Krankmeldungsrate und „wilder“ Streik als außergewöhnliche Umstände

AG Köln: Krankmeldungsrate und „wilder“ Streik als außergewöhnliche Umstände

Ein Flugreisender buchte bei einer Airline einen Linienflug. Als dieser wegen einer ungewöhnlich hohen Krankmeldungsrate beim Personal der Airline annulliert wurde, verlangte der Reisende eine Ausgleichszahlung. Die Airline weigert sich der Zahlung und beruft sich auf der Vorliegen haftungsbefreiender außergewöhnlicher Umstände.

Das Amtsgericht Köln hat die Klage abgewiesen. Da die Fluggesellschaft keine Einwirkungsmöglichkeit auf die Krankmeldungen des Personals gehabt habe, lägen die von der Gesellschaft behaupteten haftungsbefreienden Umstände vor.

AG Köln 142 C 67/17 (Aktenzeichen)
AG Köln: AG Köln, Urt. vom 07.08.2017
Rechtsweg: AG Köln, Urt. v. 07.08.2017, Az: 142 C 67/17
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Amtsgericht Köln

1. Urteil vom 7. Augusut 2017

Aktenzeichen 142 C 67/17

Leitsatz:

2. Eine Krankmeldungswelle, die das übliche Maß übersteigt, ist ein außergewöhnlicher Umstand, ganz gleich, ob tatsächliche Krankheit oder „wilder“ Streik vorliegen.

3. Die Kläger hatten als Flugreisende bei der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen, Flüge gebucht. Aufgrund eines erhöhten Aufkommens von Krankmeldungen, wurden diese mehrfach verschoben und die Kläger schließlich auf einen anderen Flug umgebucht, wodurch eine Verspätung ihrer Ankunft am Zielort entstand, die nach allgemeinen Maßstäben der Fluggastrechteverordnung einer Annullierung gleichsteht. Hierfür verlangten die Kläger Schadensersatz. Die Airline weigert sich der Zahlung und begründet die Verspätung mit dem Vorliegen haftungsbefreiender außergewöhnlicher Umstände.

Das Amtsgericht Köln hat die Klage abgewiesen. Gemäß Art. 5 der Fluggastrechte Verordnung entfalle eine Verpflichtung zur Ausgleichszahlung in Fällen, in denen die Verspätung auf Umstände zurückgehe, die von der Airline weder vorhersehbar noch zu kontrollieren seien. In der ungewöhnlich hohen Krankmeldungsrate sei ein solcher Umstand zu sehen.
Hierbei könne nach Ansicht des Gerichts dahinstehen, ob den Krankmeldungen tatsächliche Krankheit zugrunde lag oder ob es ich um wilden Streik gehandelt hat, da dies an der Unbeherrschbarkeit des Ereignisses für die Beklagte nichts ändere. Daher wurde die Klage abgewiesen.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteiles vollstreckbaren Betrages abzuwenden, soweit nicht die Beklagte zuvor Sicherheit Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages geleistet hat.

Tatbestand:

5. Die Kläger nehmen die Beklagte, eine Fluggesellschaft, auf Ausgleichzahlung auf der Grundlage EG-VO 261/2004 (im Folgenden: FluggastVO) in Anspruch.

6. Die Kläger buchten bei der U. Deutschland GmbH eine Reise nach S. in der Zeit vom 20.09.2016 bis 05.10.2016. Teil der Reiseleistungen war der von der Beklagten durchzuführende Rückflug von S. nach Düsseldorf. Dieser sollte planmäßig am 05.10.2016 um 22:55 Uhr in Düsseldorf landen. Nach mehrmaligem Verschieben der Abflugzeit wurden die Kläger schließlich auf ein Flug nach Köln/Bonn umgebucht, wo sie am 06.10.2016 um 05:04 Uhr landeten. Nach der Ankunft der Kläger auf dem Flughafen Köln/Bonn wurde diesen kein Schreiben ausgehändigt, mit dem sie über die Regelungen der Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen nach der FluggastVO informiert wurden.

7. Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 1.200,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 22.12.2016 zu zahlen

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten  in Höhe von 242,76 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.12.2016 zu zahlen.

8. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9. Sie behauptet, sie sei in der Zeit vom 02.10.2016 bis zum 10.10.2016 durch eine Welle von Krankmeldungen ihrer Piloten und ihres Kabinenpersonals gehindert gewesen, alle von ihr angebotenen Flüge durchzuführen. Mit den Krankmeldungen hätten die Mitarbeiter auf die Bekanntgabe von Umstrukturierungsplänen durch den Aufsichtsratsvorsitzenden der U. GmbH am 30.09.2016 reagiert. Ziel der Krankmeldungen sei es gewesen, die Umsetzung der Umstrukturierungspläne zu verhindern. Die Beklagte behauptet, nachdem sich der Krankenstand bis zum 01.10.2016 auf dem üblichen Niveau von ungefähr 10% befunden habe, habe er bei den Piloten am 03.10.2016 bei 41%, am 04.10. bei 50%, am 05.10. bei 70%, am 06.10. bei 80%, am 07.10 bei 89%, am 08.10. bei 67%, am 09.10. bei 56% und am 10.10. bei 34% gelegen. Bei den Flugbegleitern hätten sich am 03.10. 28%, am 04.10. 24%, am 05.10. 43%, am 06.10. 50%, am 07.10. 62%, am 08.10. 61%, am 09.10. 60% und am 10.10. 46% der Mitarbeiter krankgemeldet. Aufgrund der durch den hohen Krankenstand verursachten Personalengpässe seien Verspätungen und Annullierungen von Flügen nicht vermeidbar gewesen. So sei es am 03.10.2016 zu 24 Verspätungen gekommen. Am 04.10.2016 seien 29 Flüge verspätet angekommen, sieben Flüge habe man annullieren müssen. Am 05.10.2016 seien von 111 geplanten Flügen nur 77 durchgeführt worden. Die Beklagte behauptet weiter, sie habe in Reaktion auf die Krankmeldungen ihre Flugplanung insgesamt umgestellt, um eine möglichst hohe Anzahl an Flügen durchführen zu können. Dabei habe man zunächst versucht, mit dem einsatzfähigen Personal einen geregelten Flugbetrieb aufrechtzuerhalten. Weiter habe man beurlaubtes Personal soweit wie möglich aus dem Urlaub zurückgerufen. Zuletzt habe man bei anderen europäischen Fluggesellschaften alle vorhandenen Subcharter unabhängig vom geforderten Preis gemietet. Durch die letzte Maßnahme habe die Beklagte in der Zeit vom 02.10. bis zum 09.10.2016 49 Subcharter mit dazugehörigem Personal einsetzen können. Vorranging habe man bei der Planung den Rücktransport von Gästen berücksichtigt. Der streitgegenständliche Flug von Rhodos nach Düsseldorf sei von einem Subcharter, der X. Air, übernommen worden, der allerdings erst um 23:55 Uhr in S. zur Verfügung gestanden habe. Man habe den Zielflughafen Düsseldorf daher nicht mehr vor Nachtschließung erreichen können und sei aus diesem Grund zum Flughafen Köln/Bonn geflogen.

10. Das Gericht hat mit Beweisbeschluß vom 29.05.2017 (Bl. 134 ff. d. A.) Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin Y. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 03.07.2017 verwiesen (Bl. 146 ff. d. A.).

11. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Parteien und die Protokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

12. Die Klage ist unbegründet.

13. Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ausgleichszahlungen in Höhe von 1.200,00 Euro nach Art. 5, 7 Abs. 1 lit. b) der FluggastVO.

I.

