Versäumung der Anmeldefrist bei arglistigem Verschweigen des Reisemangels durch den Reiseveranstalter

AG Duisburg: Versäumung der Anmeldefrist bei arglistigem Verschweigen des Reisemangels durch den Reiseveranstalter

Die Klägerin nahm den Reiseveranstalter auf Reisepreisminderung und Ersatz der Behandlungskosten in Anspruch, weil die Kabinen auf dem Kreuzfahrtsschiff mit Bettwanzen befallen waren und die Klägerin von diesen gestochen wurde.

Das AG Duisburg hat der Klägerin die Zahlung nicht zugesprochen und entschieden, dass der Kläger die Geltendmachung seines Anspruchs unverzüglich nach Wegfall des Hindernisses nachholen muss.

AG Duisburg 1 O 254/05 (Aktenzeichen)
AG Duisburg: AG Duisburg, Urt. vom 26.10.2005
Rechtsweg: AG Duisburg, Urt. v. 26.10.2005, Az: 1 O 254/05
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Amtsgericht Duisburg

1. Urteil vom 26.10.2005

Aktenzeichen: 1 O 254/05


Leitsätze
:

2. Nach Ablauf der Monatsfrist des § 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Reisende seine Ansprüche gemäß § 651 g Abs. 1 Satz 3 BGB nur geltend machen, wenn er ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war.

Nach Wegfall des Hindernisses muss er die Geltendmachung seines Anspruchs unverzüglich nachholen.


Zusammenfassung
:

3. Die Klägerin buchte bei dem beklagten Reiseveranstalter für den Zeitraum 19.10.2004 bis 11.11.2004 ab eine Kreuzfahrt mit der Route USA, Bermudas und Mexiko. Auf dem Schiff bezog sie die Kabine „Coral 62“. In der Nacht vom 28.10.2004 auf den 29.10.2004 traten bei der Klägerin an Füßen, Knöcheln, Beinen, Händen, Armen und Hals Blasen auf der Haut auf, begleitet von starkem Juckreiz. Die Klägerin konsultierte deshalb den Schiffsarzt, welcher trotz mehrfachen Nachfragen keine Diagnose stellte. Einige Tage später bat der Kreuzfahrtdirektor die Klägerin in eine andere Kabine umzuziehen. Auch die Bewohner der Nachbarkabinen mussten umziehen. Im Rahmen des Rechtsstreits stellte sich heraus, dass der Umzug aufgrund der Bettwanzen in einer der Nachbarkabinen erfolgte. Als die Klägerin nach der Ankunft in Deutschland einen Hautarzt aufsuchte, teilte ihr dieser nach einer Untersuchung mit, dass die aufgetretenen Hautreaktionen auf Insektenstiche zurückzuführen sind. Die Klägerin trägt vor, dass die aufgetretenen Hautreaktionen auf Ungezieferbefall in den Kabinen zurückzuführen sind und verlangt eine Reisepreisminderung und Ersatz der Behandlungskosten. Der beklagte Reiseveranstalter weigert sich der Zahlung mit der Begründung, dass die Monatsfrist des § 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB für die Anspruchsanmeldung nicht gewahrt worden sei. Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Rückschluss auf einen Reisemangel vor der Diagnose des Arztes nicht möglich gewesen sei, da der Beklagte ihr die Ursache für den Umzug in eine andere Kabine nicht mitgeteilt habe.

Das AG Duisburg hat im Sinne des Beklagten entschieden und der Klägerin die begehrten Zahlungen nicht zugesprochen. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keine Ansprüche, weil sie es unterlassen hat, ihre Ansprüche unverzüglich nach Wegfall des Hindernisses bei der Beklagten anzumelden. Die Monatsfrist des § 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB hat die Klägerin nicht eingehalten, weil ihr der Reisemangel innerhalb dieser Frist nicht bekannt war. Nach Ablauf der Frist kann der Reisende seine Ansprüche gemäß § 651 g Abs. 1 Satz 3 BGB nur geltend machen, wenn er ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Nach dem Wegfall des Hindernisses muss die Geltendmachung schnellstmöglich nachgeholt werden. Die Klägerin hat den Mangel jedoch erst in zwei Wochen, nachdem ihr dieser bekannt wurde, geltend gemacht.


Tenor:

4.

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung ihrerseits Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

5. Der Kläger macht gegen die Beklagte aus eigenem und aus abgetretenem Recht Ansprüche wegen eines Reisemangels geltend.

