Regulierungsmaßnahmen der Flugsicherung als außergewöhnliche Umstände
LG Köln: Regulierungsmaßnahmen der Flugsicherung als außergewöhnliche Umstände
Ein Reisender buchte bei einem Luftfahrtunternehmen einen Linienflug. Weil dieser sich um mehrere Stunden verspätete, verlangt er nun eine Ausgleichszahlung. Die Airline begründet die Verspätung mit regulatorischen Maßnahmen der Flugsicherheit und beruft sich auf haftungsbefreiende außergewöhnliche Umstände.
Das Landgericht Köln hat die Klage abgewiesen. In den flugsicherheits-technischen Maßnahmen seien Umstände zu sehen, auf die die Airline keine Einwirkungsmöglichkeit gehabt hätte.
LG Köln | 11 S 229/14 (Aktenzeichen) |
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LG Köln: | LG Köln, Urt. vom 26.01.2016 |
Rechtsweg: | LG Köln, Urt. v. 26.01.2016, Az: 11 S 229/14 |
AG Köln, Urt. v. 07.04.2014, Az: 131 C 81/13 | |
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Leitsatz:
2. Muss ein Flug wegen außergewöhnlicher Umstände annulliert werden, kann die Fluggesellschaft nicht deshalb haftbar gemacht werden, weil sie aus betriebswirtschaftlichen Gründen kein Ersatzflugzeug chartert.
Zusammenfassung:
3. Flugreisende klagten auf Schadensersatz für die Annullierung eines bei der Beklagten gebuchten Fluges. In erster Instanz zur Ausgleichsleistung verurteilt, legte das Flugunternehmen vor dem Landgericht Köln Berufung ein und verwies auf außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 der Fluggastrechte Verordnung in Form von Regulierungsmaßnahmen, welche die Flugsicherung zur Entlastung des Luftraums vorgenommen hatte.
Das Landgericht Köln hat die Klage abgewiesen. Das Gericht sah die außergewöhnlichen Umstände in der Steuerungsmaßnahme gegeben. Die Beklagte habe weder Einfluss auf die aufsichtsrechtlichen Maßnahmen, noch habe sie diese vorhersehen können.
Überdies stellte es bei der Prüfung, ob die Beklagte alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung ergriffen habe, fest, dass das Chartern eines Flugzeugs aufgrund hoher Kosten aus betriebswirtschaftlicher Sicht unzumutbar gewesen sei. Dadurch entfielen die Ersatzansprüche der Kläger und das erstinstanzliche Urteil wurde aufgehoben.
Tenor:
4. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 07.04.2014 – Az. 131 C 81/13 – abgeändert, das Versäumnisurteil vom 02.09.2013 – Az. 131 C 81/13 – aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die Klägerinnen je zu 1/2, mit Ausnahme der Säumniskosten, die der Beklagten zur Last fallen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
5. Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen, §§ 313 a Abs. 1 Satz 1, 540 Abs. 2 ZPO –
Entscheidungsgründe:
6. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache Erfolg. Die Beklagte kann sich vorliegend erfolgreich auf das Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung berufen, aufgrund derer sie sich wegen der eingetretenen Verspätung von mehr als drei Stunden exkulpieren kann.
7. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass es aufgrund von Regulierungsmaßnahmen der Flugsicherung, vorliegend der Eurocontrol in Brüssel, zu einer Verspätung von 1 Stunde und 51 Minuten kam, die auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht.