14. Zwar ist zugunsten der Kläger durch die Aufgabe der ursprünglichen Flugplanung seitens der Beklagten und Umbuchung auf einen anderen von der Beklagten zur Verfügung gestellten Flug ein Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäss Art. 5, 7 Abs. 1 lit. b) FluggastVO bei einer Entfernung von 2.334 km in Höhe von jeweils 400,00 Euro entstanden, da die Annullierung nach Art. 5 Abs.1 lit. c) FluggastVO  weniger als sieben Tage vor dem Abflug erfolgte und der Ersatzflug statt mit lediglich zweistündiger Verspätung entgegen Art. 5 Abs. 1 lit c) FluggastVO mit über sechsstündiger Verspätung Köln/Bonn erreichte. Indes ist der Anspruch der Kläger ausgeschlossen, da sich die Beklagte auf einen aussergewöhnlichen Umstand gemäss Art.5 Abs. 3 FluggastVO berufen kann. Bei der Beklagten ist es ab dem 02.10.2016 zu Krankmeldungen in einem von ihr nicht mehr zu beherrschenden und ausserhalb des normalen Flugbetriebes liegenden Umfang gekommen.

15. Nach Art. 5 Abs. 3 FluggastVO entfällt der Anspruch auf Ausgleichszahlungen, wenn das Luftfahrtunternehmen darlegt und nachweist, dass die Annullierung des Fluges auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Ein außergewöhnlicher Umstand liegt vor, wenn ein Ereignis nicht dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge entspricht, sondern außerhalb dessen liegt, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden sein kann. Als Ausnahmevorschrift ist Art. 5 Abs. 3 FluggastVO eng auszulegen. Nach dem 14. Erwägungsgrund der FluggastVO können aussergewöhnliche Umstände insbesondere politische Instabilität, mit dem Flug nicht zu vereinbarende Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwartete Flugsicherheitsmängel und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmen beeinträchtigende Streiks sein. Die Aufzählung ist indes wie die Wendung „können insbesondere“ zeigt, nicht abschliessend. Der EuGH hat weiter festgestellt, dass aussergewöhnliche Umstände bei solchen Vorkommissen vorliegen können, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und sich von ihm aufgrund ihrer Natur oder Ursache tatsächlich nicht beherrschen lassen (EuGH, „Wallentin-Hermann“, Rs. C-549/07, Urteil v. 22.12.2008; sowie EuGH, „Siewert“, Rs. 394/14, Beschluss v. 14.11.2014; EuGH, „van der Lans“, Rs. C-257/14, Urteil v. 17.9.2015, zuletzt EuGH, „Peskova“, Rs. C 315/15, Urteil vom 04.05.2017, alle zitiert nach juris ). Es müssen danach für einen aussergewöhnlichen Umstand zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Das Vorkommnis darf der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens nicht „innewohnen“ („inhérent“ EuGH, „Peskova“, Rs. C 315/15, Urteil vom 04.05.2017) und es darf aufgrund seiner Natur oder Ursache von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht beherrschbar sein. Hieraus folgt nach Auffassung des EuGH weiter, dass technische Defekte, wie sie bei dem Betrieb eines Flugzeuges typischerweise auftreten können, grundsätzlich keine außergewöhnlichen Umstände darstellen, selbst wenn alle vorgeschriebenen oder sonst bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt erforderlichen Wartungen frist- und ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Etwas anderes kann dann gelten, wenn z.B. entsprechend der Aufzählung in dem 14. Erwägungsgrund der FluggastVO der Hersteller der Maschinen oder eine Behörde entdeckt, dass die in Betrieb genommene Maschine mit einem versteckten Fabrikationsfehler behaftet ist, der die Flugsicherheit beeinträchtigt. Nach diesen Grundsätzen lässt sich die Abgrenzung, ob ein Vorkommnis dem normalen Flugbetrieb innewohnt oder nicht unter Berücksichtigung der Aufzählung in dem 14. Erwägungsgrund nach Auffassung der erkennenden Abteilung des Gerichtes danach vornehmen, ob das Vorkommnis, das einen aussergewöhnlichen Umstand darstellen soll, auch ausserhalb und unabhängig von dem Flugbetrieb existiert oder es sich um ein Ereignis handelt, für dessen Auftreten der Flugbetrieb Voraussetzung ist. So kommen versteckte Fabrikationsfehler, schlechte Wetterbedingungen, Sabotageakte etc. auch ausserhalb und unabhängig von dem Flugbetrieb vor, während es etwa zu Zusammenstössen eines Flugzeuges mit einem Treppenfahrzeug oder Gepäckwagen auf dem Flughafen (EuGH, „van der Lans“, Rs. C-257/14, Urteil v. 17.9.2015; BGH, Urteil vom 20.12.2016 – X ZR 75/15 – zitiert nach juris) nur kommen kann, weil sie zum Flugbetrieb gehören und Teil desselben sind. In Bezug auf Erkrankungen von Flugpersonal ist festzustellen, dass einzelne Erkrankungen zu dem normalen Flugbetrieb gehören und keinen aussergewöhnlichen Umstand darstellen können. Eine gewisse aus den Erfahrungen zurück liegender Zeiträume ermittelter Krankmeldungsrate muss von jedem Luftfahrtunternehmen zum Gegenstand der eigenen Flugplanung gemacht werden. Die Berücksichtigung einer durchschnittlichen Krankmeldungsrate ist Voraussetzung für einen geregelten Flugbetrieb, kein Luftfahrtunternehmen kann beim Personaleinsatz mit 100 % einsatzfähigen Mitarbeitern kalkulieren. Erhöhten Krankmeldungsraten ist weiter durch das Vorhalten von abrufbaren Ersatzcrews zu begegnen. Dies findet seine Grenze dort, wo die Krankmeldungsrate eine Grösse erreicht, die so im normalen Flugbetrieb nicht vorkommt und mit der auch schlechterdings nicht zu rechnen ist. Ähnlich einem bislang unentdeckten Herstellerfehler ist auch das bislang unbekannte Auftreten einer den durchschnittlichen Wert deutlich übersteigenden und nicht kalkulierbaren Krankmeldungsrate geeignet den Flugbetrieb eines Luftfahrtunternehmens zum Erliegen zu bringen. Ein derartiges Ereignis stellt sich dann auch im Sinne der genannten zweiten Voraussetzung als der Natur und Ursache nach nicht beherrschbar dar.

