Annullierung wegen vorübergehender Schlechtwetterbedingungen

AG Frankfurt: Annullierung wegen vorübergehender Schlechtwetterbedingungen

Die Klägerin verklagt die Beklagte auf Zahlung eines Ausgleiches, da eine Flugannullierung des Weiterfluges ohne ersichtlichen Grund vorlag. Das Gericht verurteilte die Beklagte auf Zahlung dieser, da sie einen Verstoß gegen Verordnung (EG) Nr. 261/2004 gegeben sah.

AG Frankfurt 30 C 1370/06 (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 31.08.2006
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 31.08.2006, Az: 30 C 1370/06
Fragen & Antworten zum Thema
Verwandte Urteile
Weiterführende Hinweise und Links
Hilfe und Beratung bei Fragen

Hessen-Gerichtsurteile

Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 31.08.2006

Aktenzeichen: 30 C 1370/06

Leitsatz:

Wird ein Flug annulliert tritt die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 in Kraft.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin buchte für sich und einem Mitreisenden einen Flug von Stuttgart nach Mauritius mit Zwischenstopp in Paris bei der Beklagten. Bei dem Hinflug im 1. Teilabschnitt kam es zu einer Verspätung und die Reisenden konnten ihren Anschlussflug von Paris nicht rechtzeitig erreichen. Das Reiseunternehmen buchte daraufhin einen neuen Abflugtermin auf den nächsten Tag.  In der Wartezeit kümmerte sich keiner um die Reisenden, es wurde ihnen keine Unterkunft oder Verpflegung gestellt. Die Klägerin verklagt nun die Beklagte auf Zahlung eines Ausgleiches da der Anschlussflug ohne erkennbare annulliert wurde.

Das Gericht gab der Klägerin Recht und verurteilte die Beklagte auf Zahlung eines Ausgleiches, da ein Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vorlag.

 

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1186,08 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.6.06 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

5. Der Kläger macht für sich und aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau gegenüber der Beklagten ein Ausgleichsanspruch gemäß Artikel 7 Abs. 1 c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 geltend.

6. Der Kläger hatte für sich und eine Mitreisende bei der Beklagten ein Flug von Stuttgart über Paris nach Mauritius und wieder zurück gebucht. Hinflug war der 07.10./08.10.2005, der Rückflug fand am 27.10.2005 statt.

7. Im Streit steht die Durchführung des Hinflugs.

8. Flugplanmäßig sollte am 07.10.2005 der Hinflug von Stuttgart mit dem Flug Nr. … um 13.15 Uhr erfolgen, Ankunft in Paris sollte um 14.35 Uhr sein. Anschließend hätte der Weiterflug mit Flugnummer … Paris ab 16.40 Uhr erfolgen sollen, Ankunftszeit in Mauritius wäre Flugplanmäßig 6.20 Uhr gewesen.

9. Tatsächlich wurde dem Kläger und seiner Begleiterin, als diese für ihren Flug nach Paris einchecken wollten, seitens der Beklagten mitgeteilt, dass der Flug annulliert werden musste. Eine Begründung für die Flugannullierung wurde nicht gegeben.

10. Seitens der Beklagten wurde dem Kläger und seiner Begleitung statt des annullierten Flugs ein späterer Ersatzflug nach Paris angeboten. Der Kläger und seine Mitreisende flogen sodann mit dem Flug Nr. … um 16.30 Uhr von Stuttgart ab. Der Weiterflug erfolgte sodann mit der Flugnummer … von Paris auf die Seychellen und mit Flug Nr. … von den Seychellen nach Mauritius. Dort kamen der Kläger und seine Mitreisende um 15.20 Uhr Ortszeit an.

11. Weder in Stuttgart noch in Paris noch auf den Seychellen bot die Beklagte dem Kläger und seinen Mitreisenden eine Verpflegung oder die Nutzung von Telekommunikationseinrichtungen an.

