Reiserücktritt wegen anonymer Internet-Bewertungen eines Hotels
AG Bremen: Reiserücktritt wegen anonymer Internet-Bewertung eines Hotels
Eine Reiseveranstalterin verklagt einen Kunden auf anteilige Zahlung der Buchungskosten, weil dieser, außerhalb der ihm zustehenden Frist, vom Vertrag zurückgetreten ist. Als Rücktrittsgrund führt der Beklagte etwaige anonyme Forenbeiträge an, die das ursprünglich von ihm gebuchte Hotel kritisieren.
Das Amtsgericht Bremen verneint das Vorliegen eines Reisemangels und spricht der Klägerin einen anteiligen Anspruch auf Zahlung der Buchungskosten zu.
AG Bremen | 10 C 121/11 (Aktenzeichen) |
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AG Bremen: | AG Bremen, Urt. vom 30.06.2011 |
Rechtsweg: | AG Bremen, Urt. v. 30.06.2011, Az: 10 C 121/11 |
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Leitsätze:
2. Ein allein auf anonyme Bewertungen des gebuchten Hotels in einem Bewertungsportal im Internet gestütztes Parteivorbringen stellt keinen substantiierten Sachvortrag zum Vorliegen von Reisemängeln dar.
Negative anonyme Internet-Bewertungen des gebuchten Hotels begründen keine Verpflichtung des Reiseveranstalters, seinem Kunden vor Reiseantritt zu versichern, dass die geschilderten Zustände nicht zutreffen.
Zusammenfassung:
3. Die Klägerin betreibt eine Reiseagentur. Sie verlangt von einem Kunden die anteilige Zahlung des Preises einer von ihm gebuchten, aber nicht angetretenen Reise. Wegen schlechter Rezensionen in mehreren Internetforen, entschloss sich der Beklagte die geplante Reise nicht anzutreten. Da er dies der Veranstalterin erst nach Ablauf der entsprechenden Rücktrittsfrist mitteilte, verlangt diese nun die entsprechende Teilzahlung des Buchungspreises. Der Beklagte wiederum sieht in den schlechten Bewertungen des Hotels einen Reisemangel und besteht auf sein Rücktrittsrecht.
Das Amtsgericht Bremen entscheidet zugunsten der Klägerin. Anonym im Internet abgegebene Hotelbewertungen seien kein ausreichend belegter Grund, um die Reise wegen Mangelhaftigkeit zu stornieren und aus dem Vertrag auszutreten. Der Beklagte wird aufgefordert der Klägerin 70% des ursprünglichen Buchungspreises zu zahlen.
Tenor:
4. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 1.015,80 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.08.2009 sowie außergerichtliche Mahnkosten i.H.v. € 5,- zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte zu 6/7, die Klägerin zu 1/7.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des gegen ihn aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
5. Die Parteien streiten um Stornogebühren aus einem Reisevertrag.
6. Der Beklagte buchte am 04.07.2009 über das Online-Buchungsportal der Klägerin eine Reise mit Flug und neun Übernachtungen für sich und seine Familie. Der vorgesehene Gesamtreisepreis betrug € 1.693,-, als Reisebeginn war der 12.07.2009 vorgesehen. Dem Beklagten wurde am 05.07.2009 von der Klägerin eine Reisebestätigung übermittelt. Der Buchung lagen die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zugrunde, in denen unter Ziff. 6 Regelungen zum jederzeitigen Recht des Kunden, von der Reise zurückzutreten, enthalten sind. Dort sind unter Ziff. 6.2.1 unter anderem von der Klägerin geltend zu machende Rücktrittspauschalen bei Flugreisen bei einem Rücktritt ab dem 14. bis 7. Tag vor Reisebeginn i.H.v. 60 % sowie ab dem 6. Tag vor Reisebeginn i.H.v. 70 % des Reisepreises vorgesehen.
7. Unter verschiedenen Internetreiseportalen fanden sich im Juli 2009 aus dem Jahr 2008 stammende negative Bewertungen des vom Beklagten gebuchten Hotels, in denen Bewertungsgeber erhebliche Mängel u.a. in Bezug auf die Hygiene und die Essensqualität dieses Hotels rügten. Der vollständige Name der Bewertenden war jeweils nicht angegeben.
