Impfunverträglichkeit als versichertes Ereignis

OLG Karlsruhe: Impfunverträglichkeit als versichertes Ereignis

Die Kläger hatten eine Reise gebucht und bei der Beklagten, einem Versicherungsunternehmen, eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen. Wegen einer Allergie der Klägerin konnten die erforderlichen Impfungen nicht durchgeführt werden, weshalb die Reise storniert wurde. Da der Buchungspreis nicht vollständig rückerstattet wurde, verlangen die Kläger Zahlung aus der Reiserücktrittsversicherung. Die Beklagte lehnt dies ab, da die Umstände bereits vor Abschluss der Versicherung bestanden und insofern zu erwarten gewesen seien.

Dem folgte das Landgericht und lehnte eine Zahlungspflicht der Beklagten ab.

Das Oberlandesgericht gab auf die Berufung der Kläger hin deren Antrag statt. Soweit die Beklagte eventuell bestehende Bedingungen als Versicherungsfall ausschlösse, sei diese Klausel unwirksam. Die Kläger hätten außerdem nicht von der Impfunverträglichkeit wissen müssen. Damit musste die Beklagte den nicht erstatteten Buchungsbetrag zahlen.

OLG Karlsruhe 12 U 184/12 (Aktenzeichen)
OLG Karlsruhe: OLG Karlsruhe, Urt. vom 16.05.2013
Rechtsweg: OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.05.2013, Az: 12 U 184/12
LG Mannheim, Urt. v. 17.10.2012, Az: 8 O 70/12
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Oberlandesgericht Karlsruhe

1. Urteil vom 16. Mai 2013

Aktenzeichen 12 U 184/12

Leitsatz:

2. Ist in einem Reiserücktrittsversicherungsvertrag Impfunverträglichkeit als Versicherungsfall vereinbart, muss diese nicht erst nach Vertragsschluss eintreten, solange sie dem Versicherungsnehmer nicht bekannt war.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger, ein Ärzteehepaar, hatten eine Reise nach Südamerika gebucht und bei der Beklagten, einem Versicherungsunternehmen, eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen. Wegen einer Hühnereiweißallergie der Klägerin konnte die erforderliche Impfung gegen Gelbfieber nicht durchgeführt werden, weshalb die Reise storniert wurde. Da der Buchungspreis nicht vollständig rückerstattet wurde, verlangen die Kläger Zahlung aus der Reiserücktrittsversicherung. Die Beklagte lehnt dies ab, da die Umstände bereits vor Abschluss der Versicherung bestanden und insofern zu erwarten gewesen seien. Die Kläger hätten von der Allergie der Klägerin weit vorher gewusst.

Dem folgte das Landgericht und lehnte eine Zahlungspflicht der Beklagten ab. Als Ärzte sei von den Klägern zu erwarten gewesen, dass sie über die Folgen einer Hühnereiweißallergie für Impfungen wissen.

Das Oberlandesgericht gab auf die Berufung der Kläger hin deren Antrag statt. Soweit die Beklagte eventuell bestehende Bedingungen als Versicherungsfall ausschlösse, sei diese Klausel unwirksam. Vielmehr müsse der Versicherungsgeber eine Risikoeinschätzung mit eventueller Erkrankungsabfrage durchführen und aufgrunddessen einen Vertragsschluss ablehnen. Die Kläger hätten außerdem nicht von der Impfunverträglichkeit wissen müssen, da sie als Orthopäde und Zahnärztin keine tieferen Kenntnisse in Immunologie und Tropenmedizin haben. Damit musste die Beklagte den nicht erstatteten Buchungsbetrag zahlen.

Tenor

4. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 17.10.2012 (8 O 70/12) – unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung – im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger 8.238,15 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.08.2011 nebst vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 150 € nebst Zinsen hieraus seit 06.05.2012 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

5. Die Kläger machen mit vorliegender Klage Leistungen aufgrund einer mit der Beklagten abgeschlossenen Reiserücktrittskostenversicherung geltend.

