Entschädigung für Sicherheitskontrolle mit Verdacht auf gefährliche Gegenstände

OLG Frankfurt: Entschädigung für Sicherheitskontrolle mit Verdacht auf gefährliche Gegenstände

Der Kläger fordert Schadensersatzzahlungen von den Behörden, die eine Kontrolle des Klägers am Flughafen zu verantworten haben, wegen derer der Kläger einen Flug verpasste. Die Beklagte solle dem Kläger Mehrkosten erstatten, die durch eine erneute Buchung entstanden waren, nachdem der Kläger seinen ursprünglich gebuchten Flug wegen der Gepäckkontrolle verpasst hatte. Diese Kontrolle stellte sich als ungerechtfertigt heraus, da der Kläger keine gefährlichen Gegenstände in seinem Gepäck mitgeführt hatte.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hält die Klage für begründet und spricht dem Kläger die geforderten Zahlungen zu. Er habe die Entstehung des Gefahrenverdachts, die zu der Kontrolle geführt hatte nicht selbst zu verantworten, weil er tatsächlich keine gefährlichen Gegenstände mitgeführt habe. Folglich habe er auch die Kosten, die durch die Kontrolle entstanden nicht selbst zu tragen.

OLG Frankfurt 1 U 276/12 (Aktenzeichen)
OLG Frankfurt: OLG Frankfurt, Urt. vom 12.08.2013
Rechtsweg: OLG Frankfurt, Urt. v. 12.08.2013, Az: 1 U 276/12
LG Frankfurt, Urt. v. 10.10.2012, Az: 4 O 32/12
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Oberlandesgericht Frankfurt

1. Urteil vom 12. August 2013

Aktenzeichen: 1 U 276/12

Leitsatz:

2. Verpassen Fluggäste ihren Flug aufgrund einer zu lange andauernden und komplexen Sicherheitskontrolle, stehen ihnen Entschädigungen gemäß den aufopferungsrechtlichen Grundsätzen zu.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger buchte bei einem Luftfahrtunternehmen einen Flug. Diesen konnte der Kläger allerdings nicht wahrnehmen, weil er im Sicherheitskontrollbereich gem. § 5 Abs. 1, 2 und 3 i. V. m. § 11 Abs. 1 LuftSiG festgehalten wurde. Es bestand der Verdacht, dass der Kläger gefährliche Gegenstände mit sich führte. Zur Überprüfung und Entkräftigung dieses Verdachts musste eine Entschärfungstruppe angefordert werden. Dieses dauerte drei Stunden. In der Folge verpasst der Kläger seinen Flug und musste neue Flugtickets buchen.

Der Kläger fordert nun eine Schadensersatzzahlung von den für die Kontrolle zuständigen Behörden. Diese sollen ihm die durch die erneute Buchung entstandenen Mehrkosten erstatten.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hält die Klage für begründet. Der Klage habe die Entstehung des Gefahrenverdachts, die zu der Kontrolle geführt hatte nicht selbst zu verantworten. Die Annahme, dass sich gefährliche Gegenstände im Gepäck des Klägers befinden, war auf eine Überlagerung im Röntgenbild zurückzuführen. Aus aufopferungsrechtlichen Grundsätzen könne der Kläger deshalb wie ein Nichtverantwortlicher Entschädigung verlangen, nachdem ihm durch die Kontrolle durch die Beklagten Mehrkosten entstanden seien.

Tenor:

4. Die Berufung der Beklagten gegen das am 10. Oktober 2012 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main (2/4 O 32/12) wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig voll-streckbar. Das vorliegende Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

5. Von einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil sowie von der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen, weil die Revision nicht zugelassen wurde und ein Rechtsmittel gegen das Urteil deshalb bei einer Beschwer der Parteien von jeweils nicht über 20.000 Euro unzweifelhaft nicht zulässig ist (§ 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO, § 544 ZPO).

II.

6. 1. Die Berufung ist unbegründet.