8. Unter Bezugnahme auf diese Bewertungen erklärte der Beklagte am 05.07.2009 gegenüber der Klägerin per E-Mail, seine Familie nicht dieser Gefahr aussetzen zu können, und bot an, den Reisepreis am nächsten Tag zu überweisen, wenn ihm ein besseres Hotel angeboten werden würde. Die Klägerin erwiderte dem Beklagten am 06.07.2009, dass sein Anliegen an die örtliche Agentur zur Überprüfung weitergeleitet würde. Absprachegemäß gab der Beklagte gegenüber der Klägerin sodann eine Liste von Hotels an, in die er alternativ untergebracht werden wollte. Da sie eine Unterbringung hier nicht beschaffen konnte, bot die Klägerin dem Beklagten daraufhin am 07.07.2009 eine Umbuchung in weitere Hotels an, bei der der Gesamtreisepreis ab € 3.240,- betragen hätte. Der Beklagte erklärte am selben Tag gegenüber der Klägerin, dass er dieses Angebot nicht annehmen könne. Er forderte die Klägerin nunmehr auf, noch am selben Tag ihm zu versichern, dass die in den Internet-Bewertungen geschilderten Zustände im ursprünglich gebuchten Hotel nicht der Wahrheit entsprechen würden, anderenfalls würde er vom Vertrag zurücktreten. Diese Aufforderung blieb fruchtlos und der Beklagte erklärte am 09.07.2009, die Reise zu kündigen bzw. zu stornieren und eine Stornierungsgebühr nicht zahlen zu wollen.
9. Die Klägerin erstellte dem Beklagten sodann am selben Tag eine Stornorechnung über € 1.186,-; auf die Zahlung dieses Betrags gerichtete Mahnungen der Klägerin vom 06.08.2009 und vom 25.09.2009 blieben erfolglos.
10. Die Klägerin ist der Auffassung, dem Beklagten habe ein Recht zur kostenfreien Kündigung des Vertrags nicht zugestanden. Die bloße Bezugnahme auf negative Bewertungen des Hotels in Internet-Bewertungsforen sei ungenügend. Die Klägerin sei daher zur Berechnung der Rücktrittspauschale i.H.v. € 70 % des Reisepreises wegen eines Rücktritts ab dem 6. Tag vor Reiseantritt berechtigt. Die Pauschalregelung in den AGB der Klägerin sei wirksam und die Klägerin behauptet, im Rahmen ihres Geschäftsmodells nicht von vornherein Flug und Hotelübernachtung als fertiges Paket vorzuhalten. Vielmehr würden die Einzelleistungen jeweils erst kurzfristig im Rahmen der Onlinebuchung aus dem Abverkauf anderer Veranstalter und Fluggesellschaften für die Klägerin paketiert. Dadurch sei im Fall der Stornierung durch den Kunden ein nachträglicher erneuter Einzelverkauf der Reise durch die Klägerin an andere Kunden nicht möglich. Die jeweiligen Leistungsbestandteile müssten vielmehr wieder an den allgemeinen Angebotspool zurückgeführt werden, auf den dann auch andere Reiseanbieter wieder zugreifen könnten. Die Klägerin erhalte sodann ihrerseits nach einer solchen Stornierung die bei der Buchung zunächst fällig gewordenen und von ihr verauslagten Reisekosten nur unter Abzug ihr berechneter Stornogebühren zurück.
12. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin € 1.186,- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.08.2009 sowie außergerichtliche Mahnkosten i.H.v. € 5,- zu zahlen;
15. Er ist der Auffassung, wegen drohender erheblicher Reisemängel zur Kündigung der Reise berechtigt gewesen zu sein. Er trägt vor, die in den Bewertungen geschilderten Mängel hätten ihm schon den Antritt der Reise unzumutbar gemacht. Er meint ferner, die Klägerin habe ihre Verpflichtung verletzt, ihre Vertragshotels nicht nur sorgfältig auszuwählen, sondern auch zu überwachen. Zudem habe die Klägerin die Kündigung letztlich akzeptiert, wie der Beklagte aus dem Unterbreiten von Umbuchungsangeboten habe schließen dürfen, und der Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, die alternativen Umbuchungsangebote der Klägerin anzunehmen. Der Klägerin dürfe keinen Vorteil daraus ziehen, dass sie die Nachfragen des Beklagten unbeantwortet gelassen und ihm daneben inakzeptable Angebote unterbreitet habe.
