Versicherungsfall in der Reisekostenrücktrittsversicherung

AG München: Versicherungsfall in der Reisekostenrücktrittsversicherung

Ein Ehepaar buchte eine Reise nach Kanada und eine zugehörige Reiserücktrittskostenversicherung. Als etwa einen Monat vor Reiseantritt beim Vater der Frau Operationsbedarf festgestellt wurde, beschloss das Paar zunächst abzuwarten wie die Heilung verlaufen würde.

Sie stornierten die Reise erst kurz vor dem Antrittstermin, da es zu unvorhersehbaren Komplikationen im Heilungsverlauf gekommen war.

Der Versicherer weigerte sich die Stornierungskosten für die Reise zu übernehmen, da die Stornierung unmittelbar nach Feststellen der Erkrankung beim Vater der Ehefrau hätte erfolgen müssen. Das Gericht gab dem Versicherer recht und wies darauf hin, dass nur die ursprüngliche Erkrankung naher Angehöriger, nicht aber der Heilungsverlauf an sich von der Versicherung abgedeckt sei.

AG München 114 C 32596/07 (Aktenzeichen)
AG München: AG München, Urt. vom 29.01.2008
Rechtsweg: AG München, Urt. v. 29.01.2008, Az: 114 C 32596/07
Fragen & Antworten zum Thema
Verwandte Urteile
Weiterführende Hinweise und Links
Hilfe und Beratung bei Fragen

Amtsgericht München

1. Urteil vom 29.01.2008

Aktenzeichen 114 C 32596/07

Leitsätze:

2. Ein Versicherungsfall in der Reiserücktrittskostenversicherung tritt ein, wenn die Erforderlichkeit einer Aneurysma-​Operation bei einem nahen Familienangehörigen bekannt wird.

Sollte der Versicherungsnehmer nicht unverzüglich nach Auftreten der schweren Erkrankung eines nahen Familienangehörigen von der Reise zurücktreten, weil er von einer zügigen Genesung ausgeht, muss er das Risiko für die Genesung bis zum Antritt der Reise selbst tragen. Das Risiko einer rechtzeitigen Genesung und eines komplikationslosen Heilungsverlaufs ist nicht vom Versicherungsschutz umfasst.

Zusammenfassung:

3. Ein Ehepaar buchte für den Zeitraum von Mitte August bis Anfang September eine Kanada-Reise und schloss für diese Reise eine Reiserücktrittsversicherung ab.

Der Schwiegervater des Ehemannes musste sich im Juli einer Aneurysma-Operation unterziehen, von der er sich zunächst gut erholte. Das Ehepaar ging davon aus die Reise im August antreten zu können und verzichtete auf eine sofortige Stornierung, für welche in diesem Fall die Versicherung aufgekommen wäre, da es sich bei der Operation eines nahestehenden Angehörigen um einen Versicherungsfall handelte.

Der Zustand des Erkrankten verschlechterte sich jedoch unerwartet und das Ehepaar stornierte die Reise doch noch, nur einen Tag vor dem geplanten Reiseantritt.

Die Stornokosten beliefen sich auf die volle Höhe des Reisepreises und die Versicherung verweigerte die Zahlung mit der Begründung, dass eine Stornierung unmittelbar nach dem Auftreten der Erkrankung des Verwandten hätte erfolgen müssen, nicht erst über einen Monat später.

Der Mann klagte auf Zahlung durch die Versicherung, erhielt jedoch kein Recht, da das Gericht dem Versicherer zustimmte, die Stornierung hätte bei einer schweren Erkrankung und Operation wie in diesem Fall direkt nach der Feststellung des Operationsbedarfs vorgenommen werden müssen.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klagepartei.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Zwangsvollstreckung kann von der Klagepartei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abgewandt werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

5. Der Kläger begehrt Leistungen aus dem bei der Beklagten abgeschlossenen Reise-​Rücktrittskosten-​Versicherungsvertrag.

