Abgrenzung Verspätung und Annullierung

AG Rüsselsheim: Abgrenzung Verspätung und Annullierung

Ein Fluggast nimmt eine Charterfluggesellschaft auf Zahlung einer Entschädigung in Anspruch, da ihr Flug mit erheblicher Verspätung gestartet ist. Der Fluggast ist der Meinung, da ein technischer Defekt den Start unmöglich machte, sei der Rückflug annulliert wurden. Die Beklagte konnte den Schaden beheben und setzte den Flug unter derselben Flugnummer einen Tag später fort.

Das Gericht entschied dass dem Fluggast lediglich eine Entschädigung für die dadurch entstandenen Hotelkosten, sowie eine Pauschale für die Verspätung des Fluges zusteht, da sich die Flugnummer nicht geändert hat.

AG Rüsselsheim 3 C 109/06 (33) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 17.03.2006
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 17.03.2006, Az: 3 C 109/06 (33)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1. Urteil vom 17.03.2006

Aktenzeichen: 3 C 109/06 (33)

Leitsatz:

2. Wird ein Flug nicht zur vereinbarten Zeit, sondern unter der gleichen Flugnummer am Folgetag durchgeführt, so liegt eine erhebliche Verspätung des Fluges vor. Eine Annullierung wäre nur dann gegeben, wenn am Tag des tatsächlichen Abflugs ein weiterer planmäßiger Flug des ausführenden Luftfahrtunternehmens angesetzt gewesen wäre und der Reisende mit diesem Flug befördert worden wäre.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall buchte der Kläger einen Flug einen Hin- und Rückflug von Frankfurt nach Toronto. Auf Grund nicht vorhersehbarer technischer Beanstandungen konnte die Maschinen nicht pünktlich abfliegen. Probleme seien an einem Triebwerk sowie an der Treibstoffanzeige aufgetreten. Daher kam es bei  dem Rückflug  zu einer  Verspätung und anschließend wurde der Flug von der Anzeigentafel genommen, da die Crew krankheitsbedingt ausgetauscht werden musste. Der Fluggast war gezwungen sich vor Ort ein Hotelzimmer zunehmen. Er fordert jetzt von der Charterflugesellschaft eine Entschädigung aufgrund der Flugannullierung, verursacht durch einen technischen Defekt am Flugzeug.
Das Gericht entschied das keine Annullierung vorlag, da der Flug zwar mit erheblicher Verspätung aber unter derselben Flugnummer starten konnte. Der Fluggast erhält nur für die Verspätung eine Entschädigung nicht für die Annullierung.

Tenor

4. Die Beklagte wird verurteilt

a) an den Kläger zu 1. 285,85 Euro

b) an den Kläger zu 2. 34,95 Euro

c) an die Klägerin zu 3. 34,95 Euro

jeweils nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit 14.09.2005 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Gerichtskosten haben der Kläger zu 1. 42 %, der Kläger zu 2. 22 %, die Klägerin zu 3. 22 % und die Beklagte 14 % zu tragen.

Von den außergerichtlichen Kosten haben zu tragen:

Der Kläger zu 1.79 % der eigenen und 42 % der Beklagten erwachsenen Kosten;

die Kläger zu 2. und 3. je 94 % der eigenen und je 22 % der der Beklagten entstandenen Kosten;

die Beklagte 14 % der eigenen und 21 % der dem Kläger zu 1. und je 6 % der den Klägern zu 2. und 3. erwachsenen Kosten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der vollstreckbaren Beträge abzuwenden, falls nicht die jeweilige Gegenseite vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

5. Die Beklagte betreibt ein Charterflugunternehmen. Die Kläger und die Ehefrau des Klägers zu 1. buchten bei der Beklagten Flüge von Frankfurt nach Toronto und zurück. Der Rückflug Flug Nr. DE 6079 am 09.07.2005 von Toronto nach Frankfurt war mit der planmäßigen Abflugszeit 16:20 Uhr, Ankunft am Folgetag um 6.00 Uhr Ortszeit ausgeschrieben. Die Abflugszeit wurde zunächst verlegt. Gegen Mitternacht erhielten die Passagiere die bereits aufgegebenen Koffer ausgehändigt und wurden in ein Hotel verbracht. Die Beförderung erfolgte sodann vom 10.07. auf 11.07.2005 unter der gleichen Flugnummer. Das Flugzeug erreichte Frankfurt ca. 25 Stunden nach der vereinbarten Zeit. Mit der Klage begehren die Kläger, der Kläger zu 1. teilweise auch aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau, Schadenersatz. Ihre Ansprüche beziffern sie wie folgt:

6.

