Schadenersatz wegen vertaner Urlaubszeit

LG Stuttgart: Schadensersatz wegen vertaner Urlaubszeit

Der Kläger verklagte ein Reiseunternehmen auf Schadensersatz wegen unzweckmäßig aufgewendeter (vertaner) Urlaubszeit. Der Kläger war gezwungen sein Urlaub zuhause zu verbringen, da durch die im Hotel durchgeführten Umbaumaßnahmen eine starke Lärmbelästigung ausging und ein Erholungsurlaub in diesem Hotel aus diesem Grund nicht möglich gewesen wäre.

LG Stuttgart hat das Reiseunternehmen zu einer Entschädigung des Klägers wegen vertaner Urlaubszeit in Höhe der Hälfte des Monatseinkommens des Klägers verurteilt.

LG Stuttgart 16 S 222/85 (Aktenzeichen)
LG Stuttgart: LG Stuttgart, Urt. vom 16.01.1986
Rechtsweg: LG Stuttgart, Urt. v. 16.01.1986, Az: 16 S 222/85
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Landgericht Stuttgart

1. Urteil vom 16. Januar 1986

Aktenzeichen 16 S 222/85

Leitsatz:

2. Der Reisende hat einen Anspruch auf Schadensersatz wegen vertaner Urlaubszeit.

Nettoeinkommen des Reisenden ist die Grundlage für die Berechnung des Schadens wegen vertaner Urlaubszeit.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall buchte der Kläger bei einem Reiseunternehmen eine Urlaubsreise. Vor dem Reiseantritt teilte ihm das Reiseunternehmen mit, dass im Hotel Lärmintensive Umbaumaßnahmen vorgenommen werden. Da der Kläger befürchtete durch den Lärm gestört zu werden und den Urlaub nicht genießen zu können, hat er sich gezwungen gefühlt die Reise nicht anzutreten. Er verlangte von dem Reiseunternehmen Schadensersatz wegen vertaner Urlaubszeit.

Das LG Stuttgart hat das Reiseunternehmen zum Schadensersatz in Höhe der Hälfte des monatlichen Nettoeinkommens des Klägers verurteilt. Das Gericht war der Meinung, dass der Kläger seine Urlaubszeit wegen der nichterfolgter Reiseleistung nutzlos aufgewendet hat, da eine Erholung aufgrund Lärmintensiver Arbeiten nahezu unmöglich wäre und der zuhause verbrachte Urlaub gegenüber dem Urlaub im einem Hotel auf Lanzarote mit Vollpension nicht gleichwertig ist. Die Höhe des Schadens richtet sich danach was der Kläger in der nutzlos aufgewendeten Urlaubszeit hätte verdienen können, da dieser Betrag dem Wert des Urlaubs entspricht. Dem Kläger wurde Schadensersatz Anspruch in Höhe der Hälfte des monatlichen Einkommens zugesprochen, weil ein zuhause verbrachter Urlaub auch Erholungswert hat.

Tenor:

4. Auf die Berufung des Klägers Ziff. 2 wird das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart-Bad-Cannstatt vom 26.4.1985 abgeändert und wie folgt gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Ziff. 2 DM 814,82 nebst 4 % Zinsen hieraus seit 16.1.1985 zu bezahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung des Klägers Ziff. 2 wird zurückgewiesen.

Für die Kosten des Verfahrens in 1. Instanz gilt folgendes:

Die Klägerin Ziff. 1 trägt ihre eigenen aussergerichtlichen Auslagen, 10 % von den Gerichtskosten und 10 % von den aussergerichtlichen Auslagen der Beklagten.

Der Kläger Ziff. 2 trägt die Hälfte seiner eigenen aussergerichtlichen Auslagen, 45 % der Gerichtskosten und 45 % der aussergerichtlichen Auslagen der Beklagten.

Die Beklagte trägt 45 % ihrer eigenen aussergerichtlichen Auslagen, 45 % der Gerichtskosten und die Hälfte der aussergerichtlichen Auslagen des Klägers Ziff. 2.

Die Kosten der Berufung werden gegeneinander aufgehoben.

Streitwert d. 1. Instanz:

für die aussergerichtlichen Kosten der Klägerin Ziff. 1: DM 173,33
für die aussergerichtlichen Kosten des Klägers Ziff. 2: DM 1.629,64
für die Gerichtskosten und die aussergerichtlichen Kosten der Beklagten: DM 1.802,97
Streitwert der Berufung: DM 1.629,64.

Gründe:

5. Die – zulässige – Berufung des Klägers Ziff. 2 hat zum Teil Erfolg. Dem Kläger Ziff. 2 steht eine angemessene Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit zu.

