Automatisches Hinzufügen von Reiseversicherung unzulässig

OLG Thüringen: Automatisches Hinzufügen von Reiseversicherung unzulässig

Der Kläger fordert die Unterlassung des automatischen Hinzufügen einer Reiseversicherung vom Reisevermittler, bei einer Online Buchung. Der Kunde kann nur durch gezielte Abwahl diese aus seinem Warenkorb entfernen.

OLG Thüringen 2 U 783/10 (Aktenzeichen)
OLG Thüringen: OLG Thüringen, Urt. vom 06.04.2011
Rechtsweg: OLG Thüringen, Urt. v. 06.04.2011, Az: 2 U 783/10
LG Erfurt, Urt. v. 13.08.2010, Az:3 O 208/10
Fragen & Antworten zum Thema
Verwandte Urteile
Weiterführende Hinweise und Links
Hilfe und Beratung bei Fragen


Thüringen-Gerichtsurteile

Oberlandesgericht Thüringen

1. Urteil vom 06.04.2011

Aktenzeichen: 2 U 783/10

Leitsatz:

2.  Fügt ein Reisevermittler bei der Buchung einer Online Reise automatisch eine Zusatzversicherung hinzu, ohne den Reisenden darauf aufmerksam zumachen ist dies nicht zulässig.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall verklagt der Kläger einen Reiseveranstalter auf Unterlassung. Bei dem beklagten Reiseveranstalter kann man Reisen im Internet buchen. Nach der Reiseauswahl befindet sich im Warenkorb automatisch eine kostenpflichtige Versicherung. Diese Versicherung wurde während des Buchungsvorganges  automatisch zum Warenkorb hinzugefügt. Der Reisegast kann nur durch eine bewusste Abwahl diese au seinem Warenkorb entfernen. Der Kläger möchte, dass der Reiseveranstalter diese automatische Option des hinzufügen entfernt.

Das Oberlandesgericht sieht dies genauso, lässt aber die Berufung zu.

Tenor

4. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 13.08.2010, Az. 3 O 208/10, wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

5. Der Kläger ist ein klagebefugter Verbraucherverband, die Beklagte vermittelt Reiseleistungen im Internet auf der Internetseite „       .de“. Der Kläger macht einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch und Ersatz von Abmahnkosten geltend, weil die Beklagte während des Buchungsvorganges für eine Flugleistung dem Warenkorb unaufgefordert ein Versicherungspaket zufügt, das durch „Wegklicken“ am Ende des Buchungsvorgangs wieder entfernt werden kann. Die den Reiseschutz betreffende Rubrik am Ende des Buchungsvorgangs enthält die voreingestellte Angabe „E       Reiserücktritts-Vollschutz (für alle Reisenden im Preis inbegriffen)“. Neben einer anderen Auswahlmöglichkeit ist dann auch die Angabe vorhanden „Ich verzichte auf weiteren Versicherungsschutz (-16,00 € für alle Reisenden)“. Wegen der Einzelheiten zu den Abläufen während des Buchungsvorgangs wird auf die Anlage K 1 zur Klageschrift Bezug genommen.

6. Der Kläger hat geltend gemacht, die von der Beklagten vorgegebene Art und Weise des Buchungsvorgangs stelle einen Verstoß gegen Art. 23 Abs. 1 Satz 4 der Verordnung über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (VO EG Nr. 1008/2008) dar. Die Beklagte hält diese Verordnung nicht für anwendbar, soweit es um die Vermittlung einer Reiseversicherung durch einen Reisevermittler geht. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz und die dort gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

7. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie vertieft ihre Auffassung, Art. 23 Abs. 1 Satz 4 der VO EG Nr. 1008/2008 sei auf die Vermittlung von Reiseversicherungen durch Reisevermittler nicht anwendbar. Die nationale Vorschrift des § 108 Abs. 5 LuftVZO betreffe das in Art. 23 Abs. 1 Satz 4 geregelte Gebot des „opt-in“ nicht. Auch ansonsten sei kein lauterkeitsrechtliches Verbot des „opt-in“-Prinzips ersichtlich.

8. Die Beklagte beantragt,

9. unter Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung die Klage abzuweisen.

10. Der Kläger beantragt,

11. die Berufung zurückzuweisen.

12. Er verteidigt die landgerichtliche Entscheidung. Neben dem Verstoß gegen Art. 23 Abs. 1 Satz 4 der VO EG Nr. 1008/2008 folge die Unlauterkeit auch aus § 4 Nr. 1 UWG. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wurde darüber hinaus auch eine Unlauterkeit wegen einer wettbewerblich relevanten Irreführung diskutiert.