8. Der Begriff der außergewöhnlichen Umstände, der weder in Art. 2 noch in sonstigen Vorschriften der Verordnung definiert ist, bedeutet nach seinem Wortlaut, dass die gegebenenfalls zu einem Wegfall der Ausgleichspflicht führenden Umstände außergewöhnlich sind, d.h. nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen, sondern außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Es sollen Ereignisse erfasst werden, die nicht zum Betrieb des Luftverkehrsunternehmens gehören, sondern als – jedenfalls in der Regel von außen kommende – besondere Umstände dessen ordnungs- und plangemäße Durchführung beeinträchtigen oder unmöglich machen können. Dementsprechend führen außergewöhnliche Ereignisse nicht per se zum Wegfall der Ausgleichspflicht. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn sich ihre Folgen für die planmäßige Durchführung des Flugplans des Luftverkehrsunternehmens auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn von diesem alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Dies macht zugleich deutlich, dass ein bestimmtes außergewöhnliches Ereignis wie beispielsweise ein Erdbeben oder ein Orkan nicht schon für sich genommen zur Entlastung des Luftverkehrsunternehmens führt, sondern nur dann, wenn die hierdurch hervorgerufenen Bedingungen für die Durchführung eines geplanten Flugs auch bei Aufbietung aller möglichen und zumutbaren Mittel nicht in der Weise verändert oder sonst beeinflusst werden können, dass ein hiervon betroffener Flug planmäßig durchgeführt werden kann (BGH, Urteil vom 13.11.2013, Az. X ZR 115/12, zit. nach juris).
9. Die von der Beklagten behaupteten und im Rahmen der Beweisaufnahme nachgewiesenen Luftraumbeschränkungen stellen grundsätzlich einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung dar. Der Zeuge C, der Leiter der Verkehrszentrale der Beklagten, hat in seiner Vernehmung überzeugend ausgeführt, dass es nach seinen Unterlagen zu Regulierungsmaßnahmen durch Eurocontrol in Brüssel gekommen sei, die eine Flugverspätung eines Vorfluges von 1 Stunde und 51 Minuten verursachten. Aus welchem Grund an dem besagten Tag die Regulierungsmaßnahmen von Eurocontrol angeordnet worden seien, konnte der Zeuge anhand der ihm vorliegenden Unterlagen nicht mehr nachvollziehen. Allerdings würden solche Regulierungsmaßnahmen grundsätzlich angeordnet, wenn der Luftraum zu eng werde und deshalb die Anzahl von Flugbewegungen eingeschränkt werden müsse. Die einzelnen Flugsicherungen der Länder, wie z.B. die Deutsche Flugsicherung, meldeten den Durchfluss der Flugzeuge in den Ländern sowie die Kapazitäten der einzelnen Flughäfen an die Eurocontrol, die den verschiedenen nationalen Flugsicherungen übergeordnet sei und die einzelnen Flugbewegungen und den Flugverkehr steuere. Sofern der Flugraum zu eng werde, ordne Eurocontrol solche Regulierungsmaßnahmen, wie vorliegend geschehen an, die bewirkten, dass Flugzeuge so lange am Boden bleiben müssten, bis sichergestellt sei, dass sie ohne „Holding“ von Flughafen „A“ nach „B“ fliegen könnten. Die Regulierungsmaßnahmen traten auf einem Vorflug des hier streitgegenständlichen Fluges ein, nämlich auf dem Flug von Pristina nach Hamburg. Insgesamt waren die Angaben des Zeugen C nachvollziehbar und glaubhaft, Anhaltspunkte, dass der Zeuge zugunsten seines Arbeitgebers falsch bekundete, waren nicht gegeben. Die Kammer folgt den glaubhaften Angaben des Zeugen und hält damit Luftraumbeschränkungen beim streitgegenständlichen Umlauf, welcher auch den später stattfindenden Flug der Klägerinnen betraf, für bewiesen.
10. Das Vorliegen der von Eurocontrol angeordneten Luftraumbeschränkungen stellt auch ein von außen wirkendes Ereignis dar, auf das die Beklagte keinen Einfluss hat. Welcher Umstand den Luftraumbeschränkungen zugrunde lag, ob es tatsächlich die von der Beklagten angeführten „major system problems“, also Computerprobleme oder Computerausfälle bei der Deutschen Flugsicherung waren oder andere Gründe hatte, kann im Ergebnis offen bleiben, da solche Luftraumbeschränkungen außerhalb der Einflusssphäre der Beklagten liegen.
