Stornopauschale bei Reiserücktritt vor Reisebeginn

AG München: Stornopauschale bei Reiserücktritt vor Reisebeginn

Reisende stornierten eine Flugpauschalreise nach Mauritius vor Reisebeginn, nachdem sie erfahren hatten, dass am Zielort das Chikungunya-Fieber aufgetreten war. Die von ihnen gezahlten Stornierungsgebühren fordern sie nun vom Reiseveranstalter zurück.

Das Amtsgericht München hat die Klage abgewiesen. In dem Auftreten der Krankheit sei keine höhere Gewalt zu sehen, weshalb die vertraglich vereinbarte Stornierungspauschale zu entrichten sei.

AG München 222 C 20175/06 (Aktenzeichen)
AG München: AG München, Urt. vom 31.08.2008
Rechtsweg: AG München, Urt. v. 31.08.2008, Az: 222 C 20175/06
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Amtsgericht München

1. Urteil vom 31. August 2007

Aktenzeichen 222 C 20175/06

Leitsätze:

2. Das Auftreten des Chikungunya-Fiebers am Reiseziel stellt keine höhere Gewalt im Sinne eines unvorhersehbaren, auch bei äußerster Vorsicht nicht vermeidbaren Ereignisses dar.

Bei unwirksamer Vertragskündigung besteht kein Anspruch auf Rückerstattung der Stornogebühren.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger buchten und bezahlten bei der Beklagten eine Flugpauschalreise nach Mauritius. Etwa drei Wochen vor dem Antritt der Reise erfuhren sie, dass auf Mauritius das Chikungunya-Fieber gehäuft aufgetreten war und kündigten den Reisevertrag unter Berufung auf höhere Gewalt, verbunden mit der Rückforderung aller Zahlungen. Jedoch behielt die Beklagte Stornogebühren ein.

Das Amtsgericht München stellt in der Streitsache kein Vorliegen höherer Gewalt fest und wies die Klage als unbegründet ab. Laut einem als Zeugen angehörten Sachverständigen nimmt das Chikungunya-Fieber in der Regel einen ungefährlichen Verlauf und ihm kann mit einfachen Mitteln vorgebeugt werden.

Damit sei die einseitige Vertragskündigung durch die Kläger unwirksam und die Beklagte hat Anspruch auf Schadensersatz in Höhe der in den allgemeinen Geschäftsbedingungen festgehaltenen Stornogebühren.

Tenor:

4.Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Zwangsvollstreckung kann von der Klagepartei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages abgewandt werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Streitwert wird auf EUR 3.040,80 festgesetzt.

Tatbestand:

5. Die Kläger begehren von der Beklagten Erstattung von Stornogebühren sowie Schadensersatz aus zwei Reiseverträgen.

6. Die Kläger schlossen mit der Beklagten jeweils am 25.11.2005 einen Reisevertrag über eine Flugpauschalreise nach Mauritius für die Zeit vom 9.3.2006 – 23.3.2006. Der vereinbarte Gesamtreisepreis von EUR 2.896,00 wurde von den Klägern bezahlt. Am 27.2.2006 kündigten die Kläger die Verträge unter Berufung auf höhere Gewalt, nachdem sie am selben Tag erfahren hatten, dass auf Mauritius das Chikungunya-​Fieber herrsche. Die Beklagte stellte den Klägern unter Bezugnahme auf ihre Allgemeinen Reisebedingungen (Anlage B1) eine Stornorechnung in Höhe von EUR 1.592,80. Dies entspricht 55 % des Gesamtreisepreises. Diesen Betrag behielt die Beklagte ein, den restlichen Reisepreis in Höhe von EUR 1.304,20 bezahlte sie den Klägern aus.

7. Die Kläger haben ihre Ansprüche gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 21.3.2006 angemeldet. Die Beklagte wies die Ansprüche mit Schreiben vom 7.4.2006 zurück.

8. Die Kläger behaupten, dass das Chikungunya-​Fieber damals epidemieartige Ausmaße angenommen hatte und erstmals auch ein tödlicher Verlauf der Erkrankung beobachtet worden sei. Mit normalen Mückenschutzmitteln habe das Infektionsrisiko nicht reduziert werden können. Die Klägerin zu 1) leide zudem an einer chronischen Atemwegserkrankung, weshalb der Antritt der Reise auch unzumutbar gewesen sei.

