Flugbeförderungsvertrag mit Stornierungsausschlussklausel

AG Köln: Flugbeförderungsvertrag mit Stornierungsausschlussklausel

Der Kläger buchte für sich und seine Familie Flüge nach Los Angeles und zurück. Hierbei wählte er den in der Onlinebuchung angebotenen Tarif „Economy Basic“. Dieser legte in seinen Tarifbedingungen unter anderem fest, dass eine Stornierung nicht möglich sei.

Der Kläger stornierte die Flüge später und fordert nun von der Beklagten Erstattung des Flugpreises. Nach seiner Ansicht handele es sich bei dem Ausschluss der Stornierung um eine unzulässige Klausel der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die Beklagte war der Ansicht, dass es sich nicht um eine AGB-Klausel, sondern eine gültige Individualabrede handele und der Kläger daher kein Stornierungsrecht habe.

Das Amtsgericht gab dem Kläger recht, dass es sich um eine überprüfbare AGB-Klausel handelte und dass diese ungültig sei. Daher wurde dem Kläger eine Rückzahlung in Höhe von 3.469,67 Euro zugesprochen.

AG Köln 142 C 222/16(Aktenzeichen)
AG Köln: AG Köln, Urt. vom 19.09.2016
Rechtsweg: AG Köln, Urt. v. 19.09.2016, Az: 142 C 222/16
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Amtsgericht Köln

1. Urteil vom 19. September 2016

Aktenzeichen 142 C 222/16

Leitsätze:

2. Die Klausel eines Flugtarifes, dass Stornierungen ausgeschlossen sind, ist keine Individualabrede.

Eine solche Klausel ist nicht zulässig.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger buchte für sich, seine Frau und zwei Kinder am 28.12.2015 Flüge von Düsseldorf über Frankfurt/Main nach Los Angeles und zurück. Hierbei wählte er den in der Onlinebuchung angebotenen Tarif „Economy Basic“. Dieser legte in seinen Tarifbedingungen unter anderem fest, dass eine Stornierung nicht möglich sei. Der Hinflug sollte am 06.07.2016, der Rückflug am 26./27.07.2016 erfolgen.

Der Kläger stornierte die Buchung am 12.02.2016 und forderte von der Beklagten Erstattung des Flugpreises. Nach seiner Ansicht handele es sich bei dem Ausschluss der Stornierung um eine unzulässige Klausel der Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

Die Beklagte war der Ansicht, dass es sich nicht um eine AGB-Klausel, sondern eine gültige Individualabrede, das heißt eine von den Vertragsparteien frei aushandelbare Klausel, handele und der Kläger daher kein Stornierungsrecht habe. Dies begründete sie damit, dass der Kläger wählen konnte zwischen dem gewählten Tarif und einem weiteren, der eine Stornierungsmöglichkeit vorsah.

Das Amtsgericht gab dem Kläger recht. Um Allgemeine Geschäftsbedingungen handele es sich bei allen einseitig gestellten, das heißt vorformulierten und festgelegten, Vertragsbestandteilen. Individualabreden hingegen müssten in freier Kommunikation verhandelbar sein. Die Auswahl zwischen zwei Tarifen reiche hierfür nicht aus. Bei der in Rede stehenden Klausel handele es sich auch nicht um eine Preisabrede. Solche Abreden, die unmittelbar die Hauptleistung bzw. deren Vergütung betreffen, sind grundsätzlich nicht gerichtlich überprüfbar. Vorliegend beeinflusse das Stornierungsrecht den Preis der Leistung zwar betriebswirtschaftlich, aber nicht unmittelbar im Vertragskontext. Es handele sich nur um eine Preisnebenabrede. Daher sei die Klausel gerichtlich überprüfbar.

Im Rahmen dieser Überprüfung stellte das Gericht Verstöße gegen §§ 308 Nr. 7a, 309 Nr. 5 b BGB analog fest. Daher wurde dem Kläger eine Rückzahlung in Höhe von 3.469,67 Euro zugesprochen.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.469,67 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2016 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; für den Kläger nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent jeweils vollstreckbaren Betrages.

Tatbestand

5. Der Kläger nimmt die Beklagte, eine Fluggesellschaft, auf Rückzahlung des Flugpreises nach der  Stornierung eines Fluges in Anspruch.

6. Der Kläger buchte am 28.12.2015 bei der Beklagten für sich, seine Ehefrau und zwei Kinder Flüge für die Strecke Düsseldorf – Frankfurt am Main – Los Angeles für den 06.07.2016 sowie Rückflüge für die gleiche Strecke am 26./27.07.2016 für insgesamt 3.652,28 Euro. Die Buchung erfolgte über das Online-Buchungssystem der Beklagten.

7. Im Rahmen des Buchungsvorgangs hatte der Kläger mittels Anklicken die Wahl zwischen den Tarifen „Economy Basic“ und  „Economy Basic Plus“. Die Tarife unterscheiden sich u.a. dadurch, dass der günstigere Basic Tarif eine geringere Flexibilität bei der Stornierung und der Umbuchbarkeit aufweist, während der Basic Plus Tarif teurer ist aber eine höhere Flexibilität bei der Stornierung und der Umbuchbarkeit hat. Das Buchungssystem hält eine Option für Tarifvergleiche vor, wo auch die unterschiedlichen Bedingungen angezeigt werden. Der Kläger wählte den Tarif „Economy Basic“. Bei Auswahl dieses Tarifes werden in dem nächsten Schritt Tarifkonditionen und Gepäckinformationen angezeigt. In diesem Fenster heisst in dem gesonderten zu öffnenden Feld „Erstattung“: „Die Stornierung des Tickets ist nicht möglich. Die nicht verbrauchten Steuern und Gebühren sind erstattbar. Der internationale/nationale Zuschlag ist nicht erstattbar.“ Am Ende des Buchungsvorganges wird eine Preisübersicht angezeigt, bei der durch einen Klick auf ein Fragezeichensymbol die Zusammensetzung der Steuern, Gebühren und Zuschläge aufgeschlüsselt wird.