II.

13.  Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

14. Die Klagebefugnis des Klägers nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG und die Passivlegitimation der Beklagten sind zwischen den Parteien nicht streitig. Im Übrigen hat das Landgericht die Beklagte im Ergebnis zu Recht zur Unterlassung verurteilt.

1.)

15. Allerdings kommt eine Unlauterkeit nach §§ 3, 4 Nr. 1 UWG nicht in Betracht. Die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers wird durch die Voreinstellung während des Buchungsvorgangs nicht durch unangemessenen unsachlichen Einfluss beeinträchtigt. Der Tatbestand des § 4 Nr. 1 UWG ist unter dem Einfluss der Richtlinie 2005/29/EG vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken dahin auszulegen, dass insoweit nur Fälle der Belästigung oder der unzulässigen Beeinflussung erfasst werden (Köhler/Bornkamm § 4 UWG Rn. 1.51). Die Grenze zur Unlauterkeit ist erst dann überschritten, wenn eine geschäftliche Handlung geeignet ist, die Rationalität der Nachfrageentscheidung der angesprochenen Marktteilnehmer vollständig in den Hintergrund treten zu lassen (BGH GRUR 2010, 450 – Stumme Verkäufer II). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Verbraucher wird nicht innerhalb seiner Privatsphäre belästigt. Es wird auch keine überlegene Machtsituation ausgenutzt oder Druck ausgeübt. Die Voreinstellung bewirkt lediglich, dass dem Verbraucher zunächst eine Entscheidung „untergeschoben wird“, die er so nicht bewusst getroffen hatte. Eine rationale Verbraucherentscheidung, die am Ende des Buchungsvorgangs (bestätigend) getroffen wird, wird dadurch nicht beeinflusst. Fehlende Transparenz des Buchungsvorgangs kann insoweit nicht mit einer unsachlichen Beeinflussung gleichgestellt werden.

2.)

16. Auch eine Unlauterkeit nach §§ 3, 4 Nr. 11 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz PAngV scheidet aus, da die Beklagte keinen unzutreffenden Endpreis angibt, sondern dem Verbraucher lediglich eine zusätzliche Leistung „untergeschoben“ wird, die aber preismäßig zumindest im Ergebnis richtig dargestellt ist. Auch eine Verletzung von § 1 Abs. 6 PAngV (Gebot der Preiswahrheit oder Preisklarheit) liegt deshalb nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass sich § 1 Abs. 6 PAngV nach seinem Schutzweck auf die Erkennbarmachung von Einzelpreisen für verschiedene Leistungen schon während des Buchungsvorgangs bezieht. Eine § 23 Abs. 1 Satz 4 VO EG Nr. 1008/2008 vergleichbare Regelung zum Gebot eines „opt-in“-Prinzips enthält die Preisangabenverordnung nicht.

3.)

17. Es kann im Ergebnis dahinstehen, ob sich der Unterlassungsanspruch des Klägers aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 4 VO EG Nr. 1008/2008 ergibt. Allerdings ist dies bei verständiger Würdigung von § 23 Abs. 1 Satz 4 VO EG Nr. 1008/2008 naheliegend. Bei dieser Norm handelt es sich ohne Zweifel um eine unionsrechtlich fundierte Marktverhaltensregel (vgl. BGH GRUR 2010, 1117 – Gewährleistungsausschluss im Internet). Art. 23 Abs. 1 Satz 4 VO EG Nr. 1008/2008  bestimmt, dass (neben dem Flugpreis anfallende) fakultative Zusatzkosten auf klare und eindeutige Weise am Beginn eines Buchungsvorgangs mitgeteilt werden müssen; die Annahme der fakultativen Zusatzkosten durch den Kunden muss dabei auf „opt-in“-Basis erfolgen. Dem „opt-in“-Prinzip entspricht der von der Beklagten vorgegebene Buchungsvorgang nicht. Denn das Versicherungspaket wird in den Warenkorb des Kunden gelegt, ohne dass dieser sich zuvor für diesen entschieden hätte oder sonst vor der Buchung auf das Hinzufügen einer weiteren Dienstleistung aufmerksam gemacht wurde. Dieser Vorgang wird von der Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen.

18. a) § 23 Abs. 1 Satz 4 VO EG Nr. 1008/2008 gilt auch, wenn der Flug von einem Reisevermittler angeboten wird.

