Behinderte Mitreisende sind kein Reisemangel

AG München: Behinderte Mitreisende sind kein Reisemangel

Neben einer Klage, wegen einer Flugverspätung, verlangt eine Urlauberin von ihrem Reiseveranstalter Schadensersatz, weil die Reisebetreuer ihr keine ausreichende Aufmerksamkeit entgegenbrachten. Als Grund dafür nennt sie eine schwer behinderte Mitreisende, die den Großteil der Aufmerksamkeit der Betreuer auf sich zog.

Das Amtsgericht München hat die Klage abgewiesen. Eine, die Aufmerksamkeit der Betreuer stark beanspruchende, körperlich behinderte Person, stelle keinen Reisemangel dar und berechtige keinesfalls zu einer Entschädigung.

AG München 223 C 17592/11 (Aktenzeichen)
AG München: AG München, Urt. vom 01.12.2011
Rechtsweg: AG München, Urt. v. 01.12.2011, Az: 223 C 17592/11
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Amtsgericht München

1. Urteil vom 01. Dezember 2011

Aktenzeichen: 223 C 17592/11

Leitsätze:

2. Behinderte Mitreisende stellen keinen Reisemangel dar, da Reiseveranstalter nicht dazu verpflichtet sind, nur nicht behinderte Menschen auf Reisen mitzunehmen.

Ansprüche auf Ausgleichszahlungen entstehen nur dann, wenn die tatsächlich erbrachte Leistung von der vertraglich, durch den Reisevertrag, vereinbarten und geschuldeten Leistung abweicht.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger buchten eine Pauschalreise nach Südafrika. Der Hinflug verzögerte sich um knapp fünf Stunden, wodurch der erste geplante Ausflug ausgefiel.
Des Weiteren wies das Bad im Hotelzimmer Schimmel auf und eine Buspanne sorgte für eine deutlich kürzere Stadtrundfahrt als ursprünglich gebucht.
Das Reiseunternehmen zahlte an die Kläger 285 € und gab den Klägern einen Reisegutschein in Höhe von 200 €.

Die Kläger verlangten weitere 714 €, da die ansonsten gute Reiseleitung mit einer schwerstbehinderten, beinahe blinden Mitreisenden beschäftigt und dadurch weniger präsent gewesen sei. Die Kläger sind auch der Ansicht, dass Reiseveranstalter nur Reisende mitnehmen dürften, die entweder für sich selbst sorgen könnten oder einen festen Begleiter bei sich hätten.

Das Amtsgericht München hat die Zahlung des Reiseveranstalters an die Kläger als ausreichend anerkannt und bezüglich der schwerstbehinderten Mitreisenden wie folgt entschieden:

Die Kläger können eine Ausgleichszahlung nur dann verlangen, wenn die erbrachte Leistung von der vertraglich  geschuldeten Leistung abweicht.
Da der Reiseveranstalter jedoch den Reisenden keinen nicht behinderten Mitreisenden schuldet, scheidet der Anspruch auf eine Ausgleichszahlung aus.
Der Umstand, dass manche Menschen eine intensivere Betreuung der Reiseleitung erfordern als andere, sei das allgemeine Risiko bei einer Gruppenrundreise und stelle keinen Reisemangel dar.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten um Ansprüche aus Reiserecht.

6. Die Klägerin nahm vom 09.11.2010 bis zum 29.11.2010 mit ihrem Ehemann an einer Studienreise der Beklagten durch das südliche Afrika teil. Der Hinflug verzögerte sich um 4 Stunden 45 Minuten. Der für diesen Tag geplante Ausflug fand deshalb erst am nächsten Tag statt. Im Stadthotel in Kapstadt, in dem die Klägerin drei Nächte verbrachte, war Schimmel im Badezimmer. Es gab eine Buspanne mit einer reparaturbedingten Wartezeit von zweieinhalb Stunden wodurch sich die Stadtbesichtigung von Pretoria auf 30 Minuten verkürzte. Vorgerichtlich bezahlte die Beklagte 285 Euro zur Entschädigung und übersandte außerdem einen Reisegutschein über 200 Euro.