6. Laut Buchungsbestätigung vom 21.12.20101 buchten die Kläger gemeinsam mit einem weiteren Ehepaar am 03.12.2010 eine 15-tägige Reise nach Peru, Bolivien und Chile für den Zeitraum vom 05. Juli bis zum 19. Juli 2011 zu einem Gesamtbetrag für vier Personen in Höhe von 26.220,00 €. Unter dem 22.12.20102 beantragte der Kläger Ziff. 1 für sich und die Klägerin Ziff. 2 bei der Beklagten den Abschluss einer Reiserücktrittskostenversicherung. Mit Schreiben vom 05.01.20113 bestätigte die Beklagte den beantragten Versicherungsschutz, gleichzeitig übersandte sie den Klägern eine Kundeninformation, wobei die Kläger davon ausgehen, dass dort die allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten seien4.

7. Dort ist unter der Überschrift „Reiserücktrittskostenversicherung“ auf Seite 3 folgende Regelung enthalten:

8. „Versichert sind die Kosten, die anfallen, wenn Sie Ihre Reise aufgrund eines versicherten Ereignisses nicht antreten können. Zu den versicherten Ereignissen zählen u.a. unerwartete schwere Erkrankung, schwere Unfallverletzung, Schwangerschaft, Impfunverträglichkeit.“

9. Auf der vorhergehenden Seite ist unter der Überschrift „Reiserücktrittskostenversicherung und Reiseausfallschutz“ Folgendes geregelt:

10. „Es besteht u.a. kein Versicherungsschutz für Ereignisse, mit denen zur Zeit des Vertragsabschlusses oder der Reisebuchung zu rechnen war.“

11. Streitig ist zwischen den Parteien, ob außerdem die „Bedingungen für die Jahres-Reiseversicherung für Inhaber der Lifecard“ (AVB JRV 2008 RR)5 einbezogen wurden. § 12 AVB JRV 2008 RR lautet:

12. „Kein Versicherungsschutz besteht, wenn der Versicherungsfall zum Zeitpunkt der Buchung der versicherten Reise oder bei Antritt der Reise vorhersehbar war, d.h. wenn die versicherte Person von dem Eintritt des Versicherungsfalles wusste oder damit rechnen musste.“

13. Bezüglich des Impfschutzes ließen sich die Kläger durch das Institut für Tropenmedizin in … medizinisch beraten. Die Klägerin erhielt von dort eine auf den 27.01.2011 datierte Übersicht6 über die vorzunehmenden Impfungen. Mit beigefügtem Schreiben7 wurde mitgeteilt, dass wegen der bei der Klägerin bestehenden Hühnereiweißallergie die erforderliche Gelbfieber-Impfung kontraindiziert sei.

14. Mit Schreiben vom 10.02.20118 traten die Kläger wegen der bestehenden Impfunverträglichkeit von der geplanten Reise gegenüber dem Reisebüro zurück.

15. Nach der erst in zweiter Instanz vorgelegten „Korrekturrechnung“ des Reisebüros vom 24.02.20119 erfolgte angesichts der Stornierung zweier Flüge eine „Rückbuchung“ in Höhe von 270 €.

16. Mit Schreiben vom 16.03.201110 bat die Beklagte zum Zwecke der Bearbeitung des gemeldeten Schadens um Zurverfügungstellung verschiedener Unterlagen, u.a. der Stornokostenrechnung. Mit Schreiben vom 26. August 201111 wurde mitgeteilt, dass im vorliegenden Fall Versicherungsschutz nicht bestehe.

17. Mit anwaltlichem Mahnschreiben vom 22.09.201112 wurde die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 04.10.2011 aufgefordert, den Schaden in Höhe von 9.432,50 € nebst Anwaltskosten in Höhe von 825,27 € zu ersetzen. Die Rechtsschutzversicherung der Kläger zahlte auf die Kostenrechnung von einen Betrag von 675,27 €, die Bezahlung des Restbetrages in Höhe von 150,00 € erfolgte durch die Kläger13.

18. Im Hinblick auf die Versicherungsbedingungen der Beklagten, die im Rahmen der Reiserücktrittskostenversicherung einen Selbstbehalt von 10 % der Stornokosten je Reise vorsehen, bringen die Kläger 942,35 € in Abzug und machen mit vorliegender Klage den Restbetrag in Höhe von 8.481,15 € zuzüglich Anwaltskosten geltend.

