Krankheitsbedingten Stornierung einer Antarktis-​Reise

LG Hamburg: Krankheitsbedingten Stornierung einer Antarktis-​Reise

Der Kläger buchte eine Reise in die Antarktis und eine Reiserücktrittsversicherung beim beklagten Reiseunternehmen. Nach einer Knieoperation versicherten dem Kläger die behandelnden Ärzte, dass ein Antritt der Reise anderthalb Monate später kein Problem sein sollte.

Als sich sein Gesundheitszustand jedoch einen Monat später verschlechterte, stornierte der Kläger die Reise nach einer erneuten Untersuchung noch am selben Tag. Der Beklagte weigerte sich zunächst die vollen Stornokosten der Reise zu erstatten, da der Kläger die Reise nicht unverzüglich nach seiner Erstdiagnose storniert hatte. Der Kläger bekam jedoch Recht auf die volle Erstattung der Reisekosten, abzüglich der Kosten für die Reiserücktrittsversicherung.

LG Hamburg 306 O 351/14 (Aktenzeichen)
LG Hamburg: LG Hamburg, Urt. vom 16.10.2015
Rechtsweg: LG Hamburg, Urt. v. 16.10.2015, Az: 306 O 351/14
LG Hamburg, Urt. v. 12.11.2014, Az: 306 O 351/14
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Landesgericht Hamburg

1. Urteil vom 16.10.2015

Aktenzeichen 306 O 351/14

Leitsatz:

2. Wird dem Patienten vom behandelnden Arzt zunächst versichert, dass ein Reiseantritt möglich ist und storniert der Patient bei Auftreten unerwartet Komplikationen zu einem späteren Zeitpunkt, so kommt er damit seiner Verpflichtung zur unverzüglichen Stornierung nach.

Ihm kann keine Verletzung der Schadensminderungspflicht angelastet werden.

Zusammenfassung

3. Der Kläger buchte bei der H.-​L. Kreuzfahrten GmbH für Januar eine Reise in die Antarktis, deren Kosten sich auf 34.106,90 €, einschließlich einer Versicherungsprämie von € 564,10, beliefen.

Nachdem er sich Ende November zur Erstuntersuchung seines schmerzenden Knies in ärztliche Behandlung begab und einige Tage später operiert wurde, versicherte ihm der zuständige Arzt, dass er bis Anfang Januar gesundheitlich in der Lage sein würde die Reise anzutreten. Aufgrund unerwarteter Komplikationen begab sich der Kläger jedoch Ende Dezember erneut in Behandlung und stornierte die Antarktisreise noch am selben Tag nach der Untersuchung.

Der Reiseveranstalter stellte dem Kläger 90% des Reisepreises, also 30.428,62 € in Rechnung. Die Beklagte erstattet dem Kläger nur 50 % des Reisepreises ohne die Kosten der Reiserücktrittskostenversicherung, da der Kläger unverzüglich nach seiner ersten Behandlung die Reise hätte stornieren müssen.

Jedoch wurde dem Antrag des Klägers auf eine volle Erstattung der Stornokosten stattgegeben, da er im November noch davon ausging ein Reiseantritt sei möglich und da er somit durch seine sofortige Stornierung der Reise nach der erneuten Behandlung Ende Dezember seine Schadensminderungsobliegenheit gemäß § 82 VVG, § 6 Ziff. 1 VB-​E. R. 2007 nicht verletzt habe.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 13.093,12 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.01.2014 sowie außergerichtliche Kosten in Höhe von € 1.029,35 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

 Tatbestand:

5. Der Kläger beansprucht von der Beklagten die Erstattung von Stornokosten aus einer Reiserücktrittskostenversicherung wegen der Stornierung einer Antarktisreise.

