Abgrenzung des Reisemangels von der Unmöglichkeit

LG Kempten: Abgrenzung des Reisemangels von der Unmöglichkeit

Die Klägerin buchte bei der Beklagten einen Urlaub auf der französischen Insel Reunion. Am neunten Reisetag sollte eine mehrtägige Trekkingtour beginnen. Der Reiseleiter der Reisegruppe verwehrte allerdings der Klägerin die Teilnahme, mit der Begründung, dass sie aufgrund von Konditions- und Trittsicherheitsproblemen nicht für die Tour geeignet wäre. Die Klägerin sah hierin einen Reisemangel und forderte Rückzahlung des Reisepreises, Schadenersatz und Schmerzensgeld von der Beklagten.

Das LG Kempten wies die Berufung der Klägerin gegen das vorherige Urteil zurück, da auch nach seiner Auffassung kein Reisemangel vorlag.

LG Kempten 53 S 244/09 (Aktenzeichen)
LG Kempten: LG Kempten, Urt. vom 04.09.2009
Rechtsweg: LG Kempten, Urt. v. 04.09.2009, Az: 53 S 244/09
AG Kempten, Urt. v. 28.01.09, Az: 1 C 553/08
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Landgericht Kempten

1. Urteil vom 04. September 2009

Aktenzeichen 53 S 244/09

Leitsätze:

2. Es liegt kein Reisemangel gem. § 651c BGB, sondern Unmöglichkeit gem. § 275 Abs 1 BGB vor, wenn die Reise insgesamt oder einzelne Leistungen der gebuchten Reise aufgrund von Umständen, die an dem Reisenden liegen, wegfallen.

Wird dem Reisenden wegen Fitness- und Trittsicherheitsschwächen die Teilnahme an einer mehrtägigen Wandertour durch den Reiseleiter verweigert, liegt ein Fall eines Leistungs- bzw. Mitwirkungshindernises in der Person des Reisenden vor, sodass die Pflicht zur Leistung des Reiseveranstalters gem. § 275 Abs. 1 BGB entfällt.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin buchte bei der beklagten Reiseveranstalterin einen Urlaub auf der französischen Insel Reunion im Indischen Ozean. Am neunten Reisetag sollte eine mehrtägige Wandertour durch drei Talkessel auf der Insel beginnen, an der die Klägerin teilnehmen wollte. Der Reiseleiter der Reisegruppe verweigerte der Klägerin die Teilnahme an der Trekkingtour, mit der Begründung, dass sie aufgrund von Konditions- und Trittsicherheitsproblemen nicht den Anforderungen für die Tour gewachsen wäre. Zu dieser Einschätzung gelangte er, nachdem sie schon währen vorheriger, leichterer Touren, sehr langsam war und auch einige der Touren vorzeitig abbrechen musste.
Die Klägerin sah in der verwehrten Teilnahme einen Reisemangel und forderte Rückzahlung des Reisepreises, Schadenersatz und Schmerzensgeld von der Beklagten.

Das LG Kempten wies die Berufung der Klägerin gegen das vorherige Urteil als unbegründet zurück, da auch nach seiner Auffassung kein Reisemangel gem. § 651c BGB vorlag, sondern eine Leistungs- bzw. Mitwirkungshindernise in der Person der Reisenden, die gem. § 275 Abs. 1 BGB zum Wegfall der Leistungspflicht des Reiseveranstalters führte.

Tenor:

4. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) vom 28.01.09 (Az. 1 C 553/08) wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

A.

5. Gem. § 540 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO u. § 544 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO wird von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen abgesehen.

B.

6. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1.

7. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 517, 519, 520 ZPO).

2.

8. In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg, nachdem der Klägerin weder ein Rückzahlungs- noch ein Schadenersatz- bzw. Schmerzensgeldanspruch gegenüber der Beklagten zusteht.

