Anspruchsgegner bei vermeintlich mehreren den Flug ausführenden Luftfahrtunternehmen

AG Rüsselsheim: Anspruchsgegner bei vermeintlich mehreren den Flug ausführenden Luftfahrtunternehmen

In dem vorliegenden Fall, führten vermeintlich verschiedene Luftfahrtunternehmen den Flug aus, so dass geklärt werden muss, welches der beiden Unternehmen, ausführendes Luftfahrtunternehmen und damit Anspruchsgegner, ist.

Anspruchsgegner ist das für die Passagiere erkennbare auftretende Luftfahrtunternehmen während des Fluges. Dies ergibt sich aus der VO. Die Beklagte C. muss hier an die Klägerin 600 EUR zzgl. Zinsen zahlen.

AG Rüsselsheim 3 C 5696/13 (33) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 30.07.2014
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 30.07.2014, Az: 3 C 5696/13 (33)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1.Urteil vom 30. Juli 2014

Aktenzeichen 3 C 5696/13 (33)

Leitsätze:

2. Ausführendes Luftfahrtunternehmen ist das, welches tatsächlichen gegenüber dem Kunden nach außen hin auftritt.

Zusammenfassung:

3. Vorliegend buchte die Klägerin bei der C. zuzuordnenden Flugnummer einen Flug. Dieser wurde aber durch eine Crew von T. Airlines betreut. Nun musste ausgelegt werden, welches Flugunternehmen nach der VO „richtiger“ Anspruchsgegner ist.

Nach dem Wortlaut, der Sytematik sowie Sinn und Zweck der VO richtig sich die Frage nach dem ausführenden Luftfahrtunternehmen danach, welches gegenüber dem Kunden nach außen hin als solches auftritt. Hier war die Flugnummer, die bereits in der Flugbestätigung benannt wird, sowie die Bordkarten eindeutig der Beklagten C. zuzuordnen. Die Crew und die das Flugzeug zeigten nach außen hin auch kein Logo oder Dress, was kennzeichnete, dass diese von T. Airlines gestellt worden. Diese waren ebenfalls durch C gekennzeichnet. Allein der Hinweis beim Check- In, dass der Flug von einer anderen Gesellschaft durchgeführt wird, reiche hier nicht aus. Somit war die Beklagte C. nach außen hin ausführendes Luftfahrtunternehmen und damit „richtiger“ Anspruchsgegner.

C. muss an die Klägerin 600 EUR zzgl. Zinsen zahlen.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 600,- zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.03.2014 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. (abgesehen gemäß § 313a ZPO)

Entscheidungsgründe:

6. Die Klage ist begründet. Denn die Beklagte hat nicht dargetan, dass aus Sicht der Klägerin als Fluggast der Flug … – abweichend von dem erweckten Anschein – erkennbar nicht durch die Beklagte, sondern durch die T. Airlines UK durchgeführt wurde und damit ein anderes Unternehmen aus der maßgeblichen Perspektive der Fluggäste „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne der VO war.

7. Die Ansprüche aus Art. 7 (analog) VO richten sich ausschließlich gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen (BGH NJW 2008, 2119 ff.; BGH NVZ 2010, 137 ff.). Nach der Legaldefinition in Art. 2 lit. b) ist „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags oder im Namen einer anderen Person einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt. Die Auslegung nach Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck ergibt, dass es für die Einordnung eines Unternehmens als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne des VO maßgeblich auf den Auftritt vor Ort nach außen gegenüber dem Kunden ankommt.

