Gerichtszuständigkeit bei Nichtfernabsatzverträgen
BGH: Die Gerichtszuständigkeit bei Nichtfernabsatzverträgen
Die Klägerin vermietet Wohnmobile und hat ihren Geschäftssitz in Deutschland. Der Beklagte, der in Niederlanden wohnt, mietete bei der Klägerin ein Wohnmobil und gab dieses verspätet zurück. Die Klägerin verlangte deshalb von dem Beklagten Schadensersatz wegen verspäteter Rückgabe der Mietsache. Zwischen den Parteien war die internationale Zuständigkeit des angerufenen deutschen Gerichts streitig.
Der BGH hat das vorinstanzliche Urteil aufgehoben und im Sinne des Beklagten entschieden. Der BGH brachte zum Ausdruck, dass sich die Gerichtszuständigkeit in solchen Fällen nach Art. 15 EuGVVO richtet.
BGH | XII ZR 10/10(Aktenzeichen) |
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BGH: | BGH, Urt. vom 24.04.2013 |
Rechtsweg: | BGH, Urt. v. 24.04.2013, Az: XII ZR 10/10 |
OLG Köln, Urt. v. 21.01.2010, Az: 12 U 49/09 | |
LG Aachen, Urt. v. 18.08.2009, Az: 10 O 597/08 | |
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Leitsätze:
2. Eine Gerichtsstandsvereinbarung zwischen Unternehmer und Verbraucher zweier EU- Mitgliedstaaten ist unwirksam.
Bei Streitigkeiten zwischen Unternehmer und Verbraucher zweier EU- Mitgliedstaaten kann die Klage nur vor den Gerichten des Mitgliedstaates erhoben werden, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.
Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO ist nicht nur auf Fernabsatzverträge anwendbar.
Zusammenfassung:
3. Die Klägerin, die ihren Geschäftssitz in Deutschland hat, vermietet Wohnmobile. Diese unterhielt eine Internetseite welche einen Hinweis darauf enthielt, dass das Personal niederländisch spricht. Auf der Internetseite war außerdem eine Straßenkarte abgebildet, in der auch die Anfahrt aus der Grenzregion der Niederlande eingezeichnet war. Der Beklagte, der in Niederlanden wohnt, mietete bei der Klägerin ein Wohnmobil und gab dieses verspätet zurück. Der Vertrag wurde in Geschäftsräumen der Klägerin, in Deutschland abgeschlossen. Die Klägerin verlangte von dem Beklagten Schadensersatz wegen der verspäteten Rückgabe der Mietsache. Die AGB der Klägerin enthielten eine Klausel nach welcher der Gerichtsort, für die Streitigkeiten aus dem Mietvertrag, immer am Firmensitz der Klägerin sein sollte. Der Beklagte hielt diese Klausel für unwirksam und ist deshalb gegen die Entscheidung der Vorinstanz im Wege der Revision vorgegangen.
Der BGH hat die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben und im Sinne des Beklagten entschieden. Die AGB-Klausel der Klägerin über den Gerichtsstand ist unwirksam. Der Beklagte ist ein Verbraucher nach Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO. Die Klage gegen einen Verbraucher kann gemäß Art. 16 Abs. 2 EuGVVO nur vor den Gerichten des Mitgliedstaates erhoben werden, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Die Vorinstanz hat entschieden, dass Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO nur bei Fernabsatzverträgen gilt. Dem schließt sich der BGH nicht an. Nach Auffassung des BGH ist Art. 15 EuGVVO immer dann anwendbar, wenn der Unternehmer bereits vor dem eigentlichen Vertragsschluss seinen Willen zum Ausdruck bringt Geschäftsbeziehungen zu den Verbrauchern anderer EU-Mitgliedstaaten herzustellen. Dies hat die Klägerin durch die Gestaltung ihrer Internetseite getan.
Tenor:
4. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Januar 2010 aufgehoben.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Zwischenurteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 18. August 2009 abgeändert und die Klage als unzulässig abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
5. Die Klägerin macht gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche aufgrund eines Mietvertrags über ein Wohnmobil geltend. Zwischen den Parteien ist die internationale Zuständigkeit des angerufenen deutschen Gerichts streitig.
