Leistungsfreiheit bei grober Fahrlässigkeit

LG Köln: Leistungsfreiheit bei grober Fahrlässigkeit

Ein Versicherungsnehmer klagt gegen seine Versicherung auf Leistung. Er war beim Betrieb seines Flugzeugs von der Startbahn abgekommen und hatte dabei einen enormen Schaden an der Maschine verursacht.
Die Vericherung weigert sich der Zahlung, da der Unfall auf ein Versagen des Klägers zurückzuführen sei.

Das Landgericht Köln hat die Klage abgewiesen. Eine genaue Sachverhaltsanalyse habe ergeben, dass der Kläger die Startbahn mit der Rollbahn verwechselt habe. Wegen diesem grob fahrlässigen Verschulden stehe ihm ein Ersatzanspruch nicht zu.

LG Köln 20 O 161/07(Aktenzeichen)
LG Köln: LG Köln, Urt. vom 10.02.2010
Rechtsweg: LG Köln, Urt. v. 10.02.2010, Az: 20 O 161/07
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Landgericht Köln

1. Urteil vom 10. Februar 2010

Aktenzeichen: 20 O 161/07

Leitsatz:

2. Keine Versicherungsleistung bei grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers.

Zusammenfassung:

3. Ein Versicherungsnehmer schloss für seine einmotorige Cessna eine Versicherung ab. Als er mit dem Flugzeug von der Startbahn abkam und es enorm beschädigte, verlangt er von dem Versicherer den Schaden ersetzt. Dieer weigert sich der Zahlung. Der Pilot habe grob fahrlässig die Roll- mit der Startbahn verwechselt und den Unfall so herbeigeführt.

Das Landgericht Köln hat die Klage abgewiesen. Nach vertiefter Analyse sei klar, dass der Unfall auf die Verwechselung des Piloten zurückzuführen sei.

Die Beklagte ist bereits gem. § 3 Ziffer 1.9 DLP 400/01 leistungsfrei. Danach besteht kein Versicherungsschutz für Schäden, die auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers zurückzuführen sind.

Grobe Fahrlässigkeit setzt ein Verhalten des Versicherungsnehmers voraus, von dem er wusste oder wissen musste, dass es geeignet war, den Eintritt des Versicherungsfalls zu fördern. Dabei muss die Wahrscheinlichkeit des Schadens offenkundig so groß sein, dass es ohne Weiteres nahelag, zur Vermeidung des Versicherungsfalles ein anderes Verhalten in Betracht zu ziehen. Über diese Erfordernisse hinaus verlangt die Rechtsprechung auch in subjektiver Hinsicht ein erheblich gesteigertes Verschulden

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Pilot C als Geschäftsführer der Klägerin den Schaden grob fahrlässig verursacht hat, da er den Startvorgang irrtümlich von dem Rollweg und nicht von der Startbahn aus begonnen hat. Eine Entschädigungszahlung sei daher vorliegend zu verneinen.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. Die Klägerin macht Ansprüche aus einer Flugzeug-Kaskoversicherung gegen die Beklagte geltend.

6. Die Klägerin, die bis 2006 unter „Aerocharter C GmbH“ firmierte, unterhält einen Flugzeug-Charterbetrieb mit verschiedenen Cessna-Maschinen. Im Dezember 2005 verfügte sie u.a. über eine Cessna Citation CJ3. Aufgrund eines Flugzeugchartervertrages vom 01.06.2005 vercharterte sie ihre Maschinen hauptsächlich an die C3 GmbH & Co KG.

7. Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft französischen Rechts und unterhält in Köln eine Zweigniederlassung. Für alle Luftfahrzeuge der Klägerin bestehen bei der Beklagten gemäß Flottenvertrag Versicherungsverträge für die Drittschadenshaftpflicht, Luftfahrt-Unfall und Luftfahrt-Kasko. Wegen der Einzelheiten wird auf den Nachtrag Nr. 2 zum Luftfahrt-Versicherungsvertrag vom 18.11.2005 (Bl. 20-26 AB) sowie auf die zugrundeliegenden Luftfahrtkaskoversicherungsbedingungen, die AVB 400/01 (Bl. 46-51 AB), Bezug genommen. Für die Cessna CJ3, amtl. US-Zulassung N 200 GM, bestand eine Kaskoversicherung mit einem Versicherungswert von 6,750.000,00 USD und einer Selbstbeteiligung in Höhe von 150.000,00 €

8. Am 10.12.2005 war die CJ3 an die C3 GmbH & Co KG verchartert. Pilot war Herr C, zu dieser Zeit Geschäftsführer der Klägerin und auch der C3 GmbH & Co. KG. Er war im Versicherungsvertrag als berechtigter Pilot für die CJ3 aufgeführt (Bl. 21 AB). Er verfügt seit dem 14.03.1973 über eine Lizenz für Berufspiloten (CPL/A), ausgestellt nach den Regelungen JAR-FCL (Bl. 152, 200 AB). Diese berechtigt ihn, in JAA-Staaten eingetragene Luftfahrzeuge im Umfang der Lizenz zu führen. Er war zum Zeitpunkt des Schadensereignisses im Besitz eines medizinischen Tauglichkeitszeugnisses i.S. des § 24a LuftVZO, das für die Klasse 1 bis zum 01.08.2005 und für die Klasse 2 bis zum 20.02.2006 Gültigkeit hatte (Bl. 132 AB). Herr C wollte zusammen mit den Herren Dr. I und T, die er kostenlos mitnahm, von Z nach O fliegen, um von dort mit den beiden Herren zur Fernsehshow „Wetten dass“ zu fahren. Im Flugplan hatte er als „Art des Fluges“ G und als „Flugregeln“ Y angegeben (Bl. 133 AB). Zum Zeitpunkt des Starts war das Wetter am Flughafen so, dass die sog. Low Visibility Procedures für den Start Anwendung fanden.

9. Bei dem Startvorgang kam die Cessna CJ3 von der Startbahn ab, fuhr über den Grünstreifen und kippte schließlich auf die linke Tragfläche. Bugrad und linkes Hauptfahrwerk wurden abgerissen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Untersuchungsbericht der Bundesstelle für Fluguntersuchung (BFU – Bl. 161 ff. AB) Bezug genommen. Das Flugzeug wurde von der Flughafenfeuerwehr geborgen und in eine Flugzeughalle gebracht. Die Klägerin ließ die CJ3 von der Air Service GmbH abholen und bei dieser in H reparieren.

10. Mit Schreiben vom 17.5.2006 forderte die Klägerin die Beklagte erstmals zur Zahlung eines Vorschussbetrags von mindestens 2 Millionen Euro auf, unter dem 30.06.2006 zur Zahlung eines Betrags von 2.551.810,24 € bis zum 14.07.2006 und unter dem 26.03.2007 zur Zahlung von 2.281.177,30 € sowie 21.010,00 € außergerichtlicher Anwaltsgebühren, ausgehend von einem Streitwert von 2.281.177,30 € und einer Geschäftsgebühr von 2,5, bis zum 15.04.2007.

11. Die Klägerin behauptet, dass der Unfall auf einem technischen Defekt, nicht aber auf einem Fehler des Piloten beruhe. Herr C sei in der Weise auf die Startbahn gerollt, dass er zunächst einen Rechtsbogen vollzogen habe, um sich anschließend gerade in Startrichtung auszurichten. Unmittelbar nach dem eigentlichen Start sei das Flugzeug nach rechts ausgebrochen. Möglich sei, dass aufgrund eines Softwarefehlers der FADEC das rechte Triebwerk ausgefallen sei und das Flugzeug deshalb von der Startbahn abgekommen sei oder dass das Flugzeug aufgrund eines Fehlers im sog. BIAS-Systems das Seitenruder und das Bugrad nach rechts ausgelenkt habe, was ebenfalls ein Ausbrechen des Flugzeugs nach rechts zur Folge gehabt hätte. Sie behauptet, dass ein Starten von der Intersection A 7 ausgeschlossen sei, da das Flugzeug über die sog. Jeppview Software (Satellitennavigation) verfügt habe, die der Pilot auch bereits auf dem Boden während des Rollvorgangs benutzt habe. Zudem verfüge der Pilot über langjährige Flugerfahrung. Sie ist ferner der Ansicht, dass Herr C nicht als ihr Repräsentant angesehen werden könne, da er den Flug als Geschäftsführer der C3 GmbH & Co KG durchgeführt habe und nicht in seiner damaligen Eigenschaft als Geschäftsführer der Klägerin.

