Ausgleichszahlung bei einer Verspätung von 4 Stunden
AG Rüsselsheim: Ausgleichszahlung bei einer Verspätung von 4 Stunden
Ein Fluggast nimmt ein eine Fluggesellschaft auf Zahlung eines Ausgleiches in Anspruch. Der geplante Flug konnte erst mit einer Verspätung von 18 Stunden starten, da ein Defekt nach dem Verlassen der Startposition aber noch vor dem Abheben festgestellt wurde. Die Beklagte sieht dies anders, da ein Flugbeginn mit dem Verlassen der Startposition beginnt.
Das Gericht entschied, das dem Kläger eine Ausgleichzahlung aufgrund der Verspätung zusteht. Ein Flug beginnt erst nach dem Abheben der Maschine vom Boden, da dies hier nicht der Fall gewesen sei sondern lediglich eine Rollbewegung des Flugzeuges stattgefunden hat, Gilt der Flug noch nicht als durchgeführt.
AG Rüsselsheim | 3 C 1552/11 (36) (Aktenzeichen) |
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AG Rüsselsheim: | AG Rüsselsheim, Urt. vom 23.11.2011 |
Rechtsweg: | AG Rüsselsheim, Urt. v. 23.11.2011, Az: 3 C 1552/11 (36) |
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AG Rüsselsheim
1. Urteil vom 23.11.2011
Aktenzeichen: 3 C 1552/11 (36)
Leitsatz:
2. Verlässt ein Flugzeug die Startposition durch ohne abzuheben, so gilt der Flug als noch nicht ausgeführt.
Zusammenfassung:
3. Im vorliegenden Fall buchte der Kläger eine Flugreise. Dieser trat er auch wie geplant an. Nachdem das Flugzeug seine Startposition verlassen hatte, bemerkte der Pilot einen Fehler in der Anzeige. Der Start wurde abgebrochen und die Passagiere wurden gebeten auszusteigen. Der Flug konnte erst 18 Stunden später, nach einer Reparatur des Defektes stattfinden. Der Kläger beansprucht daher eine Zahlung eines Ausgleiches, da sein geplanter Flug mit 18 Stunden Verspätung starten konnte. Die Beklagte, eine Fluggesellschaft bestreitet dies, da zum geplanten Abflug die Maschine ihre Startposition wie vorgesehen verlassen hatte. Erst danach wurde der Defekt festgestellt.
Das Gericht entschied das ein Abflug erst stattfindet nachdem die Maschine den Boden verlassen und eine Wegstrecke in der Luft zurückgelegt hat. Dies ist in diesem Fall nicht passiert. Lediglich eine Rollbewegung des Flugzeuges habe stattgefunden. Dem Kläger steht somit eine Entschädigung wegen Verspätung zu.
Tenor:
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 600,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.03.2011 zu zahlen und den Kläger gegenüber seinen Prozessbevollmächtigten … von der Verbindlichkeit der vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 93,41 freizustellen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
5. Von der Ausführung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
6. Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klageänderung ist zulässig, da sie sachdienlich ist, § 263 ZPO.
7. Die Klägerseite hat einen Anspruch auf Leistung von Ausgleichszahlungen in der geltend gemachten Höhe gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. c), Art. 6 Abs. 1 VO. Nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009 (Aktenzeichen C-402/07 und C-432/07) sowie des BGHs vom 18.02.2010 (Aktenzeichen Xa ZR 95/06) sind die Art. 5, 6 und 7 VO dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichzustellen sind, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von 3 h oder mehr erleiden, ihr Ziel also nicht früher als 3 h nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Die Klägerseite kann die Ausgleichszahlung beanspruchen, da sie ihr Ziel später als 3 h nach der geplanten Ankunftszeit erreicht hat und auch eine relevante Abflugverspätung vorlag.
8. Diesbezüglich bleibt es unerheblich, dass die Beklagte die Nichtvorlage einer bestätigten Buchung oder eines Flugscheins gerügt hat. Hier hätte es der Beklagten oblegen, qualifiziert zu bestreiten, dass die Klägerseite keinen Flug bei der Beklagten gebucht hatte und diese deshalb nicht im Besitz einer bestätigten Buchung sind; dies ist jedoch nicht geschehen.