6. Die Klägerin, die ihren Geschäftssitz in Deutschland hat, vermietet Wohnmobile. Im Januar 2008 unterhielt sie eine Homepage, auf der die Möglichkeit bestand, einen mit „Wegbeschreibung“ bezeichneten Link anzuklicken. Dieser Link führte zu einer Straßenkarte, in der auch die Anfahrt aus der Grenzregion der Niederlande eingezeichnet war. Außerdem befand sich an mehreren Stellen des Internet-Auftritts der Klägerin neben einer niederländischen Flagge der Hinweis „Wij spreken Nederlands!“.
7. Der Beklagte, der in den Niederlanden wohnt, erkundigte sich im Januar 2008 nach der Anmietung eines Wohnmobils. Nachdem die Parteien mehrere E-Mails gewechselt hatten, schickte die Klägerin dem Beklagten per Fax einen Reservierungsantrag, den der Beklagte unterschrieben an die Klägerin – ebenfalls per Fax – zurückschickte. Auf der Rückseite des Reservierungsantrags waren die von der Klägerin verwendeten Allgemeinen Mietbedingungen für die Anmietung eines Reisemobils abgedruckt, die in Ziffer 19 eine Gerichtsstandsvereinbarung enthielten, nach der für alle Streitigkeiten aus oder über diesen Vertrag als Gerichtsstand der Sitz des Vermieters vereinbart wird, soweit der Mieter keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat.
8. Zu einem späteren Zeitpunkt leistete der Beklagte in den Geschäftsräumen der Klägerin die für die Reservierung des Fahrzeugs vereinbarte Anzahlung. Im Juli 2008 schlossen die Parteien in den Geschäftsräumen der Klägerin den Mietvertrag über das reservierte Wohnmobil.
9. Wegen technischer Defekte des Motors, die zwischen den Parteien streitig sind, erhielt die Klägerin das Fahrzeug erst nach Ablauf der vereinbarten Mietzeit zurück. Mit der Klage macht sie den ihr aus der verspäteten Rückgabe entstandenen Schaden geltend.
10. Das Landgericht hat über die Zulässigkeit der Klage gesondert verhandelt und durch Zwischenurteil festgestellt, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits international zuständig sei. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte der Beklagte weiter die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe:
11. Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils. Auf die Berufung des Beklagten ist das landgerichtliche Zwischenurteil abzuändern und die Klage als unzulässig abzuweisen, weil das Landgericht international für die Entscheidung nicht zuständig ist.
I.
12. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in NZM 2010, 495 ff. veröffentlicht ist, hat zur Begründung ausgeführt, die internationale Zuständigkeit richte sich nach den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (ABl. EG 2001 Nr. L12 S. 1; Brüssel I-VO = EuGVVO). Die Parteien hätten eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen, die entsprechend der Bestimmung des Art. 23 EuGVVO wirksam sei und als Gerichtsstand den Sitz der Klägerin bestimme.
13. Die getroffene Gerichtsstandsvereinbarung sei nicht gemäß Art. 17 EuGVVO i.V.m. Art. 23 Abs. 5 EuGVVO unwirksam, weil keine Verbrauchersache im Sinne des hier allein in Betracht kommenden Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO vorliege. Zwar sei der Beklagte Verbraucher im Sinne des Art. 15 Abs. 1 EuGVVO. Es liege aber gleichwohl keine Verbrauchersache vor, weil die Klägerin ihre berufliche Tätigkeit nicht im Sinne des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO auf den Wohnsitzstaat des Beklagten „ausgerichtet“ habe. Diese Voraussetzung sei nur erfüllt, wenn der Vertragspartner des Verbrauchers eine „aktive“ Website betreibe, bei der über das Internet Verträge abgeschlossen werden könnten. Eine solche „aktive“ Website habe die Klägerin nicht betrieben. Bei einer „passiven“ Website könne ein „Ausrichten“ i.S.v. Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO nur dann angenommen werden, wenn der Verbraucher im Internet zum Vertragsschluss zumindest motiviert worden sei. Ob der Beklagte durch den Internetauftritt der Klägerin zum Vertragsschluss motiviert worden sei, könne aber dahinstehen. Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO finde jedenfalls deshalb keine Anwendung, weil der Abschluss des Mietvertrags nicht im Fernabsatz erfolgt sei, sondern anlässlich eines persönlichen Kontaktes der Parteien am Sitz der Klägerin.
II.
14. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass die Parteien eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 23 Abs. 1 EuGVVO geschlossen und als Gerichtsstand den Sitz der Klägerin bestimmt haben.