6. Der Kläger buchte für sich und seine Ehefrau, die Zeugin S W, bei der Beklagten für den Zeitraum 19.10.2004 bis 11.11.2004 ab Genua eine Kreuzfahrt auf dem Schiff „MS Mona Lisa“ mit der Route USA, Bermudas und Mexiko inklusive Flug zu einem Preis von Euro 9.398,00. Zuzüglich Reiserücktrittskosten- und Reiseabbruchsversicherung sowie diverser hinzugebuchter Landausflüge ergab sich ein Gesamtpreis von Euro 11.037,00. Am 12.11.2004 sollten der Kläger und die Zeugin W wieder in F ankommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die in Kopie zu den Akten gereichte Rechnung und Buchungsbestätigung der Beklagten vom 15.09.2004 (Anlage K 1 a Bl. 9 ff. GA) verwiesen.

7. Am 19.10.2004 traten der Kläger und die Zeugin W die Reise an. Auf dem Schiff „MS Mona Lisa“ bezogen sie die Kabine „Coral 62“. In der Nacht vom 28.10.2004 auf den 29.10.2004 traten bei der Zeugin W an Füßen, Knöcheln, Beinen, Händen, Armen und Hals Blasen auf der Haut auf, begleitet von starkem Juckreiz. Wegen der Einzelheiten wird auf die in Kopie zu den Akten gereichten Fotos (Anlage K 2, Bl. 12 ff. GA) verwiesen. Die Zeugin W konsultierte deswegen mehrfach den Schiffsarzt, der sie u. a. mit einer Cortisonsalbe und einer Cortisonspritze behandelte. In der Folgezeit traten weitere Blasen auf; alle Blasen füllten sich mit Flüssigkeit. Eine konkrete Diagnose stellte der Schiffsarzt trotz mehrfachen Nachfragens nicht. Die Zeugin W suchte daraufhin am 02.11.2004 während des Zwischenstops in New York einen Hautarzt auf. Dieser diagnostizierte „V. a. bullöses Pemphigoid “ und verordnete die Einnahme von Cortison.

8. Ebenfalls am 02.11.2004 bat der Kreuzfahrtdirektor – unter Hinweis auf „notwendige Umbauarbeiten aufgrund US-Vorschriften“ –, den Kläger und die Zeugin W in eine andere Kabine umzuziehen. Dieser Bitte kamen der Kläger und die Zeugin W nach, weil es sich bei der neuen Kabine um eine größere Kabine höheren Standards handelte. Auch die Bewohner der Nachbarkabinen „Coral 58“ und „Coral 60“ mussten umziehen. Die Bewohnerin der Nachbarkabine „Coral 60“ hatte ebenfalls Pusteln an Armen und Beinen. Die Beklagte erklärte im Rahmen dieses Rechtsstreits, dass die Kabine „Coral 60“ wegen dort aufgetretener Bettwanzen mit Insektenvernichtungsmittel ausgesprüht werden musste; vorsorglich seien auch die Nachbarkabinen „Coral 58“ und „Coral 62“ geräumt worden, in diesen konnte jedoch – laut Behauptung der Beklagten – kein Ungezieferbefall festgestellt werden.

9. Auch während der restlichen Reisezeit besserte sich der Zustand der Zeugin W nicht. Die Ursache der Erkrankung blieb weiterhin unbekannt. Die Reise endete planmäßig am 12.11.2004 in Deutschland.

10. Da sich der Zustand der Zeugin W nicht besserte, suchte diese am 15.11.2004 ihre Hautärztin, die Zeugin Dr. E F, auf. Diese überwies die Zeugin W umgehend in die H-Klinik in W, wo sie vom 15.11.2004 bis zum 19.11.2004 stationär behandelt wurde.

11. Als die Zeugin W nach ihrer Entlassung aus der H-Klinik am 15.12.2004 erneut in der Praxis der Zeugin Dr. F vorstellig wurde, teilte diese der Zeugin W mit, dass die aufgetretenen Hautreaktionen auf Insektenstiche zurückzuführen sind.

12. Mit Schreiben vom 16.12.2004 forderte die Zeugin W daraufhin von der Beklagten Ersatz der ihr für die Behandlung durch den Schiffsarzt, den Taxitransfer in New York und die Zuzahlung für die H-Klinik in W entstandenen Kosten sowie Rückzahlung des Reisepreises. Wegen der Einzelheiten wird auf das in Kopie zu den Akten gereichte Schreiben vom 16.12.2004 (Anlage B 1, Bl. 73 GA) verwiesen. Die Beklagte wies jedoch eine Einstandspflicht zurück.