6. Der Kläger buchte am 2.5.2007 für sich und seine Ehefrau eine Reise nach Kanada für die Zeit vom 17.8.2007 bis zum 6.9.2007. Pro Person beliefen sich die Kosten für die Flüge auf Euro 889,– und die Kosten für die Rundreise auf Euro 1.298,–, die Reisekosten betrugen somit insgesamt Euro 4.374,–. Für beide Teilnehmer wurden am 9.5.2007 bei der Beklagten Reise-​Rücktrittskosten-​Versicherungen abgeschlossen. Hinsichtlich der Versicherungsbedingungen wird auf die Anlage B 1 Bezug genommen.

7. Der Schwiegervater des Klägers, Herr M, ging am 10.7.2007 ins Krankenhaus wegen einer erforderlichen Aneurysma-​Operation, die am 12.7.2007 durchgeführt wurde. Am 16.8.2007 stornierte der Kläger die Reise wegen der Erkrankung seines Schwiegervaters. Von Seiten des Veranstalters wurden Stornokosten in Höhe des gesamten Reisepreises, somit Euro 4.374,– berechnet, auf die die Beklagte einen Betrag in Höhe von Euro 1.698,– erstattete.

8. Nach Auffassung des Klägers

ist der Versicherungsfall nicht schon am 10.7.2007 eingetreten. Es habe sich nämlich um eine Operation gehandelt, bei der unter normalen Umständen die Reise durchaus hätte angetreten werden können.

So habe der Schwiegervater des Klägers bereits vor 13 Jahren ebenfalls eine Aneurysma-​Operation gehabt, in deren Anschluss er nach zwei bis drei Wochen wieder nach Hause durfte. Unter normalen Umständen wäre dies auch hier der Fall gewesen.

Die Stornierung der Reise sei erst dadurch erforderlich geworden, dass sich im Heilungsverlauf überraschenderweise Komplikationen gezeigt hätten. Diese seien erst am 11.8.2007 eingetreten, an dem sich der Gesundheitszustand von Herrn M erheblich verschlechtert habe, nachdem die Ärzte zuvor bereits der Meinung gewesen seien, er sei über den Berg.

9. Nach Auskünften der Ärzte sei das Risiko, dass bei der Operation Komplikationen auftreten, bei allenfalls 10 % gelegen. Es habe deshalb keine Veranlassung bestanden, die Reise bereits am 10.7.2007 zu stornieren.

10. Der Kläger beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Euro 2.676,– nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

11. Die Beklagte beantragt

Klageabweisung.

12. Sie vertritt die Auffassung, dass bereits das Auftreten des Aneurysma eine äußerst schwere Erkrankung darstelle, noch dazu bei einem Patienten im Alter des Herrn M der zum damaligen Zeitpunkt 81 Jahre alt war.

Mit Auftreten dieser schweren Erkrankung sei der Versicherungsfall eingetreten, weshalb der Kläger die Reise unverzüglich hätte absagen müssen. Das Risiko einer rechtzeitigen Wiedergenesung und eines günstigen und komplikationslosen Heilverlaufs sei nicht vom Versicherungsschutz umfaßt. Ebenfalls nicht erfaßt sei das Risiko der Verschlechterung einer bereits bestehenden Erkrankung.

13. Über den bereits geleisteten Erstattungsbetrag bestünden deshalb keine Ansprüche des Klägers. Die Stornierungskosten hätten sich bei einer Stornierung bis zum 23.7.2007 auf insgesamt Euro 1.698,– addiert,

14. was die Beklagte mit Schriftsatz vom 12.12.2007 näher ausführt, auf den Bezug genommen wird.

15. Im übrigen wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie auf das Protokoll der Hauptverhandlung vom 8.1.2008. Eine Beweisaufnahme wurde nicht durchgeführt.