9. Der Umstand, dass der Leiter der Reisegruppe die Mitnahme der Klägerin auf die am neunten Reisetag beginnende mehrtägige Trekkingtour durch die drei Talkessel Cirques Salazie, Mafate und Cilaos auf der Insel Reunion aufgrund von Konditions- und Trittsicherheitsschwächen der Klägerin verweigerte, stellt im zu beurteilenden Fall keinen Reisemangel dar.

a)

10. In diesem Zusammenhang ist zunächst von Bedeutung, dass die Reiseveranstalterin ihrer Informationsverpflichtung insbesondere hinsichtlich des Schwierigkeitsgrads der Reise und den damit verbundenen Anforderungen an den Reisenden genügt hat.

11. In dem vorgelegten Reiseprospekt/Unterlagen (Anlagen K 2, K 3, K 4, K 5) ist die Wander/Trekkingtour detailliert beschrieben.

12. Insbesondere im Detailprogramm (Anlage K 6) sind die geplanten Tagesausflüge mit Landschaftsbeschreibungen, veranschlagten Gehzeiten, zurückzulegenden Höhenunterschieden usw. näher dargelegt.

13. Darüber hinaus kann aus der beschriebenen Wanderkategorie (vgl. Anlage K 4) der Schwierigkeitsgrad und die sich stellenden Anforderungen an Erfahrung und körperliche Fitness im Rahmen der üblichen Vorbereitung auf die Reise entnommen werden.

14. Dabei ist grundsätzlich jeder Teilnehmer einer solchen „Spezialreise“ gehalten, sich selbstkritisch einzuschätzen und aufgrund der vom Veranstalter vorgegebenen Kriterien/Informationen zu überprüfen, ob er das für die beschriebene Reise dargelegte Anforderungsprofil erfüllt.

b)

15. Der Umstand, dass der Klägerin im vorliegenden Fall die Teilnahme an der mehrtägigen Trekkingtour durch den Reiseleiter der Beklagten aufgrund von zutage getretenen Konditions- und Trittsicherheitsschwächen der Klägerin verweigert wurde, stellt keinen Reisemangel dar, vielmehr handelt es sich insoweit um ein Leistungs-​/Mitwirkungshindernis in der Person der Klägerin mit der Folge, dass die Leistungspflicht der Beklagten diesbezüglich gem. § 275 Abs. 1 BGB entfiel.

16. Da unter Leistung im Sinne von § 275 BGB nicht die Leistungshandlung, sondern der Leistungserfolg zu verstehen ist, liegt Unmöglichkeit auch dann vor, wenn die Leistungshandlung weiterhin möglich ist, jedoch der Leistungserfolg nicht mehr erreicht werden kann (vgl. Saarbrücken NJW RR 06, 1002; Palandt BGB 68. Aufl. § 75 Rn. 18; Beck OK BGB § 75 Rn. 41). Dies gilt auch wenn der Leistungserfolg aufgrund von Leistungshindernissen in der Person des Gläubigers nicht mehr herbeigeführt werden kann (BGHZ 60, 14).

17. Unmöglichkeit im Sinne von § 275 BGB in Abgrenzung zum Reisemangel (§§ 651 c ff. BGB) ist folglich gegeben, wenn die gesamte Reise oder einzelne Reiseleistungen wegen Umstände entfallen, die in der Person des Reisenden liegen (vgl. BGH NJW 86, 1748 ff.).

18. So liegt der Fall hier, nachdem der Reiseleiter der Beklagten unter Zugrundelegung der bindenden Feststellungen des Amtsgerichts Kempten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) im Rahmen der ihm obliegenden Fürsorge- und Obhutspflicht die Klägerin von der Teilnahme der mehrtägigen Trekkingtour ausschloss, da diese den Anforderungen/Strapazen der anstehenden Tour insbesondere im Bezug auf Kondition- und Trittsicherheit nicht gewachsen war.

19. Da es sich bei der Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB) um eine anspruchsvernichtende Tatsache handelt, trägt grundsätzlich der Schuldner die Darlegungs- und Beweislast hierfür (Palandt BGB § 275 Rn. 34; Staudinger BGB 2009 § 275 Rn. 121).