13.Der Kläger verlangt nunmehr von der Beklagten aus eigenem sowie aus abgetretenem Recht – die Zeugin W hat diesem ihre Ersatzansprüche abgetreten – Rückerstattung von 63 % des Reisepreises ausgehend von Euro 11.037,00 (= Euro 6.953,31) sowie Ersatz der infolge der Erkrankung veranlassten Kosten in Höhe von Euro 253,04, mithin einen Gesamtbetrag von Euro 7.206,35. Wegen der verschiedenen Kostenpositionen wird auf Seite 6 f. der Klageschrift (Bl. 6 f. GA) nebst Anlagen verwiesen. Hilfsweise macht der Kläger – ebenfalls aus abgetretenem Recht – einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von mindestens Euro 600,00 gegenüber der Beklagten geltend.

14.Er behauptet, dass die Hautreaktionen seiner Ehefrau auf einen Ungezieferbefall der Schiffskabine „Coral 62“ zurückzuführen seien. Dafür spreche insbesondere, dass in der Nachbarkabine „Coral 60“ ein Befall mit Bettwanzen vorgelegen habe. Er meint, dass die mit Schreiben vom 16.12.2004 gegenüber der Beklagten erfolgte Anspruchsanmeldung auch rechtzeitig erfolgt sei. Er bzw. seine Ehefrau hätten erst am 15.12.2004 von der Zeugin Dr. F erfahren, dass die aufgetretenen Hautreaktionen auf Insektenstiche zurückzuführen seien. Erst zu diesem Zeitpunkt sei daher in der Nachbetrachtung der Rückschluss auf einen Reisemangel möglich gewesen. Im Übrigen sei der Beklagten die Berufung auf eine Ausschlussfrist verwehrt, weil ihm bzw. seiner Ehefrau arglistig verschwiegen worden sei, dass der Kabinenwechsel wegen eines Ungezieferbefalls durchgeführt worden ist.

15. Der Kläger beantragt,

16. die Beklagte zu verurteilen, an ihn Euro 7.206,35 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 13.01.2005 zu zahlen.

17. Die Beklagte beantragt,

18. die Klage abzuweisen.

19. Sie wendet u. a. ein, dass der Kläger bzw. die Zeugin W es unterlassen haben, den behaupteten Insekten- bzw. Wanzenbefall vor Ort gegenüber der Reiseleitung bzw. den Leistungsträgern anzuzeigen. Sie ist ferner der Ansicht, dass die Monatsfrist des § 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB für die Anspruchsanmeldung nicht gewahrt worden sei. Der Kläger bzw. dessen Ehefrau seien auch nicht ohne ihr Verschulden daran gehindert gewesen, die behaupteten Ansprüche rechtzeitig geltend zu machen, da die Zeugin W bereits anlässlich ihres stationären Aufenthalts in der H-Klinik und damit vor dem 15.12.2004 – dem Besuch bei der Zeugin Dr. F – erfahren haben müsse, dass es sich bei den Blasen um infizierte Insektenstiche handelte. Dafür spreche auch der Entlassbrief der H-Klinik vom 19.11.2004 (Anlage K 9, Bl. 22 f. GA), der die Diagnose “ Cullicosis bullosa “ (= infizierte bullöse Insektenstiche) enthalte. Im Übrigen ist die Beklagte der Ansicht, dass das Schreiben vom 16.12.2004 (Anlage B 1, Bl. 73 GA) nicht den Anforderungen einer Anspruchsanmeldung im Sinne des § 651 g Abs. 1 BGB genüge, da in diesem keine konkreten Mängel gerügt, sondern lediglich ein Zahlungsverlangen formuliert werde.

20. Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

21. Das Gericht hat Beweis erhoben nach Maßgabe des Beweisbeschlusses vom 22.06.2006 (vgl. Seite 2 der Sitzungsniederschrift vom 22.06.2006, Bl. 123 GA) durch Vernehmung der Zeugen Dr. E F und S W. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 22.06.2006 (Bl. 122 ff. GA) sowie die tatsächlichen Feststellungen in den Entscheidungsgründen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:

22. Die zulässige Klage ist in vollem Umfang unbegründet.

23. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten aus keinem rechtlichen Grund – weder aus eigenem noch aus abgetretenem Recht – ein Zahlungsanspruch in Höhe von Euro 7.206,35 zu. Dies gilt auch für den hilfsweise geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch. Es besteht weder ein Anspruch aus Reisevertrag gemäß §§ 651 d ff. (dazu unter I.) noch ein deliktischer Anspruch gemäß §§ 831 Abs. 1; 823 Abs. 1 BGB (dazu unter II.).

