Ansprüche nach Zugverspätung bei gebuchtem „Zug zum Flug“

AG Frankfurt: Ansprüche nach Zugverspätung bei gebuchtem „Zug zum Flug“

Reisende verpassten wegen der Verspätung des hinzugebuchten Zuges zum Flug den letzteren. Das Gericht sprach ihnen die Erstattung der Mehrkosten zu, weil mit der Verspätung ein Reisemangel vorlag und sie genug Zeit eingeplant hatten.

AG Frankfurt 29 C 2763/08 (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 28.09.2000
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 28.09.2000, Az: 29 C 2763/08
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Amtsgericht Frankfurt am Main

1. Urteil vom 28. September 2009

Aktenzeichen 29 C 2763/08

Leitsatz:

2. Wird aufgrund der Verspätung des mitgebuchten Zuges zum Flug der letztere verpasst, kann der Reiseveranstalter nicht den Haftungsausschluss des Bahnunternehmens auf die von ihm geschuldete Reiseleistung übertragen, da er auf einem anderen Rechtsverhältnis beruht.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten bei der Beklagten eine Reise in die Dominikanische Republik gebucht. Den Flug dorthin verpassten sie, weil der mit einem „Rail&Fly“-Ticket bezahlte Zug Verspätung hatte. Die Beklagte buchte sie auf einen anderen Flug zu 1.030,- € am nächsten Tag um. Die Kosten buchte sie – der Behauptung der Kläger zufolge ohne Absprache – vom Konto der Kläger ab.

Vor dem Amtsgericht Frankfurt forderten sie die Rückerstattung der Abbuchung und Übernahme der verauslagten Taxi- und Übernachtungskosten. Die Kläger behaupteten, dass die Reise hinsichtlich des Zug-zum-Flug-Tickets mangelhaft war. Die Beklagte setzte dem entgegen, eine Haftung der Deutschen Bahn bei Verspätung sei ausgeschlossen und die Kläger hätten zu wenig Zeit eingeplant.

Der Klage wurde weitgehend stattgegeben. Den Haftungsausschluss der Deuschen Bahn konnte die Beklagte nicht auf ihr Schuldverhältnis zu den Klägern übertragen. Ferner stellte die Zugverspätung einen Reisemangel dar, weil die Deutsche Bahn Erfüllungsgehilfe der Beklagten war, sodass sie die Mehrkosten hieraus übernehmen und den Klägern den eingezogenen Betrag zurückzahlen musste. Ein Mitverschulden der Kläger lag nicht vor, da sie mit 127 Minuten der Empfehlung der Beklagten, 2 Stunden vor Abflug am Flughafen zu erscheinen, entsprochen hatten.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.248,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 04.02.2009 sowie 186,24 € außergerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. Die Klägerin buchte am 15.12.2006 bei der Beklagten für sich und ihren Lebensgefährten, den Zeugen … eine All-Inklusive Flugpauschalreise nach S. in der Dominikanischen Republik für die Zeit vom 19.06.-10.07.2007 zum Preis von 4.684,00 €. Im Reisepreis enthalten war gemäß Katalogbeschreibung der Beklagten ein sogen anntes „Rail & Fly Ticket“, das den Reisenden zur Nutzung aller Zugverbindungen der Deutschen Bahn AG in der 2. Klasse zu den jeweiligen Flughäfen in Deutschland berechtigt. Die Nutzung dieses Tickets ist am Tag vor dem Abflugtermin, am Abflugtag selbst und am darauffolgenden Tag möglich.

6. Die Klägerin erhielt die Bahntickets ca. 4 Wochen vor Antritt der Reise zusammen mit einem Informationsblatt der Beklagten „Klug zum Flug“ ausgehändigt, welches einen Tipp wie folgt formulierte:

7. „Planen Sie Ihre Anreise zum Flughafen so, dass Sie mindestens 2 Stunden vor Ihrem Abflug am Flughafen sind….“

8. Am 19.06.2007 traten die Klägerin und ihr Lebensgefährte die Reise unter Nutzung der von der Beklagten überreichten Fahrscheine mit der Deutschen Bahn vom K.er Hauptbahnhof mit Ziel D.er Flughafen an. Wegen einer Zugverspätung verpassten sie die planmäßig um 11.15 Uhr startende Maschine nach S. und wurden nach telefonischen Verhandlungen von der Beklagten auf einen Flug von M. nach P. C. am darauf folgenden Tag umgebucht. Dort angekommen erfolgte der Transfer mit dem Bus über die Insel und anschließend mit einer Fähre nach S.

9. Die hierdurch verursachten Zusatzkosten in Höhe von 1.030,00 € buchte die Beklagte am 22.06.2007 von dem VISA-Konto der Klägerin bei der Volksbank Maingau ab.