9. Die Kläger behaupten weiter, dass es ihnen zwischen der Kündigung und dem geplanten Reiseantritt nicht möglich gewesen sei, eine angemessene Ersatzreise zu suchen, da ihre finanziellen Mittel durch die gebuchte Reise erschöpft gewesen seien. Eine Verlegung ihres mit dem Arbeitgeber vereinbarten Urlaubs sei nicht mehr möglich gewesen, weshalb sie die Reisezeit zu Hause verbracht hätten.

10. Die Kläger sind der Auffassung, dass sie die Reiseverträge wegen höherer Gewalt kündigen konnten.

11. Sie sind weiter der Ansicht, dass die Beklagte sie rechtzeitig über die Chikungunya-​Epidemie hätte informieren müssen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, eine Ersatzreise zu buchen. Die Beklagte müsse daher Schadensersatz gemäß § 651 f II BGB in Höhe des hälftigen Reisepreises von EUR 1.448,00 leisten.

12. Schließlich sind die Kläger der Auffassung, dass die Klausel in Ziffer 8 der Reisebedingungen der Beklagten wegen Verstoßes gegen § 309 Nr. 5 b BGB unwirksam sei.

13. Mit ihrer Klage begehren die Kläger Erstattung des einbehaltenen Reisepreises in Höhe von EUR 1.592,80 sowie Schadensersatz in Höhe von EUR 1.448,00.

14. Hilfsweise sind die Kläger der Auffassung, dass ihnen ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zustehe, weil die Beklagte eine ihr obliegende Informationspflicht verletzt habe. Insoweit wird auf Seite 5 der Klageschrift Bezug genommen.

15. Die Kläger beantragen:

Die Beklagte wird verurteilt, den Klägern als Gesamtgläubiger EUR 3.040,80 nebst Zinsen hieraus seit Zustellung der Klage in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz und den nicht anrechnungsfähigen Teil der Geschäftsgebühr in Höhe von EUR 211,99 zu bezahlen.

16. Die Beklagte beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

17. Sie ist der Auffassung, dass die Kläger gemäß § 651 i BGB vom Vertrag vor Reisebeginn zurückgetreten seien, weshalb die Stornokosten in Höhe von EUR 1.592,80 zu Recht einbehalten worden seien.

18. Der Sachverständige … hat gemäß Beweisbeschluss vom 8.11.2006, ergänzt durch Beschluss vom 4.1.2007, am 27.3.2007 ein schriftliches Gutachten erstattet. Auf das Gutachten Bl. 36/50 der Akte wird Bezug genommen.

19. Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 7.9.2006 und 14.8.2007 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

20. Die zulässige Klage ist unbegründet.

21. Den Klägern steht weder ein Rückzahlungsanspruch in Bezug auf die einbehaltenen Stornokosten nach den Grundsätzen der §§ 812, 651 j, 651 e III BGB noch ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 651 f II BGB noch ein solcher wegen Informationspflichtverletzung gegen die Beklagte zu.

1.

22. Ein Anspruch auf Erstattung der einbehaltenen Stornogebühren in Höhe von EUR 1.592,80 besteht nicht, da die Kläger von den geschlossenen Reiseverträgen nicht wirksam gemäß § 651 j oder 651 e BGB zurücktreten konnten.

a)

23. Ein Fall höherer Gewalt, der im Falle der Kündigung vor Reisebeginn zur kostenfreien Rückabwicklung der Reiseverträge hätte führen können, liegt nicht vor. Ein Fall höherer Gewalt im Sinne des § 651 j BGB liegt in einem von außen kommenden unabwendbaren und unverschuldeten Ereignis, das unvorhersehbar und erheblich war und durch das eine konkrete Gefahr für die Durchführbarkeit der Reise entstand; subjektive Befürchtungen einzelner Reisender reichen insoweit nicht aus.