20. In diesen Zusammenhang ist von Bedeutung, dass dem Reiseveranstalter insbesondere bei einer anspruchsvollen Trekkingwanderung wie im zu beurteilenden Fall Obhuts-​/Schutz-​/und Betreuungspflichten obliegen.

21. Diese Pflichten erstrecken sich vor allem auf die Wahrung der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit der Reisenden (vgl. LG Frankfurt NJW 77, 1687; RRa 1995, 67). Im Rahmen dieser Nebenpflichten hat der Reiseleiter für den einzelnen Reisenden aber auch für die von ihm zu betreuende Gruppe zu beurteilen, ob der jeweilige Teilnehmer aufgrund seiner Fähigkeiten sowie körperlichen und mentalen Verfassung in der Lage ist, die Anforderungen der jeweiligen Tour ohne Gefahren für sich selbst oder die übrigen Reiseteilnehmer zu bewältigen.

22. Maßgeblich ist dabei eine Beurteilung ex ante aufgrund der sich bietenden objektiven Umstände.

23. Gemessen an den oben dargelegten Kriterien erscheint dem Berufungsgericht ausreichend bewiesen, dass die Klägerin in der konkreten Situation nicht die für die zur Teilnahme an der mehrtägigen Trekkingtour erforderliche Kondition/Trittsicherheit verfügte, so dass die Entscheidung des Reiseleiters, die Klägerin wegen der bei ihr bei den sog. „Eingehtouren“ zutage getretenen Defiziten (Fitness/Trittsicherheit) auszuschließen, sachgerecht und aus Gründen der dargelegten Fürsorgepflicht geboten war.

24. Das die Klägerin den anstehenden Anforderungen nicht gewachsen war ergibt sich bereits aus den Ausführungen des Erstgerichts im unstreitigen Tatbestand, wo beschrieben wird, dass die Klägerin erheblich mehr Zeit zur Bewältigung der vorangegangenen Touren benötigte als die übrigen Reiseteilnehmer bzw. teilweise verkürzte Wanderungen durchführte und an anderen gar nicht teilnahm.

25. Insoweit liefert der Tatbestand gem. § 314 S. 1 ZPO Beweis für das (unstreitige) Vorbringen der Parteien in der mündlichen Verhandlung (BGH NJW 83, 2030).

26. Dieser aufgrund des § 314 S. 1 ZPO erbrachte Beweis kann gem. § 314 S. 2 ZPO nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden.

27. Dies gilt allerdings nur sofern das Sitzungsprotokoll Feststellungen im Tatbestand ausdrücklich oder zumindest unzweideutig widerspricht (vgl. Zöller ZPO § 314 Rn. 6) und nur für solche Angaben, die zu den Förmlichkeiten gehören, auf die sich die Beweiskraft des Protokolls bezieht (BGH NJW 91, 2084; Zöller ZPO § 314 Rn. 6).

28. Insoweit hilft es nicht weiter, dass die Berufungsführerin sich auf Angaben von Zeugen im Rahmen der mündlichen Verhandlung bezieht, welche den Darlegungen im Tatbestand teils widersprechen, da zwar die Tatsache, dass eine Beweisperson vernommen wurde – nicht aber der Inhalt der Aussage – von der Beweiskraft des Protokolls erfasst wird (vgl. Musikak ZPO 6. Aufl. § 165 Rn. 2; Münchner Kommentar ZPO § 165 Rn. 8).

29. Darüber hinaus ist dem Ausgangsgericht ein Beweiswürdigungsfehler dahingehend, dass es aufgrund der sich weitgehend deckenden Aussagen der vernommenen, tourerfahrenen Reiseleiter sowie der angehörten Reiseteilnehmer zu dem Ergebnis gelangt, dass bei der Klägerin Konditions- und Trittsicherheitsschwächen vorlagen, welche sie nicht als geeignet erscheinen ließen an der 6-​tägigen Trekkingtour durch die drei Talkessel auf der Vulkaninsel im Indischen Ozean in tropischer Vegetation mit steilen Auf- und Abstiegen in unwegsamen Gelände teilzunehmen, nicht vorzuwerfen.