16. Ferner sei die in den AGB der Klägerin festgelegte Pauschalenstaffelung unwirksam. Der Beklagte behauptet, es wäre für die Klägerin ein Leichtes gewesen, die Reise gegebenenfalls günstiger an andere Reisende zu verkaufen. Er meint, die Klägerin wäre so gehalten gewesen, den Schaden für den Beklagten nach Möglichkeit gering zu halten, und sie wäre nicht verpflichtet gewesen, den Flug nach Stornierung durch den Beklagten wieder in den Angebotspool zurückzugeben.
17. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf das Protokoll des Termins zur mündlichen Verhandlung vom 17.05.2011 sowie auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
Entscheidungsgründe:
18 Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
19. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von € 1.015,80 aus § 651i Abs. 2 S. 2 BGB i.V.m. § 651i Abs. 3 BGB i.V.m. den Regelungen in Ziff. 6.2.1 der AGB der Klägerin. Mit der am 09.07.2009 durch den Beklagten erklärten Stornierung des Reisevertrags durch den Beklagten in Ausübung seines jederzeitigen Rücktrittsrechts nach den § 651i Abs. 1 BGB i.V.m. Ziff. 6 der AGB der Klägerin ist der Klägerin nach den vorstehenden Regelungen ein Anspruch auf Zahlung einer Rücktrittspauschale in dieser Höhe entstanden.
20. Der zwischen der Klägerin als Reiseveranstalterin und dem Beklagten als ihrem Kunden geschlossene Reisevertrag vom 04./05.07.2009 ist nicht vom Beklagten wirksam wegen eines Reisemangels gemäß den §§ 651e, 651c BGB gekündigt worden. Das Vorliegen eines zur Kündigung berechtigenden Mangels ist nicht festzustellen.
21. Zwar würden die in den Internet-Bewertungsportalen in Bewertungen aus dem Jahr 2008 geschilderten Hygienemängel des vom Beklagten gebuchten Hotels einen Reisemangel begründen, sofern sie denn noch zum Reisezeitpunkt vorgelegen und auch die gebuchte Reise des Beklagten betroffen hätten. Dass solche Mängel aber noch zum vorgesehenen Reisezeitpunkt im Juli 2009 oder auch nur jedenfalls im Jahr 2008 vorgelegen hätten, ist vom Beklagten aber schon nicht in hinreichender Weise substantiiert behauptet worden.
22. Es liegt kein substantiierter Sachvortrag im Sinne des § 139 ZPO zum Vorliegen von Reisemängeln vor, wenn dieser allein auf anonyme Bewertungen des betreffenden Hotels in einem Bewertungsportal im Internet gestützt wird. Der Beklagte stützt sich für seinen Vortrag zu den behaupteten Mängeln des von ihm gebuchten Hotels allein auf die Wiedergabe des Inhalts nicht durch vollständige Namensangabe gekennzeichneter Bewertungen in Internet-Bewertungsportalen und kann zur Identität der bewertenden Personen keine Angaben machen. Vor diesem Hintergrund ist der Vortrag des Beklagten zu diesen Mängeln als ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts erfolgt und somit als aufs Geratewohl oder ins Blaue hinein erfolgt anzusehen und damit unbeachtlich (zu diesen Kriterien siehe BGH, Urt.v. 25.04.1995, VI ZR 178/94 – WM 1995, 1561 m.w.N.).
