Flugzeugenteisung zur Winterzeit als außergewöhnlicher Umstand

AG Frankfurt: Die Flugzeugenteisung zur Winterzeit als außergewöhnlicher Umstand

Die Klägerin buchte einen Weiterflug bei der beklagten Fluggesellschaft. Aufgrund von Witterungsbedingungen musste das Flugzeug erneut enteist werden und von der entgegengesetzten Startbahn aus fliegen. Daraufhin verzögerte sich der Start um mehr als 3 Stunden. Die Klägerin verlangt deswegen eine Ausgleichszahlung.

Das Amtsgericht Frankfurt sprach der Klägerin diese Ausgleichszahlung in Höhe von 600 EUR zu. Demnach ordnet das Gericht die Enteisung und den Startbahnwechsel nicht als außergewöhnliche Umstände ein.

AG Frankfurt 32 C 1014/16 (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 02.09.2016
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 02.09.2016, Az: 32 C 1014/16
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Amtsgericht Frankfurt

1.Urteil vom 02. September 2016

Aktenzeichen 32 C 1014/16

Leitsatz:

2. Eine Enteisung des Flugzeugs stellt in den Wintermonaten keinen außergewöhnlichen Umstand gemäß Art. 5 der FluggastrechteVO dar, um Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen, wegen Verspätungen oder Flugausfällen, zu verweigern

Zusammenfassung

3. Nach dem vorangegangenen Flug der Klägerin von Frankfurt am Main nach Denver, stieg sie in den weiterführenden Flug. Durch starke Kälte in den Wintermonaten war das Flugzeug vor dem Start, stark vereist. Dieser Umstand hatte zur Folge, dass das Flughafenpersonal mit einer speziellen Enteisungsflüssigkeit, das Flugzeug behandeln mussten. Die Enteisung musste außerdem zweimal vollzogen werden, da sich bis zum Start erneut Eis gebildet hat. Hinzu kam außerdem ein Windwechsel, wodurch das Flugzeug einen Startbahnwechsel vollziehen musste.

Diese Umstände brachten eine Verspätung von mehr als 3 Stunden mit sich, weswegen die Klägerin eine Ausgleichszahlung von der Beklagten verlangt.

Gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. c) FluggastrechteVO steht allen Fluggästen ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung zu, wenn sich der Flug um 4 oder mehr Stunden verspäten sollte. Im vorliegenden Fall, wurde durch das Amtsgericht Frankfurt festgestellt, dass diese Verspätung gegeben war.

Diese Ausgleichszahlung hätte die Fluggesellschaft nur verweigern können, wenn nach Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO ein außergewöhnlicher Umstand vorlag, welcher sich auch durch Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht hätte abwenden lassen.

Das Amtsgericht Frankfurt sieht allerdings das Enteisen des Flugzeugs in den Wintermonaten, sowie das Wechseln der Startbahn, nicht als außergewöhnlichen Umstand i.S.v. Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO.

Somit wurde der Klage stattgegeben und die Klägerin hat einen Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von 600 EUR.

Tenor

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 600,- Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. 6. 2016 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

5. Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

6. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch analog Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c, 7 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe c Verordnung (EG) Nr. 261/2004 („FluggastrechteVO“) in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c FluggastrechteVO zu.

7. Artikel 5 Absatz 3 FluggastrechteVO steht der Existenz des Anspruchs nicht entgegen. Zwar ist ein Luftfahrtunternehmen nach dieser in Fällen der Verspätung analog anzuwendenden Vorschrift nicht zur Erbringung von Ausgleichszahlungen verpflichtet, wenn es nachweisen kann, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Außergewöhnlich im Sinne der vorgenannten Vorschrift ist ein Umstand jedoch nur dann, wenn er ein Vorkommnis betrifft, das weder Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens noch aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich zu beherrschen ist (Europäischer Gerichtshof, Beschluss vom 14.11 2014, Az. C-​394/14 – „Siewert“). Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens ist ein Vorkommnis dann, wenn das Luftfahrtunternehmen regelmäßig mit Situationen konfrontiert ist, die Anlass zur Entstehung des Vorkommnisses bieten (Europäischer Gerichtshof, a.a.O. ).

