Verstopfung der Flugzeugtoiletten als außergewöhnlicher Umstand

AG Frankfurt: Die Verstopfung der Flugzeugtoiletten als außergewöhnlicher Umstand

Die Kläger buchten bei der Beklagten einen Flug von Frankfurt am Main über Moskau nach Bangkok. Der Abflug in Frankfurt verspätete sich auf Grund einer Verstopfung der Flugzeugtoiletten, die noch am Boden beseitigt wurde. Dadurch verspätete sich die Ankunft in Moskau um mehr als vier Stunden und die Kläger verpassten ihren Anschlussflug.

Die Kläger verlangten von der Beklagten eine Ausgleichszahlung von insgesamt 1.200 Euro nebst Zinsen. Das Gericht sprach den Klägern die begehrte Ausgleichszahlung auf Grundlage der Europäischen Fluggastrechteverordnung zu.

AG Frankfurt 29 C 2454/15 (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 10.08.2016
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 10.08.2016, Az: 29 C 2454/15
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Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 10. August 2016

Aktenzeichen 29 C 2454/15

Leitsätze

2. Muss eine Verstopfung der Flugzeugtoiletten vor dem Abflug beseitigt werden, dann ist die Verstopfung kein „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (Fluggastrechteverordnung), sodass das Luftfahrtunternehmen bei einer mehr als vierstündigen Ankunftsverspätung diesen Umstand nicht zum Ausschluss einer Ausgleichspflicht anführen kann.

Toiletten werden von Luftfahrtunternehmen notwendigerweise den Fluggästen zur Verfügung gestellt, weshalb die gängigen Probleme beim Betrieb von Toiletten für die Unternehmen nicht außergewöhnlich sein können.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug von Frankfurt am Main über Moskau nach Bangkok gebucht. Dieser sollte am 28.02.2015 um 14 Uhr abfliegen.

Das hierfür vorgesehen Flugzeug war zwar rechtzeitig in Frankfurt gelandet, es musste aber vor dem Weiterflug noch eine Verstopfung der Toilette beseitigt werden. Dies dauerte ca. 3 Stunden. Die Beklagte behauptete, die Verstopfung sei durch unsachgemäße Benutzung eingetreten.

Die Landung in Moskau fand schließlich mit einer Verspätung statt, die dafür sorgte, dass die Kläger den Anschlussflug nach Bangkok verpassten. Dort trafen sie mit einer Verspätung von mehr als vier Stunden ein. Deshalb verlangten sie eine Ausgleichszahlung in Höhe von je 600,00 EUR, insgesamt 1.200,00 EUR.

Gemäß Art. 5 Abs. 1 c der Europäischen Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (kurz: FluggastrechteVO) steht allen Fluggästen ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung zu, wenn sie nicht spätestens sieben Tage vor der planmäßigen Abflugszeit über die Annullierung informiert wurden. Diese Ausgleichszahlung beträgt für Flüge über eine Entfernung von mehr als 3.500 km 600,00 EUR. Die FluggastrechteVO ist anwendbar auf Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats einen Flug antreten.

Die Verordnung ist auf Flüge aus Deutschland anwendbar. Die Flugdistanz beträgt mehr als 3.500 km. Durch die Verspätung des Fluges nach Moskau konnte der Anschlussflug nach Bangkok nicht erreicht werden, wurde also im Sinne der Verordnung annulliert (vgl. Art. 2 lit. l). Hierüber wurden die Kläger auch nicht sieben Tage vor Flugantritt informiert. Der Anspruch auf Ausgleichszahlung besteht also dem Grunde nach.

Gem. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung ist das Luftfahrtunternehmen zur Ausgleichszahlung aber nicht verpflichtet, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf „außergewöhnliche Umstände“ zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Beklagte war der Ansicht, dass die auf eine (behauptete) unsachgemäße Benutzung zurückgehende Verstopfung der Toiletten ein solcher außergewöhnlicher Umstand ist.