30. Das Erstgericht hat sich in dem Urteil vom 28.1.09 sorgfältig und dezidiert mit den Aussagen der vernommenen Zeugen auseinandergesetzt, wobei die tragenden Gründe der Beweiswürdigung im Urteil angeführt sind.

31. Weder ist die Beweiswürdigung unvollständig oder widersprüchlich, noch liegt ein Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vor. Vielmehr ist die Beweiswürdigung des Amtsgerichts Kempten insoweit nachvollziehbar und ausreichend begründet.

32. Soweit die Berufungsführerin zum Beweis der Tatsache, dass die Klägerin über die erforderliche Konstitution, Fitness, verfügte, die Einholung eines ärztlichen Attestes anbietet bzw. auf vorangegangene oder nachfolgende erfolgreich absolvierte und vom Schwierigkeitsgrad angeblich vergleichbare Touren verweist, verkennt sie, dass diese Umstände keinen Aussagewert für die zum damaligen Zeitpunkt, ex ante, zu beurteilende Verfassung der Klägerin im Hinblick auf die anstehenden Strapazen/Belastungen in Verbindung mit der mehrtägigen Trekkingtour haben. Vielmehr steht aufgrund der übereinstimmenden Aussagen der vernommenen Zeugen, insbesondere der über langjährige Erfahrung auf diesen Gebiet verfügenden Reiseleitern fest, dass die die Klägerin die vorangegangenen leichteren „Eingehtouren“ nur unter größten Schwierigkeiten bewältigen konnte bzw. teilweise sogar kürzere Routen wählen musste, wobei auch eine Einzelbetreuung durch einen Reiseleiter notwendig war.

33. Folglich war die Entscheidung des Reiseleiters als ortskundigen, erfahrenen Fachmann der Klägerin die Teilnahme an der anstehenden mehrtägigen Trekkingtour, welche mit weitaus höheren Anforderungen für Kondition und Trittsicherheit verbunden war zu untersagen, durchaus sachgerecht.

34. Das gilt umso mehr, als die Klägerin selbst vorträgt, dass sie am 9. Tag der Reise an keiner Wanderung teilnahm, da sie an Magen-​Darmbeschwerden litt (vgl. Schriftsatz vom 2.9.08 S. 8), was zusätzlich, zur ohnehin unreichenden Kondition, eine weitere Schwächung bewirkte.

35. Folglich beruht das Ausfallen der Reiseleistung zwar auf einer Anordnung des Reiseleiters der Beklagten, die auf Grund der vorliegenden Umstände allerdings geboten war und letztlich ihre Ursache in der körperlichen Verfassung der Klägerin hatte, so dass ein Leistungshindernis in der Person des Gläubigers im Sinne von § 275 BGB vorlag.

c)

36. Nachdem sich die Ursache des Leistungsausschlusses nach § 275 BGB aus dem Herrschafts/Organisationsbereich der Klägerin als Gläubigerin stammt, bleibt die Gegenleistung der Beklagten gem. § 326 Abs. 2 S. 1 Alternative 1 BGB erhalten.

37. Der gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB erforderliche Nachweis des fehlenden Vertretenmüssens (vgl. Palandt BGB § 26 Rn. 14) hat die Klägerin hingegen nicht geführt.

38. Im Ergebnis steht der Klägerin daher mangels Reisefehlers bzw. sonstiger Pflichtverletzung der Beklagten weder ein Rückerstattungsanspruch noch sonstige Schadenersatz- noch Schmerzensgeldansprüche zu.

2.

39. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

3.

40. Die vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

4.

41. Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Das Urteil stellt eine Einzelfallentscheidung dar und besitzt keine grundsätzliche Bedeutung.

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