11. Auch der Umstand, dass die Luftraumbeschränkungen bei einem Vorflug zu dem hier streitgegenständlichen Flug gegeben waren, ändert nichts daran, dass ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung geben war. Der Flug von Hamburg nach Pristina, der planmäßig um 13.10 Uhr in Hamburg hätte starten sollen, stellte den dritten Umlauf des Flugzeuges an diesem Tag dar, der streitgegenständliche Flug war der letzte Flug des Umlaufs von insgesamt sechs Umläufen. Nach neuerer BGH-Rechtsprechung können auch außergewöhnliche Umstände, die bei einem Vorflug eingetreten sind, eine Exkulpation des Luftfahrtunternehmens herbeiführen. Der BGH hat hierzu ausgeführt:
12. „Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift rechtfertigen die Annahme, außergewöhnliche Umstände wie ein Streik müssten unmittelbar (auch) denjenigen Flug betreffen, bei dem sich die außergewöhnlichen Umstände in Gestalt einer notwendig werdenden Annullierung oder einer großen Verspätung auswirken. Denn bei Flugzeugen, die auf Kurz- und Mittelstrecken eingesetzt werden, sind mehrere Umläufe an demselben Tag üblich, um eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung des Flugzeugs zu ermöglichen. Die Fluggastrechteverordnung setzt diese wie andere übliche wirtschaftliche und technische Gegebenheiten des Luftverkehrs voraus und will sie weder unterbinden noch steuern. Wenn daher auch bei Aufbietung aller zumutbaren Maßnahmen nicht verhindert werden kann, dass außergewöhnliche Umstände eine Annullierung erforderlich machen oder die erhebliche Verspätung von Flügen verursachen, kann es nicht darauf ankommen, ob die betreffenden Umstände unmittelbar auf den betroffenen Flug einwirken oder sich als Auswirkung einer Beeinträchtigung bei einem der vorangegangenen Umläufe darstellen.
13. Dieses Normverständnis wird durch Erwägungsgrund 15 der Verordnung gestützt. Danach soll von außergewöhnlichen Umständen ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des „Flugverkehrsmanagements“ zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt. Danach legt auch der Verordnungsgeber zugrunde, dass ein Flugzeug üblicherweise an einem Tag bei mehreren Flügen eingesetzt wird und dass sich außergewöhnliche Umstände in einem solchen Fall auch auf Folgeflüge auswirken können.“ (BGH, Urteil vom 12.06.2014, Az. X ZR 121/13, juris).
14. Mithin können auch Verspätungen auf Vorflügen des jeweiligen Umlaufs, die auf Gründen beruhen, von denen sich die Beklagte exkulpieren kann, dazu führen, dass auch Verspätungen nachfolgender Flüge desselben Umlaufs aufgrund desselben außergewöhnlichen Umstandes exkulpiert sind, wenn diese Verspätung fortwirkt. Ein solches Fortwirken ist im vorliegenden Fall gegeben. Wäre die Verspätung von 1 Stunde und 51 Minuten nicht entstanden, wäre sie bei dem streitgegenständlichen Flug unterhalb der 3-Stunden-Grenze geblieben, da die Beklagte während des Umlaufs diese Verspätung nicht mehr einholen konnte.
15. Es ergibt sich auch keine andere Bewertung aufgrund des Umstandes, dass zu der Verspätung durch die Steuerungsmaßnahmen der Flugsicherung noch eine Verspätung von etwa einer halben Stunde durch ein verspätetes Eintreffen eines Tankfahrzeugs hinzukam, welches für die zentrale Versorgung des Flughafens Hannover mit Kerosin verantwortlich und in einen unfallbedingten Verkehrsstau geraten war, so dass die Betankung sämtlicher Flugzeuge am Hannoveraner Flughafen ab 5.50 Uhr für etwa eine halbe Stunde ausgesetzt werden musste, wodurch es zu einem Stau wartender Flugzeuge gekommen war, sowie, wie der Zeuge C ausführte, eine weitere Verspätung von 1 Stunde 20 Minuten durch eine verspätete Crewaktivierung, die ebenfalls in einen Verkehrsstau geriet. Denn ohne die Verspätung durch die Regulierungsmaßnahmen wäre die drei-Stunden-Grenze einer „großen Verspätung“ nach der EuGH-Rechtsprechung nicht überschritten worden.