Um ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Verordnung zu sein, muss es sich um einen Umstand handeln, der nicht vom normalen Betrieb eines Flugunternehmens umfasst ist und der auch vom Unternehmen nicht zu beherrschen ist. Ein technisches Problem kann nach der Rechtsprechung des BGH nur dann als solcher außergewöhnlicher Umstand angeführt werden, wenn es seine Ursache in einem der in Erwägungsgrund 14 der Verordnung genannten Gründe hat, wie beispielsweise bei einem versteckten Fabrikationsfehler, einem Sabotageakt oder einem terroristischen Angriff.

Ein Verhalten Dritter ist meistens nur dann ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Verordnung, wenn es darauf ausgerichtet ist, den Flugbetrieb zu stören. Dies war hier wohl nicht der Fall.

Überhaupt werden Flugzeugtoiletten im Flugverkehr notwendigerweise eingesetzt, um als sanitäre Einrichtungen die Körperausscheidungen der Fluggäste aufzunehmen. Daher gehören auch die Probleme, die der Betrieb von Toiletten üblicherweise mit sich bringen kann, zum normalen Betrieb eines Luftverkehrsunternehmens.

Das Gericht war deshalb der Ansicht, dass die Verstopfung der Flugtoilette, unabhängig davon ob dies durch Fehlgebrauch oder einen technischen Defekt ausgelöst wurde, kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Verordnung ist. Es sprach den Klägern daher je 600,00 EUR, insgesamt 1.200,00 EUR zu.

 

Tenor

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger je 600,00 EUR, insgesamt 1.200,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 14.05.2015 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte zu 90 % und die Kläger zu 10 % tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils für diesen insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollsteckenden Betrages leistet.

Tatbestand

5. Die Kläger nehmen die Beklagte auf Zahlung von Ausgleichsleistungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 […] (im Folgenden: EGV 261/2004) wegen nicht ordnungsgemäß erbrachter Flugleistungen in Anspruch.

6. Die Kläger buchten für den 28.02.2015 einen Flug von Frankfurt am Main über Moskau nach Bangkok (SU 272). Die Distanz beträgt mehr als 3.500 km.

7. Geplanter Abflug in Frankfurt am Main war am 28.02.2015 um 14:00 Uhr (Ortszeit). Der Abflug in Frankfurt am Main fand verspätet statt. Dadurch verpassten die Kläger den Anschlussflug in Moskau. Die Ankunftsverspätung am Endziel betrug mehr als 4 Stunden. Die Flugbeförderung erfolgte durch die Beklagte.

8. Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger je 600,00 EUR, insgesamt 1.200,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 14.05.2015 zu zahlen.

9. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10. Die Beklagte behauptet, durch unsachgemäße Benutzung der Toiletten sei es zu einer Verstopfung gekommen. Diese hätte zunächst auf der pünktlich in Frankfurt am Main gelandeten Maschine beseitigt werden müssen. Die Beseitigung der Verstopfung habe ca. 3 Stunden angedauert.

11. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstigen Aktenbestandteilen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12. Die zulässige Klage ist begründet.

13. Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Ausgleichsanspruch in Höhe von jeweils 600,00 EUR nach Art. 5 i. V. m. 7 Abs. 1 EGV 261/2004 wegen Verspätung des Fluges.

14. Der Anwendungsbereich der EGV 261/2004 ist eröffnet. Weil alleine schon die auf den im Anwendungsbereich der Verordnung gestarteten Flug zurückzuführende Verzögerung für das Verpassen des Anschlussfluges und die Verspätung am Endziel ursächlich gewesen ist, sind die Voraussetzungen erfüllt. Auch eine Kürzung kommt nicht in Betracht (vgl. LG Frankfurt, Urteil vom 26.07.2013, 224 S 47/12).

15. Die Beklagte ist von ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Ausgleichsleistungen auch nicht nach Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 freigeworden. Der Ausnahmetatbestand greift nicht. Die Beklagte hat nicht dargetan, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

16. Ein außergewöhnlicher Umstand i. S. d. Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 ist nur dann gegeben, wenn das Vorkommnis nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftverkehrsunternehmens und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist (EuGH, Urteil vom 22.12.2008 – C-​549/07, Wallentin-​, Hermann/Alitalia, Rn. 23 – juris).