8. Der Buchung des Klägers lagen weiter die ABB der Beklagten zugrunde. Dort heisst es in Ziffer 5.1.3: „Bestimmte Tarife unterliegen einschränkenden Bestimmungen in Hinblick auf Umbuchung oder Stornierungen. Die einzelnen Bestimmungen entnehmen Sie bitte den jeweiligen Tarifbedingungen“.

9. Der Kläger stornierte die Buchung am 12.02.2016.

10. Der Kläger fordert die Rückzahlung des vollständigen Flugpreises. Er ist zunächst der Ansicht, dass er als Vertragspartner der Beklagten auch hinsichtlich der auf die Flüge der Familienmitglieder entfallenden Preisanteile aktivlegitimiert sei. Er ist weiter der Ansicht, dass die Tarifbestimmung, mit der die Beklagte das freie Kündigungsrecht ausschliesse, eine Allgemeine Geschäftsbedingung darstelle, die der Prüfung nach den §§ 305 ff BGB unterliege und nach den §§ 308 Nr. 7 a, 309 Nr. 5 b BGB unwirksam sei. Nach § 649 Satz 2 BGB habe die Beklagte nur Anspruch auf die Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen und anderweitiger Verwendungsmöglichkeiten. Zumindest seien nach § 649 Satz 3 BGB 95 % des Flugpreises zu erstatten.

11. Der Kläger beantragt,

12. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.652,28 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2016 zu zahlen.

13. Die Beklagte beantragt,

14. die Klage abzuweisen.

15. Die Beklagte ist der Ansicht, dass ein Rückzahlungsanspruch des Klägers nicht bestehe. Der Kündigungsausschluss sei wirksam vereinbart worden. Dieser Ausschluss stelle auch keine allgemeine Geschäftsbedingung dar, sondern sei eine Individualvereinbarung, da es sich bei dem entsprechenden Ausschluss nicht um eine „gestellte“ Klausel nach Maßgabe des § 305 Abs. 1 BGB handele. Der Kläger habe in Hinblick auf die Stornierungsmöglichkeiten zwischen Tarifvarianten wählen können. Die Beklagte ist weiter der Ansicht,  dass der Ausschluss auch bei Einordnung als allgemeine Geschäftsbedingung wirksam sei. Die Klausel sei unmittelbarer Preisbestandteil und deswegen nicht kontrollfähig. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich bei einem Luftbeförderungsvertrag um einen atypischen Werkvertrag handele, bei dem die werkvertraglichen Vorschriften einzuschränken seien. Aus diesem Grunde sei auch § 649 BGB nicht auf den Luftbeförderungsvertrag anwendbar. Dies ergebe sich auch aus der EG VO 1008/2008, wonach die Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft in der Festlegung der Preise für die Beförderung im innergemeinschaftlichen Flugdienst frei sind. In dieses Preisbestimmungsrecht werde bei Anwendbarkeit des § 649 BGB unzulässigerweise eingegriffen. Für den Fall eines bestehenden Rückzahlungsanspruchs ist die Beklagte der Ansicht, dass dem Kläger nur ein Anspruch auf Erstattung ersparter Aufwendungen in Gestalt von nicht angefallenen Steuern und Gebühren in Höhe von 143,07 Euro pro stornierten Ticket zustehe. Weiter behauptet die Beklagte, dass die gebuchten Flüge im Zeitpunkt des Schluss der mündlichen Verhandlung am 04.07.2016 nicht ausgebucht gewesen seien. So seien für die Hinflüge von Düsseldorf nach Frankfurt und  Frankfurt nach Los Angeles von 138 bzw. 371 Economy-Plätzen nur 93 bzw. 329 Plätze gebucht gewesen und auf den Rückflügen Los Angeles nach Frankfurt und Frankfurt nach Düsseldorf von 371 bzw. 114 Economy-Plätzen 366 bzw. 71 Plätze besetzte gewesen. Eine weitere Darlegungspflicht treffe sie nicht.

16. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

17. Die Klage ist überwiegend begründet.

18. Die Klägerin hat einen vertraglichen Rückzahlungsanspruch aus §§ 649 Abs. 1, 631 BGB in Höhe von 3.469,67 Euro.

I.

19. Der Kläger ist aufgrund des wirksam mit der Beklagten geschlossenen Flugbeförderungsvertrages nach Kündigung auch hinsichtlich der auf die weiteren Familienmitglieder entfallenden Ticketpreise aktivlegitimiert. Ist bei der Buchung einer Flugreise durch eine Person für sich und weitere Personen für die Fluggesellschaft erkennbar, dass die Personen in einem besonderen Näheverhältnis zueinanderstehen kommt es – soweit nicht eine Stellvertretung offengelegt wird – zu dem Abschluss eines Vertrages zugunsten Dritten mit der Folge, dass der Buchende Ansprüche hinsichtlich des gesamten Vertrages in eigenem Namen geltend machen. Das notwendige Näheverhältnis bei einer Familie ergibt sich dabei in der Regel durch die Angabe eines gemeinsamen Nachnamens und des Alters bei der Buchung. So liegt der Fall hier. Der Kläger hat die Buchung  für sich und seine Ehefrau sowie die gemeinsamen Kinder unter dem gemeinsamen Familienname vorgenommen. Für die Beklagte war erkennbar, dass es sich um eine Familie handelte und die Voraussetzungen für den Abschluss eines Vertrages zugunsten Dritter vorlag.

20. Der Flugbeförderungsvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten ist durch den Kläger wirksam gemäss § 649 BGB gekündigt worden. Das dem Kläger nach § 649 BGB zustehende Kündigungsrecht ist nicht ausgeschlossen worden.  Eine Individualvereinbarung über einen Kündigungsausschluss liegt nicht vor und die Abbedingung des Kündigungsrechtes in den Tarifbestimmungen der Beklagten ist unwirksam, da sie als blosse Nebenabrede der Klauselprüfung unterliegt und in ihrer konkreten Ausformung eine unangemessene Benachteiligung des Fluggastes gemäss § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB darstellt.

