Hinweispflicht auf Neonazi-Gruppe

LG Bonn: Hinweispflicht auf Neonazi-Gruppe

Vorliegend buchte die Klägerin bei der Beklagten eine Busreise für eine Reisegruppe. Diese Reisegruppe war allerdings rechtsextremistischer Gesinnung, sodass die Beklagte die Reisegruppe nicht beförderte. Nun nimmt die Klägerin die Beklagte auf Schadensersatz gemäß §§ 280, 631 BGB in Anspruch.

Das Landgericht Bonn spricht der Klägerin einen solchen Anspruch nicht zu, da die Zugehörigkeit einer Reisegruppe dann zu einer Hinweispflicht führt, wenn die Angehörigkeit zu der politischen Gruppierung in der Öffentlichkeit zu erheblichen Reaktionen führen könnte und damit auch eine Imageschädigung des Vertragspartners eintreten könnte.

LG Bonn 5 S 288/10 (Aktenzeichen)
LG Bonn: LG Bonn, Urt. vom 18.01.2011
Rechtsweg: LG Bonn, Urt. v. 18.01.2011, Az: 5 S 288/10
AG Bonn, Urt. v. Datum, Az: 105 C 160/10
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Landgericht Bonn

1. Urteil vom 18. Januar 2011

Aktenzeichen 5 S 288/10

Leitsatz:

2. Kann die Angehörigkeit zu der politischen Gruppierung in der Öffentlichkeit zu erheblichen Reaktionen führen  und den Vertragspartner dadurch eine Imageschädigung zufügen, so ist dieser Umstand offenbarungspflichtig.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall buchte die Klägerin bei der Beklagten eine Busreise für eine Reisegruppe. Die Beklagte entschloss sich, diese Reisegruppe aufgrund ihrer rechtsextremistischen Gesinnung nicht zu befördern. Die Klägerin verlangt nun Schadensersatz gemäß §§ 280, 631 BGB.

Das Landgericht Bonn entschied, dass der Klägerin kein Anspruch auf Schadensersatz zusteht. Demnach müsse die Zugehörigkeit eines Vertragspartners oder der durch einen Vertragspartner erwarteten Kunden zu einer politischen Gruppierung aufgeklärt werden, wenn die Angehörigkeit zu der politischen Gruppierung in der Öffentlichkeit zu erheblichen Reaktionen führen könnte und damit auch eine Imageschädigung des Vertragspartners eintreten könnte.

Dies sei hier der Fall, da es sich bei der Reisegruppe um eine Neonazi-Gruppe handelte, welche auf dem Weg zu einem Aufmarsch gewesen sei. Erfahrungsgemäß sei die Zugehörigkeit ein solcher politischen Gruppe mit einem hohen politischen und auch tätlichen Konfliktpotential verbunden. Dieser Umstand sei folglich als aufklärungswürdig zu betrachten.

Tenor:

4. Die Kammer weist nach Beratung darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung der Klägerin gem. § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Auf den Verlust der Möglichkeit einer kostenmindernden Rücknahme bei einer förmlichen Entscheidung gemäß Ziffer 1222 zum GKG wird vorsorglich hingewiesen.

 

Gründe:

5. Die Berufung der Klägerin hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs.2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht (§ 513 ZPO) abgewiesen. Die Klägerin kann von der Beklagten aus den §§ 280, 631 BGB keinen Schadensersatz und auch keine dahingehende Freistellung wegen Nichtdurchführung der für den ….02.2010 geplanten Busreise nach E verlangen.

6. Die Klägerin hat bereits nicht schlüssig einen solchen Anspruch vorgetragen. Dem steht nicht entgegen, dass es die Beklagte übernommen hatte, die Reisegruppe der Klägerin am ….02.2010 mit zwei Reisebussen nach E zu befördern, dies dann aber unter Hinweis auf die politische Gesinnung der Reisegruppe abgelehnt hatte, denn entsprechende Regressansprüche der Reisegruppe wegen der Durchführung der Reise durch ein anderes Busunternehmen sind bereits nicht ersichtlich. Die Klägerin kann vermeintlichen Regressansprüchen bereits einen entsprechenden Befreiungsanspruch aus §§ 280, 631 BGB entgegenhalten.

7. Nach den für die Kammer verbindlichen Feststellungen des Amtsgerichts (§ 529 ZPO) handelt es sich nämlich bei der Reisegruppe des Herrn U, welche die Beklagte für die Klägerin nach E befördern sollte, um eine sog. Neonazi-​Gruppe, welche auf dem Weg zu einem Aufmarsch in E war. Die Beklagte hatte bereits unter Vorlage entsprechender Zeitungsberichte substantiiert vorgetragen, dass die durch F U angemeldete Reisegruppe der Gruppierung der sog. Neonazis angehört. Weiter hatte sie vorgetragen, dass diese Gruppe eine für den ….02.2010 in E vorgesehene Demonstration von Neonazis besuchen wollte. Entsprechenden Ausführungen hatte sogar F U gegenüber der Klägerin durch E-​Mail vom ….02.2010 nicht widersprochen. Bei dieser Sachlage hat das Amtsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass die Klägerin dem nicht mehr substantiiert entgegengetreten war.