7. Die Klage ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten wegen der Kontrollmaßnahme vom 27. Juli 2011 eine Entschädigung in Höhe von 911,98 Euro verlangen. Er wurde von der Beklagten für einen Gefahrerforschungseingriff gemäß § 5 Abs. 1, 2 und 3 i. V. m. § 11 Abs. 1 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) als Verantwortlicher in Anspruch genommen, weil der durch Tatsachen begründete, letztlich aber nicht bestätigte Verdacht bestand, dass von seinem – einer Röntgenkontrolle unterzogenen – Handgepäck eine Gefahr ausgehe. Für den durch die Kontrolle erlittenen Nachteil, die Versäumung eines von ihm für zwei Personen gebuchten Fluges und den Verfall der hierfür erworbenen Flugtickets, kann er nach aufopferungsrechtlichen Grundsätzen wie ein Nichtverantwortlicher Entschädigung verlangen, weil er die Entstehung des Gefahrenverdachts nicht zu verantworten hat.

8. a. aa. Nach dem von der Rechtsprechung aus §§ 74, 75 der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts (Einl. ALR) abgeleiteten, inzwischen gewohnheitsrechtlich verfestigten Aufopferungsgedanken kann derjenigen, dem durch einen Eingriff der Staatsgewalt in eines seiner Rechts- oder Lebensgüter ein Sonderopfer auferlegt wurde, Entschädigung verlangen (vgl. Staudinger/Wurm, BGB 2012, § 839 Rn. 498 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Auflage, § 28 Rn. 1 ff.). Entsprechendes gilt für hoheitliche Einwirkungen auf eigentumsrechtlich, durch Art. 14 Abs. 1 GG, geschützte Rechtspositionen, etwa auf vermögenswerte Forderungsrechte (vgl. Staudinger/Wurm, BGB 2012, § 839 Rn. 437 ff., 465 ff.). Eine gesetzliche Regelung hat der Aufopferungsgedanke in den Polizeigesetzen der Länder erfahren, unter anderem in § 64 Abs. 1 Satz 1 HSOG. Nach dieser Vorschrift ist demjenigen, der infolge einer polizeirechtlichen Inanspruchnahme als Nichtverantwortlicher einen Schaden erleidet, ein angemessener Ausgleich zu gewähren. Bei der Inanspruchnahme eines Nichtverantwortlichen handelt es sich um einen zielgerichteten hoheitlichen Grundrechtseingriff, der dem Betroffenen, weil er für das Bestehen der Gefahrenlage keine Verantwortung trägt, ein Sonderopfer auferlegt (vgl. Schiffahrtsobergericht Karlsruhe, Urteil vom 3 Juli 2013, 22 U 1/13 BSch, juris Rn. 17 mit weiteren Nachweisen). Entsprechendes gilt, wenn der Eigentümer einer Sache rechtmäßig als Störer in Anspruch genommen wird, weil ein durch Tatsachen begründeter Verdacht besteht, dass von der Sache eine Gefahr ausgeht: Auch er kann für die dadurch erlittenen Nachteile wie ein Nichtverantwortlicher (Nichtstörer) Entschädigung verlangen, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Gefahr in Wirklichkeit nicht bestand, soweit er die Verdacht begründenden Umstände nicht zu verantworten hat (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. Juli 1996, NJW 1996, S. 3151, 3152, juris Rn. 16; Schiffahrtsobergericht Karlsruhe, Urteil vom 3 Juli 2013, 22 U 1/13 BSch, juris Rn. 17). Abzustellen ist insoweit nicht auf den Zeitpunkt des Eingriffs. Entscheidend sind vielmehr die tatsächlichen Umstände, wie sie sich bei späterer rückschauender Betrachtung (ex tunc) objektiv darstellen; denn bei der Frage der Entschädigung geht es nicht um die Möglichkeit des Eingriffs zur Verhütung von Gefahren, sondern um einen sachgerechten Ausgleich der erbrachten Opfer (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. März 1992, BGHZ 117, S. 303 ff. = NJW 1992, S. 2639). Soweit die vorstehenden Grundsätze nicht spezialgesetzlich geregelt sind, gelten sie – wie oben ausgeführt – gewohnheitsrechtlich mit verfassungsrechtlichem Rang (vgl. Maurer, ebenda).