16. So liegt der Fall hier. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass bei der Beklagten ab dem 02.10.2016 ein unerwartete Kranmeldungsrate auftrat, die die gewöhnliche um ein Vielfaches überstieg und weder im Rahmen der normalen Flugplanung noch unter Berücksichtigung von Reserven aufgefangen werden konnte. Die Zeugin Y. hat bekundet, dass sich in Reaktion auf die Bekanntgabe der Umstrukturierungspläne noch am Abend des 30.09.2016 ein Krisenstab aus Arbeitnehmervertretern gebildet habe, der Unmut über die Pläne geäußert habe. Am 02.10. hätten sich dann 21% des Cockpitpersonals und 23% des Kabinenpersonals, am 03.10. 41% des Cockpitpersonals und 28% des Kabinenpersonals, am 04.10. 50% des Cockpitpersonals und 24% des Kabinenpersonals, am 05.10. 70% des Cockpitpersonals und 43% des Kabinenpersonals, am 06.10. 80% des Cockpitpersonals und 50% des Kabinenpersonals, am 07.10. 89% des Cockpitpersonals und 62% des Kabinenpersonals, am 08.10. 67% des Cockpitpersonals und 61% des Kabinenpersonals, am 09.10. 56% des Cockpitpersonals und 60% des Kabinenpersonals und am 10.10. 34% des Cockpitpersonals und 46% des Kabinenpersonals krankgemeldet. Die Krankmeldungen seien sehr kurzfristig erfolgt. Erst nach einem erfolgreichen Vermittlungsversuch des niedersächsischen Wirtschaftsministers am 07.10.2016 hätten sich der Krankenstand normalisiert und die Lage sich entspannt. Die Zeugin Y. hat weiter bekundet, dass in dem Vorjahreszeitraum die Krankmeldungsrate bei dem Cockpitpersonal bei 8 % und bei dem Kabinenpersonal bei 10 % lag.  Diese Aussage der Zeugin Y. ist in sich schlüssig, widerspruchsfrei und detailreich. Die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin wird nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass es sich nur um eine Zeugin vom Hörensagen handelt. Die Zeugin  hat einleitend bekundet, dass sie im Bereich des Operational Managements eingesetzt war. Ihre Aufgabe bestand seiner Zeit darin, die Abläufe als „stiller Beobachter“ zu protokollieren. Dabei hat sie Zugang zu allen relevanten Unterlagen und kann diese zusammentragen. Die Zeugin hat weiter ausgesagt, dass ihre Tätigkeit ab der Einsetzungen  eines Krisenstabes am 30.09.2016 begann. Auch diese Aussage der Zeugin ist glaubhaft. Sie belegt, dass die Zeugin an den zuvor bekundeten Vorgängen in Bezug auf die Krankmeldungen sowie den dann ergriffenen Massnahmen unmittelbar beteiligt war. Ihre Aufgabe bestand gerade darin, die Vorgänge aus eigener Wahrnehmung zu erfassen und zu dokumentieren. Ihre Einbindung diente gerade dem Zweck, dass sie ihre Wahrnehmungen später wiedergeben kann. Es bestehen  auch keine Zweifel an der Richtigkeit der Aussage. Dass es sich um eine plötzliche so noch nicht da gewesene und das Übliche übersteigende Krankmeldungswelle handelte, war auch Gegenstand der von der Beklagten vorgelegten Pressberichterstattung. Dass die Rate der Krankmeldungen explosionsartig zunahm und ein Vielfaches dessen betrug mit dem seitens der Beklagten zu rechnen war, ergibt sich aus dem Vergleich der Zahlen aus Oktober 2016 mit den Zahlen aus dem Vorjahreszeitraum. Diese wurden am 02.10.2016 um mehr als das Doppelte und dann zunehmend um das sechs bis achtfache überschritten. Derartige krankheitsbedingte Ausfälle müssen weder eingeplant werden noch sind sie voraussehbar oder beherrschbar, so dass sie einen aussergewöhnlichen  Umstand nach Art. 5 Abs.3 FluggastVO darstellen.