1. Ausgleichs­zah­lungen nach Art. 7 der Verordnung (EG) vom 11.02.2004 2400,00 Euro
2. Verdienst­ausfall des Klägers zu 1. 116,25 Euro
3. Sitzplatz­re­ser­vie­rungs­ge­bühren 16,00 Euro
4. Bahnfahrt 49,20 Euro
2581,45 Euro

7. Hilfsweise begehren die Kläger Minderung des Flugpreises.

8.  Die Kläger behaupten, der gebuchte Rückflug sei nicht zeitlich verschoben, sondern annulliert worden. Auf den Anzeigetafeln am Flughafen sei der Hinweis „cancelled“, erschienen, nicht hingegen, „delayed“ (Beweis: Vernehmung der E B-S als Zeugin). Eine gleichartige Durchsage habe am 09.07.2005 gegen 23:30 Uhr auch der Kapitän des Flugzeuges vorgenommen (Beweis: Vernehmung der E B-S als Zeugin). Durch die verzögerte Ankunft in Frankfurt seien neue Fahrscheine für die Bahnfahrt zu lösen gewesen, da die für den Vortag gekauften verfallen seien. Zudem sei dem Kläger zu 1. vom Arbeitgeber ein Tag zusätzlicher Urlaub in Anrechnung gebracht worden.

9. Die Kläger beantragen,

10. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1. 1381,45 Euro, an die Kläger zu 2. und 3 je 600,00 Euro, jeweils nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit 17.07.2005 zu zahlen.

11. Die Beklagte beantragt,

12. die Klage abzuweisen.

13.  Die Beklagte ist der Auffassung, vorliegend sei der Flug verspätet durchgeführt, jedoch nicht annulliert worden. Der Flug sei auf Grund nicht vorhersehbarer technischer Beanstandungen nicht pünktlich abgeflogen. Probleme seien an einem Triebwerk sowie an der Treibstoffanzeige aufgetreten. Die Reparaturarbeiten seien um 23:10 Uhr beendet gewesen (Beweis: Vernehmung der S E und des U L als Zeugen). Die vorgesehene Crew habe Grippesymptome gezeigt und habe ausgetauscht werden müssen (Beweis: Vernehmung des U L und der Frau H als Zeugen).

14. Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und Anlagen sowie auf den übrigen Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

15. Die Klage ist nur teilweise begründet. Die Kläger haben Anspruch auf Schadenersatz und Minderung. Zu den Ansprüchen im Einzelnen:

16.  Ausgleichsansprüche nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11.02.2004 (Amtsblatt Europäische Union vom 17.02.2004 L 46) stehen den Klägern nicht zur Seite. Ausgleichszahlungen schuldet die Fluggesellschaft einzig bei Annullierung des Fluges oder Nichtbeförderung des Fluggastes (Art. 5 Abs. 1c sowie Art. 4 Abs. 3 der Verordnung). Bei Verspätungen, hier geregelt in Art. 6 der Verordnung, sind einzig Unterstützungsleistungen nach Art. 9 zu gewähren. Bei Verspätungen über 5 Stunden kann der Passagier darüber hinaus vom Beförderungsvertrag zurücktreten und Erstattung der Flugscheinkosten verlangen. Im vorliegenden Fall liegt einzig eine erhebliche Verspätung, hingegen keine Annullierung des Fluges vor. Denn der Flug ist unter der gleichen Flugnummer am Folgetag durchgeführt worden. Annullierung ist jedoch die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges (Art. 2 I der Verordnung). Die Ausgabe des Gepäckes an die Passagiere war im Hinblick auf die Übernachtung der Fluggäste im Hotel geschuldet. Zur Hotelunterbringung war die Beklagte nach Art. 6 Abs. 1ii, Art. 9 Abs. 1b der Verordnung verpflichtet. Dementsprechend war bei einem erneuten Check-in eine weitere Sicherheitsüberprüfung vorzunehmen. Die Ausgabe neuer Bordkarten ist kein Indiz für eine Annullierung, es sei denn, die aufgedruckte Flugnummer hätte sich geändert. Neue Bordkarten werden auch bei der Umsetzung von Passagieren, beim up-grade oder beim Aufrücken aus der Warteliste ausgegeben. Auch die etwaige Verwendung von bestimmten Begriffen auf Anzeigetafeln oder bei Durchsagen ist letztlich nicht entscheidend. Eine Annullierung hätte nur dann vorgelegen, wenn am 10.07.2005 ein weiterer planmäßiger Flug der Beklagten von Toronto nach Frankfurt mit der Flugnummer 6079 angesetzt gewesen wäre und die Kläger mit diesem Flug befördert worden wären.