19. Allerdings gibt der Wortlaut der Norm darüber keine klare Auskunft. Ein Normadressat wird in Art. 23 Abs. 1 VO EG Nr. 1008/2008 nicht ausdrücklich genannt. Benannt wird lediglich der Regelungsgegenstand, nämlich die der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Flugpreise in jedweder Form, auch im Internet, von einem Flughafen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates. Von daher ist aber auch gerade nicht ausgeschlossen, dass die öffentliche Zugänglichmachung von Flugpreisen durch Reisevermittler von der Norm erfasst wird. Nur Kapitel II und III der Verordnung richten sich allein an Luftfahrtunternehmen. Kapitel IV der Verordnung ist insoweit uneinheitlich: Art. 24 der Verordnung erfasst seinem Wortlaut nach nur die freie Preisbestimmung durch Luftfahrtunternehmen. Demgegenüber regelt Art. 23 Abs. 2 VO EG Nr. 1008/2008 das Diskriminierungsverbot auch im Hinblick auf den Niederlassungsort eines sonstigen Flugscheinverkäufers.

20. Der 16. Erwägungsgrund der Verordnung spricht davon, dass die Kunden in der Lage sein sollen die Preise verschiedener Luftfahrtunternehmen für Flugdienste effektiv zu vergleichen. Daher sollte der vom Kunden zu zahlende Endpreis für aus der Gemeinschaft stammende Flugdienste jederzeit ausgewiesen werden, einschließlich aller Steuern, Gebühren und Entgelte. Hier ist keine Einschränkung in Bezug auf Preise von Luftfahrtunternehmen ersichtlich. Diese werden dann allerdings vom zweiten Satz des 16. Erwägungsgrundes angesprochen.

21. Für ein richtiges Verständnis vom Normadressaten ist aber Folgendes entscheidend: Art. 2 Nr. 18 VO EG Nr. 1008/2008 definiert den Begriff des Flugpreises dahin, dass dies das Entgelt sein soll, das für die Beförderung von Fluggästen im Flugverkehr an Luftfahrtunternehmen oder deren Bevollmächtigte oder an andere Flugscheinverkäufer zu zahlen ist, sowie etwaige Bedingungen, unter denen diese Preise gelten, einschließlich des Entgelts und der Bedingungen, die Agenturen und anderen Hilfsdiensten geboten werden. Bei der Definition des Flugpreises findet also keine Beschränkung auf die Preise statt, die von Luftfahrtunternehmen gefordert werden. Flugpreis ist also auch ein an einen Vermittler gezahltes Entgelt. Das ergibt sich auch aus den Versionen der Verordnung z.B. in englischer oder französischer Sprache. Damit sind auch die von der Beklagten geforderten Entgelte Flugpreise im Sinne der Verordnung, hinsichtlich derer die Informationspflichten des Art. 23 Abs. 1 VO EG Nr. 1008/2008 insgesamt gelten.

22. Dem steht auch Sinn und Zweck der Verordnung nicht entgegen. Kapitel II und III der Verordnung richten sich zwar ausschließlich an Luftfahrtunternehmen. Dies ist aber allein durch den Regelungsgegenstand bedingt (Betriebserlaubnis etc.). Art. 1 VO EG Nr. 1008/2008 nennt als Gegenstand der Verordnung demgegenüber ausdrücklich auch die Preisfestsetzung, ohne dass dabei eine Beschränkung auf Luftfahrtunternehmen vorgenommen würde. Soweit aber durch die Verordnung deshalb bestimmte Informationspflichten bei der Preisgestaltung geregelt werden, müssen diese Informationspflichten unter dem Gesichtspunkt des angestrebten vollständigen Verbraucherschutzes alle Flugscheinverkäufer treffen, also auch Vermittler wie die Beklagte und nicht nur Luftfahrtunternehmen selbst, soweit diese z.B. im Internet ihre Flüge zum Verkauf anbieten.