6. Der Kläger buchte bei der H.-​L. Kreuzfahrten GmbH eine Kreuzfahrt in die Antarktis für den Zeitraum vom 07.01.2014 bis zum 25.01.2014. Hierfür wurde ihm ausweislich der Rechnung vom 18.02.2013 (Anlage K 8) ein Reisepreis von € 34.106,90, einschließlich einer Versicherungsprämie von € 564,10 in Rechnung gestellt. Mit der Reisebuchung schloss er eine Reiserücktrittskostenversicherung bei der Beklagten ab unter Ausschluss einer Selbstbeteiligung. Der Versicherung lagen die als Anlage K 1 eingereichten Versicherungsbedingungen (VB-​E. R. 2007) zugrunde. Danach erstattet die Beklagte die Stornokosten im Falle des Eintritts einer unerwarteten schweren Erkrankung. In den Bedingungen heißt es zudem in § 6:

„1.

Um eine Leistung gemäß § 2 zu erhalten, ist die versicherte Person verpflichtet, nach Eintritt des versicherten Rücktrittsgrundes die Reise unverzüglich zu stornieren, um die Stornokosten möglichst gering zu halten.

4.

Wird eine dieser Obliegenheiten vorsätzlich verletzt, ist die E. R. von der Verpflichtung zur Leistung frei. Bei grob fahrlässiger Verletzung der Obliegenheit ist die E. R. berechtigt, ihre Leistung in dem Verhältnis zu kürzen, das der Schwere des Verschuldens der versicherten Person entspricht. Die E. R. bleibt insoweit zur Leistung verpflichtet, als die Verletzung keinen Einfluss auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungsverpflichtung der E. R. gehabt hat, es sei denn, dass die versicherte Person arglistig gehandelt hat.“

7. Am 13.11.2013 verspürte der Kläger Schmerzen im rechten Knie. Er begab sich deswegen in ärztliche Behandlung. Es wurde ein MRT des Knies angefertigt und am 20.11.2013 anlässlich eines Arztbesuches ein Reizknie rechts mit Ergussbildung, ein Knorpelschaden 3. Grades und ein Innenmeniskusriss diagnostiziert. Der Kläger entschied sich zu einer Operation, die im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes vom 29.11.-​30.11.2013 durchgeführt wurde. Am 27.12.2013 suchte der Kläger erneut wegen Kniebeschwerden einen Arzt auf und stornierte sodann die gebuchte Reise.

8. Der Kläger wurde wegen der Stornierung vom Veranstalter mit 90 % des Reisepreises zzgl. der Kosten für die Reiserücktrittskostenversicherung belastet, d.h. insgesamt € 30.428,62 (siehe hierzu die in der mündlichen Verhandlung am 27.03.2015 zur Akte gereichte Stornorechnung). Die Beklagte erstattet dem Kläger mit Anschreiben vom 17.01.2014 lediglich € 16.771,40, d.h. 50 % des Reisepreises ohne die Kosten der Reiserücktrittskostenversicherung. Sie verwies darauf, dass bereits am 20.11.2013 eine Stornierung hätte erfolgen müssen, weil schon zu diesem Zeitpunkt absehbar gewesen sei, dass der Kläger die Reise nicht werde antreten können. Die Differenz von € 13.657,22 ist Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Auch nach der vorprozessualen Einschaltung des Prozessbevollmächtigten des Klägers leistete die Beklagte keine weitere Zahlung.

9. Der Kläger behauptet, er sei nach der Diagnose am 20.11.2013 und der nachfolgenden Operation und nach Rücksprache mit den behandelnden Ärzten

davon ausgegangen, dass er die bevorstehende Reise antreten könne. Die Ärzte seien über seine Reiseabsicht informiert gewesen und hätten kleine Bedenken gehabt, dass er die Reise würde antreten können. Sie hätten ihm nicht von der Reise abgeraten.

Der Heilungsverlauf sei dann zunächst auch positiv gewesen. Erst nach 3 Wochen sei es zu einer unerwarteten Komplikation gekommen. Es seien erhebliche Schmerzen aufgetreten, die seine Gehfähigkeit erheblich eingeschränkt hätten. Nach der weiteren Untersuchung am 27.12.2013 habe er dann noch am gleichen Tag die Reise storniert.

10. Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 13.657,22 nebst Zinsen in Höhe von 5%-​Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.01.2014 sowie außergerichtliche Kosten in Höhe von € 1.029,35 zu zahlen.

11. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12. Die Beklagte behauptet,

der Kläger habe die Reise nicht unverzüglich i.S.d. zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen storniert. Er habe damit gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen, um die Stornokosten so gering wie möglich zu halten. Aufgrund der ärztlichen Diagnose am 20.11.2013 habe an diesem Tag eine Stornierung erfolgen müssen.

Es sei zu diesem Zeitpunkt bereits erkennbar gewesen, dass der Kläger die geplante Reise nicht wird antreten können. Die später eingetretenen Komplikationen seien nicht unerwartet gewesen, mit solchen habe gerechnet werden müssen. Die Hoffnung des Klägers, dass sich diagnostizierte Erkrankung bis zum Reiseantritt bessern würde, sei nicht versichert. Der Kläger habe auch keine ärztliche Zusicherung hinsichtlich eines sicher und verlässlich möglichen Reiseantritts eingeholt und erhalten.

13. Das Gericht hat den Kläger persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Dr. J.. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vom 27.03.2015 und vom 25.09.2015 verwiesen. Im Übrigen wird wegen des weiteren Vortrags der Parteien zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

Entscheidungsgründe:

14. Die Klage ist ganz überwiegend begründet. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten gemäß § 1 VVG, §§ 1, 2 Ziff. 2 c VB-​E. R. 2007 Anspruch auf Erstattung der Stornokosten gemäß der Stornorechnung des Reiseveranstalters (Anlage K 8), soweit es die ihm dort in Rechnung gestellten Reisekosten betrifft.

15. Der Eintritt des Versicherungsfalls aufgrund der Kniebeschwerden des Klägers, die sich als eine unerwartete schwere Erkrankung i.S.d. Versicherungsbedingungen dargestellt haben, ist zwischen den Parteien unstreitig. Streit besteht allein, ob die Reise nach dem Auftreten der Erkrankung „unverzüglich“ storniert worden ist, und ob der Kläger gegebenenfalls die Schadensminderungsobliegenheit gemäß § 82 VVG, § 6 Ziff. 1 VB-​E. R. 2007 mindestens grob fahrlässig verletzt hat, indem er nicht bereits am 20.11.2013 die Reise storniert hat. Letzteres hat die Beklagte jedoch nicht bewiesen.

16. In diesem Zusammenhang kommt es nicht allein auf eine objektive Vorhersehbarkeit der Reiseunfähigkeit an.

Die Beklagte verkennt, dass sie, wenn sie sich auf eine vollständige oder anteilige Leistungsfreiheit beruft, nach § 6 Ziff. 4 VB-​E. R. 2007 einen grob fahrlässigen Verstoß des Klägers gegen die Schadensminderungsobliegenheit des § 6 Ziff. 1 VB-​E. R. 2007 beweisen muss.