15. 1. Ob das Berufungsgericht die internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts zu Recht oder zu Unrecht abgelehnt hat, ist in der Revision unbeschadet des § 545 Abs. 2 ZPO uneingeschränkt zu überprüfen (vgl. BGHZ 167, 83 = NJW 2006, 1672, 1673 mwN).
16. 2. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte im vorliegenden Fall gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 3 Abs. 1 EuGVVO nach Maßgabe der Art. 5 bis 24 EuGVVO bestimmt, da die Parteien ihren Sitz jeweils im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben und der in den Niederlanden wohnhafte Beklagte abweichend von Art. 2 EuGVVO vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaates, nämlich in Deutschland, verklagt wird. Der Beklagte hat das Fehlen der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte in beiden Rechtszügen von Anfang an gerügt und in zulässiger Weise lediglich vorsorglich für den Fall, dass sich das angerufene deutsche Gericht für international zuständig halten sollte, auch zur Hauptsache vorgetragen, so dass es an einer zuständigkeitsbegründenden Einlassung auf das Verfahren im Sinne von Art. 24 EuGVVO fehlt (vgl. Geimer/Schütze Europäisches Zivilverfahrensrecht 3. Aufl. Art. 24 EuGVVO Rn. 46 mwN).
17. 3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist jedoch die in Ziffer 19 der in den Vertrag einbezogenen Allgemeinen Mietbedingungen der Klägerin für die Anmietung eines Reisemobils enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 17 i.V.m. Art. 23 Abs. 5 EuGVVO unwirksam. Die Streitigkeit der Parteien ist eine Verbrauchersache nach Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO, bei der die Klage gegen einen Verbraucher gem. Art. 16 Abs. 2 EuGVVO nur vor den Gerichten des Mitgliedstaates erhoben werden kann, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat und eine Gerichtsstandsvereinbarung nur unter den – im vorliegenden Fall nicht gegebenen Voraussetzungen – des Art. 17 EuGVVO möglich ist.
18. a) Nach Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO handelt es sich um eine Verbrauchersache, wenn der Vertragspartner des Verbrauchers in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Durch diese Regelung soll neben der gezielt auf den Wohnsitzstaat des jeweiligen Verbrauchers gerichteten Werbung vor allem auch der so genannte elektronische Handel über das Internet erfasst werden, bei dem ein Vertragsschluss auf ausschließlich elektronischem Wege zustande kommt (BGH Urteil vom 17. September 2008 – III ZR 71/08 – NJW 2009, 298 Rn. 8; Geimer/Schütze Europäisches Zivilverfahrensrecht 3. Aufl. Art. 15 EuGVVO Rn. 37; Kropholler/von Hein Europäisches Zivilprozessrecht 9. Aufl. Art. 15 EuGVO Rn. 23). Da bei Verträgen, die über das Internet abgeschlossen wurden, nur selten festzustellen ist, wo die Handlung, die zum Vertragsschluss führte, vorgenommen worden ist, kommt es, anders als nach dem bisherigen Recht (Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 lit. b EuGVÜ), auf den Ort des Vertragsschlusses oder der Vornahme der dafür erforderlichen Rechtshandlungen nicht an. Nach Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO wird die notwendige Verbindung zum Staat des Verbrauchers schon dadurch geschaffen, dass dessen Vertragspartner seine Tätigkeit auf diesen Staat ausrichtet (vgl. BGH Urteil vom 17. September 2008 – III ZR 71/08 – NJW 2009, 298 Rn. 8; Kropholler/von Hein Europäisches Zivilprozessrecht 9. Aufl. Art. 15 EuGVO Rn. 23 mwN).
19 b) Unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmer, der eine Internetseite unterhält, in diesem Sinne seine Tätigkeit auf einen Mitgliedstaat ausrichtet, war umstritten. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum differenzierte danach, ob der Unternehmer eine aktive oder nur eine passive Website betreibt. Während Einigkeit darüber bestand, dass der Verbraucherschutzgerichtsstand des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO jedenfalls dann gegeben ist, wenn der Unternehmer eine aktive Website betreibt, bei der unmittelbar über die Internetseite, etwa durch das Anklicken eines entsprechenden Symbols, ein Vertragsschluss erfolgen kann (vgl. BGH Beschluss vom 17. September 2009 – III ZR 71/08 – NJW 2009, 298 Rn. 9 mwN), wurde der Betrieb einer passiven Website nur dann für ausreichend gehalten, wenn sie eine Aufforderung zum Vertragsschluss im Fernabsatz enthielt und es auf diesem Weg auch tatsächlich zu einem Vertragsschluss kam (vgl. zum Streitstand Kropholler/von Hein Europäisches Zivilprozessrecht 9. Aufl. Art. 15 EuGVO Rn. 27; Geimer/Schütze Europäisches Zivilverfahrensrecht 3. Aufl. Art. 15 EuGVVO Rn. 37 f.).
