Vorliegen von Reiseleistungen bei Beschaffung von Flugtickets und Visa durch Reiseveranstalter

LG Stuttgart: Vorliegen von Reiseleistungen bei Beschaffung von Flugtickets und Visa durch Reiseveranstalter

Ein kasachischer Mann verklagte eine Frau auf Schadensersatz für entgangene Urlaubsfreude, weil sie nicht wie vereinbart für ihn und seine Familie Visa und Flugtickets beschafft, sondern ihn um die Vorauszahlung dafür betrogen hatte.

Das Landgericht Stuttgart gestand ihm für letzteres Ersatz zu, jedoch nicht für vertane Urlaubszeit, da zwischen Kläger und Beklagter kein Reisevertrag bestand.

LG Stuttgart 12 O 488/06 (Aktenzeichen)
LG Stuttgart: LG Stuttgart, Urt. vom 25.01.2007
Rechtsweg: LG Stuttgart, Urt. v. 25.01.2007, Az: 12 O 488/06
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Landgericht Stuttgart

1. Urteil vom 25. Januar 2007

Aktenzeichen 12 O 488/06

Leitsatz:

2. Die Beschaffung von Visa gegen Entgelt ist keine eigenständige Reiseleistung, da es sich dabei nicht um eine touristische Dienstleistung im Sinne eines erlebbaren Teils einer Reise handelt.

Zusammenfassung:

3. Ein kasachischer Mann plante für sich und seine Familie einen Urlaub im Heimatland. Dafür beauftragte er die Beklagte, Visa und Flugtickets zu beschaffen und zahlte diese Leistungen im Voraus. Diese erbrachte die vereinbarten Leistungen jedoch nicht und behielt die erbrachten Zahlungen trotz Rückforderungen seitens des Klägers ein. Folglich kam es aus zeitlichen und finanziellen Gründen nicht zu einem Auslandsaufenthalt.

Vor dem Landgericht Stuttgart klagte der Mann für sich und seine Familie auf die Rückzahlung der Leistungen für Visa und Tickets, sowie auf Entschädigung für immateriellen Schaden, der durch den ausgefallenen Heimatbesuch entstanden sei. Die Beklagte gestand, den Mann betrogen zu haben. Das Gericht verurteilte sie zur Rückzahlung der Kosten für Visa und Tickets, sah jedoch keinen Anspruch auf Schadensersatz für vertane Urlaubszeit, weil zwischen den Parteien kein Reisevertrag bestanden hatte.

Die Kammer begründete das Urteil damit, dass die Beschaffung von Visa keine eigenständige Reiseleistung ist, weil sie keine erlebbare touristische Dienstleistung ist und der Beschaffende keine Erfolgsgarantie übernehmen kann, da die Entscheidungsgewalt über die Ausstellung eines Visums allein beim Einreiseland liegt.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 2.645,00 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 23.09.2006 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger den gemäß Ziffer 1 ausgeurteilten Betrag auch aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung schuldet.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere € 154,10 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 23.11.2006 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt jede Partei die Hälfte.

Das Urteil ist für den Kläger ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Streitwert:

Antrag Ziffer 1  € 2.645,00

Antrag Ziffer 2  € 3.000,00

Antrag Ziffer 3     € 300,00

Tatbestand

5. Der Kläger begehrt vom Beklagten die Rückzahlung der von ihm erbrachten Leistungen für Flugtickets und Visabeschaffung sowie eine Entschädigung für sich und seine Familie wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit.

6. Der Kläger trägt vor, über die Beklagte vier Flugtickets der Air Astana von Frankfurt/Main nach Astana/Kasachstan mit Hinflug am 15.08.2006 und Rückflug am 01.09.2006 samt Visabeschaffung und Portopauschale zum Preis von € 2.645,00 gebucht zu haben. Die Familie habe in ihrem Heimatland Kasachstan den gemeinsamen Urlaub verbringen wollen. Der vereinbarte Reisepreis sei durch Überweisungen auf das Konto der Beklagten am 09.06.2006 in Höhe von € 800,00 und am 27.07.2006 in Höhe von € 1.845,00 € bezahlt worden.

7. Die Reisepässe der Familie seien vom Kläger Anfang Juni 2006 an die Beklagte zum Zweck der Visa-​Beschaffung übersandt worden, jedoch etwa eine Woche vor dem Abflugtermin ohne Visa zurückgekommen. Auch seien von der Beklagten keine Flugtickets übersandt worden. Daraufhin habe sich zwar der Kläger noch beim kasachischen Konsulat in Frankfurt/Main bemüht, Visa zu erhalten, doch sei ihm dies unter Hinweis auf die Bearbeitungsdauer von drei Wochen verweigert worden. Die Familie habe deshalb die für den Urlaub vorgesehene Zeit zu Hause verbringen müssen. Eine anderweitige Gestaltung des Urlaubs sei aus finanziellen Gründen nicht mehr möglich gewesen. Auch habe der Arbeitgeber eine Verlegung des bereits bewilligten Urlaubs verweigert.

