Nicht rechtzeitige Zahlung einer Folgeprämie

OLG Nürnberg: Nicht rechtzeitige Zahlung einer Folgeprämie

Laut der Beklagten Versicherung erhielt der Kläger ein Kündigungsschreiben. Der Kläger trägt vor, er habe das Kündigungsschreiben zu spät erhalten, woraufhin die Widerrufsfrist bereits verstrichen war. Der Kläger fordert die Zahlung einer Folgeprämie, die ihm noch zusteht. Das Gericht beschäftigte sich mit der Frage, wann mit einer Zusendung der Kündigung für den Kläger zu rechnen war.

Das Landgericht wies die Klage ab. Daraufhin ging der Kläger in Berufung. Das Oberlandesgericht gab der Berufung statt.

OLG Nürnberg 8 U 1036/91 (Aktenzeichen)
OLG Nürnberg: OLG Nürnberg, Urt. vom 11.07.1991
Rechtsweg: OLG Nürnberg, Urt. v. 11.07.1991, Az: 8 U 1036/91
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Oberlandesgericht Nürnberg
1. Urteil vom 11.07.1991

Aktenzeichen 8 U 1036/91

Leitsatz:

2. Für den Zugang einer qualifizierten Mahnung nach VVG § 39 Abs 1 ist der Versicherer beweispflichtig. Die Grundsätze des Anscheinsbeweises sind hierfür nicht anwendbar.

Zusammenfassung:

3. Laut der Beklagten Versicherung erhielt der Kläger ein Kündigungsschreiben. Der Kläger trägt vor, er habe das Kündigungsschreiben zu spät erhalten, woraufhin die Widerrufsfrist bereits verstrichen war. Der Kläger fordert die Zahlung einer Folgeprämie, die ihm noch zusteht. Das Gericht beschäftigte sich mit der Frage, wann mit einer Zusendung der Kündigung für den Kläger zu rechnen war.

Das Landgericht wies die Klage ab. Daraufhin ging der Kläger in Berufung.

Das Oberlandesgericht gab der Berufung statt. Es urteilte, dass der Kläger bereits mit dem vorgerichtlichem Schreiben seines Prozeßbevollmächtigten Kenntnis von der Kündigung hatte. Daher gab es den Fall wieder an das Landgericht zurück.

Tenor:

4. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11. Februar 1991 abgeändert.

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger hinsichtlich des Schadensereignisses vom 11. Februar 1990 (Schaden …/…) Versicherungsschutz zu gewähren.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Beklagten beträgt DM 13.500,00.

Tatbestand

5. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

6. (Im Berufungsverfahren hat keine Beweisaufnahme stattgefunden).

Entscheidungsgründe

7. Die Berufung des Klägers ist zulässig.

8. Sie ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511 ff ZPO.

9. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache selbst Erfolg.

10. Das Landgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der hierfür angeführte Rechtsgrund (Verwirkung des Versicherungsanspruchs) greift nicht durch:

11. Das Landgericht geht allerdings zunächst zutreffend davon aus, daß die Beklagte weder nach § 39 Abs. 2 noch gemäß § 39 Abs. 3 VVG von ihrer Leistungspflicht frei wurde, weil sie den Zugang einer qualifizierten Mahnung (§ 39 Abs. 1 VVG) nicht bewiesen hat.

12. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann auf die diesbezüglichen Ausführungen des Erstgerichts, denen sich der Senat anschließt, Bezug genommen werden.

13. Soweit die Beklagte in zweiter Instanz unter Berufung auf die Entscheidung des Amtsgerichts Offenburg ZfS 90, 13 einen Anscheinsbeweis für den Zugang der von ihr abgesandten Mahnung führen will, vermag dem der Senat nicht zu folgen. Nach herrschender Meinung, der sich der Senat anschließt, besteht weder für normale Postsendungen noch für Einschreiben ein Beweis des ersten Anscheins, daß eine zur Post gegebene Sendung den Empfänger auch erreicht hat (vgl. Palandt-Heinrichs, 50. Aufl., Rdnr. 22 zu § 130 BGB und Prölss-Martin, 24. Aufl., Anm. 2 c, jeweils m.w.N.). Die vom Amtsgericht Offenburg zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung angeführten Zahlen vermögen lediglich eine mehr oder minder hohe Wahrscheinlichkeit dafür zu geben, daß abgesandte Einschreibbriefe auch ankommen. Der Anscheinsbeweis ist aber nicht schon dann geführt, wenn zwei verschiedene Möglichkeiten des Verlaufs erfahrungsgemäß in Betracht zu ziehen sind, von denen die eine lediglich wahrscheinlicher ist als die andere (vgl. BGHZ 24, 309 m.w.N.).