9. Vorliegend ist auch eine erhebliche Abflugverspätung von über 4 h gegeben. Dem steht der Umstand nicht entgegen, dass sich das Flugzeug bei Entdecken des Anzeigedefekts bereits auf dem Weg zur Startbahn befunden haben soll. Im Rahmen der Ermittlung von Verspätungen sind nach Auffassung des erkennenden Gerichts grundsätzlich die Zeiten maßgeblich, zu denen das Flugzeug die Parkposition verlässt bzw. dort ankommt ({„2}On-Block-/Off-Block-Zeiten“). Allerdings liegt ein {„2}Abflug“ im Sinne des Art. 6 VO – und nur auf diese Regelung kommt es an – nicht schon dann vor, wenn ein Flugzeug seine Parkposition verlässt. Hierfür ist vielmehr – bereits begriffsnotwendig – erforderlich, dass eine Flug- und nicht nur eine Rollbewegung stattfindet (so im Ergebnis auch AG Rüsselsheim, Urteil vom 21.01.2011, Az. 3 C 1392/10 (31)). Hiernach kann für die Bestimmung eines Abflugs nur dann auf die Off-Block-Zeit abgestellt werden, wenn das Flugzeug im unmittelbaren zeitlichen Nachgang – ohne dass eine (weitere) Verzögerung durch das Zutun des ausführenden Luftfahrtunternehmens eintritt – tatsächlich von der Startbahn abhebt und eine Fortbewegung in der Luft stattfindet. Dies ist vorliegend jedoch nicht rechtzeitig geschehen, der tatsächliche Abflug ist erst ca. 18 Stunden später erfolgt, als die Maschine erneut die Parkposition verließ und dann auch von der Startbahn abgehoben hat.
10. Der Ausgleichsanspruch ist nicht entsprechend Art. 5 Abs. 3 VO ausgeschlossen; die Verspätung geht nicht auf außergewöhnliche Umstände im Sinne dieser Vorschrift zurück. Zwar soll nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des BGHs ein Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung des Art. 5 Abs. 3 VO entfallen, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären; solche außergewöhnlichen Umstände sind vorliegend allerdings nicht gegeben.
11. Der Ausgleichsanspruch ist nicht entsprechend Art. 5 Abs. 3 VO ausgeschlossen; die Verspätung geht nicht auf außergewöhnliche Umstände im Sinne dieser Vorschrift zurück. Zwar soll nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des BGHs ein Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung des Art. 5 Abs. 3 VO entfallen, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären; solche außergewöhnlichen Umstände sind vorliegend allerdings nicht gegeben.
12. In Erwägungsgrund 14 der VO wird erkennbar, dass der Verordnungsgeber bei den haftungsausschließenden außergewöhnlichen Umständen ersichtlich solche im Blick hatte, die außerhalb der Sphäre des Luftfahrtunternehmens liegen und sich deren Beherrschung entziehen. Technische Probleme des Fluggeräts liegen indes – von Außeneinwirkungen abgesehen – stets in der besonderen Risikosphäre eines Luftfahrtunternehmens. In Anlehnung an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 22.12.2008 (Aktenzeichen C-549/07) kommt ein Ausschluss des Ausgleichsanspruchs wegen technischer Mängel – nicht zuletzt wegen des sicherzustellenden hohen Schutzniveaus für Fluggäste – nur dann in Betracht, wenn die technischen Probleme auf tatsächlich unbeherrschbare Vorkommnisse zurückzuführen sind, die nicht Teil der normalen Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens sind – wie beispielsweise versteckte Fabrikationsfehler, Sabotageakte oder terroristische Handlungen. Maßgeblich ist, ob das zu Grunde liegende Geschehen ein typisches und in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit vorkommendes Ereignis darstellt oder ob es der Beherrschbarkeit der Fluggesellschaft völlig entzogen ist (so im Ergebnis auch die st. Rspr. des LGs Darmstadt).
13. Der hier einzig denkbare technische Defekt – nämlich der Fehler der Höhenruderanzeige – fällt in die betriebliche Sphäre der Beklagten und liegt in deren Verantwortungsbereich. Es ist nicht zu erkennen, inwiefern dieses technische Problem nicht im Rahmen der normalen Tätigkeiten des Luftfahrtunternehmens aufgetreten sein und seine Ursache auch jenseits der von der Beklagten beherrschbaren Umständen gehabt haben soll.