21. Zunächst ist festzustellen, dass auf den Luftbeförderungsvertrag § 649 BGB Anwendung findet. Entgegen der Ansicht der Beklagten gibt es bei einem Luftbeförderungsvertrag keine Besonderheiten, die es geboten erscheinen lassen, das freie Kündigungsrecht des Bestellers nicht zuzulassen.

22. Dass es sich bei einem Luftbeförderungsvertrag um einen Werkvertrag im Sinne der §§ 631 ff. BGB handelt ist allgemeine Ansicht. Dies hat der BGH in dem auch von der Beklagtenseite zitierten Urteil vom 16.02.2016 unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung bestätigt  (BGH Urteil v. 16.02.2016,  X ZR 97/14, – zitiert nach juris). Die Vorschriften des Werkvertragsrechts sind daher grundsätzlich anwendbar. Angesichts der Vielfalt der im Werkvertragsrecht zusammengefasssten Vertragstypen und der nur teilweise erfolgten Spezifizierung – wie z.B. im Reisevertragsrecht, hat der BGH in der genannten Entscheidung die Notwendigkeit betont, dass den Besonderheiten des jeweiligen wertvertraglichen Typs Rechnung zu tragen ist. Die jeweiligen werkvertraglichen  Vorschriften sind danach zu überprüfen, ob sie mit den Leitbildern der einzelnen unter §§ 631 ff BGB fallenden modernen Vertragstypen in Einklang zu bringen sind. So hat der BGH in der genannten Entscheidung klargestellt, dass sich auf das Personenbeförderungsrecht die nach den werkvertraglichen Vorschriften grundsätzlich dem Werkunternehmer treffende Vorleistungspflicht nicht uneingeschränkt übertragen ist. Da dem Personenbeförderungsrecht Sicherungsrechte fremd sind, würde der Beförderungsunternehmer bei uneingeschränkter Geltung der Vorleistungspflicht gegenüber Zahlungsausfällen schutzlos sein. Dieses vertragliche Ungleichgewicht kann daher durch eine vertragliche Vorleistungspflicht ausgeglichen werden, ohne dass dies eine Abweichung von dem gesetzlichen Leitbild des Personenbeförderungsrechtes wäre. Diese Überlegungen treffen indes auf das Kündigungsrecht nicht zu. Dem freien Kündigungsrecht des Bestellers nach § 649 BGB steht das Kündigungsrecht des Unternehmers in § 643 BGB gegenüber. Durch die Kündigung des Bestellers erleidet der Unternehmer keine das Gegenseitigkeitsverhältnis zu seinen Lasten verschiebende Nachteile. Dem Unternehmer geht es nicht um das Werk, das er erstellen soll, sondern um seine Vergütung. Diese behält er aber nach § 649 BGB. Zur Vermeidung eines Ungleichgewichtes zu Lasten des Bestellers muss er sich aber auf die Vergütung das anrechnen lassen, was er an Aufwendungen erspart und was er zu erwerben unterlassen hat. Ihm verbleibt der Gewinn ohne Gegenleistung. Das Personenbeförderungsrecht und speziell das Luftbeförderungsrecht weisen keine Besonderheiten auf, die hier eine Anpassung erforderlich machen müssten. Entgegen der Darstellung der Beklagten werden die Kosten des Luftfahrtunternehmens auch bei einer Kündigung des Fluggastes gedeckt, selbst wenn sie einer gesetzlichen Beförderungspflicht nachkommt; denn dann hat sie keine Aufwendungen erspart. Andererseits kann sie auf Kündigungen auch dadurch reagieren, dass sie andere Flugzeuge mit geringeren Kapazitäten einsetzt. Der Einwand, bei wortgetreuer Anwendung des § 649 BGB könne eine Kündigung bis zur Landung erklärt werden (Vollendung des Werkes) ist nur theoretisch; Zudem; Mangels Ausstiegsmöglichkeit in der Luft nimmt derjenige, der noch im Flugzeug kündigen will, ohnehin die volle Beförderung in Anspruch. Ein Vergleich mit dem Reisevertragsrecht, bei dem Personenbeförderungen zu den wichtigsten Reiseleistungen zählen, zeigt, dass § 649 BGB ohne weiteres Anwendung anfinden. So ist § 651 i BGB, der das freie Rücktrittsrecht des Reisenden regelt, dem § 649 BGB nachgebildet, schränkt aber sogar die Rechte des Reiseunternehmens insoweit ein, als es durch den Rücktritt statt der Kündigung seinen Vergütungsanspruch verliert und ihm nur eine Entschädigung gewährt wird. Dies zeigt, dass der aufgrund der europäischen Pauschalreiserechtslinie tätig gewordene deutsche Gesetzgeber trotz der Besonderheiten des Reisevertragsrechtes keine Notwendigkeit gesehen hat, im Bereich der Vertragslösung vor Ausführung der unternehmerischen Leistung Änderungen vorzunehmen. Auch aus der Entscheidung des BGH vom 29.04.2010 (RRa 2010, 191 f.) zum sog. Cross-Ticketing ergibt sich nicht, dass der BGH eine Anwendbarkeit des § 649 BGB im Bereich des Personenbeförderungsrechtes als mit dem Leitbild dieses Vertragstypus für unvereinbar erachtet, vielmehr hat der BGH das Recht nach § 649 BGB zur Kündigung ausdrücklich anerkannt und gerade die hier streitgegenständliche Frage, ob es durch AGB wirksam ausgeschlossen werden kann, offen gelassen. Damit ist es keine Frage, ob § 649 BGB überhaupt im Personenbeförderungsrecht Anwendung findet sondern nur, ob es über eine entsprechende Individualvereinbarung hinaus wirksam in AGB bis zum vollständigen Ausschluss begrenzt werden kann. Zuletzt wird die Geltung des § 649 BGB auch nicht durch die EG VO 1008/2008 ausgeschlossen. Die Verordnung über die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der EU befasst sich alleine mit Fragen der Genehmigung und Preisgestaltung und nicht mit der Frage des auf Luftbeförderungsverträge anwendbaren Rechtes und erst recht nicht mit der Frage, ob und mit welchen Folgen der Fluggast sich von Verträgen lösen kann. Die Verordnung wirkt sich daher nur auf die Vergütung aus und vor allem darauf, welche Vorgaben Luftfahrtunternehmen bei der Angabe der Preise gegenüber der Öffentlichkeit zu beachten haben. Zusammenfassend bestehen daher de lege lata keine Bedenken an der grundsätzlichen Geltung des § 649 BGB im Personenbeförderungsrecht und speziell im Luftbeförderungsrecht. Eine gesetzgeberische Tätigkeit in diesem Bereich zur Anpassung der gesetzlichen Regelungen an die Lebenswirklichkeit – wie derzeit in Arbeit im Bereich des Bauvertragsrechtes – mag rechtspolitisch wünschenswert sein, ist aber derzeit – soweit ersichtlich – nicht geplant.