23. Derartige Bewertungen können von den jeweiligen Bewertenden ohne weitere objektive Überprüfung und auch in bloßer Schädigungsabsicht abgegeben werden. Die Ermittlung der Einzelheiten ihrer Entstehung ist regelmäßig nicht möglich und auch der Beklagte gibt nicht an, dass ihm die Bewertenden bekannt seien oder dass er anderweitige weitere Grundlagen dafür hätte, vom Vorliegen eines Tatsachenkerns in den Bewertungen ausgehen zu können. Auch ohne Berücksichtigung der – im Übrigen keineswegs von der Hand zu weisenden und durch die Anonymität der Bewertungsabgabe eher noch geförderten – Möglichkeit, dass die Bewertungen z.B. von Konkurrenten in reiner Schädigungsabsicht erstellt worden sind oder in anderer Weise gänzlich unberechtigt Kritik am betreffenden Hotel üben, kann mithin nicht allein unter Bezugnahme auf derartige negative Bewertungen angenommen werden, dass die Behauptungen des Beklagten zum tatsächlichen Vorliegen von Reisemängeln auf der Basis greifbarer Anhaltspunkte für das tatsächliche und aktuelle Vorliegen eines solchen Sachverhalts erfolgten. Selbst wenn die Bewertungen aus einem subjektiven Gefühl der Bewertenden zur Berechtigung ihrer Kritik heraus abgegeben worden sein sollten, könnte allein aus den Beschwerden einzelner Bewertender aus dem Jahr 2008 nicht auf das allgemeine Vorliegen von Mängeln im gesamten Hotel geschlossen werden, welches alle Zimmer und Mahlzeiten und damit auch diejenigen, die dem Beklagten im Jahr 2009 angeboten worden wären, erfassen würde. Dies würde außer Acht lassen, dass die Zahl der Bewertenden im Verhältnis zur Gesamtzahl der Urlauber klein ist und dass die Bewertungen gerade zu einem früheren Reisezeitraum ergingen (vgl. AG Hannover, Urt.v. 26.04.2004, 508 C 3678/04 – RRa 2005, 31, wonach Internet-Bewertungen aus diesen Gründen nicht zum Beweis eines Reisemangels geeignet sind; zur Relevanz der jeweils unterschiedlichen Reisezeiträume siehe auch AG Duisburg-Hamborn, Urt.v. 30.03.2004, 6 C 6006/03 – RRa 2004, 116). Bewertungen können unzureichend spezifisch und überzogen schlecht sein und ohne hinreichende Kenntnis des Urhebers und der Umstände der Bewertungsabgabe kann dem Beklagten kein hinreichend sicherer Anhaltspunkt vorliegen, dass die von ihm in Bezug genommenen Bewertungen jedenfalls zum Abgabezeitpunkt tatsächlich vorliegende Mängel widerspiegelten; zudem ist jeweils mit der Möglichkeit eines einmaligen bzw. auf einen kurzen Zeitraum beschränkten Auftretens von Mängeln oder mit der zwischenzeitlichen Behebung derselben zu rechnen, so dass sie zum Zeitpunkt der geplanten Reise des Beklagten gerade nicht (mehr) vorgelegen hätten.
24. Solche anonymen negativen Bewertungen in Internet-Bewertungsportalen sind auch nicht mit offiziellen Reisewarnungen vergleichbar, denen grundsätzlich eine Indizfunktion für das Vorliegen einer genügend wahrscheinlichen Gefährdung zukommt (siehe Tempel, NJW 1998, 1827, 1830; Münchener Kommentar-Tonner (5.A), § 651j BGB Rn. 16 m.w.N.). Maßgebliches Unterscheidungskriterium ist hier – neben der verschiedenen Beeinträchtigungsintensität – die bei den Reisewarnungen erkenntliche behördliche Urheberschaft, die eine größere Gewähr für die Berechtigung der Warnung bietet, als dies bei einem anonymen Bewertungsportal der Fall sein kann. Damit liegt diese Unterscheidung auf derselben Linie wie die teils vorgenommene Differenzierung zwischen erkennbar seriösen Medienberichten einerseits, die einen Schluss auf die tatsächlichen Zustände zulassen sollen (siehe Tempel, a.a.O.), und plakativen und übertreibenden Medienberichten andererseits, bei denen dies nicht der Fall ist (siehe AG Duisburg-Hamborn, Urt.v. 30.03.2004, 6 C 6006/03 – RRa 2004, 116).