20. c) Nach Erlass des angegriffenen Berufungsurteils hat sich der Gerichtshof der Europäischen Union (nachfolgend: Europäischer Gerichtshof) aufgrund einer Vorlage des Österreichischen Obersten Gerichtshofs in einem Vorabentscheidungsverfahren erstmals zu der Frage geäußert, unter welchen Voraussetzungen ein Gewerbetreibender durch einen Internetauftritt seine Tätigkeit auf einen anderen Mitgliedstaat i.S.v. Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO ausrichtet (Urteil vom 7. Dezember 2010 – C-585/08 und C-144/09 – Pammer/Schlüter und Alpenhof/Heller – ABl EU 2011, Nr. C 55, 4-5 = NJW 2011, 505 ff.).
21. In der von der bisher herrschenden Meinung herangezogenen Unterscheidung zwischen Websites, die eine Kontaktaufnahme mit dem Gewerbetreibenden per E-Mail oder sogar einen Vertragsschluss online mittels einer sogenannten „interaktiven“ Website ermöglichen, und Websites ohne diese Möglichkeit sieht der Europäische Gerichtshof kein taugliches Kriterium für die Auslegung des Begriffs des „Ausrichtens“ i.S.v. Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO. Diese Kontaktmöglichkeit bestehe unabhängig davon, ob der Gewerbetreibende Geschäfte mit Verbrauchern zu tätigen beabsichtige, die in anderen Mitgliedstaaten als dem seiner Niederlassung wohnhaft sind (EuGH aaO Rn. 79).
22. Für die Anwendbarkeit des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO sieht der Europäische Gerichtshof als entscheidendes Merkmal an, ob der Gewerbetreibende bereits vor dem eigentlichen Vertragsschluss seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten, darunter des Wohnsitzmitgliedstaats des Verbrauchers, herzustellen (EuGH aaO Rn. 75). Deshalb sei im Fall eines Vertrags zwischen einem Gewerbetreibenden und einem bestimmten Verbraucher zu ermitteln, ob vor dem Vertragsschluss mit diesem Verbraucher Anhaltspunkte dafür vorgelegen haben, dass der Gewerbetreibende Geschäfte mit Verbrauchern tätigen wolle, die in anderen Mitgliedstaaten wohnhaft sind, darunter in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der fragliche Verbraucher seinen Wohnsitz habe, und zwar in dem Sinne, dass der Gewerbetreibende zu einem Vertragsschluss mit diesen Verbrauchern bereit gewesen sei (EuGH aaO Rn. 76).
23. Anhaltspunkte dafür, dass ein Gewerbetreibender seine Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichtet hat, können sich nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs beispielsweise aus dem internationalen Charakter der Tätigkeit des Gewerbetreibenden, der Angabe von Anfahrtsbeschreibungen aus anderen Mitgliedstaaten zu dem Ort, an dem der Gewerbetreibende niedergelassen ist, oder der Verwendung einer anderen Sprache oder Währung als der in dem Mitgliedstaat der Niederlassung des Gewerbetreibenden üblicherweise verwendeten Sprache oder Währung mit der Möglichkeit der Buchung und Buchungsbestätigung in dieser anderen Sprache ergeben (EuGH aaO Rn. 93; kritisch dazu Leible/Müller NJW 2011, 495, 496 f.; Hein JZ 2011, 954, 955; Clausnitzer EuZW 2011, 104, 105).
24. Dabei obliege es dem nationalen Richter zu prüfen, ob diese Anhaltspunkte vorliegen (EuGH aaO Rn. 93).
25. d) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs hat die Klägerin durch die Gestaltung ihres Internetauftritts ihre Geschäftstätigkeit auf den Wohnsitzstaat des Beklagten ausgerichtet.
26. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin zwar nur eine „passive“ Webseite betrieben, weil ihr Internetauftritt die Möglichkeit nicht vorsah, „online“ einen Mietvertrag abzuschließen. Sie hat jedoch durch die Gestaltung ihrer Website ihre Absicht zum Ausdruck gebracht, Personen mit Wohnsitz in den Niederlanden als Kunden werben zu wollen. Mit der Verwendung der niederländischen Flagge und dem ausdrücklichen Hinweis „Wij spreken Nederlands!“ auf den Seiten ihrer Homepage hat sich die Klägerin gezielt an Personen aus den Niederlanden gerichtet. Außerdem konnte über die Website eine Anfahrtsskizze aufgerufen werden, in die auch eine Wegbeschreibung aus dem Grenzbereich der Niederlande eingezeichnet war. Auf der Grundlage der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 7. Dezember 2010 liegen damit ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin i.S.v. Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO ihre Geschäftstätigkeit auf den Wohnsitzstaat des Beklagten ausgerichtet hat.
27. 4. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der Anwendbarkeit des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO im vorliegenden Fall auch nicht entgegen, dass der Mietvertrag nicht im Wege des Fernabsatzes abgeschlossen wurde.
28. a) Zu der Frage, ob Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO in Fällen, in denen der Internetauftritt eines Gewerbetreibenden das Merkmal des „Ausrichtens“ erfüllt, zusätzlich voraussetzt, dass der mit dem Verbraucher geschlossene Vertrag mit Mitteln des Fernabsatzes zustande gekommen ist, verhält sich das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. Dezember 2010 allerdings nicht (vgl. hierzu die Entscheidungsbesprechungen von Staudinger/Steinrötter EWS 2011, 70, 73 f.; Mankowski EWiR 2011, 111, 112; Höppner jurisPR-ITR 8/2011 Anm. 3; Clausnitzer EuZW 2011, 104, 105). Daher wurde im Schrifttum auch nach dieser Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs die Auffassung vertreten, eine Verbrauchersache i.S.v. Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO könne nur unter der zusätzlichen Voraussetzung angenommen werden, dass es zu einer vertraglichen Bindung mit den Mitteln des Fernabsatzes gekommen ist (Kropholler/von Hein Europäisches Zivilprozessrecht 9. Aufl. Art. 15 EuGVO Rn. 27; von Hein JZ 2011, 954, 957). Die überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur hielt dagegen einen Vertragsschluss im Wege des Fernabsatzes nicht für zwingend erforderlich. Um eine unangemessene Ausdehnung des Anwendungsbereichs von Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO zu verhindern, sei es jedoch neben der Erfüllung des Begriffs des „Ausrichtens“ erforderlich, dass der Internetauftritt des Unternehmers für den konkreten Vertragsschluss mit dem Verbraucher zumindest ursächlich geworden sei (vgl. BGH Urteil vom 17. September 2008 – III ZR 71/08 – NJW 2009, 298 Rn. 11; OLG Karlsruhe IPRax 2008, 348, 349; OLG Dresden IPRax 2006, 44, 46; Rauscher/Staudinger EuZPR/EuIPR [2011] Art. 15 Brüssel l – VO Rn. 18; Schlosser EuGVVO 3. Aufl. Art. 15 Rn. 8; Leible/Müller NJW 2011, 495, 497; Mankowski IPRax 2009, 238, 242 f.; Höppner jurisPR-ITR 8/2011 Anm. 3; Staudinger/Czaplinski NZM 2010, 461, 462 f.; Musielak/Stadler ZPO 10. Aufl. Art. 15 EuGVVO Rn. 8).
29. b) Der erkennende Senat hat mit Beschluss vom 1. Februar 2012 (XII ZR 10/10 – NJW-RR 2012, 436 ff.) das Verfahren ausgesetzt und die Frage, ob eine Verbrauchersache i.S.v. Art. 15 Abs. 1 lit. c EUGVVO nur vorliegt, wenn der Vertragsschluss mit Mitteln des Fernabsatzes erfolgt, dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegt. Nachdem der Europäische Gerichtshof in einem weiteren Vorabentscheidungsverfahren mit Urteil vom 6. September 2012 (C-190/11 – ABl EU 2012, Nr. C 355, 6 = NJW 2012, 3225 ff.) die Vorlagefrage dahingehend beantwortet hat, dass die Anwendung von Art. 15 Abs. 1 lit. c EUGVVO nicht voraussetzt, dass die von ihm erfassten Verträge im Fernabsatz geschlossen wurden, hat der Senat auf Anregung des europäischen Gerichtshofs seine Vorlage zurückgenommen.