12. Die Klägerin beantragt die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.314.959,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.07.2006 zu zahlen sowie die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere Verzugskosten i. H. v. 24.275,30 € nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.04.2007 zu zahlen.

13. Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.

14. Sie behauptet, dass sich der Unfall nicht so ereignet haben könne, wie von der Klägerin beschrieben. Vielmehr habe Herr C den Start nicht von der Startbahn 26, sondern vom Rollhalteort CAT III auf der Rollbahn A 7 aus eingeleitet. Der Pilot habe also die Start- mit der Rollbahn verwechselt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Klageerwiderung, Bl. 45 ff. Bezug genommen. Sie ist der Ansicht, dass Herr C aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse nicht hätte starten dürfen, dass er als Repräsentant der Klägerin den Unfall grob fahrlässig verursacht habe und sie deshalb leistungsfrei sei. Desweiteren ist sie der Ansicht, dass Herr C nicht habe fliegen dürfen, da kein gültiges fliegerärztliches Tauglichkeitszeugnis vorgelegen habe. Er habe ferner nicht mit einer deutschen Lizenz ein in den USA zugelassenes Flugzeug führen dürfen, so dass er bei dem Flug ohne gültige Lizenz geflogen sei. Zudem verfüge die Klägerin nicht über eine Betriebsgenehmigung als Luftfahrtunternehmen gem. § 20 Abs. 1 S. 2 LuftVG. Bei dem Flug habe es sich um einen Geschäftsflug gegen Entgelt gehandelt. Schließlich beruft sie sich auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzungen. Herr C habe falsche Angaben zum Unfallhergang gemacht. Die Beklagte bestreitet die Höhe des Schadens bzgl. eines Betrags von 20.285,39 € sowie das Vorliegen der Voraussetzungen des Verzugs und die Angemessenheit der Höhe der Rechtsanwaltsgebühren.

15. Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 21.11.2007 durch Vernehmung der Zeugen C und T sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokolle der Sitzungen vom 30.04.2008 (Bl. 179 ff. d.A.) und 09.12.2009 (Bl. 523 ff. d.A.) und das Gutachten vom 24.02.2009 (Bl. 292 ff. d.A.) Bezug genommen. Die Akte der Staatsanwaltschaft Z, Az. 501 Js 16876/06, ist beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

16. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze und Urkunden Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

17. Die Klage ist unbegründet.

18. Der Klägerin steht kein Anspruch gegen die Beklagte auf Entschädigung aus §§ 1, 49 VVG a.F. i.V.m. § 1 Ziff. 1, 2, § 6 Ziff. 2 DLP 400/01 als der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage zu.

19. Dem steht nicht entgegen, dass es aufgrund des Abkommens des Flugzeugs von der Startbahn und der anschließenden Beschädigung zu einem Versicherungsfall als einem auf das Luftfahrzeug einwirkendes Schadensereignis, das einen Total- oder Teilschaden zur Folge hatte, gekommen ist.

20. Es kann auch dahin stehen, ob der Versicherungsausschluss gem. § 1 Ziffer 3.2 S. 1 DLP 400/01 wegen der von der Beklagten aufgeworfenen Zweifel an der Gültigkeit der Lizenz des Piloten C – zum einen im Hinblick auf das Führen eines in den USA zugelassenen Flugzeugs mit einer deutschen Fluglizenz und zum anderen im Hinblick auf die Gültigkeit des Gesundheitszeugnisses wegen der umstrittenen Frage, ob es sich um einen gewerblichen oder nicht gewerblichen Flug handelte – oder wegen der nach Ansicht der Beklagten für die Klägerin erforderlichen, aber nicht vorhandenen Betriebsgenehmigung greift.