14. Die von der Beklagten weiterhin behaupteten Umstände, dass sich die eingetretene Verspätung aufgrund des Wunsches einiger Passagiere, das Flugzeug zu verlassen, in Verbindung mit der hierdurch veranlassten Überschreitung der maximalen Dienstzeit der Flugzeugbesatzung perpetuiert habe, sind unerheblich. Die Klägerseite hat substantiiert vorgetragen, dass die fast 19-stündige Verspätung allein auf die Reparatur des Fluggeräts zurückzuführen sei, da diese nicht innerhalb der Dienstzeit der Flugzeugbesatzung habe beendet werden können, sondern erst am nächsten Tag unmittelbar vor dem tatsächlichen Abflug abgeschlossen gewesen sei. Diese Behauptung ist zwischen den Parteien unstreitig geblieben. Auf Nachfrage des Gerichts hat die Beklagte keine konkreten Angaben zum Ende der vorgenommenen Reparatur machen können.
15. Eine Anrechnung etwaiger Zahlungen eines nicht näher benannten Reiseveranstalters nach Art. 12 VO ist nicht durchzuführen. Der diesbezügliche Vortrag der Beklagten ist unsubstantiiert. Der Vortrag der Beklagten erfolgt ersichtlich ins Blaue hinein und ist nicht zu berücksichtigen, da überhaupt keine konkreten Anhaltspunkte für solche Zahlungen mitgeteilt werden.
16. Die Klägerseite kann Freistellung von den im Rahmen der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufzuwendenden Kosten verlangen, §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, 249 BGB. Die Beklagte befindet sich seit der Ablehnung der Ansprüche am 08.03.2011 gegenüber dem Vertreter des Klägers im Verzug. Ein Verschulden der Beklagten am Verzug wird vermutet, § 286 Abs. 4 BGB. Die Klägerseite durfte aufgrund der Nichtzahlung der Beklagten vorgerichtlich einen Rechtsanwalt beauftragen und diesbezüglich eine Verbindlichkeit in Form von Rechtsanwaltsgebühren eingehen. Diese stellen insoweit einen kausalen und adäquaten Schaden der Nichtzahlung dar, als diese angemessen sind.
17. Es kann dahinstehen, ob seitens des Prozessbevollmächtigten der Klägerseite eine ordnungsgemäße Rechnungsstellung erfolgt ist. Die Rechnungsstellung nach § 10 Abs. 1 RVG ist nur für die Einforderbarkeit der Vergütung im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten maßgeblich und ohne Bedeutung für die Fälligkeit des Anspruchs – insbesondere im Hinblick auf einen materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch (OLG München, Az. 10 U 2476/06, Beschluss vom 19.07.2006). Wie sich aus § 10 Abs. 3 RVG ergibt, steht eine fehlende Rechnungsstellung einem materiellrechtlichen Anspruch des Rechtsanwalts nicht entgegen; dieser entsteht bereits mit dem ersten Tätigwerden des Anwalts und wird gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 RVG mit der Erledigung des Auftrags oder der Beendigung der Angelegenheit – unabhängig von einer Rechnungsstellung – fällig.
18. Eine Anrechnung der Ausgleichsansprüche auf die Rechtsanwaltskosten findet nicht statt, da diese nur im Hinblick auf weitergehende Schadensersatzansprüche in Betracht kommt, die ihre Ursache ebenfalls in der Flugverspätung haben. Grundlage des Ersatzanspruchs im Hinblick auf die Rechtsverfolgungskosten ist allerdings der eingetretene Verzug der Beklagten und nicht die Flugverspätung selbst.
19. Unerheblich ist schließlich auch, dass die Beklagte die Ansprüche der Klägerseite vorgerichtlich bereits abgelehnt hatte. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts war die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten durch die Klägerseite aus exante-Sicht zweckmäßig und nicht schlechterdings aussichtslos, da nach allgemeinen Erfahrungssätzen die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts auch dann erfolgversprechend ist, wenn die Gegenseite geltend gemachte Ansprüche bereits abgelehnt hatte.
20. Der Zinsanspruch ist begründet gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB.
21. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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