17. Dahinstehen kann, ob den Krankmeldungen tatsächliche Erkrankungen zugrunde lagen oder diese nur vorgeschoben waren; denn in diesem Fall läge ein „wilder“ Streik vor, der ebenfalls als aussergewöhnlicher Umstand gemäss Art. 5 Abs. 3 FluggastVO anzusehen ist.

18. Streik wird als Beispiel für einen aussergewöhnlichen Umstand ausdrücklich im 14. Erwägungsgrund der FluggastVO genannt. Eine Differenzierung danach, ob ein Streik von eigenen Mitarbeitern des Luftfahrtunternehmens oder Dritten (Fluglotsen, Sicherheitspersonal usw.) durchgeführt wird, enthält der Erwägungsgrund nicht (BGHZ 194, 258 ff.). Eine solche Differenzierung ist auch nicht gerechtfertigt, denn legt man die von dem EuGH gegebene Definition zugrunde, so ist festzustellen, dass einem Streik in der Regel keine flugbetrieblichen Gründen sondern betriebspolitische Gründe wie Arbeitsbedingungen, Löhne usw. zugrundeliegen, es sich also um Umstände handelt, die auch ausserhalb des normalen Flugbetriebes eine Rolle spielen und für die der normale Flugbetrieb keine Voraussetzung ist. Bei einem Streik handelt es sich folglich unabhängig davon wer Urheber desselben ist, um ein ausserhalb des Flugbetriebes und unabhängig von diesem auftretendes Phänomen, das von aussen auf den Flugbetrieb einwirkt. Dem 14. Erwägungsgrund ist auch kein Anhalt dafür zu entnehmen, ob nur eine bestimmte Form des Streikes ein aussergewöhnlicher Umstand sein kann. Die FluggastVO differenziert nicht danach, ob sich ein Streik innerhalb der jeweiligen nationalen Regelungen der Mitgliedsstaaten über Arbeitskämpfe hält oder nicht bzw. von einer Gewerkschaft unter Inanspruchnahme geführt wird oder nicht. Es ist danach unerheblich, ob ein Streik regulär oder „wild“ ist, massgeblich ist, dass derartige Arbeitskampfmassnahmen wenn auch nicht ausserhalb des Luftfahrtunternehmens als wirtschaftliche Organisationseinheit so doch ausserhalb des Flugbetriebes stehen.  Ein Streik erfüllt auch die zweite Voraussetzung der von dem EuGH für den ausergewöhnlichen Umstand entwickelten Definition: die fehlende Beherrschbarkeit nach Natur oder Ursache. Denn es ist gerade Merkmal eines Streikes, dass er den Betriebsablauf stören und unterbrechen soll, um die mit ihm verfolgten Ziele gegenüber der Unternehmensleitung durchzusetzen. Dies gilt erst recht für einen „wilden Streik“, der ohne Vorwarnung eingeleitet wird. Dieser soll die Unternehmensleitung zur Erhöhung des Druckes überraschen und damit für sie noch weniger beherrschbar sein als ein regulärer Streik, auf den sich ein Unternehmen jedenfalls in Grenzen einstellen kann.