Entscheidungsgründe:

16. Die Klage war abzuweisen, da dem Kläger über den bereits erhaltenen Erstattungsbetrag hinaus keine weiteren Leistungen aus der streitgegenständlichen Versicherung zustehen.

17. Der Kläger hat entgegen § 4 Nr. 1 AVB RR die Reise nicht unverzüglich bei Auftreten der schweren Erkrankung des Herrn M storniert, sondern entgegen dieser Verpflichtung erst am 16.8.2007. Gemäß § 6 der Allgemeinen Bestimmungen zu dem Versicherungsvertrag war die Beklagte nur verpflichtet, diejenigen Stornokosten zu ersetzen, die auch bei einer unverzüglichen Stornierung angefallen wären. Diesen Betrag in Höhe von Euro 1.698,– hat die Beklagte unstreitig geleistet. Das Gericht hat dabei die Berechnung der Beklagten, gegen die die Klagepartei keine Einwendungen erhoben hat, zugrunde gelegt.

18. Der Versicherungsfall, nämlich die unerwartet schwere Erkrankung des Herrn M, trat hier bereits am 10.7.2007 ein, da zu diesem Zeitpunkt die Erforderlichkeit der Durchführung einer Aneurysma-​Operation spätestens bekannt war. Dabei ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um eine schwere Erkrankung handelt. Selbst die Klagepartei führt hierzu aus, dass ein 10 %iges Risiko für Komplikationen bestand.

19. Damit handelt es sich gerade nicht um eine leichte Erkrankung, die nach ärztlicher Erfahrung innerhalb der bis zum gebuchten Reiseantritt verbleibenden Zeitspanne zuverlässig ausheilt. Selbst die Kläger tragen nicht vor, die behandelnden Ärzte hierzu befragt zu haben und eine entsprechende Aussage erhalten zu haben, dass mit einem komplikationslosen Heilverlauf und einer Genesung bis zum Reiseantritt zuverlässig zu rechnen sei.

20. Das Risiko einer rechtzeitigen Wiedergenesung und eines komplikationslosen Heilverlaufs dagegen ist nicht vom Versicherungsschutz umfaßt.

Der Kläger, der eben nicht unverzüglich nach Auftreten der schweren Erkrankung des Herrn M von der Reise zurück trat, hat vielmehr das Risiko für die tatsächliche Genesung des Herrn M bis zum Reiseantritt daher selbst zu tragen.

21. Auch das Risiko einer weiteren Verschlechterung einer bereits bestehenden schweren Erkrankung ist nicht vom Versicherungsschutz umfaßt. Komplikationen nach einem zunächst problemlos verlaufenden Heilverlauf stellen keine neue schwere Erkrankung i. S. der Versicherungsbedingungen dar und damit keinen neuen Versicherungsfall.

22. Aus den dargestellten Gründen besteht somit ein Anspruch aus dem Versicherungsvertrag über den bereits erhaltenen Erstattungsbetrag hinaus nicht.

23. Die Klage war deshalb abzuweisen.

24. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

25. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Fragen zu diesem Urteil? Diskutiere in unserem
Forum
.

Fragen & Antworten zum Thema

Fragen & Antworten zum Thema: Reiserücktrittsversicherung bei Erkrankung Angehöriger

Verwandte Entscheidungen

OLG Bremen, Urt. v. 09.11.2012, Az: 2 U 41/12
LG Aurich, Urt. v. 15.07.2005, Az: 1 S 103/05

Berichte und Besprechungen

SHZ: Urlauber müssen bei Krankheit sofort stornieren
Kölner Stadtanzeiger: Bei Krankheit sofort stornieren
Forum Fluggastrechte: Reiserücktrittsversicherung will nicht zahlen
Passagierrechte.org: Reisekostenrücktrittsversicherung bei Erkrankung von Angehörigen

Rechtsanwälte für Reiserecht

Hilfe bei rechtlichen Fragen: Rechtsanwälte für
Reiserecht
oder Rechtsanwälte für Fluggastrechte