21. Die Beklagte ist bereits gem. § 3 Ziffer 1.9 DLP 400/01 leistungsfrei. Danach besteht kein Versicherungsschutz für Schäden, die auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers zurückzuführen sind. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Pilot C als Geschäftsführer der Klägerin den Schaden grob fahrlässig verursacht hat, da er den Startvorgang irrtümlich von dem Rollweg A 7 und nicht von der Startbahn aus begonnen hat.

22. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist das Verhalten des Piloten im vorliegenden Fall als Verhalten der Klägerin anzusehen. Herr C war zum damaligen Zeitpunkt Geschäftsführer der Klägerin und damit ihr gesetzlicher Vertreter. Auf die Frage, ob der Pilot im konkreten Fall als Repräsentant der Klägerin anzusehen war, kommt es deshalb nicht an (s. zur Haftung des Versicherungsnehmers für gesetzliche Vertreter Prölss in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. 2004, § 61, Rn. 3). Dem steht nicht entgegen, dass Herr C auch Geschäftsführer der C3 GmbH & Co KG war und die Klägerin das verunfallte Flugzeug an diese verchartert hatte. Aus Gründen der Rechtsklarheit kann es nicht darauf ankommen, in wessen Auftrag Herr C das Flugzeug am Unfalltag führte. Auch wenn er dies in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der C3 GmbH & Co KG tat, ändert dies nichts an seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Klägerin. Anderenfalls könnte man sich durch die Gründung verschiedener Gesellschaften stets mit dem Vorwand exkulpieren, man handele für die andere juristische Person und nicht als gesetzlicher Vertreter des Versicherungsnehmers.

23. Der Beklagten ist auch der ihr obliegende Beweis gelungen, dass Herr C den Versicherungsfall grob fahrlässig verursacht hat. Grobe Fahrlässigkeit setzt ein Verhalten des Versicherungsnehmers voraus, von dem er wusste oder wissen musste, dass es geeignet war, den Eintritt des Versicherungsfalls zu fördern. Dabei muss die Wahrscheinlichkeit des Schadens – und zwar gerade die des eingetretenen Schadens – offenkundig so groß sein, dass es ohne Weiteres nahelag, zur Vermeidung des Versicherungsfalles ein anderes Verhalten als das tatsächlich geübte in Betracht zu ziehen. Über diese Erfordernisse hinaus verlangt die Rechtsprechung auch in subjektiver Hinsicht ein erheblich gesteigertes Verschulden. Ein bloßes Augenblicksversagen kann die grobe Fahrlässigkeit entfallen lassen (s. dazu Prölss in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. 2004, § 61, Rn. 11 f. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).

24. Nach der Vernehmung der Zeugen C und H. und der Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Pilot irrtümlich, möglicherweise aufgrund schlechter Sicht, von dem Rollweg A 7 und nicht von der Startbahn aus startete. Das Starten eines Flugzeugs von einem Rollweg stellt nach Ansicht der Kammer aufgrund der ganz erheblichen Gefährlichkeit und der besonderen Anforderungen, die an Piloten beim Starten eines Flugzeugs zu stellen sind, eine erhebliche Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt dar. Dass ein Starten von der Rollbahn die Gefahr eines Unfalls um ein Vielfaches erhöht ebenso wie die Tatsache, dass dadurch eine erhebliche Gefährdung für Insassen des eigenen Flugzeugs, aber auch der anderer Maschinen und des Flughafenpersonals verursacht wird, muss jedem Piloten einleuchten. Auch wenn es aufgrund schlechter Sicht trotz der unterschiedlichen Beleuchtung schwierig gewesen sein sollte, die Startbahn von dem Rollweg zu unterscheiden, ändert dies nichts an der groben Fahrlässigkeit. Es wäre dann die Pflicht des Piloten gewesen, seine Position besonders genau und insbesondere vor der für den Start erforderlichen Beschleunigung noch einmal zu kontrollieren und sicherzustellen, dass er sich tatsächlich auf der Startbahn befand.