9. bb. Der Kläger wurde nach einer Röntgenuntersuchung seines als Handgepäck mitgeführten Rucksacks im Sicherheitskontrollbereich des Flughafens O1 gemäß § 5 Abs. 1, 2 und 3 i. V. m. § 11 Abs. 1 LuftSiG aufgehalten, weil der durch Tatsachen begründete Verdacht entstanden war, in dem Rucksack könnten sich gefährliche Gegenstände befinden. Nachträglich hat sich allerdings herausgestellt, dass dies nicht der Fall war. Die Annahme, in dem Rucksack seien möglicherweise gefährliche Gegenstände, war nicht etwa dadurch entstanden, dass der Kläger gefährlich aussehende Gegenstände mitführte, sondern durch gewisse „Überlagerungen“ auf dem Röntgenbild, d. h. durch Besonderheiten der Kontrolltechnik. Der Kläger hat die den Verdacht begründenden Umstände daher nicht zu verantworten.

10. Auch die erhebliche zeitliche Verzögerung, die dazu führte, dass er und sein Reisebegleiter den gebuchten Flug versäumten, hat der Kläger nicht zu verantworten. Die Verzögerung beruhte darauf, dass die Beklagte aufgrund von Haushaltserwägungen nachts ihren „Entschärfertrupp“ nur in Rufbereitschaft vorhielt und die herbeigerufenen Beamten deshalb erst nach längerer Anfahrt am Flughafen eintrafen.

11. Unter diesen Umständen stellt der vom Kläger als unmittelbare Folge der streitgegenständlichen Sicherheitsmaßnahme erlittene Nachteil – der Verfall der beiden von ihm für den versäumten Flug erworbenen Tickets, d. h. der durch diese verkörperten vermögenswerten Forderungsrechte – ein Sonderopfer dar, für das er von der beklagten Bundesrepublik zu entschädigen ist. Insoweit hat die Allgemeinheit für die Nachteile einer in ihrem Interesse ergriffenen Gefahrenabwehrmaßnahme einzustehen, nachdem sich der ursprüngliche Gefahrenverdacht nicht bestätigt hat. Der Kläger musste zwar im Sicherheitsinteresse aller die Kontrollmaßnahme und den damit verbundenen Grundrechtseingriff hinnehmen. Es ist ihm aber nicht zumutbar, den ihm infolge der Kontrollmaßnahme entstandenen zusätzlichen Nachteil – den Verfall seiner Flugtickets und die Kosten zweier Ersatztickets – zu tragen. Ein solcher Nachteil entsteht anderen Fluggästen bei Sicherheitskontrollen im regulären Tagesbetrieb in der Regel nicht, stellt also entgegen der Auffassung der Beklagten kein allgemeines Lebensrisiko dar, sondern belastet den Kläger insoweit ungleich und erlegt ihm ein besonderes Opfer auf. Für dieses Sonderopfer kann der Kläger eine Entschädigung verlangen.

12. b. Nach den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts musste der Kläger für den Erwerb neuer Flugtickets 911,98 Euro aufwenden. In Höhe dieses Betrages hat ihn die Beklagte nach aufopferungsrechtlichen Grundsätzen zu entschädigen.

13. c. Ob die Beklagte gehalten gewesen wäre, durch organisatorische Maßnahmen entweder die Anzahl von Verdachtsfällen im Sinne des § 5 Abs. 1, 2 und 3 i. V. m. § 11 Abs. 1 LuftSiG zu verringern oder jederzeit ortsnah Personal zur alsbaldigen Ausräumung eines entsprechenden Verdachts vorzuhalten, und ihre Bediensteten deshalb ein Schuldvorwurf im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB trifft – wie das Landgericht angenommen hat -, kann nach den vorstehenden Ausführungen dahinstehen.

14. 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10 Satz 1 und 2, 713 ZPO.

15. 3. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht, § 543 Abs. 2 ZPO.

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