19. Die Kläger haben in erster Instanz vorgetragen, sie hätten an das befreundete Ehepaar am 14.12.2010 einen Betrag in Höhe von 9.540,00 € und am 21.12.2010 einen Betrag in Höhe von 883,50 € zur Weiterleitung an das Reisebüro bezahlt14. Einen Teilbetrag in Höhe von 8.540,00 € sei für die Flüge der streitgegenständlichen Reise gewesen, ein weiterer Teilbetrag von 1.000,00 € für eine andere Reise. Nach Stornierung der Reise sei vom Reisebüro keine Rückerstattung erfolgt. Die Stornierungskosten würden bei Flugkosten 100 % betragen. Nur wenn es sich nicht um Flugkosten handle, würden die Stornierungskosten 15 % des Reisepreises betragen. Der Gesamtreisepreis für die Kläger habe sich insgesamt auf 14.430,00 € belaufen. Die Kläger sind der Auffassung, die Versicherungsbedingungen würden bezüglich der Impfunverträglichkeit keine Einschränkung dahingehend enthalten, dass nur solche versichert seien, die erst nach Buchung der Reise oder nach Reiseantritt auftreten würden. Aufgrund der allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten sei die Klägerin auch nicht verpflichtet gewesen, vor Buchung der Reise eine etwaige Impfunverträglichkeit medizinisch abklären zu lassen. Eine entsprechende Verpflichtung hätte einer ausdrücklichen Regelung in den Versicherungsbedingungen der Beklagten bedurft. Da es an einer entsprechenden Regelung fehle, sei die Klägerin nicht verpflichtet gewesen, vor Buchung der Reise Untersuchungen im Hinblick auf eine mögliche Impfunverträglichkeit bei sich anstellen zu lassen. Die Klägerin ist weiter der Auffassung, allein aufgrund des Umstandes, dass bei ihr eine Hühnereiweißallergie bestehe, habe sie nicht wissen müssen, dass dies eine Kontraindikation für die bei Reisen nach Peru und Bolivien erforderliche Gelbfieberimpfung darstelle. Dies könne ihr nur dann entgegengehalten werden, wenn jedem durchschnittlichen Versicherungsnehmer bekannt wäre, dass bei einer Hühnereiweißallergie Impfungen grundsätzlich kontraindiziert seien. Eine solche Kenntnis gehöre jedoch nicht zum Allgemeinwissen eines unter Hühnereiweißallergie leidenden Patienten. Heutzutage würden Impfviren, wo dies möglich sei, auf Zellkulturen mit Hühnerfibrolastenkulturen oder auf menschlichen Zellkulturen vermehrt. In diesem Fall gäbe es keine Probleme bei der Impfung von Hühnereiweißallergikern. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, der unter einer Hühnereiweißallergie leide, wisse allenfalls, dass er entsprechende Nahrungsmittel vermeiden müsse, die Hühnerei enthalten würden. Es sei ihm jedoch regelmäßig nicht bekannt, dass auch Impfungen kontraindiziert sein könnten, zumal dies bei der weit überwiegenden Mehrzahl von Impfungen nicht zutreffe. Dies gelte auch angesichts der Berufe des Klägers (Orthopäde) und der Klägerin (Zahnärztin). Die Immunologie sei ein Spezialgebiet der Medizin, was schon die Existenz des Instituts für Tropenmedizin belege. Bereits im November 2010 hätten die Kläger einen Termin beim Tropenmediziner Dr. V. erbeten und erst einen für den 22. März 2011 erhalten. Aufgrund dessen habe man sich an das Institut für Tropenmedizin in … gewandt. Am 01. Februar 2011 sei die persönliche Beratung des Klägers Ziff. 1 erfolgt, am 07. Februar 2011 die persönliche Beratung für die Klägerin Ziff. 2, bei der die zuständige Ärztin von einer Impfung abgeraten habe. Für die Klägerin Ziff. 2 sei der Eintritt des Versicherungsfalles entgegen der Ansicht der Beklagten nicht vorhersehbar gewesen. Die Kläger tragen weiter vor, sie hätten bei Vertragsschluss die Anlage B1, die in § 12 den Begriff der Vorhersehbarkeitsregel nicht erhalten, lediglich die allgemeinen Geschäftsbedingungen, die als Anlage K4 zur Klageschrift eingereicht worden seien, seien übergeben worden.