8. Nach fruchtlosen Rückzahlungsaufforderungen des Klägers habe sein Prozessbevollmächtigter mit Schriftsatz vom 01.09.2006 den Vertrag gekündigt und die Beklagte aufgefordert, den geleisteten Reisepreis sowie immateriellen Schadensersatz in Höhe von € 3.000,00 unter Fristsetzung bis 22.09.2006 zu leisten. Etwaige Rechte seiner Familienmitglieder seien ihm abgetreten worden.

9. Der Kläger behauptet, dass die Beklagte bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Absicht gehabt habe, die eingegangenen Verpflichtungen nicht zu erfüllen.

10. Der Kläger beantragt:

1.

11. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe 2.645,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.09.2006 zu bezahlen.

2.

12. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Schmerzensgeldzahlung, deren konkrete Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, vorzunehmen.

3.

13. Es wird festgestellt, dass die Beklagte den Zahlbetrag von 2.645,00 € sowie das in das Ermessen des Gerichts gestellte Schmerzensgeld auch aus dem Tatbestand einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung schuldet.

4.

14. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 278,05 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

15. Dem Beklagten wurden die Klage sowie die Ladung zum Haupttermin zur mündlichen Verhandlung vom 11.01.2007 am 19.12.2006 zugestellt. Im Termin war die Beklagte weder anwesend noch vertreten.

16. Der Kläger hat den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt (Bl. 21 d.A.).

Entscheidungsgründe

I.

17. Soweit die Klage Erfolg hat, ist durch echtes Versäumnisurteil gem. § 331 Abs. 2 Halbsatz 1 ZPO zu entscheiden. Die Beklagte hat dem schlüssigen Vortrag des Klägers zugestanden (§ 331 Abs. 1 ZPO), dass er von der Beklagten betrogen worden sei, weshalb diese gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zum Schadensersatz verpflichtet sei. Als Schaden sind die behaupteten Zahlungen an die Beklagte in Höhe von € 2.645,00, darauf entfallende Verzugszinsen sowie ein Verzugsschaden in Höhe der nicht anzurechnenden vorgerichtlichen Anwaltskosten aus einem Streitwert von € 2.645,00 schlüssig.

II.

18. Im Übrigen ist die Klage durch unechtes Versäumnisurteil abzuweisen, da der Vortrag das weitere Begehren des Klägers nicht rechtfertigt.

1.

19. Aus dem Vortrag des Klägers kann ein Anspruch gemäß § 651 f Abs. 2 BGB auf eine angemessene Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit nicht abgeleitet werden, da zwischen den Parteien ein Reisevertrag gemäß § 651 a BGB nicht zustande gekommen ist.

a)

20. Ein Reisevertrag gemäß § 651a Abs.1 BGB setzt als vertragstypische Leistung voraus, dass sich der Reiseveranstalter verpflichtet, dem Reisenden eine Gesamtheit von Reiseleistungen zu erbringen. Notwendig sind dabei mindestens zwei einzelne Reiseleistungen, die zu einer Gesamtheit verbunden sind (Staudinger-​Eckert § 651a BGB Rdnr. 12, MüKo-​Tonner, 4. Aufl., § 651a BGB Rdnr. 12). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte mit der Verpflichtung zur Beschaffung der Flugtickets und der Visa zwei Reiseleistungen im weitesten Sinne übernommen. Allerdings kann die Übernahme der Visa-​Beschaffung gegen Entgelt nicht als eigenständige Reiseleistung im Sinne von § 651 a BGB beurteilt werden.

21. Der Begriff der Reiseleistung gemäß § 651 a BGB ist nach Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13.06.1990 über Pauschalreisen unter Berücksichtigung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 30.04.2002 (C-​400/00) europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass es sich um eine touristische Dienstleistung handeln muss. Von einer touristischen Dienstleistung kann aber nur gesprochen werden, wenn es sich bei der geschuldeten Leistung um einen erlebbaren Teil einer Reise handelt. Dieser Fall liegt aber nicht vor, wenn von einem Reisebüro – wie hier – lediglich Flugtickets vermittelt werden und in diesem Zusammenhang die Visabeschaffung übernommen wird. Denn die Visa berechtigen nur dazu, die Flugleistung in Anspruch zu nehmen, beinhalten aber keinerlei Anspruch auf Beförderung, Unterkunft, Verpflege oder Teilnahme an einer Erlebnisveranstaltung. Somit ist die Visa-​Beschaffung als selbständige Nebenleistung der Vermittlung der Flugleistung (funktionelle touristische Dienstleistung) zuzuordnen (vgl. dazu Staudinger-​Eckert § 651a Rdnr. 14; ähnlich Führich, Reiserecht, 4. Aufl., Rdnr. 81). Eine Nebenleistung ist aber gemäß Art 2 Nr. 1 lit. c der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13.06.1990 über Pauschalreisen keine vertragstypische Reiseleistung und kann deshalb in Verbindung mit nur einer weiteren (Haupt-​)Reiseleistung nicht zur Annahme eine Reisevertrags gemäß § 651a BGB führen.