19. Der festgestellte außergewöhnliche Umstand – sei es in Gestalt der Krankmeldungen, sei es in Gestalt eines wilden Streikes – war für die Annullierung des Fluges der Kläger ursächlich.

20. Zwischen aussergewöhnlichem Umstand und Annullierung muss ein kausaler Zusammenhang bestehen. Die Annullierung muss auf dem aussergewöhnlichen Umstand beruhen. Indes muss der aussergewöhnliche Umstand keine „unmittelbare Auswirkung“ auf den konkreten, annullierten  Flug haben. Eine solche Voraussetzung sieht die Fluggast VO nicht vor. Im 14. Erwägungsgrund heisst es lediglich, dass ein Vorkommnis auf aussergewöhnliche Umstände zurückgeht. Der 15. Erwägungsgrund lässt es genügen, wenn sich eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements auf mehrere Flüge des betreffenden Flugzeuges an einem bestimmten Tag auswirkt. Bereits daraus ergibt sich, dass es einer unmittelbaren Kausalität nicht bedarf. Soweit argumentiert wird, dass es an dem ursächlichen Zusammenhang fehlt, wenn die Annullierung nur Folge einer streikbedingten Umorganisation beruht diese Annahme auf einer Vertauschung der Prüfungsebenen. Die Umorganisation des Flugplanes ist Teil der von den Luftfahrtunternehmen zu ergreifenden zumutbaren Ersatzmassnahmen, also der zweiten Voraussetzung des Art. 5 Abs. 3 FluggastVO. Nach der Rechtsprechung des BGH stellt es eine Pflicht des Luftfahrtunternehmens dar, den Flugplan bei Auftreten aussergewöhnlicher Umstände bereits im Vorfeld zu reorganisieren (BGH  BGHZ 194, 254 ff.). Auch der EuGH hat in der Entscheidung Peskova (Rs. C 315/15, Urteil vom 04.05.2017) ausgeführt, dass es die zu ergreifenden zumutbaren Massnahmen auch Vorbeugemassnahmen sein können, die präventiv ergriffen werden müssen. Bei der Umorganisation eines Flugplanes in Reaktion auf nicht mehr im Normalbetrieb beherrschbare Krankmeldungen oder einen Streik handelt es sich aber um eine solche präventive Masssnahme. Eine Massnahme aber, deren Ergreifen von dem Luftfahrtunternehmen im Rahmen der Entscheidung, welche zumutbare Ersatzmassnahme nach Art. 5 Abs. 3 FluggastVO ergriffen wird, erwartet wird, kann aber nicht gleichzeitig eine Massnahme sein, die den Kausalzusammenhang in einer Form unterbricht, der ein Berufen auf einen aussergewöhnlichen Umstand ausschliesst. Diese Argumentation läuft auf einen Zirkelschluss hinaus und ist abzulehnen. Die Kausalität wird demnach nicht deshalb unterbrochen, weil anstelle des ausgefallenen Fluges auch ein anderer Flug hätte annulliert werden können. In Anbetracht der komplexen Entscheidungssituation ist dem Luftfahrtunternehmen ein Spielraum bei der Beurteilung der einzuleitenden Maßnahmen zuzubilligen. Es genügt daher für die Kausalität, wenn das  Luftfahrtunternehmen nachweist, dass die aussergewöhnlichen Umstände zu Ausfällen geführt haben, unter denen sich auch der streitgegenständliche Flug befunden hat. Der aussergewöhnliche Umstand muss nur zu der Annullierung geführt haben, er muss ihr nicht unmittelbar vorangegangen sein.