17. Hierbei kennzeichnet es die gegebenenfalls zu einem Wegfall der Ausgleichsverpflichtung führenden Umstände, dass sie außergewöhnlich sind, d.h. nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen, sondern außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 21. August 2012 – X ZR 138/11 -‚ Rn. 10, 13 -juris: „(als) außergewöhnlich aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen“). Der Begriff soll Ereignisse erfassen, die nicht mit dem Luftverkehr verbunden sind, sondern als – jedenfalls in der Regel von außen kommende – besondere Umstände seine ordnungs- und plangemäße Durchführung beeinträchtigen oder unmöglich machen können (vgl. BGH a. a. O., Rn. 11 – juris). Erwägungsgrund 14 und 15 der Verordnung zeigen, dass für die Qualifikation der Umstände als außergewöhnlich weder ihre – möglicherweise vielfältigen – Ursachen noch ihre Herkunft aus dem Verantwortungsbereich des Luftverkehrsunternehmens oder eines Dritten oder ihre generelle Unbeeinflussbarkeit entscheidend sind, sondern vielmehr der Umstand, dass sie sich von denjenigen Ereignissen unterscheiden, mit denen typischerweise bei der Durchführung eines einzelnen Fluges gerechnet werden muss (vgl. BGH a. a. O., Rn. 14 – juris).

18. Es kann dahinstehen, ob man vorliegend lediglich von einem technischen Defekt oder einer Verursachung durch einen Dritten ausgeht. Als außergewöhnlicher Umstand kann ein technisches Problem nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann angesehen werden, wenn es seine Ursache in einem der in Erwägungsgrund 14 der Verordnung genannten Umstände hat, beispielsweise auf versteckten Fabrikationsfehlern, Sabotageakten oder terroristischen Angriffen beruht (BGH, Urteil vom 12. November 2009 – Xa ZR 76/07 -‚ juris – Rn. 14). Aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der technische Defekt, der im Streitfall zur Annullierung des Fluges geführt hat, auf einem außergewöhnlichen Umstand im vorstehend genannten Sinne beruht.

19. Soweit es sich um ein Verhalten Dritter handelt, ist dieses dann geeignet als außergewöhnlicher Umstand anerkannt zu werden, wenn es darauf abzielt die normale Tätigkeit des Flugunternehmens zu beeinträchtigen, sofern in aller Regel auch nicht nur ein einzelner oder einzelne Flüge, sondern typischerweise die gesamte oder zumindest wesentliche Teile der gesamten Tätigkeit des Luftverkehrsunternehmens betroffen sind (BGH Urteil vom 21. August 2012 – X ZR 138/11 -‚ Rn. 16). Entsprechendes ist weder vorgetragen, noch ersichtlich. Vielmehr ist vorliegender Fall mit der Konstellation vergleichbar, die der EuGH mit Beschluss vom 14.11.2014 (C-​394/14) entschieden hat. Toiletten dienen den Fluggästen als sanitäre Vorrichtungen der Aufnahme von Körperausscheidungen und werden damit bei der Beförderung von Fluggästen im Luftverkehr notwendigerweise eingesetzt, so dass die Luftfahrtunternehmen regelmäßig mit Situationen konfrontiert sind, die sich aus dem Einsatz von Toiletten ergeben.

20. Da damit schon die erste der beiden kumulativen Voraussetzungen für die Annahme eines außergewöhnlichen Umstands im Sinne des Art 5 Abs. 3 EGV 261/2004 fehlt, kommt es nicht mehr auf die zweite Voraussetzung an, namentlich die Frage, ob das Vorkommnis vom Luftfahrtunternehmen zu beherrschen ist oder nicht.

II.

21. Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 ZPO. Angesichts dessen, dass die zurückgenommenen Nebenforderungen 10% des fiktiven Streitwerts (Hauptforderung, Zinsen, Kosten) überschreiten, war ungeachtet dessen, dass dieselbe Wertstufe vorliegt, eine Kostenquotelung vorzunehmen (vgl. Zöller-​Herget, § 92, 29. A., Rn. 11).21

22. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Maßgabe in §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

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