23. Die damit bestehende grundsätzliche Kündigungsmöglichkeit nach § 649 S. 1 BGB ist auch nicht dadurch ausgeschlossen worden, dass der Kläger durch die Wahl Economy Basic – Tarifes eine damit verbundene Unmöglichkeit der Stornierung individuell vereinbart hätte. Die entsprechende Regelung in dem Online-Buchungsvorgang unter „Erstattung“ ist eine allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs.1 BGB und keine Individualabrede gemäss § 305 b BGB.

24. Eine Individualvereinbarung in Hinblick auf eine allgemeine Geschäftsbedingung liegt nur vor, wenn die entsprechende Klausel nicht „gestellt“ im Sinne der Norm ist, sondern eine tatsächliche Möglichkeit des individuellen Aushandelns im Sinne von § 305 Abs. 1 S. 3 BGB vorliegt. Zur Differenzierung zwischen einer „gestellten“ Vertragsbedingung und einer solchen, die ausgehandelt wurde, ist insbesondere die Gestaltungsbeteiligung des Kunden hinsichtlich der konkreten Vertragsbedingung von Bedeutung. Von einem Aushandeln in diesem Sinne kann nur dann gesprochen werden, wenn der Verwender zunächst den in seinen AGB enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt, also die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen, inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen (BGH NJW 2000, 1110). Demnach liegt eine ausreichende Gestaltungsbeteiligung vor allem dann vor, wenn der Kunde eigene Vertragsoptionen bzw. von ihm ausgehende Änderungswünsche in die Verhandlungen bzw. den Vertragstext einbringen kann (vgl. BGH NJW 2013, 856 ff.). Oder anders ausgedrückt: Eine Vertragsbedingung ist nicht gestellt, wenn die Einbeziehung vorformulierter Vertragsbedingungen in einen Vertrag auf einer freien Entscheidung desjenigen Vertragsteils beruht, an den der Verwendungsvorschlag herangetragen wird; dazu ist erforderlich, dass die Auswahl der in Betracht kommenden Vertragstexte frei ist und tatsächlich Gelegenheit besteht, alternativ eigene Textvorschläge mit der effektiven Möglichkeit ihrer Durchsetzung in die Verhandlung einzubringen. Dazu genügt es nicht, lediglich Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren (BGH, Urteil vom 20.01.2016 – VIII ZR 26/15 – zitiert nach juris). Es genügt nach dem Gesagten nicht, wenn der Verwender dem anderen Teil mehrere verschiedene Regelwerke zur Auswahl stellt; denn dies ändert nichts daran, dass der Verwender den Inhalt der Regelungen einseitig ohne Beteiligung des anderen Teiles gestaltete. Auch hier kann der andere Teil zwischen den Regelwerken nur nach dem „Alles oder Nichts“ – Prinzip wählen, Einfluss nehmen kann er auf die Ausgestaltung der einzelnen Regelwerke nicht. „Aushandeln“ bedeutet aber schon nach dem normalen Sprachgebrauch mehr als nur auswählen. Während „Auswählen“ ein einseitiger Vorgang ist, impliziert Aushandeln ein Kommunizieren zwischen den Beteiligten. Ein Aushandeln ist überhaupt nur denkbar, wenn die konkrete Möglichkeit zu einer Kommunikation angeboten wird und diese zumindest zu einer Veränderung der Regelungen im Interesse des anderen Teiles führen kann.

25. In der von der Beklagten und dem LG Köln vom 23.08.2016 (11 S 405/15 – nicht veröffentlicht) zur Begründung des Vorliegens eines Aushandelns bei der Auswahl zwischen Tarifen der Beklagten zitierten Entscheidung des BGH (NJW 2003, 1313), die sich mit einer Laufzeitklausel bei einem Gestattungsvertrag über eine Breitbandkabelanlage befasst, hat der BGH auf seine Rechtsprechung zu ergänzungsbedürftigen Vertragsformularen Bezug genommen, bei denen im Einzelfall ein Aushandeln und damit eine Individualvereinbarung auch dadurch begründet werden kann, dass eine Vertragsklausel aufgrund einer Auswahlentscheidung des Kunden aus verschiedenen Modulen zusammengesetzt bzw. aus verschiedenen Tarifen ausgewählt werden kann. Abgesehen davon, dass diese Entscheidung auf den vorliegenden Fall nicht übernommen werden kann, da es sich hier nicht um ergänzungsbedürftige Verträge sondern um die Wahl zwischen Tarifen beim entpersonalisierten Online-Buchen handelt, hat der BGH auch in dieser Entscheidung klargestellt, dass an eine solche Möglichkeit des „Aushandelns“ ohne „echtes Aushandeln“ im Sinne eines kommunikativen Aktes nicht zu geringe Anforderungen zu stellen sind. Die Zusammensetzung eines Vertrags aus verschiedenen Modulen bzw. die mögliche Wahl zwischen verschiedenen Tarifen muss daher einem „echten“ Aushandeln in ihrem Variantenreichtum und dem gewährten Maß an Einflussnahme zumindest ähnlich sein. Das bedeutet, dass die Wahlfreiheit nicht durch Einflussnahme des Verwenders, sei es durch die Gestaltung des Formulars, sei es in anderer Weise, überlagert werden darf. Das bedeutet gerade nach der von dem Beklagten und dem LG Köln in Bezug genommenen Entscheidung weiter, dass ein Aushandeln nur angenommen werden kann, wenn der Verwender eine Bereitschaft erkennen lässt, abweichende Regelungen zuzustimmen (BGH NJW 2003, 1313 unter ausdrücklichen Verweis auf BGH NJW 2000, 1110 wo es der BGH für ein Aushandeln nicht hat ausreichen lassen, dass eine Vertragsklausel zur Disposition steht, vielmehr gefordert wurde, dass eine für den anderen erkennbare Bereitschaft besteht, Änderungen vorzunehmen).