14. Für einen Anscheinsbeweis bestehen auch keine besonderen Bedürfnisse des Geschäftsverkehrs. Wer jeden Streit darüber, ob ein abgesandtes Schriftstück auch angekommen ist, mit Sicherheit ausschließen will, kann förmlich zustellen oder wenigstens ein Einschreiben mit Rückschein schicken. Selbst bei Verwendung eines einfachen Einschreibebriefs kann der Absender fast immer mit Hilfe des vom Empfänger vollzogenen und bei der Post aufbewahrten Ablieferungsscheins seiner Beweispflicht für den Zugang genügen. Beweisschwierigkeiten können sich hier höchstens in den seltenen Ausnahmefällen ergeben, in denen erst nach Ablauf der vorgeschriebenen Aufbewahrungsfrist (jetzt 1 1/2 Jahre) Zweifel über den Zugang auftauchen (vgl. hierzu BGH a.a.O.). Wenn die Beklagte nicht die sichereren Zusendungsarten (Zustellung oder Rückschein) gewählt hat, so müssen die verbleibenden Beweisschwierigkeiten zu ihren Lasten gehen.

15. Entgegen der Auffassung des Landgerichts läßt sich aber eine Leistungsfreiheit der Beklagten auch nicht aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (Verwirkung) herleiten:

16. Das Landgericht geht zur Begründung seiner Auffassung davon aus, daß der Kläger nach dem unstreitigen Zugang des Kündigungsschreibens vom 25. Januar 1990 verpflichtet gewesen wäre, auf dieses Schreiben innerhalb angemessener Frist, die mit einer Woche anzusetzen sei, zu reagieren. Diese Rechtsauffassung läßt sich weder mit der besonderen Bedeutung der qualifizierten Mahnung (Warnfunktion) noch mit der Obliegenheit des Versicherer, selbst für einen sicheren und nachweisbaren Zugang der Mahnung zu sorgen, vereinbaren. Der Gesetzgeber hat in § 39 VVG zum Schutz des Versicherungsnehmers bewußt ein streng formalisiertes Mahnverfahren gewählt (zu den Einzelheiten vergleiche Prölss-Martin, a.a.O., Anm. 2 e zu § 39 VVG und Hofmann, Privatversicherungsrecht, 3. Aufl., Rdnr. 45 jeweils m.w.N.). Die Kriterien dieses Verfahrens können nicht durch spätere Erklärungen des Versicherers, die weder nach Inhalt noch nach Funktion der qualifizierten Mahnung gleichgestellt werden können, ersetzt werden. Das wäre aber der Fall, wenn man der Rechtsauffassung des Landgerichts folgen wollte. Der Versicherungsnehmer müßte sich dann nämlich – falls er auf solche späteren Schreiben des Versicherers nicht „innerhalb angemessener Frist reagiert“ – so behandeln lassen, als wäre ihm eine qualifizierte Mahnung zugegangen. Dies läßt sich mit dem Schutzzweck des § 39 VVG nicht in Einklang bringen.

17. Im übrigen ist es Sache des Versicherers, selbst für den ordnungsgemäßen Zugang und dessen Nachweis zu sorgen. Der Adressat kann sich insoweit auf einfaches Bestreiten des Zugangs beschränken (vgl. Prölss-Martin, a.a.O., Anm. 2 c zu § 39 VVG; OLG Köln VersR 90, 1261). Wollte man hier zu Lasten des Versicherungsnehmers die Obliegenheit annehmen, binnen „angemessener Frist“ den Zugang der Mahnung zu bestreiten, so würde die vom Gesetz zugrundegelegte Lastenverteilung in ihr Gegenteil verkehrt. Zudem würde nach ungenutztem Fristablauf zu Lasten des Versicherungsnehmers im Ergebnis eine Zugangsfiktion eintreten. Eine derartige Rechtsfolge findet im Gesetz keine Stütze und kann auch nicht durch eine Billigkeitsentscheidung gemäß § 242 BGB herbeigeführt werden.

18. Etwas anderes kann nur in Fällen einer Beweisvereitelung durch den Versicherungsnehmer gelten. Dies ist im vorliegenden Zusammenhang jedoch nur dann anzunehmen, falls dieser den Zugang der qualifizierten Mahnung nach Ablauf der jetzt 1 1/2-jährigen Aufbewahrungsfrist für den Ablieferungsschein der Einschreibsendung bestreitet. Dann macht er es nämlich dem Versicherer in treuewidriger Weise unmöglich, durch einen Erfolg versprechenden Nachforschungsantrag den Zugang der Mahnung doch noch nachzuweisen (vgl. BGHZ 24, 309; OLG Hamm VersR 76, 722; Prölss-Martin, a.a.O., m.w.N.).

19. Diese Voraussetzungen liegen jedoch hier nicht vor. Der Kläger ließ bereits mit vorgerichtlichem Schreiben seines Prozeßbevollmächtigten vom 23. April 1990, also rund vier Monate nach der behaupteten Mahnung deren Zugang bestreiten. Zu diesem Zeitpunkt war die Aufbewahrungsfrist für den Ablieferungsschein noch nicht abgelaufen.

20. Da weitere Gründe für eine Leistungsfreiheit von der Beklagten weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind, ist der auf Deckungsschutz gerichteten Feststellungsklage unter Abänderung des Ersturteils stattzugeben.

II.

21. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

III.

22. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

IV.

23. Die Entscheidung über den Wert der Beschwer erfolgt gemäß § 546 Abs. 2 ZPO.

V.

24. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben, § 546 Abs. 1 ZPO.

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