22. Selbst wenn aber die Visa-​Beschaffung als selbständige Reiseleistung zu qualifizieren wäre, so wäre es allenfalls eine untergeordnete Nebenleistung, welche zur Annahme eines Pauschalreisevertrages im Sinne von § 651a BGB nicht ausreichen würde. Die Visa-​Beschaffung ist vergleichbar mit den von der Rechtsprechung bereits entschiedenen Fällen der Reiserücktrittskostenversicherung (BGHZ 119, 152, 159) oder dem Angebot zur Benutzung eines Schwimmbades bzw. einer Sauna (BGH NJW 2000, 1639, 1640) jeweils neben der Unterkunftsleistung.

2.

23. Auch eine entsprechende Anwendung der §§ 651a ff. BGB kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht.

24. Die Rechtsprechung befürwortet die analoge Anwendung dieser Vorschriften bei Vorliegen auch nur einer einzelnen Reiseleistung (BGHZ 119, 152, 163; 130, 128, 131; BGH NJW 1985, 906, 907) und begründet dies mit derselben Interessenlage wie beim Erwerb einer Gesamtheit von Reiseleistungen. Voraussetzung für eine solche Annahme ist aber, dass der Vertragspartner (zumeist ein Reisebüro) aus Sicht des Reisenden die Leistung als eigenverantwortlicher Veranstalter, d.h. mit Verantwortung für den Erfolg, anbietet und nicht nur fremde Leistungen vermittelt (BGHZ 119, 152, 163; BGH NJW 1985, 906, 907; Palandt-​Sprau, 66. Aufl., Einf v § 651a BGB Rdnr. 5). Es ist zudem entscheidend, ob nach dem Gesamteindruck und Auftreten eine bestimmte Gestaltung der Reise versprochen wird oder ob sich die Leistung in der bloßen Bereitstellung erschöpft (BGHZ 130, 128, 132).

25. Nach diesen Grundsätzen kann die Visa-​Beschaffung nicht als Gestaltung der Reise mit Erfolgsgarantie beurteilt werden. Sowohl nach dem Inhalt des Vertrages wie auch nach dem Auftreten der Beklagten ist davon auszugehen, dass sie für die Visa-​Beschaffung nur die Geschäftsbesorgung, aber nicht den Erfolg übernehmen wollte. Die Erteilung von Visa liegt nämlich in der ausschließlichen Entscheidungsbefugnis des Einreisestaates und kann vom Reiseveranstalter grundsätzlich nicht beeinflusst werden.

3.

26. Weitere Anspruchsgrundlagen für die Entschädigung nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit sind vom Kläger weder dargetan noch nicht ersichtlich. § 253 Abs. 1 und Abs. 2 BGB sind insoweit abschließende Regelungen.

27. Nach der Kodifizierung des Reiserechts in § 651a ff BGB kann auch der in der früheren Rechtsprechung ausgeführte Kommerzialisierungsgedanke (BGHZ 63, 98, 101; 77, 116, 120; 86, 212, 215; BGH NJW 1985, 906 f.) nicht zur Begründung eines immateriellen Schadens heran gezogen werden. Anhaltspunkte für eine Vereitelung oder schwere Beeinträchtigung der mit dem Urlaub verbundenen Erholungsmöglichkeit bestehen nicht.

4.

28. Nachdem ein eigener Anspruch des Klägers auf immateriellen Schadensersatz sich als unbegründet erwiesen hat, kommen auch keine Ansprüche aus abgetretenem Recht aufgrund desselben Lebenssachverhalts in Betracht.

5.

29. Nachdem die Klage nur bezüglich des im Klagantrag Ziff. 1 geltend gemachten Hauptsachebetrags für schlüssig zu erachten ist, beschränkt sich auch die Schlüssigkeit des mit vorprozessualen Anwaltskosten geltend gemachten Verzugsschadens auf einen Streitwert von € 2.645,00.

30. Der begründete Anspruch errechnet sich wie folgt:

 

Gebühr 1,3 Ziff. 2300 RVG € 245,70
Ausla­gen­pau­schale  € 20,00
€ 265,70
davon gem. Vorbem 3 Abs. 4 die Hälfte € 132,85
16 % USt  € 21,25
 € 154,10

31. Im Übrigen ist die Klage als unschlüssig abzuweisen.

III.

32. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 2; 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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