26. Dies zugrundegelegt war dem Kläger vorliegend keine Möglichkeit gegeben, auf die ihm bei der Online Buchung präsentierten Tarifkonditionen gestalterisch Einfluss zu nehmen. Eine solche konkrete gestalterische Beeinflussungsmöglichkeit der unterschiedlichen Tarife besteht bei dem von der Beklagten beschriebenen Online Buchungsvorgang gerade nicht. Er wird seitens der Beklagten weder vorgesehen noch ist er erwünscht. Es ist aber nicht alleine ausreichend, dass die Beklagte einen alternativen Tarif anbietet, der u.a. kostenlose Stornierungs- und Umbuchungsmöglichkeiten vorsieht. Würde dies ohne weiteres genügen, so könnte der Verwender von AGB sich der Kontrolle hinsichtlich fragwürdiger Klauseln durch das einfache Angebot verschiedener Tarife entziehen, ohne dass diese überhaupt eine sinnvolle Alternative für die meisten Kunden darstellen müssten. Vielmehr kommt es auf die Gesamtumstände an. Die alternativ angebotenen Tarife müssen ihrer Konzeption nach gleichwertig sein und dem Kunden somit eine unbeeinflusste Auswahl ermöglichen. Dies ist hier nicht der Fall und zeigt sich auch an der einem Aushandeln entgegenstehenden Gestaltung des Buchungsvorganges. Der „Basic-Tarif“ ist als grundsätzlicher Tarif angelegt, während der „Basic-Plus“ Tarif bereits aufgrund seines deutlich höheren Preises für die meisten Kunden ohne tatsächliche Relevanz ist (vgl. AG Rüsselsheim Urteil v. 16.05.2012, 3 C 119/12 (36), Rn. 29 – zitiert nach juris und das Beispiel der Beklagten Bl. 24 d.A.). Zudem ist der Erstattungsumfang nur ein Teil der tariflichen Leistungen, der zudem auch in der Maske gar nicht erläutert wird, sondern nur durch ein rotes Kreuz für „nein“ und ein Euro Zeichen für „ja“ symbolisiert wird. Nähere Informationen erhält der Buchende erst wenn er am Ende der Buchung bei Tarifkonditionen (Bl. 26 d.A.) den Button Erstattung anklickt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger aber die Tarifwahl bereits getroffen. Unter diesen Umständen kann die pauschale Wahl zwischen verschiedenen Tarifen nicht als Individualvereinbarung angesehen werden.

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Annahme, dass in den Fällen einer Flugbuchung zu einem „Billigtarif“ eine Individualvereinbarung vorliegt, weniger auf der rechtlichen Würdigung der Art und Weise des Buchungsvorganges beruht sondern vielmehr darauf, dass es als unbillig empfunden wird, dass der Fluggast einerseits günstige Preise beim Fliegen in Anspruch nehmen will, andererseits aber keine Nachteile im Falle der Stornierung tragen möchte. Dies ist indes keine Frage, die im Rahmen der Prüfung, ob ein Aushandeln im Sinne  von § 305 Abs. 1 S. 3 BGB vorliegt, zu beantworten ist. Die Frage, ob eine Individualvereinbarung oder eine allgemeines Geschäftsbedingung vorliegt wird abstrakt, unabhängig von der Intention der Fluggäste billig zu fliegen, entschieden. Dem Fluggast kann rechtlich kein Vorwurf gemacht werden, wenn er sich im Nachhinein auf die Unwirksamkeit einer  Vertragsklausel beruft. Die Grenze ist hier allenfalls ein nach § 242 BGB rechtsmissbräuchliches Verhalten. Anhaltspunkte hierfür liegen aber nicht vor.

27. Bei dem streitgegenständlichen Ausschluss der Erstattung des Flugpreises im Basic Tarif bei Stornierung handelt es sich um keine Preisabrede im Sinne des § 307 Abs. 3 S. 1 BGB, die der gesetzlichen Klauselkontrolle entzogen wäre.

Nach § 307 Abs. 3 BGB sind solche Klauseln nicht kontrollfähig, die die Art, den Umfang und die Güte der Hauptleistung selbst bzw. der Vergütung unmittelbar betreffen (BGH NJW 2010, 1958). Eine gerichtliche Kontrolle solcher Klauseln würde den Grundsätzen der Privatautonomie und marktwirtschaftlich freien Leistungsbestimmung widersprechen. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist im Einklang mit dem Sinne und Zweck des AGB-Rechts, das eine wirksame Kontrolle der im ökonomisierten Geschäftsbetrieb verwendeten AGB sicherstellen will, nicht zu weit auszulegen. Keineswegs reicht schon die mittelbare Relevanz einer Klausel für die Preisfindung bzw. die Leistungsbestimmung des Unternehmens, um sie zu einer der Kontrolle entzogenen Hauptabrede des Vertrages zu machen. In solchen Fällen handelt es sich vielmehr um kontrollfähige Preisnebenabreden. Ausgeschlossen ist daher nur die Kontrolle solcher Klauseln, ohne die mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (BGH NJW 2010, 1958).