12. Die Beklagte erstattete dem Kläger vorgerichtlich für angefallene Telefonkosten einen Betrag in Höhe von 13,92 Euro.

13. Der Kläger meint, die Beklagte sei gemäß Artikel 7 Abs. 1 c der Verordnung Nr. 261/2004 ihm und seinen Mitreisenden gegenüber zur Zahlung einer Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 600,00 Euro verpflichtet, die er abzüglich der vorgerichtlich erstatteten Telefonkosten in der verbleibenden Höhe von 1.186,08 Euro geltend macht.

14. Er trägt vor, durch die verspätete Ankunft sei nahezu ein vollständiger Urlaubstag weggefallen, für den 08.10.2005 hätte er zudem bereits einen Mietwagen angemietet gehabt, welchen er an diesem Tag kaum noch hätte nutzen können.

15. Er beantragt,

16. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von Euro 1.186,08 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 12.06.2006 zu zahlen.

17. Die Beklagte beantragt,

18. die Klage abzuweisen.

19. Sie meint, eine Annullierung des gebuchten Fluges habe nicht vorgelegen, da bei der Frage, ob eine Annullierung des Fluges vorliege, auch die Verspätungszeiträume gemäß Artikel 6 der Verordnung mitberücksichtigt werden müssten; die dort genannten Zeiträume seien zudem mit dem Faktor 1,5 zu multiplizieren, da wegen der Verspätung zeitaufwendige Maßnahmen wie z. B. das Ausstellen neuer Bordkarten, die Wiederausgabe des Gepäcks, ein Wechsel der Flugnummer und ähnliches durchzuführen seien. Unter Zugrundelegung dieser Überlegungen könne von einer Annullierung des gebuchten Fluges nicht mehr gesprochen werden, sondern nur von einer Verspätung.

20. Im übrigen meint die Beklagte, einem Ausgleichsanspruch gemäß Artikel 7 Abs. 1 der Verordnung stehe Artikel 5 Abs. 3 der Verordnung entgegen, da die Nichtdurchführung des gebuchten Fluges auf einen außergewöhnlichen Umstand zurück zu führen sei, der auch unter Berücksichtigung aller zumutbaren Maßnahmen durch die Beklagte nicht habe behoben werden können. Sie behauptet hier unter Bezugnahme auf einen Operational Report des Customer Service Centers der Beklagten vom 07. Oktober 2005, aus der hervorgeht, dass wegen Nebel auf dem Pariser Flughafen bis 9.00 Uhr nur 39 Landungen pro Stunde und bis 10.00 Uhr 40 Abflüge pro Stunde zulässig seien; des weiteren heißt es in dem Operational Report, dass „wegen Nebels“ 24 Mittelstreckenflüge gekänzelt seien, darunter der Flug … Paris- Stuttgart-Paris. Die Beklagte behauptet, die Beschränkung der zulässigen Landungen und Abflüge pro Stunde bis 10.00 Uhr hätten einen erheblichen Rückstau zur Folge gehabt, so dass auch die Flüge Nr. … von Paris nach Stuttgart und … von Stuttgart nach Paris nicht hätten durchgeführt werden können.

21. Wegen des Parteivorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

22. Die Klage ist begründet.

23. Zu Recht kann der Kläger von der Beklagten für sich und seine Reisebegleiterin eine Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 600,00 Euro in der geltend gemachten Höhe von 1.186,08 Euro beanspruchen.

24. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Ausgleichsanspruchs nach Artikel 7 Abs. 1 Ziffer c der Verordnung erfüllt. Hiernach erhalten Fluggäste Ausgleichszahlungen in Höhe von 600,00 Euro bei allen Flügen, deren Flugstrecke mehr als 3.500 km umfasst. Bei der Ermittlung der Entfernung wird hierbei gemäß Artikel 7 Abs. 1 c „der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast infolge der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt“. Dies ist hier Mauritius. Mauritius liegt mehr als 3.500 km von Stuttgart entfernt, so dass die Voraussetzungen des Artikel 7 Abs. 1 c erfüllt sind. Es liegt auch eine „Annullierung“ im Sinne dieser Vorschrift vor, da Artikel 2 I eine Begriffsbestimmung dahingehend vornimmt, dass unter Annullierung „die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war“ zu verstehen ist. Im vorliegenden Fall wurde der gebuchte und damit geplante Flug, für den für den Kläger und seine Begleiterin ein Platz gebucht war, nicht durchgeführt. Anstelle dieses Fluges, der nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten in dem Operational Report „due to fog cancelled“ war, erfolgte die Beförderung nicht mit der gebuchten und geplanten Beförderungsleistung sondern mit einem anderen Flug der Beklagten, nämlich dem Flug Nr. … der in Frankfurt um 16.30 Uhr startete. Angesichts dieser eindeutigen Sachlage kann dem Versuch der Beklagten, entgegen dem eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut der Verordnung eine „Verspätung“ anstelle einer Annullierung zu konstruieren, nicht gefolgt werden. Für die Beurteilung der Frage, ob im vorliegenden Fall eine Flugannullierung vorliegt oder nicht, ist es unerheblich, dass der „Ersatzflug“ nur „ca. 2 ½ Stunden“ später startete. Die Berücksichtigung eines Zeitfaktors bei der Prüfung einer „Annullierung“ ist durch Artikel 2 I der Verordnung nicht vorgesehen. Dass es sich um einen anderen und nicht etwa um einen verspäteten geplanten Flug handelt, wird schon daraus ersichtlich, dass beide Flüge unter einer verschiedenen Flugnummer geführt werden. Zudem wird im vorliegenden Fall auch durch den weiteren Ablauf des Fluges besonders anschaulich, dass nicht von einer „Verspätung“, die Rede sein kann, sondern tatsächlich ein seinem Zuschnitt nach völlig anderer Flug durchgeführt wurde. Denn entgegen dem ursprünglichen Flugplan, der nach einem Zubringerflug von Stuttgart nach Paris einen Direktflug von Paris nach Mauritius vorsah, erfolgte der Ersatzflug von Stuttgart nach Paris mit dem Beklagten als ausführenden Luftfahrtunternehmen und ab Paris ausweislich der Flugnummer mit einem anderen ausführenden Luftfahrtunternehmen über die Seychellen mit dortigem Wechsel der Maschine nach Mauritius, wo der Kläger und seine Begleiterin 9 Stunden später ankamen, als dies bei Durchführung des geplanten und gebuchten Fluges gewesen wäre.

25. Eine Kürzung des Ausgleichsanspruchs auf 50 % gemäß Artikel 7 Abs. 2 c der Verordnung kommt nicht in Betracht. Hiernach kann der Ausgleichsanspruch um die Hälfte gekürzt werden, wenn der Fluggast mit einem Alternativflug das Endziel bei einer Flugentfernung von mehr als 3.500 km nicht später als 4 Stunden erreicht. Dies ist hier nicht der Fall, da der Kläger und seine Begleiterin 9 Stunden später in Mauritius angekommen sind.