8.  Die Zugehörigkeit eines Vertragspartners oder der durch einen Vertragspartner erwarteten Kunden zu einer politischen Gruppierung ist in der Rechtsprechung dann als ausnahmsweise offenbarungspflichtiger Umstand anerkannt, wenn die Angehörigkeit zu der politischen Gruppierung in der Öffentlichkeit zu erheblichen Reaktionen führen und damit auch eine Imageschädigung verursachen kann (vgl. dazu etwa KG Berlin Urt. v. 28.05.2009 – 8 U 223/08 – NZM 2009, 784, zitiert in Juris Rdnr. 25ff. (Mietvertrag); LG Berlin Urt. v. 14.10.2008 – 29 O 143/08 – ZMR 2009, 121ff., zitiert in Juris Rdnr. 11 (Mietvertrag); OLG Köln Urt. v. 15.05.2002 – 13 U 7/02 – OLGR Köln 2003, 234ff., zitiert in Juris (Kündigung eines Girovertrages)).

9. Da die Zugehörigkeit zu der hier in Rede stehenden politisch rechtsextremen Gesinnung erfahrungsgemäß nicht nur mit einem – möglicherweise auch das Image der Klägerin und der Beklagten schädigenden – hohen politischen, sondern auch tätlichen Konfliktpotential verbunden ist, hätte es daher Herrn U entsprechend seiner vertraglichen Nebenpflichten oblegen, die Klägerin vor Vertragsschluss über diesen Umstand aufzuklären.

10. Wenn Herr U die Klägerin – so deren Vortrag – über diesen Gesichtspunkt nicht aufgeklärt hatte, kann sie gemäß §§ 280 Abs.1, 631 BGB verlangen, aus dem Busreisevertrag mit Herrn U beziehungsweise der durch ihn vertretenen Gruppe entlassen zu werden. Einen solchen Anspruch kann sie etwaigen Regressansprüchen auch im Wege der sog. „dolo-​agit-​Einrede“ entgegenhalten.

11. Unabhängig davon war auch die Beklagte aus den vorgenannten Gründen gegenüber der Klägerin nicht verpflichtet, den mit dieser eingegangenen Vertrag durchzuführen. Dabei kann auch dahin stehen, ob sie insoweit – wie durch das Amtsgericht angenommen – wirksam von einem Sonderkündigungsrecht (vgl. dazu Palandt-​Heinrichs, BGB, 65. Auflage, § 242 Rdnr. 102f. m.w.N.) Gebrauch gemacht hat, oder ihrerseits der Klägerin im Wege der sog. „dolo-​agit-​Einrede“ einen entsprechenden Befreiungsanspruch aus §§ 280 Abs.1, 631 BGB entgegenhalten kann, denn die Klägerin hatte der Beklagten gegenüber die Zugehörigkeit der Reisegruppe zur rechtsextremen Szene nicht offenbart. Nach den vorgenannten Ausführungen wäre sie hierzu jedoch verpflichtet gewesen (vgl. dazu KG Berlin Urt. v. 28.05.2009 – 8 U 223/08 – NZM 2009, 784, zitiert in Juris Rdnr. 25ff. (Mietvertrag); LG Berlin Urt. v. 14.10.2008 – 29 O 143/08 – ZMR 2009, 121ff., zitiert in Juris Rdnr. 11 (Mietvertrag); OLG Köln Urt. v. 15.05.2002 – 13 U 7/02 – OLGR Köln 2003, 234ff., zitiert in Juris (Kündigung eines Girovertrages)). Dafür, dass die Klägerin diese Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat, weil ihr dieser Umstand unbekannt war, hat sie keinen Beweis angeboten (vgl. dazu auch Palandt-​Heinrichs, BGB, 65. Auflage, § 280 Rdnr. 34).

12. Der Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege steht auch nicht § 522 Abs.2 Satz 1 Nr.2 oder Nr. 3 ZPO entgegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung der Kammer ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind durch obergerichtliche Rechtsprechung hinreichend geklärt. Im Übrigen basiert die Beurteilung des Streitfalls auf einer Würdigung des Einzelfalls.

13. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses (§ 522 Abs.2 Satz 2 ZPO). Nach Ablauf dieser Frist wird dem Verfahren Fortgang gegeben.

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