17. In Höhe von 181,45 Euro steht dem Kläger zu 1. ein Schadenersatzanspruch sowie ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zu. Die verspätete Beförderung eines Fluggastes, gleich aus welchen Gründen, stellt eine Schlechterfüllung der Hauptleistung des Flugunternehmens im Rahmen des Werkvertrages dar. Hieraus resultierende Schäden sind erstattungsfähig (Art. 19, 22 Montrealer Abkommen vom 28.05.1999). Diese Ansprüche werden durch die Verordnung (EG) 261/2004 vom 11.02.2004 ausdrücklich nicht ausgeschlossen (Art. 12 der Verordnung). Den Entlastungsbeweis nach Art. 19 Satz 2 des Montrealen Übereinkommens hat die Beklagte nicht geführt. Zur Wartung des Flugzeuges ist im Einzelnen ein konkreter Vortrag nicht erfolgt. Der Kläger zu 1. hat seinen Verdienstausfall in Höhe von 116,25 Euro durch Vorlage einer Bescheinigung seines Arbeitgebers nachgewiesen. Der Kauf von Bahnkarten und die Höhe des Fahrpreises von 49,20 Euro sind nachgewiesen durch Vorlage einer Kopie der Fahrkarte. Die an die Beklagte geleistete Sitzplatzreservierungsgebühr in Höhe von 16,00 Euro ist aus dem Rechtsgrund der ungerechtfertigten Bereicherung zurückzuerstatten. Denn für die Kläger und die Ehefrau des Klägers zu 1. standen die vorgebuchten Sitzplätze nicht zur Verfügung. Der Kläger zu 1. musste beim Einchecken am 10.07.2005 neue Bordkarten erwerben.

18.  Schließlich stehen den Klägern wegen der verspäteten Beförderung Minderungsrechte zur Seite. Weder die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 der Europäischen Union noch das Montrealer Übereinkommen vom 28.05.1999 schließen weitergehende Ansprüche aus. Allerdings eröffnen nur erhebliche Zeitüberschreitungen einen Minderungsanspruch. Insbesondere bei Fernreisen muss der Reisende Verspätungen bis zu 4 Stunden entschädigungslos hinnehmen. Diese zumutbare Toleranzschwelle ist im vorliegenden Fall weit überschritten. Die Verspätung umfasste 25 Stunden. Aus diesem Grunde erachtet das Gericht, in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Kläger, eine Minderung von 30 % des Beförderungsentgeltes des Rückfluges für angemessen. Dies führt für den Kläger, teilweise auch aus abgetretenem Recht der Ehefrau, zu einem Anspruch von 104,40 Euro, für die Kläger zu 2. und 3. zu je 34,95 Euro. Die Höhe des Reisepreises als Bemessungsgrundlage ist unstreitig.

19.  Die Zinsforderung ist als Verzugsschaden begründet, jedoch erst ab 14.09.2005. Im Schreiben vom 17.07.2005 ist kein Zahlungstermin genannt. Eine Inverzugsetzung erfolgte erst im Schreiben vom 06.09.2005.

20. Im übrigen war die Klage abzuweisen.

21. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 100 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

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