26. Die Beklagte kann sich auch nicht auf Artikel 5 Abs. 3 der Verordnung berufen, wonach ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet ist, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Beklagte hat keine Tatsachen dargelegt, die erkennen ließen, dass die Annullierung des Fluges trotz zumutbarer Maßnahmen auf außergewöhnliche unvermeidliche Umstände zurückgeht. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob die von der Beklagten behaupteten Flugbeschränkungen wegen angeblichen Nebels auf dem Pariser Flughafen tatsächlich zu beachten waren. Denn es ist nicht dargelegt, welche Auswirkungen die Lande- und Startbeschränkungen wegen Nebels auf den Flug der Kläger gehabt haben sollen. Nach den Mitteilungen im Operational Report bestanden Flugbeschränkungen überhaupt nur bis 10.00 Uhr. Dies bedeutet, dass ab 10.00 Uhr alle Flugbewegungen auf dem Pariser Flughafen nicht mehr durch Wetterbedingungen beeinträchtigt waren. Da der Flug … in Stuttgart erst um 13.15 Uhr hätte starten sollen, ist schon nicht dargelegt, warum dieser Flug von den Flugbeschränkungen auf dem Pariser Flughafen bis 10.00 Uhr betroffen gewesen sein soll. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Flug Nr. … mit der Maschine durchgeführt wurde, die unter der Flugnummer zunächst von Paris nach Stuttgart hätte fliegen sollen. Zur Abflugszeit des Flugs Nr. … von Paris ist seitens der darlegungsbelasteten Beklagten nichts vorgetragen. Unter Berücksichtigung einer Flugzeit von 50 Minuten und einer Aufenthaltszeit in Frankfurt bis zum Beginn des Rückflugs ist davon auszugehen, dass der Flug … in Paris etwa um 11.30 Uhr hätte starten müssen. Da die Flugbeschränkungen um 10.00 Uhr endeten, ist nicht ersichtlich, warum der Flug … von den Flugbeschränkungen betroffen gewesen sein soll. Soweit sich die Beklagte auf einen „erheblichen Rückstau“ beruft, ist damit nicht dargelegt, dass die Annullierung des Fluges im Sinne des Artikels 5 Abs. 3 der Verordnung trotz aller zumutbaren Maßnahmen unvermeidlich gewesen wäre. Warum es der Beklagten unzumutbar gewesen sein soll, jene Flüge, die innerhalb des Zeitraums der Flugbeschränkungen hätten starten sollen, zu annullieren, da jene Flüge unmittelbar von den Flugbeschränkungen betroffen waren, ist nicht vorgetragen. Außer Frage steht, dass bei einer Annullierung jener Flüge der Beklagten sicher der Entlastungsgrund des Artikels 5 Abs. 3 der Verordnung zur Seite gestanden hätte. Welche Überlungen die Beklagte dazu veranlasst haben, jene, von den Flugbeschränkungen unmittelbar betroffenen Flüge in den Abflugzeitraum zu verschieben, in dem flugplanmäßig andere Flüge hätten starten sollen mit der Folge, dass diese Flüge verschoben oder, wie hier, annulliert wurden, bleibt offen. Jedenfalls sind keine Tatsachen vorgetragen, die die Annullierung der Flüge … trotz Ergreifens aller zumutbaren Maßnahmen als unvermeidlich erscheinen lassen.

27. Die Beklagte ist daher dem Kläger zur Ausgleichszahlung gemäß Artikel 7 Abs. 1 der Verordnung verpflichtet.

28. Die Beklagte war daher antragsgemäß zu verurteilen.

29. Der Zinsanspruch ist aus dem Gesichtspunkt der Prozesszinsen gemäß § 291 BGB begründet.

30. Die Beklagte hat, da sie in dem Rechtsstreit unterlegen ist, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.

31. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Ziffer 11, 711 ZPO.

Fragen zu diesem Urteil? Diskutiere in unserem Forum.

Fragen & Antworten zum Thema

Fragen & Antworten zum Thema: AG Frankfurt: Annullierung wegen vorübergehender Schlechtwetterbedingungen

Verwandte Entscheidungen

OLG Koblenz, Urt. v. 29.03.2006, Az: 1 U 983/05
LG Dortmund, Urt. v. 17.06.2010, Az: 4 S 117/09

Berichte und Besprechungen

Forum Fluggastrechte: Annullierung wegen Schlechtwetterbedingungen
Passagierrechte.org: Annullierung wegen Schlechtwetter

Rechtsanwälte für Reiserecht

Hilfe bei rechtlichen Fragen: Rechtsanwälte für Reiserecht oder Rechtsanwälte für Fluggastrechte.