28. Im vorliegenden Fall befasst sich die streitgegenständliche Stornierungsklausel nicht mit der Vergütung der Beklagten für die Durchführung des Fluges, sondern zum einen damit, ob dem Fluggast ein Kündigungsrecht zusteht, also mit einem Gestaltungsrecht des Fluggastes, und zum anderen damit, welche ersparten Aufwendungen sich die Beklagte auf ihren, auch bei nicht ausgeführten Flug fortbestehenden Vergütungsanspruch, nach § 649 Satz 2 BGB anrechnen lässt. Geregelt wird damit nur eine die Vergütungshöhe mittelbar beeinflussende Größe, die sich ohne Regelung nach § 649 Satz 3 BGB bestimmen würde, so dass es sich nur um eine Preisnebenabrede handelt. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass die Frage der Erstattung von Flugkosten bei der Stornierung der Flugreise erheblichen Einfluss auf die Preiskalkulation der Fluggesellschaft nimmt. Die wirtschaftliche Bedeutung dieses Faktors ist groß; denn die Fluggesellschaft erwirtschaftet nicht operative Gewinne in allen Kündigungsfällen und ermöglicht es ihr den Tarif günstiger zu kalkulieren und stärkt damit ihre Wettbewerbsfähigkeit. Indes ist diese Bedeutung zu trennen von der vertraglichen Bedeutung der Stornierungsklausel in dem vertraglichen Gefüge. Dort wirkt sie sich nicht unmittelbar auf die Hauptleistungsbestimmung aus, sondern nur bei der Kündigung des Vertrages im Rahmen der Berechnung der von der Vergütung abzuziehenden Positionen ersparte Aufwendungen und anderweitige Erwerbsmöglichkeit.

29. Als danach der Inhaltskontrolle unterliegende Allgemeine Geschäftsbedingung erweist sich die Stornierungsklausel in dem Basic Tarif gemäß §§ 308 Nr. 7a, 309 Nr. 5 b BGB analog als unwirksam.

30. Die in Rede stehende Klausel, die die Erstattungsfähigkeit des Flugpreises weitgehend ausschließt und nur Gebühren und Steuern beschränkt, verstößt zunächst gegen § 309 Nr. 5b BGB analog, da dem Kunden die ihm nach dieser Vorschrift einzuräumende Möglichkeit, den Nachweis eines geringeren Schadens zu führen, nicht eröffnet wird.

31. Zwar ist § 309 Nr. 5 b BGB auf die vorliegende Konstellation nicht direkt anwendbar, da es sich bei der relevanten Klausel nicht um eine Schadenspauschalierung im Sinne der Norm handelt. § 649 BGB betrifft die Kündigung und daran anschließend verbleibende Zahlungsansprüche. Diese beruhen aber gerade nicht auf einer Pflichtverletzung und stellen somit auch keinen Schadensersatzanspruch dar. Gleichwohl ist die Normsituation inhaltlich mit der Situation des § 649 BGB vergleichbar und erlaubt daher eine analoge Anwendung auf andere pauschalierte Ausgleichsansprüche. Es ist kein inhaltlich relevanter Unterschied zu erkennen, der es rechtfertigen würde, eine Pauschalierung des Schadensersatzes in AGB nur unter den Voraussetzungen des § 309 Nr. 5b BGB zuzulassen, während die Pauschalierung anderer Ausgleichsansprüche diesen Schranken nicht unterliegen soll (BGH NJW 2011, 3030). Demgemäss muss auch in den Fällen, in denen von der grundsätzlich bestehenden Möglichkeit der Abbedingung des § 649 BGB dem Vertragspartner die Möglichkeit des Nachweises eines geringeren Schadens eröffnet werden.

32. Der vorliegend im Rahmen des Buchungsvorgangs in den „Basic-Tarifen“ vorgenommene Ausschluss jeglicher Erstattung bzw. deren Begrenzung auf Gebühren und Steuern, ohne dass auf die Möglichkeit eines Nachweises weiterer ersparter Aufwendungen bzw. anderweitig erzielter Einnahmen hingewiesen wird, wird daher dem nach § 309 Nr. 5 b BGB geforderten ausdrücklichen Hinweis nicht gerecht.

33. Jenseits des Verstoßes gegen § 309 Nr. 5b BGB analog, steht die Klausel auch im Widerspruch zu § 308 Nr. 7a BGB analog, da seitens der Beklagten eine unangemessen hohe Vergütung im Falle der Stornierung begehrt wird.

34. Auch insoweit ist zwar eine direkte Anwendung nicht möglich, gleichwohl sind die Rechtsfolgen einer Kündigung nach § 649 BGB  mit der in § 308 Nr. 7a BGB beschriebenen Situation vergleichbar, so dass eine analoge Anwendung geboten ist. Es besteht kein sachlich relevanter Unterschied zwischen einer Pauschale für die Vergütung schon erbrachter Leistungen bzw. einer Pauschale für die Vergütung noch nicht erbrachter Leistungen wie in § 307 Nr. 7a BGB normiert und den nach § 649 Satz 2 BGB vorzunehmenden Abzüge bzw. der dem Unternehmer zustehenden Vergütung, sofern die Vergütung – wie im Fall des § 649 S. 2 BGB – geschuldet wird. Entscheidend ist vielmehr, ob sich die Pauschale im Rahmen des bei § 649 S. 2 BGB typischerweise zu erwartenden Vergütungsumfangs bewegt. Auf einen spezifischen Einzelfall kommt es insoweit nicht an (BGH NJW 2011, 3030).

35. Dies ist hier nicht der Fall. Die Pauschalierung auf einen Betrag in Höhe des vollen Flugpreises – lediglich unter Abzug der Steuer- und Gebührenpositionen – wird diesen Anforderungen schon grundsätzlich nicht gerecht. Dies folgt, ohne dass es auf konkrete Zahlen ankäme, schon daraus, dass die Pauschalierung in Höhe des vollen Ticketpreises völlig unabhängig von einem grundsätzlich möglichen Weiterverkauf stornierter Tickets erfolgt. Eine Pauschalierung in solchem Umfang wäre nur dann in der Nähe des im Rahmen des § 649 S. 2 BGB üblicherweise zu erwartenden Betrags, wenn es der Fluggesellschaft in der Realität niemals gelingen würde, stornierte Tickets anderweitig zu veräußern. Ein solcher – auch mehrfacher – Weiterverkauf ist aber insbesondere dann nicht fernliegend, wenn zwischen Stornierung und Flugdatum mehrere Monate liegen. Auch die im Rahmen von § 308 BGB vorzunehmende Einzelfallwertung führt daher zu keinem anderen Ergebnis. Es ist kein schützenswertes Interesse daran zu erkennen, eine Vergütungspauschale derart zu berechnen, dass sie in nicht zu vernachlässigenden Anzahl von Fällen faktisch zu einer doppelten Vereinnahmung von Ticketpreisen und damit einer weiteren Steigerung des nicht operativen Gewinnes dient.

