ersatzfähigen Kosten gehören dabei auch notwendige und angemessene Ersatzbeschaffungen wie Kleidung und Toilettenartikel. Bei einer Verspätung bedarf es gemäss Art. 31 Abs. 2 Satz 2 einer schriftlichen Anzeige innerhalb von 21 Tagen nach Zurverfügungstellen des Gepäcks. Mangels Regelung im ist hinsichtlich der Schadenshöhe § 249 BGB heranzuziehen. Hierbei ist auch eine etwaige Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen. Wenn die Schadensersatzleistung dazu führt, dass eine gebrauchte Sache ganz oder teilweise durch eine neue ersetzt wird, erfährt das Vermögen des Geschädigten gewöhnlich einen gewissen Zuwachs, weil die neue Sache eine längere Nutzung erlaubt als die alte. Der Vorteil ist auszugleichen, da der Geschädigte nach der Ausgleichung des Schadensersatzes nicht besser stehen soll, als er vorher stand. Dies ist nicht der Fall, wenn eine Anrechnung unzumutbar ist

33. Dies zugrundelegend ist aufgrund der eingetretenen Verspätung der Aushändigung des aufgegebenen Reisegepäcks von zwei Tagen nach Ankunft des Klägers am Zielort ein Schadensersatzanspruch des Klägers für die Anschaffung von Ersatzkleidung und Hygieneartikeln im Zeitraum 12.07.2005 bis 14.07.2005 nach Art. 19 MÜ entstanden. Der Kläger teilte den Schaden für die Ersatzanschaffungen der Beklagten unstreitig 20 Tage nach Entgegennahme des Gepäckstückes am 14.07.2015 am 03.08.2015 schriftlich mit und somit jedenfalls innerhalb der Frist des Art. 31 Abs. 2 S. 2 MÜ. Auf die Frage einer bereits telefonisch erklärten Kostenübernahme am 12.07.2015 kommt es daher nicht mehr an. Die Schadenssumme bezifferte der Kläger gegenüber der Beklagten mit 456,20 YTL. Dies entspricht unter Zugrundelegung des zum Reisezeitpunkt geltenden durchschnittlichen Umrechnungskurses von 1 € = 0,3420 YTL einem Betrag von 156,02 Euro. Die Beklagte zahlte für die Verspätung des Koffers an den Kläger 154 Euro. Vorliegend ist werterhöhend zu berücksichtigen, dass der Kläger nach Ersatzkauf der Kleidung und Hygieneartikel neben den bereits gebrauchten Kleidungsstücken (bei Außerachtlassung der Verlustgegenstände, deren Geltendmachung der Verfristung unterliegt) und Hygieneartikeln zusätzlich neue erworben hat. Es liegt nahe, dass die erworbenen Kleidungsstücke auch nicht durch die (hypothetische) Wiedererlangung der alten Kleidungsstücke als überflüssig gelten, da das Kleidersortiment vielmehr einen Zuwachs erhalten hat. Gleichwohl ist zu bedenken, dass insoweit der Kläger gezwungen war, neue Kleidungsstücke etc. zu erwerben, für deren Anschaffung er ohne das schädigende Ereignis keinen unmittelbaren Anlass gesehen hätte. Unter Anwendung von § 287 ZPO hält das Gericht einen Abzug in Höhe von 20 % des geltend gemachten Schadens für angemessen, so dass die sich nunmehr ergebende Anspruchssumme i.H.v. 124,82 Euro durch die Zahlung von 154 Euro erloschen ist.

34. Nicht ersatzfähig sind dagegen im Rahmen von Art. 19 MÜ die geltend gemachten pauschale Nebenkosten in Höhe von 25,00 Euro, da der Kläger nicht hinreichend substantiiert vorgetragen hat, woraus sich diese Nebenkosten ergeben und die pauschale Geltendmachung von Kosten im Zusammenhang mit der Rechtsverfolgung gewohnheitsrechtlich nur im Bereich des Verkehrszivilrechtes anerkannt ist.

II.

35. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

36. Streitwert: 1.059,00 Euro

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