Verlust eines Widerspruchsschreibens gegen die Betriebskostenabrechnung auf dem Postweg

LG Berlin: Verlust eines Widerspruchsschreibens gegen die Betriebskostenabrechnung auf dem Postweg

Die Kläger begehren von der Beklagten eine Nachzahlung aus der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2007 in Höhe von 1.613,11 Euro sowie die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung. Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg lehnte die Klage klag. Daraufhin gingen die Kläger in Berufung und fochten das Urteil des Amtsgerichts an.

Das Landgericht Berlin gab der Berufung statt. Die Kläger haben einen Anspruch auf  Zahlung von 1.613,11 Euro aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung.

LG Berlin 63 S 607/10 (Aktenzeichen)
LG Berlin: LG Berlin, Urt. vom 22.07.2011
Rechtsweg: LG Berlin, Urt. v. 22.07.2011, Az: 63 S 607/10
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Berlin-Gerichtsurteile

Landgericht Berlin
1. Urteil vom 22.07.2011
Aktenzeichen 63 S 607/10

Leitsatz:

2. Das auf dem Postweg verlorengegangene Widerspruchsschreiben gegen die Betriebskostenabrechnung wahrt die Widerspruchsfrist, da es sich um eine Ausschlussfrist handelte.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger begehren von der Beklagten eine Nachzahlung aus der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2007 in Höhe von 1.613,11 Euro sowie die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung. Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg lehnte die Klage mit der Begründung ab, dass die Kläger nicht hinreichend bestimmt haben, dass die Abrechnung inhaltlich falsch sei. Daraufhin gingen die Kläger in Berufung und fochten das Urteil des Amtsgerichts an. Sie beantragen die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie 1.613,11 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 22.12.2009 zu zahlen.

Das Landgericht Berlin gab der Berufung statt. Die Kläger haben einen Anspruch auf  Zahlung von 1.613,11 Euro aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung. Als Begründung führte das Landgericht an, dass nicht die Kläger die Verspätung des Widerspruchsbescheides zu vertreten haben, sondern die Beklagte, da es sich um eine Ausschlussfrist handelte.

Tenor:

4. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Amtsgericht Lichtenberg vom 20.10.2010 – 15 C 35/10 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 1.613,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.12.2009 sowie weitere 277,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.12.2009 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreit trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

5. Die Kläger begehren von der Beklagten eine Nachzahlung aus der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2007 in Höhe von 1.613,11 Euro sowie die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung.

6. Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

7. Das Amtsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Kläger hätten nicht hinreichend dargetan, dass die – formal ordnungsgemäße – Abrechnung inhaltlich richtig sei. Die Beklagte sei auch nicht mit ihren Einwendungen gegen die Betriebskostenabrechnung ausgeschlossen, da ihr ein Verschulden an der Versäumung der Frist des § 556 Abs. 3 Satz 5 BGB nicht vorzuwerfen sei.

8. Mit der Berufung wenden sich die Kläger unter Aufrechterhaltung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens gegen das angefochtene Urteil. Weiterhin rügen sie, dass ihnen das Amtsgericht prozessual keine Möglichkeit gegeben habe, auf den Vortrag der Beklagten, sie habe den Widerspruch am Laptop verfasst und per einfachen Brief an den Kläger gesandt, zu erwidern.

9. Sie beantragen,

10. die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie 1.613,11 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 22.12.2009 zu zahlen.

11. Die Beklagte beantragt,

12. die Berufung zurückzuweisen.

13. Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

II.

14. Die statthafte (§ 511 Abs. 1 ZPO), den notwendigen Wert der Beschwer erreichende (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), form- sowie fristgerecht eingelegte und begründete Berufung (§§ 517, 519, 520 ZPO) ist zulässig.

15. Die Berufung ist in der Sache erfolgreich.

16. Sie ist zulässig und begründet.

17. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von 1.613,11 Euro aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung vom 24.9.2008 gemäß § 535 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 4 Ziff. 3, 6 Ziff. 9 C des Mietvertrages.

18. Entsprechend den insoweit zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts haben die Kläger eine formal ordnungsgemäße Abrechnung erteilt.

19. Auf die von der Beklagten vorgetragenen Einwendungen gegen die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2007 kommt es hingegen nicht an, denn sie ist damit wegen § 556 Abs. 3 S. 5 BGB ausgeschlossen.

20. Gemäß § 556 Abs. 3 S. 5 BGB sind Einwendungen gegen die Abrechnung dem Vermieter innerhalb eines Jahres nach Zugang der Abrechnung mitzuteilen. Nach Ablauf dieser Frist kann der Mieter Einwendungen nicht mehr geltend machen, es sei denn, der Mieter hat die verspätete Geltendmachung nicht zu vertreten, § 556 Abs. 3 S. 6 BGB.

21. Unstreitig ist der Beklagten die streitgegenständliche Nebenkostenabrechnung am 26.11.2008 zugegangen. Einwendungen gegen die Abrechnung hätten daher spätestens bis zum 27.11.2009 erhoben werden müssen. Zwar behauptet die Beklagte, sie habe bereits mit Schreiben vom 6.12.2008 Widerspruch gegen die Betriebskostenabrechnung eingelegt. Jedoch konnte sie den, von der Klägerin bestrittenen, Zugang dieses Schreibens innerhalb der Jahresfrist nicht beweisen.