36. Eine Ausnahme von der Wertung der Klauseln als unwirksam unter Berufung auf die Besonderheiten des Flugbeförderungsrechtes ist nicht geboten.

37. Die erkennende Abteilung des Gerichtes verkennt nicht, dass der BGH bei der Inhaltskontrolle von Klauseln im Personenbeförderungsrecht bei der Frage, ob eine Klausel überhaupt eine Abweichung von den wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung vorliegt auf das gesetzliche Leitbild abstellt (BGH Urteil v. 16.02.2016,  X ZR 97/14, – zitiert nach juris) und daher Anpassungen erforderlich sind, wenn wie im Personenbeförderungsrecht bei der Annahme einer Vorleistungspflicht des Unternehmers dies zu das vertragliche Gleichgewicht störende Nachteilen für den Unternehmer käme. Wie oben bereits dargelegt, besteht eine solche Besonderheit aber bei dem Kündigungsrecht nach § 649 BGB nicht. Dieses lässt sich ohne dass eine Störung des Synallagmas auftritt auf den Luftbeförderungsvertrag übertragen. Im Gegenteil hat der Gesetzgeber gerade durch die Pauschale in § 649 Satz 3 BGB dem Unternehmer die Durchsetzung seiner Vergütungsansprüche in Hinblick auf nicht erbrachte Leistungen bei Kündigung des Bestellers erleichtert. Dass die Pauschale von 5 % sehr wahrscheinlich den wirtschaftlichen Gegebenheiten bei dem Abschluss von Flugbeförderungsverträgen nicht gerecht wird, ist unbeachtlich; denn die Fluggesellschaften sind nicht gehindert, sich im Rahmen des § 308 Nr. 7 a BGB unter Beachtung des § 309 Nr. 5 b BGB über 5 % hinausgehende Pauschalen auszubedingen, die dem durchschnittlichen Gewinnausfall bei Stornierungen entsprechen. Insoweit sei erneut auf die Parallele zum Reisevertragsrecht hingewiesen, wo § 651 i Abs. 3 BGB die Festsetzung einer prozentualen Pauschale zur Höhe der dort „Entschädigung“ genannten Vergütung bei Rücktritt des Reisenden gestattet ist. Soweit die Beklagte hierdurch Wettbewerbsnachteile befürchtet, ist die Sorge unbegründet, da von diesen Bestimmungen auch andere auf dem deutschen Markt tätige Luftfahrtunternehmen betroffen sind und sie diese bei ihrer Preiskalkulation beachten müssen.

38. Unter Abzug von 5 % des Ticketpreises von 3.652,28 Euro in Höhe von 182,60 Euro nach § 649 Satz 3 BGB steht dem Kläger ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 3.469,67 Euro zu. Eine höhere der Beklagten zustehende Vergütung ist nicht dargetan. Insoweit ist die ihrer sekundären Darlegungslast insbesondere in Hinblick auf den die Möglichkeiten anderweitigen Erwerbes nicht nachgekommen.

39. Die Beklagte trägt eine sekundäre Darlegungslast in Hinblick auf die anderweitigen Erwerbsmöglichkeiten dergestalt, dass sie zu der Auslastung der gebuchten und dann stornierten Flügen vortragen muss.

40. Die Darlegungs- und Beweislast für höhere ersparte Aufwendungen bzw. anderweitigen Erwerbes trifft im Rahmen von § 649 Satz 2 BGB den Besteller. Der Unternehmer muss zu den Abläufen und Gegebenheiten, von denen nur er Kenntnis hat, substantiiert Stellung nehmen. Dazu gehört es in Hinblick auf die ersparten Aufwendungen, darzulegen wie die vertraglich vereinbarte Vergütung kalkuliert wurde, welche Kosten also in die Preisbildung einflossen. Bei dem anderweitigen Erwerb bedarf es der Darlegung, ob es solchen gab bzw. welche Anstrengungen unternommen wurden, einen anderweitigen Erwerb zu erzielen. Unterläßt der Unternehmen derartige Angaben ohne hinreichenden Grund, kann nach den Grundsätzen der sogenannten sekundären Darlegungslast sein bestrittener Vortrag als unzureichend und der Vortrag des Bestellers als zugestanden behandelt werden. Nach diesen Grundsätzen kann daher der Unternehmer gehalten sein, Angaben über innerbetriebliche und deshalb dem Gegner unzugängliche Vorgänge zu machen, wenn er hierzu unschwer in der Lage ist (vgl. BGH NJW-RR 2004, 989 ff.) Diese sekundäre Darlegungslast im Bereich von § 649 Satz 2 BGB entfällt nur soweit der Unternehmer sich auf den nach § 649 Satz 3 BGB pauschalen 5 % Verdienst beschränkt. Denn die in § 649 Satz 3 BGB geregelte muss vom Besteller widerlegt werden. Darüber hinaus wird der Besteller von der sekundären Darlegungslast nur dann entbunden, wenn der dazu erforderliche Vortrag zur Offenlegung der Geschäftspolitik, der Bekanntgabe von Geschäftsbeziehungen zu Dritten oder aber zur Preisgabe von Betriebsgeheimnissen führen würde; denn insoweit überwiegt das Interesse des Unternehmers an der Geheimhaltung das Auskunftsinteresse des Bestellers. Die Beweislast wird durch die sekundäre Darlegungslast nicht umgekehrt, vielmehr trifft den Besteller aufbauend auf den Vortrag des Unternehmers die Darlegungs- und Beweislast für von ihm behauptete höhere Ersparnisse bzw. anderweitige den durch die Kündigung erlittenen Verlust kompensierende Geschäfte (BGH NJW 1999, 1253).