20. Die Kläger haben in erster Instanz beantragt,

21. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger als Gesamtgläubiger 9.306,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.08.2011 zu zahlen.

22. Die Beklagte hat beantragt,

23. die Klage abzuweisen.

24. Die Beklagte hat vorgetragen, die Kläger hätten keine Ansprüche aus der abgeschlossenen Reiserücktrittskostenversicherung, da der Eintritt des Versicherungsfalls im Zeitpunkt der Reisebuchung bereits vorhersehbar gewesen sei. Da den Klägern schon seit dem Jahr 2008 bekannt gewesen sei, dass bei der Klägerin Ziff. 2 eine Hühnereiweißallergie bestehe, die eine Kontraindikation für die für Reisen nach Peru und Bolivien erforderliche Gelbfieberimpfung darstelle, bestehe kein Versicherungsschutz. In § 12 Ziff. 1 der vereinbarten Vertragsbedingungen für die Jahresreiseversicherung sei geregelt, dass dann kein Versicherungsschutz bestehe, wenn der Versicherungsfall zum Zeitpunkt der Buchung der versicherten Reise oder bei Antritt der Reise vorhersehbar gewesen sei, was der Fall sei, wenn die versicherte Person von dem Eintritt des Versicherungsfalles gewusst habe oder damit habe rechnen müssen. Darüber hinaus sei in § 2 Ziff. 1 der vereinbarten Vertragsbedingungen zur Reiserücktrittskostenversicherung geregelt, dass Versicherungsschutz nur bei unerwarteter Impfunverträglichkeit bestehe. Eine schon bei Reisebuchung bestehende und erkennbare Unverträglichkeit sei vorhersehbar gewesen und damit nicht unerwartet. Selbst wenn die Klägerin Ziff. 2 nicht gewusst haben sollte, dass eine Gelbfieberimpfung aufgrund der bestehenden Hühnereiweißallergie kontraindiziert gewesen sei, hätte sie es jedenfalls wissen können, wenn sie sich informiert hätte. Insoweit seien Informationsquellen allgemein zugänglich. Zudem handle es sich beim Kläger Ziff. 1 um einen Arzt und bei der Klägerin Ziff. 2 um eine Zahnärztin, vor dem Hintergrund ihrer medizinischen Ausbildung sei es ohne Weiteres möglich und zumutbar gewesen, die Impfunverträglichkeit vor Reisebuchung abzuklären.

25. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 17.10.2012, auf dessen Feststellungen im Übrigen verwiesen wird, abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Auslegung der AGB ergebe, dass sich das Wort „unerwartet“ auch auf die Impfunverträglichkeit beziehe. Dies ergebe sich schon aus Sinn und Zweck der Vorschrift, da nicht erwartet werden könne, dass auch im Falle einer bekannten Impfunverträglichkeit die Reiserücktrittskostenversicherung die Stornierungskosten übernehme. Unabhängig davon sei aber zur Reiserücktrittskostenversicherung ausdrücklich geregelt, dass kein Versicherungsschutz für Ereignisse bestehe, mit denen zur Zeit des Vertragsabschlusses oder der Reisebuchung zu rechnen sei. Damit sei der Versicherungsschutz bereits ausgeschlossen, wenn das Ereignis, das später zur Stornierung der Reise führe, fahrlässig unbekannt gewesen sei. Von mindestens fahrlässiger Unkenntnis müsse im vorliegenden Fall jedoch ausgegangen werden, da bereits seit 2008 und damit vor Antritt bzw. Buchung der Reise eine Hühnereiweißallergie bestanden habe. Bei dem Wissen um Vorhandensein einer Hühnereiweißallergie hätten gerade die medizinisch vorgebildeten Kläger wissen müssen, dass eine Kontraindikation gegen eine empfohlene Impfung bestehen könne. Die Tropenmedizin mag ein Spezialgebiet sein, Grundkenntnisse der Immunologie würden jedoch auch im Rahmen des Medizinstudiums vermittelt. Unabhängig davon seien die Kläger bezüglich der Informationen über die Erforderlichkeit einer Impfung und etwaiger Kontraindikationen nicht auf die Beratung des tropenmedizinischen Instituts angewiesen gewesen. Die Kläger hätten ohne Weiteres die Möglichkeit gehabt, sich aus allgemein zugänglichen Quellen, nämlich dem Internet, alle relevanten Informationen zu beschaffen. Die Klausel sei auch nicht unwirksam, da es sich nicht um eine überraschende Klausel handele. Auch für einen Durchschnittsreisekunden sei grundsätzlich erkennbar, dass Reiserücktrittsgründe, wie schwere Krankheit oder Impfunverträglichkeit, dann keinen Versicherungsschutz begründeten, wenn sie bereits vor Reiseantritt bzw. Abschluss des Versicherungsvertrages angelegt seien und von der versicherten Person ohne großen Aufwand hätten vor Buchung erkannt werden können. Die vorgenommene Beschränkung des Versicherungsschutzes im Bereich der Impfunverträglichkeiten bedeute eine sachgerechte Risikoverteilung zwischen versicherter Person und Versicherer. Bestünden Anhaltpunkte dafür, dass eine Impfunverträglichkeit vorliege und könne dies ohne weiteres abgeklärt werden, liege hierin keine unangemessene Benachteiligung.

26. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung, mit der sie ihre Ansprüche weiterverfolgen. Die Kläger sind der Auffassung, das Landgericht habe verkannt, dass das versicherte Ereignis die „Impfunverträglichkeit“ sei und nicht die „unerwartete Impfunverträglichkeit“. Das Wort „unerwartet“ beziehe sich auch nicht auf die dazwischen stehenden Begriffe „schwere Unfallverletzung“ und „Schwangerschaft“. Denn die einzig wirklich unerwartete Schwangerschaft dürfte wohl die Jungfrauengeburt Mariens gewesen sei. Soweit das Landgericht den Versicherungsschutz für Ereignisse ausschließe, die fahrlässig unbekannt gewesen seien, passe dies nicht ins System der §§ 1932 VVG und des § 81 VVG, der sich nur auf die Zeit nach Abschluss des Versicherungsvertrages beziehe. Von grober Fahrlässigkeit könne ohnehin nicht ausgegangen werden. Positive Kenntnis über den Zusammenhang zwischen einer nur Eiweißallergie und einer etwaigen Unverträglichkeit habe gerade nicht bestanden.

27. Die Kläger beantragen – nach teilweiser Klagerücknahme15 – unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Mannheim vom 17.10.2012 (8 O 70/12),

28. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger als Gesamtgläubiger 9.063,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.08.2011 zu zahlen.

29. Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil und beantragt,

30. die Berufung der Kläger zurückzuweisen.

31. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

32. Die zulässige Berufung der Kläger hat auch in der Sache Erfolg. Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

33. Der zuletzt gestellte, auf Zahlung von 9.063,42 €16 gerichtete Klageantrag ist dahingehend zu verstehen, dass als Hauptforderung ein Betrag in Höhe von 8.238,15 € und als Nebenforderung (vorgerichtliche Anwaltskosten) ein Betrag in Höhe von 825,27 €17 verlangt wird. In mündlicher Verhandlung hat die Klägervertreterin erklärt, dass sie die Klage um den mathematisch richtigen Betrag von 243 € (das sind 270 € abzüglich 10 %) zurücknehme und die Beklagte hat dieser Teilklagerücknahme zugestimmt.

34. Hinsichtlich der Hauptforderung von 8.238,15 € ist die Klage vollauf begründet; hinsichtlich der Nebenforderung nur teilweise.

1.

35. Die Kläger haben Anspruch auf Versicherungsleistungen, da ein bedingungsgemäßer Versicherungsfall eingetreten ist.

36. Welche Bedingungen hier genau vereinbart worden sind, erschließt sich nicht ohne Weiteres aus den vorgelegten Unterlagen, da insbesondere die vorgelegte Versicherungsbestätigung nicht auf ein konkretes Bedingungswerk verweist. Einig sind sich die Parteien dahingehend, dass zumindest die aus der Kundeninformation ersichtlichen Regelungen den Klägern bekannt waren.