23. Die Art und Weise der Inkorporierung von Art. 23 Abs. 1 VO EG Nr. 1008/2008 durch § 108 Abs. 5 LuftVZO in deutsches Recht ist Indiz für die Richtigkeit dieser Auffassung. Von Art. 24 VO EG Nr. 1008/2008 wird gefordert, dass die Mitgliedsstaaten zur Einhaltung der Bestimmungen in dem Kapitel IV der Verordnung Sanktionen bestimmen sollen. § 108 Abs. 5 LuftVZO enthält zwar gerade keinen Ordnungswidrigkeitstatbestand, dem eine Verletzung der Pflichten nach § 23 Abs. 1 Satz 4 VO EG Nr. 1008/2008 zugrunde liegt. Vielmehr beschränkt sich die – nicht erweiternd auslegungsfähige – Norm auf Verstöße gegen die Sätze 1 bis 3 des Art. 23 Abs. 1 VO EG Nr. 1008/2008. Gleichwohl geht aber der Tatbestand des § 108 Abs. 5 LuftVZO in seinem Anwendungsbereich, also soweit die Verletzung von Pflichten nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 – 3 VO EG Nr. 1008/2008 sanktioniert wird, davon aus, dass sich die Norm des Art. 23 Abs. 1 VO EG Nr. 1008/2008 auch an Reisevermittler richtet.

24.  b) Die Kosten für eine Reiseversicherung sind auch fakultative Zusatzkosten im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 4 VO EG Nr. 1008/2008. Fakultative Zusatzleistungen sind nach Ernst (GPR 2009, 18), dessen Auffassung sich das Landgericht angeschlossen hat, solche Zusatzkosten, die nicht unvermeidlich sind. Diese Sichtweise hält auch der Senat für richtig, solange es sich noch um solche nicht unvermeidbaren Zusatzleistungen handelt, die mit der Flugbuchung in einem ausreichend engen Zusammenhang stehen. Die Beklagte selbst will Zusatzkosten wie Sitzplatzreservierung, bevorzugtes Check-In oder gesonderte Gepäckkosten als fakultative Zusatzkosten im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 4 VO EG Nr. 1008/2008 ansehen, soweit diese von den Fluggesellschaften im Zusammenhang mit der Erbringung der Flugdienstleistung angeboten und erbracht werden. Dies greift aber gerade im Falle der Reiseversicherung zu kurz. Gerade der fakultativ angebotene Versicherungsschutz steht in einem ausreichend engen Zusammenhang mit der Flugleistung. Eine Reiserücktrittsversicherung dient der versicherungsmäßigen Absicherung der Flugkosten oder auch damit in Zusammenhang stehender Schäden. Reiseversicherungen werden auch typischerweise nur in Zusammenhang mit einer Reise angeboten bzw. in Anspruch genommen. Solche Angebote sind beim Angebot sowohl von Flugunternehmen als auch von Reisevermittlern auch typisch und Gegenstand vieler Buchungsangebote, gerade auch im Internet. Dient die Vorschrift des Art. 23 Abs. 1 Satz 4 VO EG Nr. 1008/2008 in besonderer Weise dem Verbraucherschutz und der Transparenz der Preisbildung, dann ist es gerechtfertigt, unter den Begriff der fakultativen Zusatzkosten auch solche Kosten zu fassen, die eine Reiseversicherung betreffen (noch weiter gehend sogar OLG Dresden WRP 2011, 129). Nach dem oben Gesagten gilt dies auch für den Fall, dass ein Reisevermittler die Reiseversicherung anbietet oder zur Abgabe eines entsprechenden Angebots durch den Verbraucher dadurch auffordert, dass die entsprechende Voreinstellung schon gewählt ist.

25.  Dass die Beklagte ihren nach § 6 Abs. 2 Nr. 9 BGB-InfoV möglicherweise obliegenden Informationspflichten über den möglichen Abschluss einer Reiserücktrittskostenversicherung auch anderweitig als durch das von ihr gewählte „opt-out“-Prinzip gerecht werden kann, hat das Landgericht zutreffend ausgeführt und wird von der Berufung nicht mehr in Zweifel gezogen.

26. c) Trotz der von der Beklagten ins Feld geführten unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten von Art. 23 Abs. 1 Satz 4 VO EG Nr. 1008/2008 bedarf es zur abschließenden Klärung einer richtigen Auslegung der Verordnung einer Vorlage nach Art. 267 AEUV (ex-Art. 234 EG-Vertrag) gleichwohl nicht. Denn im vorliegenden Fall ergibt sich der Unterlassungsanspruch in Bezug auf den konkret geltend gemachten Verstoß tragend bereits (auch) aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt, nämlich dem der Irreführung (dazu nachfolgend unter II. 4.). Deshalb ist eine Vorlagefrage nicht entscheidungserheblich für den Ausgang des Rechtsstreits. Da der Unterlassungsanspruch insoweit in Bezug auf die konkrete Verletzungsform in vollem Umfange besteht, bedarf es auch keiner Entscheidung darüber, ob wegen des eingeschränkten Geltungsbereichs der Verordnung eine Beschränkung des Antrags auf solche Flugleistungen vorzunehmen ist, die eine Flugleistung betreffen, die nicht von einem Flughafen in der Gemeinschaft ausgeht. Auch eine Aussetzung dieses Rechtsstreits wegen eines vom Oberlandesgericht Köln angestrengten Vorlageverfahrens kommt aus denselben Gründen nicht in Betracht.