25. Ein zur Kündigung nach den §§ 651e Abs. 1, 651c BGB berechtigender Reisemangel liegt auch nicht darin, dass die Klägerin der Aufforderung des Beklagten nicht nachkam, ihm zu versichern, dass die in den Internet-Bewertungen geschilderten Zustände im von ihm gebuchten Hotel nicht der Wahrheit entsprechen würden. Nachdem der Beklagte am 04.07.2009 die Reise gebucht hatte, die am 12.07.2009 angetreten werden sollte, berief er sich am 05.07.2009 erstmals gegenüber der Klägerin auf die negativen Bewertungen und forderte sie letztmals am 07.07.2009 auf, ihm zu bestätigen, dass diese Zustände nicht vorlägen. Die Klägerin kam dieser Aufforderung nicht nach. Ein Reiseveranstalter ist nicht verpflichtet, seinem Kunden vor Reiseantritt eine Bestätigung zu erteilen, dass Zustände, wie sie in anonymen Internet-Bewertungen geschildert wurden, tatsächlich nicht zutreffen.
26. Zwar wird aus der allgemeinen Informationspflicht des Reiseveranstalters (siehe BGH, Urt.v. 17.01.1985, VII ZR 375/83 – NJW 1985, 1165) eine Pflicht auch zur Beantwortung von Kundenanfragen nach erfolgter Buchung abgeleitet, wenn nach vorliegenden handfesten, seriösen Informationen die Leistungserbringung an sich gefährdet ist oder diese Informationen die Annahme des Vorliegens sehr schwerer Reisemängel rechtfertigen und der Kunde ein berechtigtes Interesse an der Beantwortung hat (siehe AG Duisburg-Hamborn, Urt.v. 30.03.2004, 6 C 6006/03 – RRa 2004, 116). Eine Verletzung einer solchen Auskunftspflicht des Reiseveranstalters könnte dann einen zur Kündigung des Reisevertrags berechtigenden Mangel darstellen (vgl. Münchener Kommentar-Tonner (5.A), § 651c BGB Rn. 40). Bei einer auf anonyme Angaben aus Bewertungsportalen im Internet gestützten Sorge vor Reisemängeln mangelt es hingegen aus den oben dargelegten Gründen am Vorliegen handfester und seriöser Informationen, die eine solche Verpflichtung des Reiseveranstalters zur kurzfristigen Beantwortung derartiger Kundenanfragen rechtfertigen könnten. Es würde eine solche Verpflichtung auch zu einer ungemessenen Belastung des Reiseveranstalters führen: Gerade wegen der großen Zahl von Internet-Bewertungsportalen und der relativen Häufigkeit von Schilderungen von Mängeln in den dort eingestellten Bewertungen, denen aus den oben dargelegten Gründen keine hinreichende Verlässlichkeit dieser Angaben gegenübersteht, würde speziell ein Anbieter wie die Klägerin, die über ihr Online-Buchungsportal Reisen in eine Vielzahl von Hotels anbietet, mit einer potentiell übergroßen Zahl von Anfragen belastet, die sie unter Umständen sehr kurzfristig im Zeitraum zwischen jeweiliger Buchung und geplantem Reiseantritt zu beantworten hätte, widrigenfalls sie durch den Kunden die Kündigung der Reise ohne Möglichkeit der Einbehaltung von Stornierungsgebühren befürchten müsste. Im Gegenzug steht der Kunde nicht schutzlos, wenn eine solche Informationspflicht nicht angenommen wird: Zum einen verbleiben ihm ohne weiteres seine Ansprüche für den Fall, dass sich nach Reiseantritt vor Ort zeigt, dass die geschilderten Reisemängel tatsächlich gegeben sind; zum anderen steht dem Kunden, der keine negativ bewerteten Hotels besuchen möchte, die Möglichkeit offen, vor seiner Buchung die betreffenden Bewertungsportale zu konsultieren und sodann diese Hotels nicht zu buchen. Ergreift er diese naheliegende und ohne weiteres zur Verfügung stehende Sicherheitsmaßnahme nicht, so erscheint es nicht gerechtfertigt, dass aufgrund der durch die negativen Bewertungen begründeten bloßen Vermutungen des Kunden der Reiseveranstalter dem Kunden gegenüber zur Abgabe einer gesonderten Bestätigung der Mängelfreiheit verpflichtet sein sollte, deren Nichtabgabe dem Kunden ein Kündigungsrecht geben würde.
27. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist dem Schriftwechsel der Parteien ab dem 05.07.2009 auch nicht zu entnehmen, dass die Klägerin die kostenfreie Stornierung durch den Beklagten akzeptiert hätte. Dass die Klägerin dem Beklagten gegenüber angab, seine Anfrage wegen der Zustände im betroffenen Hotel an die örtliche Agentur weitergegeben zu haben, bedeutet nicht, dass die Klägerin, indem sie dem Beklagten freiwillig zu verstehen gab, sich um die Erfüllung seines Anliegens zu kümmern, auch für den Fall der Nichterfüllung so gestellt werden wollte, als wäre sie hierzu verpflichtet gewesen. Ebenso ist der grundsätzlichen Einwilligung der Klägerin darin, dass der Beklagte ein alternatives Hotel buchen könnte, nicht zu entnehmen, dass die Klägerin dem Beklagten die Möglichkeit geben wollte, sich ohne weitere Kosten vom Vertrag zu lösen, sollte eine solche Alternativbuchung in der kurzen Zeit bis zum geplanten Reiseantritt nicht zustande kommen.
28. Da ein Kündigungsrecht, welches dem Beklagten die Möglichkeit einer kostenfreien Lösung vom Reisevertrag gegeben hätte, demnach nicht bestand, erfolgte die Stornierung des Reisevertrags durch den Beklagten am 09.07.2009 in Ausübung seines Rücktrittsrechts nach den § 651i Abs. 1 BGB i.V.m. Ziff. 6 der AGB der Klägerin. Die somit anwendbare Regelung in Ziff. 6 der AGB zur Rücktrittspauschale ist wirksam vereinbarter Vertragsbestandteil des Reisevertrags zwischen den Parteien. Dass bei der Online-Buchung des Beklagten am 04.07.2009 die AGB der Klägerin zugrunde gelegen hatten und wirksam einbezogen wurden, steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Die Regelung zur Rücktrittspauschale in Ziff. 6 der AGB der Klägerin ist auch nicht nach § 309 Nr. 5 BGB unwirksam.
29. In allgemeiner Hinsicht hält sich eine Regelung, nach der ein Reiseveranstalter bei dem Rücktritt des Kunden von einer Flugreise ab dem 14. bis zum 7. Tag vor Reisebeginn 60 % sowie ab dem 6. Tag vor Reisebeginn 70 % des Reisepreises als Rücktrittspauschale verlangen kann, im Rahmen dessen, was in der Rechtsprechung herkömmlich als angemessene Prozentsatzstaffelung angesehen wurde (LG Zweibrücken, Urt.v. 06.02.2007, 3 S 103/06).