7. Die Klägerin meint, Anrufe bei der Notfallnummer seien nicht hilfreich gewesen. Die Klägerin habe ein zugewiesenes Hotelzimmer beanstanden müssen. Die ansonsten gute Reiseleitung sei mit einer schwerstbehinderten, beinahe blinden Mitreisenden beschäftigt gewesen und hierdurch weniger präsent gewesen. Die Beklagte habe die Verantwortung nur solche Gäste auf eine Rundreise mitzunehmen, die diese Strapazen entweder selbstständig oder mit Hilfe einer dauernden persönlichen Betreuungsperson meistern können, ohne den zeitlichen Ablauf einer solchen Studienreise an jedem Programmpunkt durch zeitaufwendige Betreuungsleistung durch die Reiseleitung zu behindern und zu verzögern. Die Klägerin meint, ihr ständen insgesamt 999 Euro zu und abzüglich der gezahlten 285 Euro noch 714 Euro.

8. Die Klägerin beantragte:

9. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 714,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz des BGB seit dem 31.12.2010, sowie als Nebenforderung 120,67 EUR Rechtsanwaltsgebühren zu zahlen.

10. Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage.

11. Die Beklagte meint, es gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko, dass auch ältere und behinderte Menschen ohne Begleitung oder eigenen Betreuer an einer Reise teilnehmen.

12. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 17.11.2011 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

13. Die zulässige Klage ist unbegründet.

14. Soweit Mängelansprüche bestehen hat die Beklagte diese durch die vorgerichtliche Zahlung bereits erfüllt und sogar 118,50 Euro zu viel gezahlt und auch die Übersendung eines Reisegutscheins erfolgte ohne Verpflichtung hierzu.

15. Für das Hotelzimmer mit dem Schimmel im Badezimmer kann die Klägerin für die betroffenen drei Tage 10 Prozent des anteiligen Reisepreises, also 142,71 Euro verlangen. Für die Flugverspätung stehen der Klägerin fünf Prozent des anteiligen Reisepreises zu, da die Verspätung knapp fünf Stunden dauerte, also 23,79 Euro. Nach der Rechtsprechung sind Flugverspätungen bis zu vier Stunden noch kein Mangel und ab der fünften Stunde sind fünf Prozent des Tagesreisepreises je Stunde zu erstatten. Insgesamt bedeutet dies einen Minderungsanspruch in Höhe von 166,50 Euro.

16. Im Übrigen liegen nur Unannehmlichkeiten vor. Die von der Klägerin geschilderten Unzulänglichkeiten der Hotline liegen noch im Bereich einer Unannehmlichkeit. Das Erfordernis, ein Hotelzimmer zu wechseln, stellt gerade keinen Mangel dar, sondern das Recht des Reiseveranstalters, einem Mangel abzuhelfen. Abweichungen im Reiseverlauf durch die Flugverspätung, welche als solche zu entschädigen ist, sind als bloße Unannehmlichkeit hinzunehmen. Das gleiche gilt für eine Buspanne und deren Folgen. Der Eintritt einer Buspanne und eine hierdurch bedingte Verzögerung von zweieinhalb Stunden stellt noch keinen Mangel dar, sondern eine im Rahmen einer Rundreise hinzunehmende Unannehmlichkeit. Soweit die Klägerin meint, ihr ständen Ansprüche zu, weil sich die Reiseleiterin um eine behinderte Mitreisende mehr kümmerte und sich deshalb weniger um die Klägerin kümmerte, ist diese Meinung der Klägerin bereits im Ansatz verfehlt. Ein Mangel erfordert die Abweichung der erbrachten Leistung von der geschuldeten Leistung. Die Beklagte schuldet keine nicht behinderten Mitreisenden. Die Klägerin möge sich daran erfreuen, dass sie nicht behindert ist und sich nicht darüber beschweren, dass es auch behinderte Menschen gibt, welche ebenfalls an Reisen teilnehmen wollen und hierbei eine intensivere Betreuung benötigen. Der Umstand, dass manche Menschen eine intensivere Betreuung der Reiseleitung erfordern als andere ist das allgemeine Risiko bei einer Gruppenrundreise und stellt keinen Reisemangel dar.

17. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I ZPO.

18. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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