10. Mit der Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Rückzahlung der vereinnahmten 1.030,00 € sowie Ersatz der ihr entstandenen Mehrkosten wie folgt:

Übernachtung Hotel Ka., No. 128,00 €
Taxi (Fahrt zum Hotel und zum Flughafen
München, 2 × 20,00 €) 40,00 €
Essen 2 × 25,00 € (pauschal) 50,00 €
gesamt 218,00 €

11. Die Klägerin behauptet, sie hätten den Zug Nr. RE 11108 vom Hauptbahnhof Köln gewählt, der planmäßig um 09.08 Uhr am Düsseldorfer Flughafen habe ankommen sollen. Wegen einer massiven Verspätung des Zuges hätten sie den Flug verpasst. Hinsichtlich der Umbuchung habe die Beklagte zugesagt, dass ihnen keine Mehrkosten entstehen würden. Gleichwohl sei die Kontoabbuchung dann abredewidrig ohne ihre Zustimmung erfolgt.

12. Da die Zugfahrt – ihrer Auffassung nach – Bestandteil der gebuchten Reise gewesen sei, habe die Beklagte die infolge der Bahnverspätung verursachten Kosten der Reiseumbuchung zu tragen.

13. Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.248,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.06.2007 zu zahlen;

die Beklagte zu verurteilen, an sie 186,24 €, der außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten, zu zahlen.

14. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

15. Sie behauptet, die Klägerin habe einen Zug gewählt, der auch planmäßig im Hinblick auf die Abflugzeit deutlich zu spät am Düsseldorfer Flughafen angekommen wäre. Die durch die Umbuchung auf den Flug von München nach Punta Cana entstandenen Zusatzkosten seien vereinbarungsgemäß vom Konto der Klägerin abgebucht worden.

16. Für die Verspätung der Deutschen Bahn hafte sie – ihrer Ansicht nach – unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, da es sich hierbei nicht um eine von der Beklagten geschuldete Reiseleistung im Sinne des § 651 a BGB handele. Der Grund für das Verpassen des Fluges liege vielmehr allein in der Verantwortungssphäre der Klägerin. Im Übrigen sei das von der Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag gewählte Zeitfenster von 127 Minuten zwischen der Bahnankunft in Düsseldorf/Flughafen und dem Abflug der Maschine wegen der hinlänglich bekannten Zugverspätungen der Deutschen Bahn völlig unzureichend gewesen, so dass ihr ein überwiegendes Mitverschulden am Schadenseintritt anzulasten sei.

17. Das Gericht hat die Klägerin informatorische angehört und Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 20.04.2009 (Bl. 48 f. d. A.) durch Vernehmung des Zeugen St. Z. Von einer weiteren Durchführung des Beweisbeschlusses wurde im Hinblick auf den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 20.07.2009 (Bl. 75 d. A.) abgesehen.

18. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

19. Die Klage ist – bis auf eine Zinszuvielforderung – begründet.

20. Die Klägerin kann von der Beklagten gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 BGB die Rückerstattung der zu Unrecht vereinnahmten Mehrkosten für die Umbuchung in Höhe von 1.030,00 € sowie der von ihr verauslagten Hotel-, Taxi- und Essenskosten in Höhe von 218,00 € verlangen, da die Abbuchung bzw. die Zahlungen ohne rechtlichen Grund erfolgt sind.

21. Dahingestellt bleiben kann, ob die Parteien eine Vereinbarung getroffen haben, wonach die Klägerin die mit der Umbuchung verbundenen Kosten selbst tragen sollte. Denn eine solche Abrede wäre wegen Verstoßes gegen § 651 m BGB jedenfalls unwirksam.

22. Die Umbuchung der Klägerin und ihres Lebensgefährten auf einen Ersatzflug am 20.06.2007 von München nach Punta Cana und die damit verbundenen Mehrkosten haben nämlich eine notwendige Abhilfemaßnahme dargestellt, deren Kosten die Beklagte zu tragen verpflichtet war.

23. Die Reise war mangelhaft im Sinne des § 651 c BGB, denn die nach dem Vertrag geschuldete Leistung, die Beförderung nach S./Dominikanische Republik am 19.06.2007, wurde nicht erbracht. Die Klägerin hat den Mangel auch unmittelbar nach Verpassen des Fluges bei der Beklagten telefonisch angezeigt und um Ersatzbeförderung ersucht.