30. Es obliegt im Übrigen zwar grundsätzlich dem Verwender die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die in den AGB vorgesehene Pauschalisierung die Entschädigung des Reiseveranstalters entsprechend den Vorgaben des § 651i Abs. 3 BGB unter Berücksichtigung der gewöhnlich ersparten Aufwendungen und des durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen gewöhnlich möglichen Erwerbs festsetzt (siehe allgemein zur Darlegungs- und Beweislast im Rahmen des § 309 Nr. 5 BGB bei BGH, Urt.v. 10.11.1976, VIII ZR 115/75 – NJW 1977, 381. Die Klägerin hat substantiiert dargelegt, dass sie auf der Grundlage ihres Geschäftsmodells einzelne Reisebestandteile nicht nach dem Rücktritt eines Kunden ohne weiteres an einen anderen Kunden weitergeben kann. Gibt sie die Reiseleistungen vielmehr in den allgemeinen Angebotspool zurück, während sie selbst keinen eigenen Pool von Leistungen vorhält, muss sie nach ihrem Vortrag nach erbrachten Vorleistungen ihrerseits die Stornierungsgebühren insbesondere der Fluggesellschaften tragen, die bei einem kurzfristigen Rücktritt in höherem Maße anfallen. Der Beklagte ist diesem Vortrag nicht in hinreichend substantiierter Weise entgegengetreten, namentlich nicht durch seine Behauptung, es wäre für die Klägerin ein Leichtes gewesen, die Reise gegebenenfalls günstiger an andere Reisende zu verkaufen, wie auch durch seine Auffassung, die Klägerin wäre so gehalten gewesen, den Schaden für den Beklagten nach Möglichkeit gering zu halten. Hätte die Klägerin die Reise nicht in den Angebotspool zurückgegeben, so hätte sie gerade wegen der nur kurzen zur Verfügung stehenden Zeit bis zum gebuchten Reiseantritt das erhebliche Risiko geschaffen, die Reise selbst gerade nicht mehr an einen Dritten absetzen zu können. In diesem Fall hätte sie nicht nur Stornierungskosten tragen und an den Beklagten weitergeben müssen, sondern vielmehr den vollständigen Leistungspreis. Dieses Ergebnis zu verhindern, war die Klägerin aber im Rahmen ihrer Schadensminderungspflicht aus § 254 BGB gehalten.
31. Dass der Klägerin im konkreten Fall tatsächlich ein geringerer Schaden entstanden wäre, was der Beklagte gemäß Ziff. 6.5 der AGB der Klägerin entsprechend den Vorgaben des § 309 Nr. 5 b BGB der Pauschalregelung entgegenhalten könnte, ist vom Beklagten schon nicht substantiiert behauptet worden.
32. Die Anwendung der Regelung zum Anspruch auf eine Rücktrittspauschale in Ziff. 6.2.1 der AGB der Klägerin führt im vorliegenden Fall aber nur zu einem Zahlungsanspruch der Klägerin i.H.v. € 1.015,80, während der übersteigende Klaganspruch nicht begründet ist. Der Betrag von € 1.015,80 entspricht einer Rücktrittspauschale gemäß Ziff. 6.2.1 der AGB der Klägerin i.H.v. 60 % des Reisepreises für den Fall eines Rücktritts bis zum 7. Tag vor Reiseantritt, d.h. bis zum 05.07.2009, während die Klägerin den von ihr geltend gemachten Betrag von € 1.186,- auf der Basis einer Rücktrittspauschale i.H.v. 70 % des Reisepreises bei Erklärung des Rücktritts ab dem 6. Tag vor Reiseantritt berechnet, d.h. ab dem 06.07.2009. Vorliegend ist nicht zu verkennen, dass durch die ab dem 05.07.2009 zwischen den Parteien gewechselten E-Mails die Klägerin beim Beklagten eine Erwartung hervorrief, dass zumindest gegebenenfalls auch ohne die Notwendigkeit eines Rücktritts seinen Wünschen entgegengekommen werden könnte. Diese Erwartung realisierte sich letztlich nicht, so dass schließlich am 09.07.2009 der Beklagte den Rücktritt erklärte. Wenn auch aus den oben genannten Gründen die zwischen den Parteien gewechselten E-Mails ihrem Inhalt nach nicht dazu führen, dass der Beklagte sich ohne Kosten vom Reisevertrag lösen kann, ist doch zumindest anzuerkennen, dass es den Grundsätzen von Treu und Glauben aus § 242 BGB widersprechen würde, wenn der Zeitfortschritt während dieses E-Mail-Verkehrs zwischen der Klägerin und dem Beklagten ab dem 05.07.2009 bis zum 09.07.2009 dahingehend zu Lasten des Beklagten gehen würde, dass statt des noch am 05.07.2009 geltenden Tarifs der Rücktrittspauschale von 60 % des Reisepreises letztlich der am 09.07.2009 geltende Tarif von 70 % des Reisepreises zur Anwendung kommen würde.
33. Der Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Mahnkosten i.H.v. € 5,- ergibt sich aus Verzugsgesichtspunkten aus den §§ 280, 286 BGB, der Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen seit dem 21.08.2009 aus den §§ 286, 288 BGB.
34. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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