8. Das ist jedenfalls in den Wintermonaten bei der Notwendigkeit der Enteisung eines Flugzeugs vor Flugbeginn an sich, insbesondere aber auch bei der mit der beschränkten Wirkdauer der Enteisungsflüssigkeit einhergehenden Notwendigkeit einer neuerlichen Enteisung infolge von Verzögerungen bei der Erteilung der Starterlaubnis der Fall. Denn die Enteisung dient ,wie jede andere technische Maßnahme ,zur Vorbereitung des eigentlichen Flugvorgangs dazu, die tatsächlichen Voraussetzungen für die Beförderung von Fluggästen zu schaffen und wird – unabhängig von der einem Luftfahrzeug im Einzelfall drohenden Gefahr der Vereisung der Tragflächen – bei bestimmten Witterungsbedingungen routinemäßig durchgeführt (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 19. 11. 2013, Az. 2 U 3/13).

9. Dieser Würdigung steht nicht entgegen, dass nach Erwägungsgrund 14 zur FluggastrechteVO „Wetterbedingungen“ bei der Anwendung von Artikel 5 Absatz 3 FluggastrechteVO grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Dieser Erwägungsgrund spricht nur von solchen Wetterbedingungen, mit denen „die Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbaren ist“. Die Enteisung dient jedoch gerade dazu, die Durchführung des Fluges trotz winterlicher Witterung zu ermöglichen.

10. Auch die übrigen von der Beklagten als für die Verspätung ursächlich vorgetragenen Tatsachen stellen keine außergewöhnlichen Umständen im Sinne von Artikel 5 Absatz 3 FluggastrechteVO dar. Mit Anweisungen, die Startbahn eines Flughafens wegen geänderter Windverhältnisse entgegen der ursprünglich geplanten Richtung zu benutzen, ist die Beklagte im Rahmen der Ausübung ihrer normalen Tätigkeit regelmäßig konfrontiert. Auch hier ist die Wertung von Erwägungsgrund 14 zur FluggastrechteVO zu berücksichtigen, wonach lediglich solche Wetterbedingungen, mit denen die Durchführung eines Flugs nicht zu vereinbaren ist, die Entlastung des Luftfahrtunternehmens bewirken. Wetterbedingungen, die die Durchführung lediglich erschweren und bzw. oder zeitlich verzögern, sind davon nicht erfasst. Auch die infolge der Verpflichtung zur Einhaltung hiesiger und auswärtiger gesetzlicher Vorschriften betreffend die Arbeitszeiten ihres Personals und betreffend die nach vierstündigem Aufenthalt im geschlossenen, noch nicht gestarteten Luftfahrzeug entstandenen Rechte von Fluggästen getroffenen Maßnahmen sind kein Vorkommnis, dem sich die Beklagte im Rahmen ihres Flugbetriebs nur in Ausnahmefällen gegenübersieht.

11. Ob der dem streitgegenständlichen Flug vorangegangene Flug von Frankfurt am Main nach Denver – wie von der Klägerin mit Schriftsatz vom 19. 8. 2016 erstmals behauptet – unpünktlich gestartet ist, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen. Deswegen bedurfte es einer (auf analoger Anwendung von § 156 Absatz 2 Nr. 1 ZPO beruhenden) Verlegung des mit Beschluss vom 21. 6. 2016 bestimmten Termins, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten, nicht.

12. Der als Nebenforderung geltend gemachte Zinsanspruch steht der Klägerin nach § 291 BGB in Verbindung mit § 288 Absatz 1 BGB zu.

13. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 91 Absatz 1 ZPO bzw. §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

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