24. I. Ein etwaiger Anspruch des Klägers gemäß § 651 d Abs. 1 BGB bzw. § 651 f. Abs. 1 BGB i.V.m. § 398 BGB wegen Mangelhaftigkeit der Reiseleistung ist gemäß § 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB ausgeschlossen. Der Kläger bzw. dessen Ehefrau haben es unterlassen, ihre Ansprüche unverzüglich nach Wegfall des Hindernisses bei der Beklagten anzumelden.

25. 1. Gemäß § 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB sind Ansprüche wegen Mängeln der Reise innerhalb eines Monats nach der vertraglich vorgesehenen Beendigung der Reise gegenüber dem Reiseveranstalter geltend zu machen. Nach Ablauf der Frist kann der Reisende seine Ansprüche gemäß § 651 g Abs. 1 Satz 3 BGB nur geltend machen, wenn er ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Nach Wegfall des Hindernisses muss er die Geltendmachung seines Anspruchs unverzüglich nachholen, wenn er seinen Anspruch nicht auch noch in diesem Fall verlieren will (BGH, NJW 2004, 3178, 3180). Die 1-monatige Ausschlussfrist ist vorliegend am 12.12.2004 abgelaufen. Der Kläger und die Zeugin W haben die bei der Beklagten gebuchte Reise am 12.11.2004 – wie vertraglich vorgesehen – beendet. Die Zeugin W hat die Ansprüche jedoch erst mit Schreiben vom 16.12.2004 (Anlage B 1, Bl. 73 GA) und damit nach Fristablauf gegenüber der Beklagten angemeldet. Der Kläger bzw. dessen Ehefrau waren jedoch unverschuldet im Sinne des § 651 g Abs. 1 Satz 3 BGB an der Geltendmachung ihrer Ansprüche gehindert. In diesem Fall können Ansprüche auch noch nach Ablauf der Ausschlussfrist gegenüber dem Reiseveranstalter geltend gemacht werden. „Unverschuldet“ ist die rechtzeitige Geltendmachung der Ansprüche auch dann, wenn der Anspruchsinhaber ohne Fahrlässigkeit erst nach Fristablauf von dem Anspruch erfährt oder so kurz vorher, dass er die Frist nicht mehr einhalten kann (BGH, NJW 2004, 3178, 3180).

26. 2. Der Anspruchsinhaber, der unverschuldet die Ausschlussfrist versäumt hat, muss seinen Anspruch unverzüglich nach Beendigung der Verhinderung gegenüber dem Reiseveranstalter geltend machen, wenn er ihn nicht auch in diesem Fall verlieren will (Palandt/Sprau, BGB, 64. Aufl., § 651 g Rn. 3; Soergel/Eckert, BGB, 12. Aufl., § 651g Rn. 13; BGH, NJW 2004, 3178, 3180). Dies folgt aus dem Sinn der Ausschlussfrist, die dem Reiseveranstalter eine zeitnahe Sachverhaltsaufklärung ermöglichen will. Aus diesem Gesetzeszweck ergibt sich, dass ein Anspruchsinhaber, dem mangels Verschuldens an der Fristversäumung die Möglichkeit zur nachträglichen Geltendmachung seines Anspruchs eröffnet wird, diese Chance so schnell wie möglich nutzen muss, um die Fristüberschreitung gering zu halten. Er darf also mit der Geltendmachung nicht länger als nötig zuwarten. Schon nach dem Wortlaut des Gesetzes wird ihm die Geltendmachung der Ansprüche über die Frist hinaus ermöglicht, weil und auch solange er ohne Verschulden an ihrer Einhaltung gehindert war. Der Anspruchsberechtigte muss daher unverzüglich nach Wegfall des Entschuldigungsgrundes die Anspruchsanmeldung nachholen; die Monatsfrist des § 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB beginnt nicht erneut zu laufen (BGH, NJW 2004, 3178, 3180).