37. Das demnach vereinbarte Versicherungsereignis „Impfunverträglichkeit“ liegt bei der Klägerin Ziff. 2 vor. Es kommt nicht auf eine „unerwartete Impfunverträglichkeit“ an.

38. Bei rein grammatikalischer Betrachtung kommt zwar in Betracht, dass nicht nur die die „schwere Erkrankung“, sondern auch die „Impfunverträglichkeit“ und daneben die „schwere Unfallverletzung“ und „Schwangerschaft“ jeweils „unerwartet“ sein müssen. Die Berufung rügt zu Recht, dass dann schwer nachvollziehbar wäre, wie sich die versicherten Ereignisse von den nicht versicherten Ereignissen abgrenzen. Sehr plastisch und völlig zu Recht stellt die Berufung auch darauf ab, dass gerade der Begriff „unerwartete Schwangerschaft“ rechtsanwenderische Probleme mit sich bringen würde und bei der Subsumtion sehr weitgehend die Intimsphäre der versicherten Personen beleuchtet werden müsste.

39. Bei der Begrifflichkeit „unerwartete schwere Erkrankung“ lässt die herrschende Meinung diese Vertragsklausel bisher zwar unbeanstandet (Nies NVersZ 2001, 537, OLG Köln VersR 99, 223). Sie schränkt die Begrenzung auf dem Versicherungsnehmer bekannte Erkrankungen ein. Nach der zutreffenden Ansicht des BGH zu §§ 6, 16 ff. VVG a. F. (VersR 67, 56; 2008, 905; 2007, 389) reicht dazu nicht, dass die Erkrankung hätte bekannt sein können oder müssen. Notwendig ist positive Kenntnis. Grobfahrlässige Nichtkenntnis reicht nicht. Bei der Kenntnis von Symptomen muss der Schluss auf eine ernsthafte Erkrankung auch gezogen worden sein (Knappmann in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl., 2010, VB-Reiserücktritt 2008, Ziff. 2, Rdnr. 7).

40. Erforderlich ist demnach Unverträglichkeit hinsichtlich einer für das Reiseland vorgeschriebenen oder ärztlich angeratenen Impfung, gleichgültig, ob diese erst gar nicht durchgeführt wird (vgl. AG München VersR 96, 1145) oder ob die Reaktionen auf eine erfolgte Impfung die Reise ausschließen (Knappmann in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl., 2010, VB-Reiserücktritt 2008, Ziff. 2, Rdnr. 12). Nicht erforderlich ist, dass Impfunverträglichkeit erst nach Abschluss des Versicherungsvertrages eintritt (unrichtig AG Sinsheim VersR 2001, 456, LG Wuppertal r+s 2004, 156). Sie kann und wird auch meist schon vorher bestanden haben. War sie dem Versicherungsnehmer bereits bei Versicherungsvertragsschluss bekannt, gilt der Ausschluss nach § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG oder unter Umständen auch nach der vereinbarten Ausschlussklausel (vgl. 3.2. VB-Reiserücktritt 2008).

41. Eine solche Impfunverträglichkeit lag bei der Klägerin Ziff. 2 vor. Selbst wenn man verlangen würde, dass diese Impfunverträglichkeit bei Abschluss des Versicherungsvertrages dem Versicherungsnehmer nicht (positiv) bekannt sein darf, wäre dem Genüge getan. Im Raume steht lediglich die grob-fahrlässige Unkenntnis der Impfunverträglichkeit.

2.

42. Die vertragliche Ausschlussklausel greift nicht.

43. Was genau Inhalt einer solchen Ausschlussklausel sein könnte, bleibt unklar, kann aber dahinstehen. Nach dem Wortlaut der Kundeninformation besteht kein Versicherungsschutz für Ereignisse, mit denen zur Zeit des Vertragsabschlusses oder der Reisebuchung zu rechnen war. Im hier interessierenden Zusammenhang weicht § 12 AVB JRV 2008 RR, dessen Einbeziehung aber streitig ist, erheblich ab, da dort auf den Zeitpunkt der Reisebuchung und des Reiseantritts abgestellt wird.

a)

44. Soweit die ggf. vereinbarte Klausel auch auf die Situation bei Abschluss des Versicherungsvertrages ausdrücklich abstellt, ist sie gemäß § 32 VVG unwirksam (vgl. Knappmann in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl., 2010, VB-Reiserücktritt 2008, Ziff. 2, Rdnr. 5).