30. Zur Begründung hat der Europäische Gerichtshof in der genannten Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
31. Obwohl Art. 15 Abs. 1 lit. c EUGVVO keinen absoluten Verbraucherschutz gewähre und das Erfordernis eines Abschlusses der Verbraucherverträge im Fernabsatz in der zu Art. 15 und 73 EuGVVO abgegebenen gemeinsamen Erklärung der Kommission und des Rates (abgedruckt in IPRax 2001, 259, 261) und im 24. Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17. Juli 2008 (Abl. EU Nr. L 177, S. 6; ber. 2009 Nr. L 309 S. 87 – Rom l – VO) genannt sei, ergebe sich aus der grammatikalischen Auslegung, der Entstehungsgeschichte und der teleologischen Auslegung, dass Art. 15 Abs. 1 lit. c EUGVVO einen Vertragsabschluss mit Mitteln des Fernabsatzes nicht voraussetze (EuGH aaO Rn. 33 f.).
32. Nach dem Wortlaut mache Art. 15 Abs. 1 lit. c EUGVVO seinen Anwendungsbereich nicht ausdrücklich davon abhängig, dass die von ihm erfassten Verträge im Fernabsatz geschlossen worden seien (EuGH aaO Rn. 35 f.). Die Vorschrift sei anwendbar, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt seien. Erstens sei es erforderlich, dass der Gewerbetreibende seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausübe oder sie auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichte, und zweitens, dass der streitige Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit falle.
33. Außerdem habe der Unionsgesetzgeber die Voraussetzungen des Art. 13 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (EuGVÜ), wonach auf der einen Seite der Gewerbetreibende im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ein ausdrückliches Angebot gemacht oder Werbung betrieben und auf der anderen Seite der Verbraucher die zum Vertragsschluss erforderlichen Rechtshandlungen in diesem Staat vorgenommen haben müsse, durch Voraussetzungen ersetzt, die sich allein auf den Gewerbetreibenden beziehen (EuGH aaO Rn. 39).
34. Schließlich sei zur teleologischen Auslegung von Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO festzustellen, dass das zusätzliche Erfordernis eines Vertragsschlusses im Fernabsatz dem mit dieser Bestimmung in ihrer weniger restriktiven neuen Formulierung verfolgten Ziel – Schutz der Verbraucher als der schwächeren Vertragspartei – zuwiderliefe (EuGH aaO Rn. 42).
35. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. Dezember 2010 (C-585/08 und C-144/09 – Pammer/Schlüter und Alpenhof/Heller – ABl EU 2011, Nr. C 55, 4-5 = NJW 2011, 505 Rn. 86 f.). Dort habe der Europäische Gerichtshof zum Vorbringen der Gewerbetreibenden, Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO sei nicht anwendbar, weil der Vertrag mit dem Verbraucher an Ort und Stelle und nicht im Fernabsatz geschlossen werde, zwar festgestellt, dass dieses Vorbringen im konkreten Fall ins Leere gegangen sei, da die Buchung des Hotelzimmers und ihre Bestätigung tatsächlich im Fernabsatz erfolgt waren. Dabei sei der Europäische Gerichtshof aber nur auf das Parteivorbringen eingegangen, ohne dass diesen Ausführungen eine über die spezifischen Umstände dieser Rechtssache hinausreichende Bedeutung beizumessen gewesen sei (EuGH aaO Rn. 43 f.).
36. Daher sei Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO dahin auszulegen, dass er nicht verlange, dass der Vertrag zwischen Verbraucher und Unternehmer im Fernabsatz geschlossen worden sei.
37. 5. Nach dieser Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, der sich der Senat anschließt, ist es im hier zu entscheidenden Fall für die Anwendbarkeit des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO unerheblich, dass der Mietvertrag über das Wohnmobil nicht mit Mitteln des Fernabsatzes abgeschlossen wurde. Auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage der Kausalität zwischen dem Ausrichten der gewerblichen Tätigkeit und dem Vertragsschluss (vgl. hierzu LG Saarbrücken Vorlagebeschluss vom 27. April 2012 – 5 S 68/12 – juris) kommt es im vorliegenden Fall nicht an, weil der Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts durch die von der Klägerin betriebene Webseite auf deren Unternehmen aufmerksam geworden ist.
38. Liegt somit eine Verbrauchersache vor, ist die in den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 17 EuGVVO i.V.m. Art. 23 Abs. 5 EuGVVO unwirksam. Dies führt zur fehlenden internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts und zur Unzulässigkeit der Klage.
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