27. Der Kläger ist insoweit jedoch für seine Behauptung, dass die Zeugin W erst am 15.12.2004 durch die Zeugin Dr. F davon in Kenntnis gesetzt worden ist, dass Ursache für die aufgetreten Hautreaktionen infizierte Insektenstiche waren und somit die mit Schreiben vom 16.12.2004 erfolgte Anspruchsanmeldung noch rechtzeitig erfolgt ist, beweisfällig geblieben. Es spricht im Gegenteil viel dafür, dass der Kläger bzw. die Zeugin W bereits am 29.11.2004 die notwendigen Informationen für eine Anspruchsanmeldung besessen haben. Das Risiko der Nichterweislichkeit der unverzüglichen Anspruchsanmeldung nach Wegfall des Entschuldigungsgrundes ist nach der prozessualen Darlegungs- und Beweislastverteilung vom Kläger zu tragen. Denn sowohl für die unverschuldete Verhinderung als auch für die unverzügliche Nachholung der Anspruchsanmeldung ist der Gläubiger, sprich den Anspruchsinhaber, darlegungs- und beweisbelastet (Palandt/Sprau, a.a.O., § 651 g Rn. 7; BGH, NJW 2004, 3178, 3180).

28. a) Die Zeugin W hat in ihrer Vernehmung selbst glaubhaft bekundet, dass sie am 25.11.2004 zu einer abschließenden Befundbesprechung noch einmal in die H-Klinik gekommen ist; diese Befundbesprechung wird auch im Entlassbrief der H-Klinik vom 19.11.2004 angekündigt (Anlage K 9, Bl. 22 f. GA). Dabei ist ihr von dem zuständigen Chefarzt, Prof. Dr. L, mitgeteilt worden, dass Insektenstiche für die blasenbildende Hautreaktion ursächlich seien; eine Erbkrankheit könne er ausschließen.

29. Dafür, dass der Kläger bzw. dessen Ehefrau bereits vor dem 10.12.2004 (die Zeugin W und die Zeugin Dr. F haben insoweit übereinstimmend bekundet, dass der hier in Rede stehende Arzttermin bei der Zeugin Dr. F nicht – wie klägerseits behauptet – am 15.12.2004, sondern bereits am 10.12.2004 stattgefunden hat) über die notwendigen Kenntnisse für eine Anspruchsanmeldung gegenüber der Beklagten verfügten, spricht auch die Aussage der Zeugin Dr. F. Diese hat glaubhaft bekundet, dass die Zeugin W am 22.11.2004 nach ihrer Entlassung aus der H-Klinik in ihrer Praxis vorstellig geworden ist und sie bereits anlässlich dieses Praxisbesuchs gegenüber der Zeugin W geäußert habe, dass es sich bei den aufgetretenen Blasen mit großer Wahrscheinlichkeit um eine allergische Reaktion auf Insektenstiche und nicht – wie anfangs vermutet – um eine systemische Grunderkrankung handelt. Die Zeugin Dr. F hat dies überzeugend mit dem seinerzeit zu beobachtenden fortgeschrittenen Abheilungsprozess der Blasen begründet, der bei einer systemischen Grunderkrankung nicht zu erwarten gewesen wäre.

30. Es spricht mithin viel dafür, dass der Kläger bzw. die Zeugin W spätestens am 25.11.2004 Kenntnis von den für eine Anspruchsanmeldung gegenüber der Beklagten erforderlichen Umständen besessen haben; jedenfalls ist der Kläger für seine anderslautende Behauptung beweisfällig geblieben. Zudem ist nichts dafür dargetan, dass sich die Information, die die Zeugin W am 10.12.2004 von der Zeugin Dr. F zur Ursache ihrer Erkrankung erhielt, qualitativ von der unterschied, die sie bereits am 25.11.2004 von dem Chefarzt der H-Klinik erhalten hatte und ihr daher erst am 10.12.2004 der Rückschluss auf die bei der Beklagten gebuchte Schiffsreise möglich war.