22. Der von ihr unter Beweis gestellte Vortrag, sie habe das Schreiben an ihrem Laptop verfasst und per Post versandt, ist unerheblich. Selbst wenn sie, wie von ihr behauptet, den Widerspruch verfasst und rechtzeitig zur Post aufgegeben habe, begründet dies keinen Anscheinsbeweis für den Zugang der Sendung (BGH, NJW 2009, 2197 ff, Rn. 11 – zitiert nach Juris). Einen Beweis für den Zugang des Schreibens bei der Klägerin hat sie hingegen nicht angeboten.

23. Erst in der Anlage zum Schreiben der Beklagten vom 27.01.2010, mithin nach Ablauf der Frist des § 556 Abs. 3 S. 5 BGB, haben die Kläger unstreitig den Widerspruch den Widerspruch erhalten.

24. Die Beklagte hat den Nichtzugang bzw. den verspäteten Zugang auch zu vertreten.

25. Bei der Frist des § 556 Abs. 3 S. 5 BGB handelt es sich ebenso wie bei der für den Vermieter geltenden Frist des § 556 Abs. 3 S. 2 BGB um eine Ausschlussfrist. Eine spätere Geltendmachung von Einwendungen ist nur möglich, wenn der Mieter die Verspätung nicht zu vertreten hat, § 556 Abs. 3 S. 6 BGB. Die Darlegungs- und Beweislast diesbezüglich trägt der Mieter (Weidenkaff in Palandt, 69. Aufl. 2010, BGB, § 556 Rn. 13).

26. Die Beklagte hat nicht hinreichend dargelegt, dass sie einen möglichen Verlust des Widerspruchsschreibens auf dem Postweg nicht zu vertreten hat. Insbesondere ein ihr gemäß §§ 556 Abs. 3 Satz 6, 276, 278 Satz 1 BGB zurechenbares Verschulden der Post hat die Beklagte nicht ausgeräumt.

27. Ebenso wie der Vermieter hat der Mieter ein Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen zu vertreten (Kinne/Schach/Bieber, Miet- und Mietprozessrecht, 6. Aufl. 2011, § 556 Rn 100b). Die Post ist die Erfüllungsgehilfin der Beklagten, weil sie sich nach ihrem Vortrag der Post zur Beförderung ihres Widerspruchschreibens bedient hat. Verzögerungen oder Verluste bei der Postbeförderung gehen daher zu ihren Lasten (Palandt/Weidenkaff, a.a.O. § 556 Rn. 11, BGH, NJW 2009, 2197ff. Rn. 13 zitiert nach juris).  Mangels anderweitigen Vortrag der Beklagten ist von einem solchen Verschulden der Post auszugehen

28. Die Beklagte kann sich auch nicht dadurch entlasten, dass auf dem Postweg unerwartete und nicht vorhersehbare Verzögerungen oder Postverluste aufgetreten sind, auf die sie keinen Einfluss hätte nehmen können. Für eine derartige Einschränkung des § 278 Satz 1 BGB besteht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Vertretenmüssen des Vermieters (BGH, NJW 2009, 2197 ff., Rn. 14f. – zitiert nach juris) kein sachlicher Grund. Vielmehr stehe eine einschränkende Anwendung des § 278 BGB im Widerspruch zu der Regelungsabsicht des Gesetzgebers, mit der Vorschrift des § 556 Abs. 3 S. 2, 3 BGB eine zeitnahe Abrechnung und Abrechnungssicherheit zu gewährleisten (BGH, NJW 2009, 2197 ff., Rn. 14f. – zitiert nach juris).

29. Dies gilt auch für den Mieter. Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, warum, davon abweichend, für den Mieter etwas anderes gelten soll. Vielmehr handelt es sich bei den Regelungen für den Vermieter und den Mieter um wortgleiche Parallelvorschriften (§ 556 Abs. 3 S. 3 und 6 BGB), die den selben Zweck, den Eintritt von Rechtsfrieden, verfolgen.

30. Es ist auch nicht erkennbar, wieso die Beklagte davon ausgehen durfte, dass ihr Widerspruch den Klägern zugegangen ist, denn von diesen erfolgte keinerlei Reaktion auf das Schreiben. Daran ändert auch der Umstand, dass die Beklagte bereits ein Jahr zuvor Bedenken gegen die Abrechnung erhoben hat, den Klägern die Heizungsproblematik mithin bekannt war, nichts.

31. Die Kläger haben einen Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 277.03 Euro gemäß §§ 286, 280 Abs. 2 BGB.

32. Bei Aufnahme der außergerichtlichen Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten, insbesondere bei der Fertigung des Schreibens vom 7.12.2009, befand sich die Beklagte gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB im Verzug. Es kann insoweit dahingestellt bleiben, ob die Beklagte das Mahnschreiben vom 12.02.2009 erhalten hat, denn sie befand sich bereits gemäß § 6 C des Mietvertrages seit dem 29.12.2009 im Verzug. Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der Klausel gemäß §§ 307 ff. BGB sind nicht ersichtlich, insbesondere führt diese Regelung nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des Mieters.

33. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

III.

34. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

35. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 ZPO.

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