45. Denn durch diese Klausel wird von den Regelungen der §§ 19 ff. VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen. Mit der vorliegenden Beschränkung werden bereits bei Vertragsschluss bestehende Erkrankungen des Versicherungsnehmers oder des Versicherten ausgeschlossen. Damit wird der Regelungsbereich der §§ 19 ff. VVG berührt. Würde nach dem dort vorgesehenen System vorgegangen, müsste der Versicherer diese Erkrankungen und Umstände (in Textform und unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung) erfragen und sich dann im Rahmen seiner Risikoprüfung darüber schlüssig werden, ob überhaupt oder mit welchen Abänderungen er den Antrag des Versicherungsnehmers annimmt. Hier hätte auf diese Weise die Allergie erfragt werden können und der Versicherer hätte sich angesichts des nach seiner Auffassung möglichen Rückschlusses auf die Impfunverträglichkeit darüber klar werden müssen, ob er die Kläger überhaupt versichert.

46. Die Erfragung und die Beurteilung gefahrerheblicher Umstände ist nach diesem Leitbild, von dem zum Nachteil des Versicherungsnehmers nicht abgewichen werden darf (§ 32 VVG), dem Versicherer zugewiesen. Von diesem Leitbild wird abgewichen, wenn der Versicherer bei Vertragsschluss jede Risikoprüfung unterlässt und sie damit letztlich auf einen Zeitpunkt nach Eintritt des Versicherungsfalls verlagert. Da seine fiktive Reaktion bei Angaben von Erkrankungen bei Vertragsschluss nicht sicher festgestellt werden kann, kann auch nicht festgestellt werden, dass nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von der gesetzlichen Regel abgewichen wird. Insoweit bleibt der Umfang des Versicherungsschutzes für den Versicherungsnehmer unklar. Deshalb ist die Bestimmung, soweit sie bei Vertragsschluss vorhandene körperliche Umstände eines Versicherungsnehmers oder eines Versicherten ausklammert, unwirksam (vgl. OLG Saarbrücken VersR 2008, 621, Knappmann VersR 2006, 495, Marlow/Spuhl r+s 2009, 177).

b)

47. Auf den Zeitpunkt der Reisebuchung kann hier nicht isoliert abgestellt werden, da die Buchung bereits vor Versicherungsvertragsschluss erfolgte und auch auf diese Weise nicht der Schutz des § 32 VVG ausgehöhlt werden kann (Knappmann in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl., 2010, VB-Reiserücktritt 2008, Ziff. 3, Rdnr. 3).

c)

48. Außerdem mussten die Kläger nicht mit der Impfunverträglichkeit der Klägerin Ziff. 2 rechnen. Insoweit liegt keine grobe Fahrlässigkeit vor. Zu berücksichtigen ist zwar, dass die Kläger als Ärzte (Orthopäde bzw. Zahnärztin) praktizieren. Damit mögen die Kläger in der Lage sein, sich auch medizinische Sachverhalte, die außerhalb ihres Tätigkeitsbereiches fallen, schnell und nachhaltig durch Lektüre anzueignen. Keineswegs zu erwarten ist jedoch, dass die Kläger auch in fremden medizinischen Bereichen Detailwissen haben. Es ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich, dass in Deutschland praktizierende Orthopäden und Zahnärzte tropenmedizinische Impfungen vornehmen. Erst recht kann nicht erwartet werden, dass die Kläger die Herstellungsweise bzw. die Inhaltsstoffe von Impfseren kennen oder sich diesbezüglich erkundigen. Deshalb musste die Klägerin Ziff. 2 angesichts ihrer Hühnereiweißallergie auch nicht so lange in Fachliteratur oder im Internet recherchieren, bis sie darauf stößt, dass der Gelbfieberimpfstoff allergierelevant ist.

3.