25. Bei einem Starten von dem Rollweg und nicht von der Startbahn liegt auch in subjektiver Hinsicht ein besonders schweres Verschulden vor. Dem steht auch nicht entgegen, dass ein mögliches Augenblicksversagen das Starten von dem Rollweg ausgelöst haben könnte. Ein „bloßes“ Augenblicksversagen kann den Handelnden nur dann von dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit befreien, wenn weitere, in der Person des Handelnden liegende besondere Umstände hinzukommen, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen. Solche besonderen Umstände sind nicht ersichtlich. Der Zeuge C war sich insbesondere, wie sich aus dem dokumentierten Funkverkehr ergibt, der schlechten Wetterbedingungen und der dadurch bedingten schlechten Sichtverhältnisse bewusst. Auf die Frage „Ein paar rote Lichter waren vorhin auch im Weg, gelle?“ und die Klarstellung „Ja so N, P 1 beim Losrollen“ antwortet Herr C „Ja isn bisschen dicht.“. Er hätte sich unter diesen Umständen versichern müssen, dass er sich bei Beginn des Startvorgangs tatsächlich bereits auf der Startbahn befand.

26. Unerheblich für die Feststellung der groben Fahrlässigkeit ist die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob der Flug gewerblich oder nicht gewerblich erfolgte. Im Hinblick auf die grundlegende Frage des Ablaufs des Startvorgangs sind an einen Piloten unabhängig von der Art des Fluges die gleichen Sorgfaltsanforderungen zu stellen.

27. Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten und in seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und ausführlich dargelegt, warum er zu der Schlussfolgerung gekommen ist, dass der Unfall durch ein Starten von dem Rollweg ausgelöst wurde. Er hat zur Erstellung des Gutachtens insbesondere auf den Akteninhalt, aber auch auf eigene Rollversuche mit einem baugleichen Flugzeug sowie einen Testbericht des TÜV Nord zurückgegriffen. Der Sachverständige beschreibt in seinem Gutachten zunächst die schlechten Wetterbedingungen, die zum Zeitpunkt des Starts herrschten. Es lagen sog. CAT III-Wetterbedingungen vor. Dies wird von der Klägerin nicht bestritten, auch wenn sie mehrfach ausgeführt hat, dass diese nur für die Landung, nicht aber für den Start von Bedeutung seien. Dazu hat der Sachverständige dargelegt, dass bei CAT III-Wetterbedingungen die sog. Low Visibility Procedures (LVP) für den Start Anwendung finden würden. Sodann kommt der Sachverständige aufgrund nachvollziehbarer Erwägungen zu dem Ergebnis, dass weder ein durch das FADEC System ausgelöster Triebwerksfehler noch das BIAS System für den Unfall ursächlich sein können.

28. Die Auswertung der Triebwerkscomputer habe keinen Hinweis auf einen Motorausfall ergeben. Ein Fehler des BIAS Systems als Unfallursache könne zum einen aufgrund der Funktionsweise dieses Systems und zum anderen aufgrund des nach dem Unfall vorhandenen Spurenbildes ausgeschlossen werden. Auch die durchgeführten Rollversuche hätten ein entsprechendes Verhalten des Flugzeugs, wie es vor dem Unfall nach der Darstellung der Klägerin vorgelegen haben müsse, nicht ergeben. In überzeugender Weise kommt der Sachverständige dann aufgrund einer Analyse des Funkverkehrs, insbesondere im Hinblick auf den dadurch abgebildeten zeitlichen Ablauf, sowie einer Auswertung der nach dem Unfall aufgenommenen Lichtbilder und des darauf erkennbaren Spurenbildes zu dem Ergebnis, dass nur ein Starten von dem Rollweg erfolgt sein könne.