Denn ein nur fahrlässiger Verstoß des Klägers gegen die ihm nach § 6 Nr. 1 und 4 VB-​E. R. 2007 obliegende Schadensminderungsobliegenheit würde weder zu einer vollständigen noch zu einer anteiligen Leistungsfreiheit der Beklagten führen. Soweit es die Frage einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung betrifft, enthalten die Versicherungsbedingungen der Beklagten eine für den Versicherungsnehmer günstigere Abweichung von der Beweislastregelung des § 28 Abs. 2 S. 2 VVG bzw. § 82 Abs. 3 S. 2 VVG, wonach der Versicherungsnehmer die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt. In den Versicherungsbedingungen der Beklagten fehlt nämlich der im Gesetzt enthaltenen Passus zur Beweislastregelung bei einer groben Fahrlässigkeit, so dass es nach den – gegenüber dem Gesetz vorrangigen – Vertragsbedingungen bei dem allgemeinen Grundsatz verbleibt, dass diejenige Partei die Umstände und Tatsachen zu beweisen hat, aus denen sie eine ihr günstige Rechtsfolge (hier also die Leistungsfreiheit) herleitet. Eine solche, für den Versicherungsnehmer günstige Abweichung von den halbzwingenden Vorschriften des VVG ist gemäß §§ 32, 87 VVG ohne Weiteres zulässig. Dementsprechend ist es im vorliegenden Fall Sache der Beklagten, Umstände vorzutragen (und ggfs. zu beweisen), aus denen auf eine vorsätzliche oder zumindest (für die Annahme einer anteiligen Leistungsfreiheit) grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung geschlossen werden kann.

17. Diesen Nachweis hat die Beklagte nicht erbracht. Im Gegenteil:

Der als Zeuge vernommene Dr. J., der den Kläger operiert hat, hat die Angaben des Klägers bestätigt.

Er hat glaubhaft geschildert, dass er bei der Behandlung über die bevorstehende Antarktis-​Reise des Klägers im Januar 2014 informiert gewesen ist, und dass er selbst davon ausgegangen ist, dass es mit dem Heilungsverlauf bis zur Reise klappen würde. Seiner sachverständigen Ansicht nach wäre selbst bei einem schlechten Heilungsverlauf nach der Operation, den er mit ca. 3 Wochen angegeben hat, „genug Luft“ bis zur Reise gewesen. Wenn insofern der behandelnde Arzt bei der Diagnose am 20.11.2013 und der nachfolgenden Operation am 29.11.2013 keine Bedenken gegen den Reiseantritt im Januar gehabt hat, kann dem Kläger nicht vorgeworfen werden, grob fahrlässig seine Schadensminderungspflicht zur unverzüglichen Stornierung der Reise verletzt zu haben.

18. Da der Kläger nach dem Auftreten der auch aus der Sicht seines behandelnden Arztes unerwarteten Komplikationen am 27.12.2013

umgehend wieder einen Arzt aufgesucht und noch am selben Tag die Reise storniert hat, ist er seiner Obliegenheit zur unverzüglichen Stornierung nachgekommen. Diese späte Stornierung stellt insofern keine Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit dar.

19. Dementsprechend schuldet die Beklagte die Erstattung der Stornokosten, mit der der Kläger aufgrund der späten Stornierung am 27.12.2013 belastet worden ist.

Keinen Anspruch hat der Kläger dagegen auf den Teil des Stornobetrages, der auf die bei der Beklagten abgeschlossene Reiserücktrittskostenversicherung entfällt, d.h. auf € 564,10. Denn die Versicherungsprämie ist nach den zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen im Eintritt des Versicherungsfalls nicht erstattungsfähig.

Der Saldo der Stornorechnung (Anlage K 8) ist dementsprechend um € 564,10 zu reduzieren, so dass ein Betrag von € 29.864,52 verbleibt. Hierauf hat die Beklagte anteilig € 16.771,40 gezahlt, so dass eine begründete Restforderung von € 13.093,12 verbleibt.

20. Der Zinsanspruch auf diese Forderung folgt aus §§ 286, 288 BGB. Die Beklagte befindet sich aufgrund ihres Abrechnungsschreibens vom 17.01.2014, mit dem sie einen weitergehenden Anspruch des Klägers zurückweist, mit der Zahlung der Restforderung im Verzug.

21. Aus diesem Grund hat der Kläger als Verzugsschaden gemäß §§ 286, 280 BGB auch Anspruch auf Erstattung der Kosten für die vorprozessuale Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten in Höhe von € 1.029,35. Wegen der Berechnung dieser Kosten wird auf die Klagschrift Bezug genommen.

22. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

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