41. Dem Kläger sind Darlegungen zu den durch die Stornierung ersparten Flugnebenkosten der Beklagten genauso wenig möglich wie Vortrag zu dem anderweitigen Erwerb der Beklagten in Hinblick auf die freigewordenen Flüge. Die Beklagte trägt daher nach dem eben Gesagten eine sekundäre Darlegungslast, da sie über die entsprechenden Kenntnisse verfügt. Dieser sekundären Darlegungslast ist die Beklagte vorliegend nicht nachgekommen. Zwar hat sie zu den ersparten Aufwendungen in Gestalt von Steuern und Gebühren substantiiert vorgetragen, nicht aber zu der anderweitigen Verwendung der frei gewordenen Flüge. Entscheidend ist aber, ob es der Beklagten möglich war, die durch die Kündigung der Kläger freiwerdenden Flüge erneut zu verkaufen.

42. In Bezug auf den streitgegenständlichen Flüge genügt es – anders als das LG Köln (NJW-RR 2016, 813) annimmt – nicht, dass die Beklagte allein dazu vorträgt, wie der Buchungsstand des betreffenden Flugzeugs im Zeitpunkt der Durchführung der Flüge war und insoweit behauptet, dass die Flüge in dem Tarif des Klägers nicht ausgebucht waren, vielmehr muss dargelegt werden, wie sich der Buchungsstand zwischen Stornierung und Flug entwickelt hat.

43. Diese Erweiterung der sekundären Darlegungslast – und dies übersieht das LG Köln in seiner Entscheidung – rechtfertigt sich aus dem Umstand, dass zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Kündigung des Fluggastes und der Durchführung der Flüge eine Ausbuchung vorgelegen haben kann, also auch die letzen Plätze und damit die des kündigenden Fluggastes neu verkauft werden konnten. Auch in diesem Fall wäre der dem kündigenden Fluggast zuzurechnende Vergütungsausfall kompensiert worden. Nach einer zwischenzeitlich erfolgten Ausbuchung erklärte Kündigungen anderer Fluggäste lassen die Vergütungspflicht nicht mehr aufleben. Dass die Möglichkeit einer zwischenzeitlichen Ausbuchung mehr als nur eine theoretische Möglichkeit ist, zeigt sich schon daran, dass Stornierungen oftmals schon lange vor dem Flugdatum erfolgen. Von der Fluggesellschaft wird dabei im Rahmen der sekundären Darlegungslast nur verlangt, dass sie vorträgt, dass zu keinem Zeitpunkt zwischen Kündigung und Flugdatum eine Ausbuchung vorlag. Dies stellt auch keinen geheimhaltungsbedürftigen Umstand  dar. Denn die Beantwortung der Frage, in welchem Maße bei einem bestimmten Flug Stornierungen erfolgt sind, kann für Konkurrenten der Beklagten keinen höheren Erkenntniswert bieten als die ohnehin offenbare Tatsache, inwieweit ein Flugzeug im Zeitpunkt des Abfluges besetzt ist. Auch an der technischen Möglichkeit der Fluggesellschaften, um zu der Buchungshistorie vorzutragen kann nicht gezweifelt werden.  Soweit die Beklagte unter Berufung auf das Urteil des BGH vom 08.01.2015 (BGH NJW-RR 2015, 469 f.) der Ansicht ist, dass der BGH mildere Anforderungen an die Darlegungslast hinsichtlich des anderweitigen Erwerbes stellt als das Gericht, ist festzustellen, dass der vom BGH entschiedene Fall nicht vergleichbar ist. In dem Fall des BGH ging es um eine andere Vertragsart (Erstellen einer Internetpräsenz), bei dem es dem Unternehmer aufgrund der konkreten Vertragsgestaltung und der Betriebsstruktur nur schwer möglich war, die konkrete Akquirierung von Aufträgen darzulegen. Bei Luftbeförderungsverträgen liegt der Fall jedenfalls in Bezug auf tatsächlich abgeschlossene Beförderungsverträge anders, denn ein Luftbeförderungsunternehmen bietet Flugverbindungen bis zur Kapazitätsgrenze eines Fluges an und muss in der Lage sein die konkrete Buchungshistorie einer Flugverbindung nachzuvollziehen.

44. Die Beklagte wäre daher gehalten gewesen, zu der Buchungshistorie vorzutragen und darzulegen, dass zwischen Kündigung am 12.02.2016 und  dem Schluss der mündlichen Verhandlung am 04.07.2016, also vor den eigentlichen Flugdaten am 06.07.2016 und 26./27.07.2016, immer vier Flüge freigeblieben sind. Ein solcher Vortrag erfolgte nicht. Dass die Beklagte zu einem solchen Vortrag in der Lage ist,  ergibt sich schon daraus, dass sie einen Auszug aus ihrem System zur Auslastung bei Flugantritt zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung, also zu einem bestimmten Datum, der vor den eigentlichen Flugdaten liegt, vorlegen kann (Bl. 59 ff. d.A.). Da die Beklagte aber zu dem Buchungsstand zwischen dem 12.02.2016 und dem 04.07.2016 nicht vorgetragen hat, gilt der Vortrag des Klägers, dass eine anderweitige Erwerbsmöglichkeit in diesem über vier monatigen Zeitraum vorlag als zugestanden und kann die Beklagte sich nur auf den Einbehalt von 5 % nach  § 649 Satz 3 BGB berufen.

II.

45. Die Pflicht der Beklagten zur Zahlung von Verzugszinsen seit dem 01.04.2016 ergibt sich aus § 286 BGB aufgrund der Fristsetzung zur Zahlung in dem anwaltlichen Schreiben vom 17.03.2016.

III.

46. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr.11, 711 ZPO.

47. Streitwert: 3.652,28 Euro

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