29. Überzeugend ist insbesondere die zeitliche Komponente im Hinblick auf den Beginn des Startvorgangs und der Schadensmeldung. Der Sachverständige führt insoweit aus, dass bei einem Rollen bis zur Fahrbahn und dem Start von dort aus bis zur Schadensmeldung nur 21 sec hätten vergehen können, was ausgeschlossen sei. Auch das durch Lichtbilder festgehaltene Spurenbild, zu sehen beispielsweise auf den Bildern Bild 5 – 11 des Gutachtens (Bl. 311 ff. d.A.), lasse den Schluss darauf zu, dass das Flugzeug in direkter Verlängerung des Rollwegs A 7 die Startbahn überquert habe und mit hoher Geschwindigkeit in den angrenzenden Sicherheitsstreifen gerollt sei. Bei dem von dem Zeugen C beschriebenen Weg, den das Flugzeug vor dem Unfall genommen haben soll, könne ein solches Spurenbild nicht entstanden sein.

30. Die Kammer hat keinerlei Grund, an den Ausführungen des Sachverständigen zu zweifeln. Er hat sie in seinem Gutachten nachvollziehbar und überzeugend dargestellt und diesen Eindruck auch bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2009 bestätigt, in welcher er die Ergebnisse seines Gutachtens im Hinblick auf die vielfältigen Einwendungen der Klägerin überzeugend verteidigt hat. Er hat in nachvollziehbarer Weise dargelegt, dass auch einem erfahrenen Piloten als grob fahrlässig zu bewertende Fehler unterlaufen können und hat insbesondere erneut den zeitlichen Ablauf und das vorhandene Spurenbild mit dem von ihm als tatsächlichen Unfallhergang angesehen Ablauf, dem Starten von dem Rollweg und der diagonalen Überquerung der Startbahn, in Einklang gebracht.

31. Zweifel an dem Ergebnis des Sachverständigen ergeben sich auch nicht aus der vor Einholung des Gutachtens durchgeführten Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen H. und C. Zwar haben beide ausgesagt, dass der Start von der Startbahn erfolgt sei und die Kammer geht auch davon aus, dass diese Einschätzung der subjektiven Wahrnehmung der Zeugen von dem Unfall entspricht. Es steht aufgrund der soeben dargestellten Feststellungen des Sachverständigen und einiger Hinweise in den Aussagen der Zeugen selbst jedoch zur Überzeugung der Kammer fest, dass dies nicht der objektiven Sachlage entspricht. Beide Zeugen schildern übereinstimmend, dass das Flugzeug vor der Haltelinie nicht vollständig abgebremst habe, dann weiter gerollt sei und mit einem Schwenker nach rechts auf die Startbahn abgebogen sei.

32. Bilder des Flughafens Z belegen, dass sich auf dem Rollweg A 7, von dem nach den Ausführungen des Sachverständigen der Startversuch erfolgte, noch eine Kurve befindet, bevor er auf die Startbahn führt. Die Aussagen der Zeugen zu dem Fahrweg können auch das Abbiegen auf diesen zweiten Teil des Rollwegs A 7 und nicht auf die Startbahn betreffen. Der Zeuge H. hat insoweit ausgesagt, er habe die Startbahn an dem gleißenden Licht erkannt. Dies lässt aber nicht zwingend darauf schließen, dass es sich tatsächlich um die Startbahn gehandelt hat. Auch die Rollwege sind, wenn auch andersfarbig, beleuchtet. Der Zeuge C hat zudem bekundet, in einem 60°-Winkel von dem Rollweg auf die Startbahn gerollt zu sein. Wie der Sachverständige ausgeführt hat und wie sich auch aus dem Plan des Flughafens Z ergibt, befindet sich eine Kurve mit einem Winkel von 60° jedoch nicht zwischen dem Rollweg und der Startbahn, sondern auf dem Rollweg A 7 selbst.

33. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

34. Streitwert : 2.314.959,94 €

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