6. Aufgrund der in 2. Instanz durchgeführten Beweisaufnahme konnte der Inhalt des Telefonats, welches nach dem klägerischen Vortrag am 10.8.1984 und nach dem Vortrag der Beklagten am 6. oder 7.8.1984 erfolgte, zwar nicht mehr im einzelnen geklärt werden. Es ließ sich insbesondere nicht mehr feststellen, ob die Reise – wie der Kläger Ziff. 2 vorgetragen hat – ganz abgesagt worden ist, oder – wie die Beklagte behauptet – lediglich darauf hingewiesen worden ist, daß entgegen dem früheren Schreiben vom 10.7.1984 nun doch mit erheblich stärkeren Beeinträchtigungen durch die noch vorzunehmenden Bauarbeiten zu rechnen ist. Letztendlich kann diese Frage aber auf sich beruhen. Denn selbst wenn man den Vortrag der Beklagten zugrunde legt, war der Kläger Ziff. 2 gem. § 651 e Abs. I Satz 2 BGB berechtigt, die Reise zu kündigen. Nach dieser Vorschrift kann ein Reiseteilnehmer den Reisevertrag kündigen, wenn ihm die Reise infolge eines Mangels aus wichtigem, dem Reiseveranstalter erkennbaren Grund nicht zuzumuten ist. Daß erhebliche Lärmbeeinträchtigungen durch Umbaumaßnahmen in dem gebuchten Hotel den mit der Urlaubsreise verfolgten Zweck, nämlich Erholung und „Abschalten“ vom Alltag, negativ beeinflussen und deshalb einen Mangel darstellen, liegt auf der Hand und bedarf keiner näheren Ausführung. Von der Beklagten, die aus diesem Grund den Reisevertrag auch storniert hat, wird dies ernsthaft auch nicht in Abrede gestellt. Unter diesen Umständen die Reise noch anzutreten, war dem Kläger Ziff. 2 nicht zuzumuten. Vom Kläger Ziff. 2 konnte nicht verlangt werden, daß er die Reise trotz der angekündigten erheblichen Beeinträchtigungen durchführt. Hätte der Kläger Ziff. 2 die Reise angetreten und hätten sich dann die von den Umbaumaßnahmen ausgehenden Störungen als erheblich herausgestellt, hätte die Beklagte einem etwaigen Schadensersatzanspruch des Klägers Ziff. 2 mit aller Wahrscheinlichkeit entgegengehalten, daß er auf diesen Mangel schon vor Antritt der Reise hingewiesen worden sei. Schließlich bedurfte die Kündigung des Reisevertrages auch nicht der in § 651 e Abs. II Satz 1 BGB vorgeschriebenen Fristsetzung zur Abhilfe, da eine Abhilfe unmöglich war (§ 651 e Abs. II Satz 2 BGB).

7. Als Schadensersatz kann der Kläger Ziff. 2 gem. § 651 f Abs. II BGB wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Ein Mangel i. S. dieser Vorschrift liegt vor, wenn dem Reiseveranstalter die ordnungsgemäße Erfüllung der vertraglich geschuldeten Reiseleistung nicht möglich ist; die Reise ist dann vereitelt (vgl. OLG München, NJW 84, 132; BGH, NJW 83, 35). Die Vereitelung der Reise hat die Beklagte auch zu vertreten. Sie hat gem. § 278 BGB ein Verschulden der Personen, deren sie sich zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Daß die Hotelleitung des gebuchten Hotels an der Verzögerung der Bauarbeiten kein Verschulden trifft, hat die Beklagte nicht dargetan. Mangelndes Verschulden ihres Erfüllungsgehilfen hätte aber von ihr vorgetragen und ggf. bewiesen werden müssen (§ 282 BGB).

8. Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht kann dem Kläger Ziff. 2 nicht angelastet werden. Unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und wegen der sich aus § 254 BGB ergebenden Schadensminderungspflicht wäre der Kläger Ziff. 2 zwar grundsätzlich gehalten gewesen, eine angebotene Ersatzunterkunft zu akzeptieren. Diese muß aber gleichwertig sein (vgl. OLG München, NJW 84, 132). Eine gleichwertige Ersatzunterkunft wurde dem Kläger Ziff. 2 jedoch nicht angeboten. Die Zeugin … vom Reisebüro des Stadtanzeigers B, bei welchem die Reise gebucht worden war, hat insoweit übereinstimmend mit den Aussagen der Zeugen … und … ausgesagt, daß als Ausweichmöglichkeit lediglich ein Appartement ohne Verpflegung und eine Reise nach Rumänien angeboten worden sei. Wie die Zeugin … weiter bekundet hat, habe sie bei der Beklagten angefragt, ob es möglich sei, ein Appartement mit Vollpension zu buchen; dies sei jedoch nicht möglich gewesen. Sowohl eine Reise nach Rumänien als auch eine Unterbringung in einem Appartement ohne Vollpension stellt im Hinblick auf die gebuchte Reise in einem Hotel auf Lanzarote mit Vollpension keine gleichwertige Alternative dar; der Inhalt und der „Gesamtzuschnitt“ der Reise wäre in beiden Fällen wesentlich geändert worden. Eine wesentliche Änderung des Inhalts und des Gesamtzuschnitts der Reise ist aber nicht gleichwertig (vgl. OLG München, NJW 84, 132 und die weiteren dort genannten Zitate).