24. Die Beklagte hat den Mangel auch zu vertreten.

25. Aus der der Buchung zugrunde liegenden Formulierung im Reisekatalog der Beklagten zu dem „Klug zum Flug“ Ticket u.a. wie folgt:

26. „Starten Sie entspannt in den Urlaub mit dem bequemen Anreise-Service von …“ der bereits im Reisepreis eingeschlossen ist. Kein Stress und kein Stau mit dem „… Rail & Fly Ticket…“

27. durfte der durchschnittliche Reisende entnehmen, dass die Beklagte als Reiseveranstalterin für Mängel beim Bahntransfer einzustehen hat. Denn das Rail & Fly Ticket ist als Teil des Gesamtreisepreises ausgewiesen worden unter Bezeichnung der Klägerin („… Rail & Fly Ticket“) als Herausgeberin. Dies rechtfertigt die Annahme des Kunden, dass die Beklagte die Deutsche Bahn als Erfüllungsgehilfen für die von ihr in eigener Verantwortung zu erbringende Transferleistung einsetzt und damit für Mängel in diesem Bereich gemäß § 278 BGB einzustehen hat. Insbesondere der Hinweis auf die Vorzüge des Bahntransfers im Unterschied zu einem Transfer im dem Auto suggeriert einem durchschnittlichen Kunden, dass die Beklagte für bei sorgfältiger Wahl der Zugverbindung dennoch eintretende von der Deutschen Bahn zu verantwortende Verspätungen einstehen wolle. Eine Einschränkung dieser Einstandspflicht geht aus dem Ausdruck der Beklagten nicht hervor (vgl. LG Frankfurt a. M., Urteil vom 31.01.2008, RRa 2008 S. 80, 81 f). Die Beklagte hat die Zugverspätung zu vertreten (§ 278 BGB). Auch wenn der außerplanmäßige Stopp der Bahn nach den Bekundungen des Zeugen Z. seine Ursache in dem Umstand gefunden haben mag, dass sich eine Person vor den Zug geworfen hat, so fällt dies in den Risikobereich der Deutschen Bahn und ist von ihr zu vertreten.

28. Der Haftungsausschluss der Deutschen Bahn nach § 17 EVO im Falle der Verspätung oder des Ausfalls eines Zuges gegenüber dem Reisenden vermag an der Haftung der Beklagten gegenüber ihrem Kunden nichts zu ändern. Denn er entfaltet seine Wirkung nur in dem ihm zugrundeliegenden Rechtsverhältnis und kann nicht auf andere Rechtsverhältnisse, an denen die Deutsche Bahn nicht unmittelbar beteiligt ist, übertragen werden (vgl. LG Frankfurt a. M., Urteil vom 31.1.2008, RRa 2008, S. 82).

29. Ein Mitverschulden an der verspäteten Ankunft am Düsseldorfer Flughafen ist der Klägerin nicht anzulasten (§ 254 BGB).

30. Die Klägerin hat schlüssig dargelegt, die Zugverbindung mit der Nr. RE 11108 von Köln so gewählt zu haben, dass Ankunft am Düsseldorfer Flughafen um 09.08 Uhr und mithin 2 Stunden 8 Minuten vor planmäßigem Abflug der gebuchten Maschine gewesen wäre. Ihr Vortrag wird untermauert durch die in der mündlichen Verhandlung vom 08.06.2009 überreichte Bescheinigung der Deutschen Bahn vom 19.06.2009 (Bl. 69 d. A.), welche eine Zugverspätung von 130 Minuten mit Ankunft und letzen Halt am Düsseldorfer Hauptbahnhof um 09.01 Uhr ausweist. Das pauschale Bestreiten der Beklagten ist vor diesem Hintergrund unzulässig. Unter Berücksichtigung des von der Klägerin eingeräumten ca. 15-minütigen Fußweges am Flughafen bis zum LTU Schalter (vgl. SS vom 31.07.2009, Seite 1) – das diesbezügliche Bestreiten der Beklagte ist unsubstantiiert und damit unbeachtlich – kann eine planmäßige Ankunftszeit am Check-In Schalter knapp 2 Stunden (1 Stunde 53 Minuten) vor Abflug angenommen werden. Damit hat sie aber die Zeitvorgabe der Beklagten – wenn überhaupt – nur unmaßgeblich überschritten. Denn mit Übersendung der Bahntickets hat die Beklagte in ihrem mitgereichten Merkblatt darauf hingewiesen, die Anreisezeiten so zu wählen, dass Ankunft am Flughafen mindestens 2 Stunden vor Abflug ist. Die Unklarheit, ob damit Bahnsteig oder Check-In Schalter gemeint ist oder gar die vorangegangene anderslautende Vorgabe von mindestens 3 Stunde gemäß Buchungsbestätigung maßgeblich sein soll, geht zulasten der Beklagten.

31. Die Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten schuldet die Beklagte aus §§ 280, 286 BGB i. V. m. §§ 2 Abs. 2, 13, 14 RVG, Nr. 2300, 7002, 7008 VVRGV. Das vorgerichtliche Tätigwerden der klägerischen Bevollmächtigten nach erfolglosen Bemühungen der Klägerin selbst ist – wenngleich ohne näheren Angaben – zwischen den Parteien unstreitig.

32. Der Zinsausspruch rechtfertigt sich aus §§ 288, 291 BGB. Der weitergehende Zinsantrag war zurückzuweisen, da die Klägerin die Inverzugsetzung der Beklagten zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht substantiiert dargelegt hat.

33. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

34. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in §§ 709 S. 1 und 2 ZPO.

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