8. Nach Erwägungsgrund 7 VO sollen die Verpflichtungen aus der VO dem Unternehmen obliegen, „das einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt, und zwar unabhängig davon, ob der Flug mit einem eigenen Flugzeug oder mit einem mit oder ohne Besatzung gemieteten Luftfahrzeug oder in sonstiger Form durchgeführt wird.“ Erwägungsgrund 7 VO verdeutlicht das Bestreben des Verordnungsgebers, dem aus Sicht der Fluggäste ausführenden Unternehmen Einwendungen aufgrund interner rechtlicher und für den Fluggast nicht erkennbarer Strukturen und Vereinbarungen von Vornherein zu versagen. So sollen sich die gegenüber dem Fluggast auftretenden Unternehmen nicht darauf berufen können, sie hätten Flugzeug und Besatzung tatsächlich lediglich gemietet oder aufgrund interner Vereinbarungen „sonstiger Form“ tatsächlich den Flug gar nicht ausgeführt. Die Unterscheidung zwischen der Durchführung nach außen gegenüber dem Kunden und der Durchführungsabwicklung nach innen ist in Erwägungsgrund 7 VO gut erkennbar angelegt. Auch nach dem übergeordneten, in Erwägungsgrund 1 VO zum Ausdruck kommenden Verbraucherschutzgedanken soll den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden. Dieses Regelungsziel wäre verfehlt, wenn sich der – über die interne Flugabwicklung uninformierte – Verbraucher nicht an die ihm gegenüber aufgetretene Fluggesellschaft wenden, sondern sich seinen Anspruchsschuldner nach anderen – für ihn nur schwer ermittelbaren – Kriterien suchen müsste (zum Schutzbedürfnis des Passagiers wegen Informationsdefizits: Art. 11 Verordnung EG Nr. 2111/2005 und BGH NVZ 2010, 137 ff.). Damit erhielten die Verbraucher Steine statt Brot und würden faktisch von der Durchsetzung ihrer Ansprüche abgehalten.

9. Abgesehen vom Normzweck zeigt auch eine systematische Betrachtung, dass die Pflichten aus der VO das gegenüber den Fluggästen in Erscheinung tretende Luftfahrtunternehmen treffen sollen. Dies wird beispielsweise bei Erwägungsgründen 12, 17, 19 VO oder Artt. 3 Abs. 5, 14 VO erkennbar, die allesamt die Verflechtung zwischen der Eigenschaft als ausführendes Luftfahrtunternehmen mit dem tatsächlichen Auftreten gegenüber den Kunden zeigen. Auch der BGH hat im Hinblick auf die Passivlegitimation für Ansprüche auf Ausgleichszahlungen nach Art. 7 der Verordnung ausgeführt, dass dem Regelungskonzept der Verordnung die Annahme zu Grunde liegt, dass das bei der Flugabwicklung präsente Unternehmen in der Regel am besten in der Lage ist, die Verpflichtungen der VO zu erfüllen und diesem daher auch die Pflichten auferlegt werden (BGH NJW 2008, 2119 ff. mwN zur Entstehungsgeschichte der VO; BGH NVZ 2010, 137 ff.). Auf diese Weise werde sichergestellt, dass die von der Verordnung vorgesehenen Unterstützungsleistungen tatsächlich vor Ort effektiv erfüllt werden (BGH NJW 2008, 2119 ff. mwN zur Entstehungsgeschichte der VO; BGH NVZ 2010, 137 ff.). Die hier angelegte Differenzierung bestätigt sich bei Betrachtung von Erwägungsgrund 8 VO und Art. 13 VO, wonach das Luftfahrtunternehmen Ausgleich von seinen (bei der internen Abwicklung) eingesetzten Vertragspartnern verlangen kann. Denn das ausführende Luftfahrtunternehmen kann gemäß Art. 13 bei seinen (internen) Vertragspartnern nach Maßgabe der jeweiligen Vereinbarung Rückgriff nehmen und sich schadlos halten (zu diesem Gedanken: BGH NJW 2008, 2119 ff.).

10. Ausgehend von diesen rechtlichen Maßstäben ist die Beklagte als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ einzuordnen. Die Beklagte trägt aufgrund des – u.a. durch die ihr zuzuordnende Flugnummer – erweckten Anscheins die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Flug vor Ort erkennbar gegenüber den Passagieren durch eine andere Fluggesellschaft durchgeführt wurde. Eine der Beklagten zuzuordnende Flugnummer ist bereits in der Flugbestätigung benannt. Nach Art. 11 der Verordnung EG Nr. 2111/2005 sind die Passagiere bei der Buchung über die Identität des ausführenden Luftfahrtunternehmens zu unterrichten. Damit soll den Passagieren die Durchsetzung ihrer Rechte gegen dieses Unternehmen ermöglicht werden (BGH NVZ 2010, 137 ff.). Dabei soll es sich laut den Erwägungsgründen 11, 13 und 14 der Verordnung um das den Flug tatsächlich ausführende Luftfahrtunternehmen handeln, so dass die Begriffsverwendung mit derjenigen in der VO übereinstimmt. Überdies stammen die Bordkarten von der Beklagten (Bl. 7 d.A.). Die Beklagte hat im vorprozessualen Stadium auch gegenüber der Klägerseite nicht in Frage gestellt, dass sie der „richtige“ Ansprechpartner für Ansprüche aus der VO sei. Den Klägern durften davon ausgehen, dass die Beklagte den Flug durchführt.