9. Der vom Kläger Ziff. 2 Zuhause verbrachte Urlaub hat den Urlaubszweck jedenfalls zum Teil verfehlt. Ob ein entgegen der ursprünglichen Planung Zuhause verbrachter Urlaub vertan ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Zwecks, den der Reiseteilnehmer mit der Reise beabsichtigt. Nach Auffassung der Kammer ist ein Urlaub Zuhause einem Urlaub auf einer Insel im Süden mit Bademöglichkeiten am Meer, Strandaufenthalt und verschiedenen Unterhaltungsmöglichkeiten bei einer Unterbringung in einem entsprechenden Hotel mit voller Verpflegung grundsätzlich nicht gleichwertig. Dies gilt jedenfalls für eine Person, die bereit ist, für einen solchen Aufenthalt ihren Urlaub einzusetzen und erhebliche Geldmittel zu investieren. Die Kammer schließt sich insoweit den überzeugenden Ausführungen des Landgerichts Frankfurt (NJW 80, 1286) an. Mit dem OLG München (NJW 84, 132, 133) vermag die Kammer den Ausführungen des OLG Frankfurt (NJW 82, 1539, 1540), welche das Amtsgericht in seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, nicht zu folgen, da die dort vertretene Meinung den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht wird. Mit seiner Buchung brachte der Kläger Ziff. 2 gerade zum Ausdruck, daß es ihm erhebliche Geldmittel wert ist, einen Urlaub an einem anderen Ort in anderer Umgebung und mit anderen Unterhaltungsmöglichkeiten zu verbringen, um sich ein völliges „Abschalten“ zu ermöglichen und um sich, bzw. seiner Ehefrau, die üblicherweise anfallenden Hausarbeiten wie Haushaltsführung, Kochen, Betten-machen und dgl. zu ersparen. Die Argumentation der Beklagten, der Kläger Ziff. 2 hätte mit seiner Ehefrau Zuhause vergleichbare Erholungsmöglichkeiten durch Ausflüge in die Umgebung oder durch die Wahrnehmung von Sport- und Unterhaltungsmöglichkeiten haben können und der Beklagte hätte sich sogar die Belastungen durch einen Klimawechsel und die unterschiedliche Ernährung erspart, würde – worauf bereits das Landgericht Frankfurt (a. a. O.) zu Recht hingewiesen hat, dazu führen, daß davon ausgegangen werden müsste, daß die von den Reiseveranstaltern angebotenen Leistungen, jedenfalls soweit andere Länder in anderen Klimazonen betroffen sind, ausnahmslos wertlos wären. Die Anforderungen, welche das Amtsgericht im Anschluß an das OLG Frankfurt an die Darlegungslast des Klägers Ziff. 1 bezüglich der Beeinträchtigung des „Urlaubsgenusses“ stellt, erachtet die Kammer aus den dargelegten Gründen als überzogen.

10. Bei der Bemessung der angemessenen Entschädigung ist von dem Nettoeinkommen des Klägers Ziff. 2 auszugehen, das er, wenn er gearbeitet hätte, während dieser Zeit hätte verdienen können. Dieser Betrag entspricht dem Wert des Urlaubs. Der Kläger Ziff. 2 hätte in der fraglichen Zeit, wenn er gearbeitet hätte, DM 1.629,64 netto verdient. In voller Höhe kann dieser Betrag als angemessene Entschädigung jedoch nicht zugesprochen werden, da auch ein Zuhause verbrachter Urlaub einen Erholungswert hat. Ein solcher Urlaub ist nicht gänzlich vertan, bzw. völlig wertlos, da jedenfalls während dieser Zeit die berufliche Inanspruchnahme entfällt. Mit dem Landgericht Frankfurt (a. a. O.) erachtet die Kammer deshalb die Hälfte des während der Urlaubszeit erzielbaren Nettoeinkommens als angemessene Entschädigung. Dies ergibt einen Betrag von DM 814,82. Mit Wirkung ab 16.1.1985 hat die Beklagte diesen zuerkannten Betrag zu verzinsen, da sie zu diesem Zeitpunkt durch das vorprozessuale Schreiben des Bevollmächtigten des Klägers Ziff. 2 vom 2.1.1985 in Verzug geraten ist. Die Streitfrage, ob die Höhe des Schadens bzw. der angemessenen Entschädigung durch den Preis der Reise nach oben begrenzt wird, stellt sich im vorliegenden Fall nicht, da der Nettoverdienst des Klägers geringer ist, als der auf seine Person entfallende Reisepreis.

11. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO.

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