21. Das ist hier der der Fall. Die Zeugin Y. hat ausgesagt, dass man bereits ab dem 01.10.2016 sich auf dem Subcharter Markt umsah, ab dem 02.10.2016 ein weiteres Büro bei der Verkehrszentrale eingerichtet habe. Es seid dann begonnen worden, aktiv Subcharter einzukaufen bis zu der gesetzlich vorgegebenen Grenze von 5 Tage im Voraus. Die Zeugin hat weiter bekundet, dass mit den Subchartern nicht alle Flüge bedient werden konnten und schliesslich am 06.10.2016 die Entscheidung gefasst wurde, den Flugbetrieb ab Deutschland einzustellen. Für den Flug vom 05.10.2016 von S. nach Düsseldorf hatten sich für den Hinflug von 6 vorgesehenen Besatzungsmitgliedern 5 krankgemeldet. Der Flug wurde nach den Angaben der Zeugin dann dem Subcharter X. Air übertragen, der am 04.10.2016 in Frankfurt positioniert wurde und nach Absolvierung der Strecke Frankfurt – Heraklion und retour die Strecke Köln – S. und retour übernahm. Auch diese Aussage ist glaubhaft und korrespondiert mit den eingereichten Unterlagen (Bl. 130 d.A.). Damit war der Einsatz eines Subcharters für den streitgegenständlichen Flug von S. nach Köln am 05.10.2016 auf die streikbedingte Reorganisation zurückzuführen,  was wie dargelegt für die Kausalität ausreicht.

22. Darüber hinaus hat die Beklagte alle zumutbaren Maßnahmen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastVO ergriffen, um auf die durch die Krankmeldungen bzw. den „wilden“ hervorgerufenen außergewöhnlichen Umstände zu reagieren.

23. Erforderlich dafür ist die Einleitung solcher Massnahmen, die der durch die aussergewöhnlichen Umstände hervorgerufenen Situation angepasst sind und deren Ergreifen für das Luftfahrtunternehmen zumutbar ist. Welche Maßnahmen danach konkret geboten waren, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Auch die Zumutbarkeit ist situationsabhängig zu klären. Um gravierende Beeinträchtigungen des Flugplans zu verhindern, kann ein Luftfahrtunternehmen etwa gehalten sein, Flugzeuge zu chartern (BGH, Urteil vom 12.06.2014 – X ZR 104/13; zitiert nach juris; BGHZ 194,258 ff.) Die von dem Luftverkehrsunternehmen im konkreten Fall ergriffenen Massnahmen müssen vom ihm nach Art, Umfang und zeitlichen Ablauf dargelegt und bewiesen werden. (BGH, Urteil vom 16.09. 2014 – X ZR 102/13 –, zitiert nach juris)