49. Versicherungsleistungen sind in Höhe von 8.238,15 € zu erbringen. Denn insgesamt sind Stornokosten in Höhe von 9.153,50 € angefallen. Nach Abzug des Selbstbehalts in Höhe von 10 % ergeben sich daraus 8.238,15 €.

50. Vereinbart war insoweit ein Selbstbehalt von 10 % der erstattungsfähigen Stornokosten und einer Versicherungssumme die versicherte Person von maximal 10.000 €18.

51. Aus der vorgelegten Reisebuchungsbestätigung ergibt sich hinsichtlich der Flüge, dass insoweit 100 % Stornokosten abzüglich Steuern anfallen würden. Die Beklagte zitiert aus außergerichtlich überlassenen Unterlagen dahingehend, dass im Übrigen Stornierungskosten i.H.v.15 Prozent des Reisepreises vereinbart worden seien, was unstreitig blieb19.

52. Abgesehen von den Flugkosten hätte die Reise 5.890 €20 gekostet, was Stornokosten in Höhe von 883,50 € und auch dem insoweit nach Klägervortrag vorgeschossenen Betrag21 entspricht. Dieser Klägervortrag wird hinreichend bestätigt durch die vorgelegten Dokumente (Bankkontoauszug22, Reiserechnung23, Korrekturrechnung24) und wurde von der Beklagten nicht substantiiert bestritten.

53. Die Stornokosten hinsichtlich der Flüge betragen 8.270 €. Denn es sind Flugkosten in Höhe von 8.540 € angefallen, von denen lediglich 270 € Steuern zurückerstattet wurden. Die diesbezügliche Zahlung25 und der Stornokostenanfall26 sind hinreichend belegt und von der Beklagten nicht substantiiert bestritten. Hinsichtlich der Flugkosten machten die Kläger nach richtigem Verständnis ihres Vortrags bereits erstinstanzlich geltend, dass sie – anders als das zur Begleitung vorgesehene Ehepaar – auf dem Hin- und Rückflug in der Business-Class geflogen wären und damit höhere Flugkosten als die beiden anderen Reiseteilnehmer verursacht haben. Es bestehen – anders als durch die Beklagte im Senatstermin als Möglichkeit in den Raum gestellt – keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dieses andere Ehepaar auf dem Hinflug im kausalen Zusammenhang mit dem Stornierungsfall kostenfrei in die Business-Class umgebucht worden ist.

4.

54. Die Versicherungsleistung ist fällig. Unabhängig von § 14 Abs. 1 VVG werden Geldleistungen des Versicherers mit dem Zugang der Ablehnung fällig (vgl. Prölss in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl., 2010, § 14 Rdnr. 2).

5.

55. Verzugszinsen auf die Hauptforderung können gemäß §§ 286, 288 BGB verlangt werden. Das Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 26.08.201127 ist als endgültige Erfüllungsverweigerung zu verstehen (Palandt, BGB, 72. Auflage, 2013, § 286, Rdnr. 24 m.w.N.).

6.

56. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten können die Kläger unter Verzugsgesichtspunkten nach § 286 BGB beanspruchen. Soweit die Kläger mehr als den von ihrer Rechtsschutzversicherung nicht gezahlten Selbstbehalt von 150 € verlangen, ist dies indes nicht schlüssig, da der Rechtsschutzversicherer nach unstreitiger Leistung aktivlegitimiert ist (§ 86 VVG; Prölss in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl., 2010, § 86 VVG Rdnr. 3). Gerichtliche Hinweispflichten wurden in diesem Zusammenhang nicht verletzt, da es sich um eine Nebenforderung handelt (§ 139 Abs. 2 ZPO).

7.

57. Auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten können nur Prozesszinsen ab dem Tag nach der am 05.05.2011 erfolgten Klagezustellung28 verlangt werden. Die an die Beklagte gerichtete anwaltliche Kostennote vom 22.09.201129 kann nicht zugleich als Mahnung angesehen werden und wäre insoweit auch dermaßen überhöht gewesen, dass ihr die verzugsbegründende Wirkung abzusprechen wäre (Palandt, BGB, 72. Auflage, 2013, § 286, Rdnr. 20 m.w.N.)].

III.

58. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

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