16. Nach Auffassung der Kammer hat die Beklagte auch alle erforderlichen und ihr zumutbaren Maßnahmen getroffen, um eine Verspätung der nachfolgenden Flüge abzuwenden. Welche Maßnahmen einem ausführenden Luftfahrtunternehmen zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer erheblichen Verspätung eines Flugs führen oder Anlass zu seiner Annullierung geben, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Das Luftfahrtunternehmen hat darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass sich die Annullierung oder erhebliche Verspätung jedenfalls nicht durch der Situation angepasste Maßnahmen hätte vermeiden lassen, d.h. solche, die zu dem Zeitpunkt, zu dem die außergewöhnlichen Umstände auftreten, für das betroffene Luftfahrtunternehmen insbesondere in persönlicher, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht tragbar sind (BGH, Urteil vom 24.9.2013, Az. X ZR 160/12). Danach hat das Luftfahrtunternehmen darzutun, dass es auf Störungen seines Flugplans, die als Folge eines außergewöhnlichen Ereignisses oder aus anderen Gründen, insbesondere wegen auftretender technischer Defekte, eintreten können, angemessen vorbereitet ist und die im Personenluftverkehr üblichen Vorkehrungen getroffen hat, um auf solche Störungen reagieren und die Annullierung oder erhebliche Verspätung eines hiervon betroffenen Flugs wenn möglich vermeiden zu können (BGH, Urteil vom 24.9.2013, Aktenzeichen X ZR 160/12).
17. Die Beklagte hat vorgetragen, dass ein eigenes freies Flugzeug nicht zur Verfügung gestanden und sie versucht habe, bei den nachfolgenden Flügen einen Teil der Verspätung aufzuholen, dies sei jedoch wegen längerer Turnaround-Zeiten nicht möglich gewesen. Dieser Vortrag ist nachvollziehbar, da verspätete Flüge aus dem normalen Umlauf herausfallen und längere Standzeiten haben, bis sie wieder einsatzbereit sind und Startfreigaben erhalten. Die Beschaffung einer Ersatzmaschine war ebenfalls von der Beklagten nicht zu verlangen. Zwar wäre unter zeitlichen Gesichtspunkten die Anmietung einer Ersatzmaschine ggf. erfolgversprechend gewesen, da nach den Angaben der Beklagten eine Anmietung zwei bis vier Stunden dauere. Bis zum planmäßigen Abflug des streitgegenständlichen Fluges hätte, auch ausgehend von einer vierstündigen Beschaffungszeit, genügend Zeit bestanden, ein solches Flugzeug zu chartern, denn beim Start des verspäteten Hamburg-Pristina-Fluges um 16.20 Uhr vergingen noch fast acht Stunden bis zum planmäßigen Start des streitgegenständlichen Fluges.
18. Allerdings hält die Kammer unter Rückgriff auf die neue BGH-Rechtsprechung die Entscheidung der Beklagten, kein Flugzeug zu chartern, für vertretbar, da dies hohe Mehrkosten, nach Angaben der Beklagten in einem Umfang von ca. 19.500 € verursacht hätte, obwohl die eingetretene Verspätung nur geringfügig die Drei-Stunden-Grenze überschritten hat und der BGH den Einsatz von Flugzeugen im Umlaufverfahren in seinen jüngsten Urteilen (vgl. BGH, Urteil vom 12.06.2014, Az. X ZR 121/13, juris) ausdrücklich, auch unter Rückgriff auf betriebswirtschaftliche Erwägungen, gebilligt hat.
19. Im Ergebnis konnte die Beklagte sich wegen eines Teils der eingetretenen Verspätung aufgrund des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände exkulpieren, die übrigen, auf anderen Gründen beruhende Verspätung lag unter der Grenze von drei Stunden, so dass diesbezüglich Ausgleichansprüche ausgeschlossen sind.
20. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 100 Abs. 1, 344 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
21. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO.
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