11. Vor dem Hintergrund dieses klaren Anscheins hätte es an der Beklagten gelegen vorzutragen, dass – abweichend von der Flugbestätigung und dem gesetzten Anschein – gegenüber den Klägern hinreichend deutlich und erkennbar ein anderes Unternehmen als für die Ausführung verantwortlich auftrat (zur Beweislastumkehr bzw. Geständnisfiktion in einer ähnlichen Konstellation: BGH NJW-RR 2011, 355 ff.). Die Beklagte hat mit ihrem Vortrag dagegen überhaupt nicht grundsätzlich in Frage gestellt, dass sie – und nicht etwa T. Airlines UK – gegenüber den Klägern als Kunde aufgetreten sei und die Kläger von der Durchführung des Flugs durch die Beklagte ausgehen mussten. Nach dem Beklagtenvortrag soll T. die Crew gestellt haben. Dagegen hat die Beklagte bezeichnenderweise nicht vorgetragen, dass das Flugzeug unter dem Logo von T. und die Crew im Dress von T. gegenüber den Passagieren aufgetreten sei. Dies ist aber nach der VO entscheidend, weil die Passagiere nicht erkennen können, wer die Crew aufgrund interner Vereinbarungen „stellt“. Allein der Beklagtenvortrag, es habe beim Check-In einen Hinweis auf die Durchführung des Fluges durch eine andere Fluggesellschaft gegeben, genügt für eine Enthaftung ebenso wenig. Denn der Vortrag lässt nicht erkennen, wie der Hinweis konkret aussah und ob der Hinweis aus der maßgeblichen Sicht der Passagiere hinreichend eindeutig war. Überdies ist der Vortrag vage, nicht auf die Klägerin im Besonderen bezogen und bleibt unspezifisch. Selbst wenn der Hinweis hinreichend deutlich gewesen sein sollte, so mussten die Passagiere aufgrund der Ausstellung von Bordkarten im Namen von C. von einer Flugdurchführung durch C. ausgehen. Vor dem Hintergrund, dass die VO auch eine gegenüber den Passagieren kundgetane Durchführungsabsicht als Haftungsanknüpfungspunkt ansieht und die Beklagte jedenfalls durch Ausstellen der Bordkarte ihre Durchführungsabsicht kundgetan hat, haftet sie auch unter dem Gesichtspunkt einer faktischen Annullierung.

12. Ein anderes Verständnis der VO würde bei dieser Konstellation dazu führen, dass die Verbraucher trotz Ausstellen von Bordkarten durch C., einer Bedienung durch eine in C. – Dress gekleideten Besatzung und nachträglicher Anspruchsablehnung durch C. schlussendlich nach langer Prozessdauer im Prozess gegen C. unterlägen und ggf. Schadensersatzansprüche gegen C. wegen des erweckten falschen Eindrucks weiterverfolgen müssten. Abgesehen davon, dass diese Entscheidung für die betroffenen Kläger Ärgernisse nicht gemäß der VO ausgleichen, sondern steigern würde, würde die Entscheidung mit Blick in die Zukunft die Fluggäste auf einen (Prozess-)Weg mit höchst ungewissem und unkalkulierbarem Ende schicken. Damit würde künftig jeder vernünftige Verbraucher von Vornherein von der Durchsetzung seiner Ansprüche abgehalten. Überdies folgt die Entscheidung zu Lasten der Beklagte auch dem Verbot widersprüchlichen Verhalten. Schließlich ist das Ergebnis aus Sicht der Beklagten auch nicht unbillig. Denn sie kann sich ohne Weiteres an ihren Vertragspartner T. Airlines UK halten und bei diesem gemäß der internen Vereinbarungen Regress nehmen.

13. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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