24. An der Erheblichkeit des Ereignisses und damit auch am Vorliegen einer konkreten Gefahr für die Durchführbarkeit der Reise fehlte es jedoch vorliegend im maßgeblichen Zeitpunkt der Kündigungs- bzw. Rücktrittserklärung der Kläger. Insoweit folgt das Gericht den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen N in seinem Gutachten vom 27.3.2007. Die Erkrankung am Chikungunya-​Fieber verläuft danach in der Regel ungefährlich. Nach einer akuten Beschwerdephase von 2 bis 4 Tagen tritt im Allgemeinen eine Spontanheilung ein. Lediglich bei besonders gefährdeten Personen kann die Erkrankung in seltenen Fällen einen tödlichen Verlauf nehmen. Zwar gehört einer solchen Risikogruppe auch die Klägerin an, da sie an einer chronischen Atemwegserkrankung leidet. Dies kann jedoch im Rahmen des objektiv zu beurteilenden Begriffs der höheren Gewalt keine Berücksichtigung finden. Hinzu kommt, dass es nach den Angaben des Sachverständigen effektive Schutzmöglichkeiten gegen die Mückenstiche, die das Fieber auslösen, gibt. Hierdurch kann zusammen mit den nach dem eigenen Vorbringen der Kläger durchgeführten öffentlichen Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko um mindesten 90 % verringert werden. Wegen der durchaus epidemieartigen Ausbreitung der Erkrankung herrschte damit zwar zum Kündigungszeitpunkt ein höheres Infektionsrisiko als normalerweise auf Mauritius, allerdings konnte dieses Risiko durch konsequenten Mückenschutz derart minimiert werden, dass ein erhebliches unabwendbares Ereignis, das die Durchführbarkeit der Reise vereitelt oder erheblich beeinträchtigt hätte, nicht vorlag.

b)

25. Ein Rückforderungsanspruch bzgl. der Stornokosten folgt auch nicht daraus, dass die Kläger gemäß § 651 e BGB zurückgetreten sind. Auch eine solche Rücktrittserklärung konnten sie nicht wirksam abgeben. Ein Rücktritt nach § 651 e BGB setzt einen Reisemangel voraus. Ein derartiger Mangel liegt aber nicht vor, da der Rücktrittsgrund, das Chikungunya-​Fieber, nicht aus dem Verantwortungsbereich der Beklagten herrührt und damit keinen Mangel darstellt (vgl. Palandt, § 651 c, Randnr. 2).

26. Ein Reisemangel kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass die Beklagte die Kläger nicht über ein mit der Reise verbundenes höheres Infektionsrisiko aufgeklärt hat. Zwar trifft den Reiseveranstalter grundsätzlich eine sogenannte Zielbeobachtungspflicht und Informationspflicht gegenüber dem Reisenden, sobald im Zielgebiet der Reise das hinzunehmende Sicherheitsrisiko das allgemeine Lebensrisiko des Reisenden übersteigt und zu einer besonderen konkreten Gefahr für die Sicherheit des Reisenden oder für die Durchführung der vertraglich geschuldeten Reiseleistungen wird.

27. Hiervon wird jedoch nach der Rechtssprechung nur dann ausgegangen, soweit ein Kündigungsrecht wegen höherer Gewalt zu bejahen ist, da dem Reisenden die Entscheidung zur Kündigung erleichtert werden soll. Ein derartiger Fall höherer Gewalt liegt vorliegend aber gerade nicht vor. Aber selbst dann, wenn man von einer grundsätzlichen Fürsorge- und Informationspflicht des Reiseveranstalters ausgeht, die unabhängig vom Erreichen der höheren Gewalt bestehen soll, ist im konkreten Fall, der stets maßgeblich ist, nicht von einer derartigen Pflichtverletzung auszugehen. Die Beklagte war nicht gehalten, auf die Häufung des Chikungunya-​Fiebers hinzuweisen, da dieses in der Regel einen harmlosen Verlauf nimmt und nicht vor jeder denkbaren Erkrankung gewarnt werden kann und muss, zumal es sich bei dem Fieber um eine Tropenerkrankung handelt, die stets im Zielgebiet auftreten kann. Hinzu kommt vorliegend, dass auch zu keiner Zeit eine Reisewarnung des auswärtigen Amtes ausgesprochen wurde. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts besteht aber erst dann eine Verpflichtung des Reiseveranstalters, die Reisenden vor einem Risiko zu warnen, da der Reiseveranstalter auf die Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes vertrauen darf. Er ist im übrigen auch nicht gehalten, Warnhinweise sämtlicher dem Auswärtigen Amt vergleichbarer Behörden aus anderen Ländern zu kennen. Im Ergebnis führt dies nach Ansicht des Gerichts zu, dass tatsächlich von einer Pflicht zur Information der Reisenden erst dann ausgegangen werden kann, wenn die Grenze des Vorliegens der höheren Gewalt überschritten ist.