4.)

27.  Die Unlauterkeit folgt unter Zugrundelegung des konkret angegriffenen Buchungsvorgangs (auch und insgesamt) aus §§ 3, 5 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 1 Nr. 2 UWG, §§ 5a Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 4 UWG.

28. Die Unlauterkeit unter diesem, vom Senat in der mündlichen Verhandlung angesprochenen und mit den Parteien diskutierten Gesichtspunkt, kann geprüft werden, auch wenn der Kläger das zuvor selbst nicht ausdrücklich angesprochen hat. Denn die rechtliche Würdigung des Tatsachenstoffs obliegt dem Gericht (vgl. BGH GRUR 2006, 164 – Aktivierungskosten II).

29. a) Die Beklagte nimmt eine irreführende geschäftliche Handlung vor (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 UWG). Der Verbraucher wird unzweifelhaft während des Buchungsvorgangs über den Umfang dessen, was er buchen werden wird, getäuscht, weil die Reiseversicherung ohne seine vorherige bewusste Entscheidung („opt-in“) und ohne weiteren Hinweis auf die Hinzufügung in den Warenkorb gelegt wird. Darin liegt neben der Täuschung über den Umfang der in Anspruch genommenen Dienstleistungen jedenfalls auch eine Täuschung über die Zusammensetzung des Preises, weil der Preis sich, ohne dass dies für den Verbraucher transparent wird, während des Buchungsvorgangs verändert bzw. erhöht.

30. Diese Täuschung ist wettbewerblich relevant und wird nicht dadurch beseitigt, dass der Verbraucher vor der endgültigen Buchung bei der Zusammenfassung der Eingaben erkennen kann, dass eine Reiseversicherung „automatisch“ zugefügt worden war und er die Möglichkeit hat, diese wieder aus seinem Warenkorb zu entfernen. Grundsätzlich muss die Irreführung im Sinne einer erforderlichen Relevanz geeignet sein, die Marktentschließung (des Verbrauchers) entscheidend zu beeinflussen (BGH GRUR 2004, 437 – Fortfall einer Herstellerpreisempfehlung). Das ist dann nicht mehr ohne weiteres der Fall, wenn der Verbraucher bei seiner endgültigen Auswahlentscheidung bereits aufgeklärt ist (vgl. hierzu Köhler/Bornkamm § 5 UWG Rn. 2.192 ff.).

31. Eine solche ausreichende Aufklärung findet bei der konkreten Gestaltung des Buchungsvorgangs aber gerade nicht statt. Der durchschnittlich informierte, situationsadäquat aufmerksame Verbraucher, der im Internet Flüge bucht (vgl. BGH GRUR 2007, 159 – Anbieterkennzeichnung im Internet), kann bei der Zusammenfassung seiner Bestellung (vgl. Bl. 24, 25 d.A.) nicht klar und eindeutig genug erkennen, dass er die ohne seinen Willen hinzugefügte Reiseversicherung wieder „wegklicken“ bzw. ändern kann, um den Gesamtpreis zu ermäßigen. Daran ändert auch die gesonderte Nennung der Leistung „Versicherung“ nichts, zumal dies nicht hervorgehoben ist, der Gesamtrechnungsbetrag des Warenkorbs gestalterisch darüber angeordnet ist und keinerlei Hinweis auf eine „automatische“ Hinzufügung zum Warenkorb vorhanden ist. Dem Verbraucher wird durch die nachfolgende „Voreinstellung“ vielmehr suggeriert, dass der Reiserücktritts-Vollschutz für alle Reisenden „im Preis inbegriffen“ sei. Dass sich der Preis aber während des Buchungsvorgangs erhöht hatte und mit „Preis“ nur der um die Reiseversicherung erhöhte Flugpreis gemeint ist, erkennt mangels Hinweises während des Buchungsvorgangs nur der besonders aufmerksame Verbraucher. Auch dass die Option „Ich verzichte auf weiteren Versicherungsschutz“ eine Reduzierung des Gesamtpreises auf den ursprünglich ausgewiesenen Flugpreis bedeutet, wird nicht ausreichend deutlich dargestellt, insbesondere ist die Darstellung „-16,00 €“ nicht klar und deutlich genug, um die erforderliche Transparenz herzustellen.