24. Ihrer Verpflichtung zum Ergreifen der gebotenen Massnahmen ist die Beklagte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichtes in dem ihr zuzumutenden Umfang nachgekommen. Die Zeugin Y. hat dazu ausgesagt, die Beklagte habe bereits am 01.10.2016, das heißt schon vor dem Ansteigen der Krankmeldungen bzw. dem Beginn des wilden Streiks, Vorkehrungen getroffen, um Subcharter anzumieten. Ab dem 02.10.2016 wurde dann ein Büro gebildet, in dem zwei bis drei Mitarbeiter 24 Stunden am Tag den Subcharter-Markt beobachtet haben, um die maximale Anzahl an Flugzeugen zu chartern. Insgesamt wurden 59 Fluggesellschaften von der Beklagten unmittelbar angefragt, weitere über dann ab dem 02.10. und 03.10.2016 kontaktierte Vermittler (Broker). Insgesamt  wurden über den gesamten Zeitraum vom 02.10. bis zum 10.10.2016 180 Flüge mit Subchartern durchgeführt. Hierfür wurde von der Beklagten ein zweistelliger Millionenbetrag ausgegeben, ein Vielfaches von dem, was normalerweise in einem Geschäftsjahr für den Einsatz von subchartern eingeplant wird. Weiter versuchte man nach den Angaben der Zeugin, Flüge an den Reiseveranstalter U. Deutschland zurückzugeben, damit dieser neue Flüge für die betroffenen Passagiere finden konnte. Daneben wurde versucht, Fluggäste auch selbständig auf andere Fluggesellschaften umzubuchen und zuletzt habe es Appelle an Teilzeitmitarbeiter oder freigestellte Mitarbeiter gegeben, Flüge zu übernehmen. Die Zeugin hat weiter bekundet, dass am 06.10.2016 die Situation dergestalt war, dass der Flugbetrieb von Deutschland aus, eingestellt wurde. Im Vordergrund stand die Überlegung, dass man die Passagiere, die sich noch an den Destinationen befanden und dort vielleicht schon zwei / drei Tage warteten zurückholt. Im Rahmen dieser Planung wurde der streitgegenständliche Flug durch einen Subcharter, der X. Air, übernommen. Auch in diesen Punkten bestehen keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Zeugin. Die Aussage war detailliert und umfassend. Danach ist festzustellen, dass die Beklagte situationsabhängig schon frühzeitig versuchte, auf die stetig steigenden Krankmeldungen zu reagieren und dass sie dabei auch angemessen auf neue Entwicklungen reagierte. So wurde die Einstellung des Flugbetriebes ab Deutschland erst ab dem 06.10.2016 ins Auge gefasst als sich der Flugbetrieb auch unter Einsatz der Subcharter nicht mehr darstellen liess. Dass die Beklagte dabei das ihr zustehende Ermessen fehlerhaft ausübte und insbesondere weitere zumutbare Massnahmen unterliess lässt sich nicht feststellen. Gerade der massive Einsatz von Subchartern zeigt, dass die Beklagte dabei auch bereit war, erhebliche wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen.

II.

25. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Ersatz der außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 242,76 Euro. Dabei kann dahinstehen, ob den Klägern wegen einer der Beklagten zuzurechnenden Verletzung von Informationspflichten bei Annullierung eines Fluges nach Art. 14 Abs. 2 S. 1 FluggastVO ein Schadenersatzanspruch wegen der Inanspruchnahme von anwaltlichem Rat zur Kompensierung des unterlassenen Hinweises zusteht, denn ein solcher Anspruch wäre, da ein Anspruch auf Ausgleichszahlung nicht besteht, nur auf die Kosten einer anwaltlichen Beratung beschränkt. Die vorliegend unter dem 02.02.2017 (Bl. 86 d.A.) den Klägern gegenüber abgerechnete Geschäftsgebühr für die aussergerichtliche Tätigkeit stellt sich hingegen nicht als ein auf die Pflichtverletzung zurückzuführender Schaden dar. Da aber eine Beratungsgebühr nicht Gegenstand der gemäss § 10 RVG den Klägern gegenüber gestellten Rechnung ist, ist den Klägern insoweit auch kein Schaden entstanden.

III.

26. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91708 Nr. 11, 711 ZPO.

27. Streitwert: 1200,00 Euro

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