28. Nachdem auch nicht vorgetragen wurde, dass der Beklagten die chronische Atemwegserkrankung der Klägerin bekannt gewesen sei, bestand auch insoweit keine Verpflichtung zur Information der Kläger durch die Beklagte, da subjektive Elemente, soweit sie nicht explizit bekannt gegeben wurden, grundsätzlich unberücksichtigt bleiben müssen.

c)

29. Die Entscheidung der Kläger, dennoch die Reise nicht antreten zu wollen, stellt damit einen Rücktritt vor Reisebeginn gemäß § 651 i BGB dar, der zur Folge hat, dass der Reiseveranstalter eine angemessene Entschädigung in Höhe der durch AGB vereinbarten Stornogebühren geltend machen kann. Auf diesen Anspruch aus Ziffer 8 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten kann sich diese auch berufen. Sie hat deswegen zu Recht nur einen Teil des zuvor gezahlten Reisepreises erstattet.

30. Die in Ziffer 8 enthaltene Stornoklausel ist entgegen der Auffassung der Kläger wirksam. Sie genügt den Anforderungen des § 309 Nr. 5 b BGB und hält damit einer Inhaltskontrolle stand.

31. § 309 Nr. b BGB verlangt, dass im Falle eines pauschalierten Anspruchs des Verwenders der AGB auf Schadensersatz oder Ersatz einer Wertminderung dem anderen Vertragsteil der Nachweis gestattet wird, dass ein Schaden oder eine Wertminderung überhaupt nicht entstanden sei oder wesentlich niedriger als die Pauschale sei. Zwar stellt eine Stornopauschale gestützt auf § 651 i II und III BGB keinen Schadensersatzanspruch dar, dennoch ist diese Norm nach der Rechtssprechung anwendbar und eine entsprechende Stornopauschale muss sich an ihr messen lassen. Schon nach der bisherigen Rechtssprechung und nun auch nach dem Willen des Gesetzgebers soll dem Reisenden die Möglichkeit des Gegenbeweises offen stehen. Die Klausel muss einen ausdrücklichen Hinweis hierauf enthalten.

32. Dies ist vorliegend der Fall. Dem Reisenden ist es möglich nachzuweisen, dass dem Veranstalter ein geringerer Schaden entstanden ist. Damit ist auch der Nachweis gestattet, das gar kein Schaden entstanden ist, da ein geringerer Schaden auch ein solcher von null ist. Eine Formulierung zu verlangen, bei der ausdrücklich auch die Worte enthalten sind, dass auch nachgewiesen werden kann, dass überhaupt kein Schaden entstanden ist, stellt eine bloße Firmelei dar, da dies nach dem objektiven Empfängerhorizont bereits aus der vorliegend verwendeten Formulierung ersichtlich ist. Hierauf, also auf das Verständnis der Klausel durch den Reisenden ist nach Sinn und Zweck der Norm abzustellen. Die Klausel ist danach wirksam.

2.

33. Den begehrten Rückforderungsanspruch können die Kläger nach den eben gemachten Ausführungen auch nicht auf einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 651 a, 280 I BGB wegen Verletzung einer Informationspflicht durch die Beklagte stützen, da eine solche Pflichtverletzung seitens der Beklagten nicht erfolgte. Eine Verletzung der Zielbeobachtungs- und Informationspflicht scheidet wie dargelegt aus.

3.

34. Schließlich besteht auch kein Anspruch aus § 651 f II BGB auf Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit, da ein Reisemangel wie ausgeführt nicht vorliegt.

35. Im übrigen würde es auch am Verschulden der Beklagten fehlen, da diese den anteiligen Reisepreis unverzüglich nach der Kündigung durch die Kläger zurückgezahlt hat.

4.

36. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

37. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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