32.  b) Der Verbraucher wird außerdem dadurch getäuscht, dass ihm eine wesentliche Information vorenthalten wird, die seine Entscheidungsfreiheit beeinflusst (§ 5a UWG). Dem Verbraucher wird vor und während des Buchungsvorgangs die Information vorenthalten, dass seinem Warenkorb eine Reiseversicherung zugefügt wurde, ohne dass er sich selbst bewusst dafür entschieden hätte.

33.  aa) Dabei handelt es sich zum einen um eine Verletzung von unionsrechtlich fundierten Informationspflichten (§ 5a Abs. 4 UWG). Art 23 Abs. 1 Satz 4 VO EG Nr. 1008/2008 betrifft nach seiner Überschrift „Informationen“, die die Preisgestaltung betreffen. Danach müssen die fakultativen Zusatzkosten auf klare, transparente und eindeutige Weise am Beginn eines Buchungsvorgangs mitgeteilt werden und deren Annahme hat nach dem „opt-in“-Prinzip zu erfolgen. Hier weist die Beklagte am Beginn des Buchungsvorgangs nicht darauf hin, dass Versicherungsleistungen dem Warenkorb „automatisch“ hinzugefügt werden. Das Hinzufügen erfolgt auch nicht nach dem „opt-in“-Prinzip und keinesfalls auf eine transparente Art und Weise, z.B. dadurch, dass der Verbraucher darüber informiert wird, was an einer bestimmten Stelle des Buchungsvorgangs seinem Warenkorb hinzugefügt wurde. Letzteres ist für den gestellten Unterlassungsantrag allein von Bedeutung. Die Informationspflicht trifft nach dem unter II. 3.) Gesagten auch die Beklagte. Eine Prüfung der Wesentlichkeit im Sinne von § 5a Abs. 2 UWG findet in diesem Falle nicht mehr statt. Unwiderleglich ist dann auch die geschäftliche Relevanz bzw. Spürbarkeit im Sinne von § 3 Abs. 2 UWG erfüllt (BGH GRUR 2010, 852 – Gallardo Spyder), weshalb es auf die nachträgliche Erkenntnismöglichkeit des Verbrauchers vor Absenden des Angebots nicht ankommt.

34. bb) Im Übrigen ist die Information darüber, was dem Warenkorb ohne bewusste Entscheidung des Verbrauchers hinzugefügt wird, auch wesentlich im Sinne von § 5a Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3 UWG, weil sie die Art der Preisberechnung betrifft. Die Verbraucherentscheidung wird dadurch beeinflusst, weil der Verbraucher bei gehöriger Erfüllung der Informationspflicht möglicherweise eine Reiseversicherung gar nicht in Anspruch nehmen würde und nicht auszuschließen ist, dass eine Reiseversicherung ohne entsprechenden Willen abgeschlossen wird.

35. Weil insoweit nicht nur eine Verletzung europarechtlich fundierter Informationspflichten vorliegt, bedarf es einer Vorlage zur Auslegung von Art. 23 Abs. 1 Satz 4 VO EG Nr. 1008/2008 auch insoweit nicht.

5.)

36. Daher war die Berufung mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war zuzulassen. Die entscheidenden Rechtsfragen zu §§ 5, 5a UWG in Bezug auf ein „opt-out“-Prinzip sind von grundlegender Bedeutung für eine Vielzahl von vergleichbaren Unternehmen und für die betroffenen Verbraucher.

Fragen zu diesem Urteil? Diskutiere in unserem Forum.

Fragen & Antworten zum Thema

Fragen & Antworten zum Thema: Automatisches Hinzufügen von Reiseversicherung unzulässig

Verwandte Entscheidungen

LG Erfurt, Urt. v. 13.08.2010, Az: 3 O 208/10
LG Leipzig, Urt. v. 19.03.2010, Az: 2 HKO 1900/09

Berichte und Besprechungen

Forum Fluggastrechte: Hinzufügen von Reiseversicherung automatisch ist unzulässig
Passagierrechte.org: Automatisches Hinzufügen von Reiseversicherung ist nicht rechtens

Rechtsanwälte für Reiserecht

Hilfe bei rechtlichen Fragen: Rechtsanwälte für Reiserecht oder