31. b) Ist jedoch davon auszugehen, dass der Kläger bzw. die Zeugin W bereits am 25.11.2004 Kenntnis von der Ursache der Hautreaktionen hatten, ist die mit Schreiben vom 16.12.2004 gegenüber der Beklagten erfolgte Anspruchsanmeldung nicht mehr als unverzüglich zu bewerten. „Unverzüglich“ bedeutet nach der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“. Bei der Ausfüllung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs ist auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls abzustellen, nach denen insbesondere die dem Rechtsinhaber zuzugestehende angemessene Überlegungsfrist zu bemessen ist (BGH, NJW 2004, 3178, 3181). Maßgeblich ist insoweit der Zeitraum zwischen Kenntniserlangung und Anspruchanmeldung (BGH, NJW 2004, 3178, 3181). Eine Überlegungsfrist von 14 Tagen dürfte jedoch regelmäßig die absolute Obergrenze darstellen (OLG Hamm, NJW-RR 1990, 523; OLG Jena, OLG-NL 2000, 37; Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 121 Rn. 3). Vorliegend hat der Kläger die Obergrenze um mindestens 7 Tage überschritten. Er hat auch keine besonderen Umstände dargelegt, die gegebenenfalls ausnahmsweise eine längere Überlegungsfrist rechtfertigen würden.

32. c) Der Kläger kann sich zu seinen Gunsten auch nicht auf ein arglistiges Verhalten der Beklagten berufen. Eine (unverzügliche) Anmeldung der Ansprüche des Reisenden bzw. des Anspruchsinhabers ist auch dann erforderlich, wenn der Reiseveranstalter den Mangel arglistig verschwiegen hat (MüKo/Tonner, BGB, 4. Aufl., § 651 g Rn. 30 m.w.N.). Arglist des Reisveranstalters ist im Rahmen des § 651 g Abs. 1 BGB nur dann relevant, wenn dieser den Reisenden bzw. den Anspruchsinhaber bewusst dazu veranlasst, die Geltendmachung von Ansprüchen innerhalb der Ausschlussfrist zu unterlassen oder deren unverzügliche Nachholung verhindert (Staudinger/Eckert, BGB, 12. Aufl., § 651 g Rn. 15 m.w.N.). Anknüpfungspunkte für das Vorliegen eines dieser Ausnahmetatbestände sind hier jedoch nicht ersichtlich. Ein arglistiges Verhalten könnte zwar darin gesehen werden, dass der Kläger bzw. dessen Ehefrau – einen Ungezieferbefall in ihrer Kabine unterstellt – von den Leistungsträgern der Beklagten bzw. der örtlichen Reiseleitung nicht über diesen Umstand aufgeklärt worden sind. Dieses Verhalten wäre jedoch nicht ursächlich dafür, dass der Kläger bzw. dessen Ehefrau ihre Ansprüche – nachdem sie die Krankheitsdiagnose erfahren haben – nicht unverzüglich gegenüber der Beklagten angemeldet haben.

33. 4. Im Übrigen ist bereits zweifelhaft, ob das an die Beklagte gerichtete Schreiben der Zeugin W vom 16.12.2004 (Anlage B 1, Bl. 73 GA) den Anforderungen einer Anspruchsanmeldung nach § 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB genügt. Denn in einer Anspruchsanmeldung sind die Mängel so konkret zu bezeichnen, dass der Reiseveranstalter in die Lage versetzt wird, deren Berechtigung zu überprüfen (Palandt/Sprau, a.a.O., § 651 g Rn. 2 m.w.N.). Daran fehlt es vorliegend. Ein ausdrücklicher Hinweis auf den behaupteten Ungezieferbefall der Schiffskabine erfolgt an keiner Stelle.

34. II. Dem Kläger stehen gegenüber der Beklagten auch keine Ansprüche gemäß §§ 831 Abs. 1; 823 Abs. 1 BGB zu. Die Ausschlussfrist des § 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB gilt zwar wegen ihres Ausnahmecharakters nicht für deliktische Schadensersatzansprüche gegen den Reiseveranstalter (OLG Köln, NJW-RR 1992, 1185; Palandt/Sprau, a.a.O., Vorb. vor § 651 c Rn. 11; MüKo/Tonner, a.a.O., § 651 g Rn. 9 m.w.N.). Doch sind vorliegend keine Anhaltspunkte für ein eigenes oder der Beklagten zurechenbares deliktisches Verhalten ersichtlich.

35. III.Mangels zuzusprechender Hauptforderung war auch die Zinsforderung abzuweisen.

36. IV.Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 11; 711 Satz 1, 2 ZPO.

37. V. Der Streitwert wird auf Euro 7.206,35 festgesetzt.

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FAZ: Geld zurück bei Reisemängeln
Forum Fluggastrechte: Mangel nicht bekannt gewesen, Monatsfrist für die Geltendmachung versäumt, was tun?
Passagierrechte.org: Reisemangel

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