Kündigung wegen Gesundheitsgefährdung

AG Neuköllln: Kündigung wegen Gesundheitsgefährdung

Eine Urlauberin buchte bei einem Reiseunternehme einen Pauschalurlaub in Asien. Weil sich unmittelbar vor Reiseantritt das atomare Unglück in Fukushima ereignete, trat die Klägerin vom Reisevertrag zurück und fordert nun die Erstattung des gesamten Reisepreises.
Der Beklagte sieht hierin keinen hinreichenden Kündigungsgrund und weigert sich der Zahlung.

Das Amtsgericht Neukölln hat der Klägerin Recht zugesprochen. In der atomaren Katastrophe sei eine Form von höherer Gewalt zu sehen, die einen Rücktritt vom Reisevertrag rechtfertige.

AG Neukölln 9 C 298/11 (Aktenzeichen)
AG Neukölln: AG Neukölln, Urt. vom 20.11.2011
Rechtsweg: AG Neukölln, Urt. v. 20.11.2011, Az: 9 C 298/11
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Berlin-Gerichtsurteile

Amtsgericht Neukölln

1. Urteil vom 20. November 2011

Aktenzeichen: 9 C 298/11

Leitsatz:

2. Ein Reisevertrag kann gekündigt werden, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung eine Ungewissheit über mögliche Gesundheitsgefahren am Urlaubsort besteht.

Zusammenfassung:

3. Eine Urlauberin buchte bei einem privaten Reiseunternehmer einen Pauschalurlaub in Asien. Als sich unmittelbar vor Reisebeginn die Katastrophe in Fukushima ereignete, entschloss sich die Klägerin vom Reisevertrag zurückzutreten. Sie verlangt nun vom Beklagten den vollen Preis erstattet zu bekommen.

Dieser weigert sich der Zahlung. Er ist der Ansicht, dass in dem Unglück kein zulässiger Rücktrittsgrund zu sehen sei.

Das Amtsgericht Neukölln hat der Klägerin Recht zugesprochen. Gemäß § 651j BGB könne ein Reisevertrag wegen höherer Gewalt gekündigt werden. Ein Vorliegen von höherer Gewalt sei hier durch eine mögliche Gefährdung der Reisenden anzunehmen.

Eine zur Kündigung berechtigende erhebliche Gefährdung der Reise durch höhere Gewalt liege vor, wenn eine Zukunftsprognose ergebe, dass die Sicherheit des Reisenden der Voraussicht nach erheblich gefährdet sein wird.

Kurz nach dem Ausbruch der radioaktiven Strahlung konnte nicht mit Sicherheit festgestellt werden, dass Urlauber in der Umgebung des Kraftwerks keinen Schaden durch die Nachwirkungen der Katastrophe erleiden würden.
Da eine unmittelbare Gefährdung folglich nicht auszuschließen sei, stehe den Klägern die Erstattung des vollen Kaufpreises zu.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 500,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 13. April 2011 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Nebenkosten in Höhe von 83,53 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 14. Mai 2011 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar

Gründe:

5. Die Klage ist begründet.

6. Die Klägerin kann von der Beklagten die Zahlung von 500,00 € nach § 812 Abs. 1 BGB verlangen. Der rechtliche Grund ist nach der wirksamen Kündigung des Reisevertrags durch die Klägerin vom 29.3.2011 weggefallen.

7. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt hier ein Fall der höheren Gewalt im Sinne des § 651j BGB vor, Die Naturkatastrophe vom 11. März 2011 in … führte unter anderem zur Beschädigung des Atomkraftwerks in …. Diese Ereignisse konnten weder die Klägerin noch die Beklagte bei Vertragsabschluss vorhersehen. Die Naturkatastrophe und die Beschädigung des Atomkraftwerks in … mit der Folge, dass die Strahlenbelastung für die Umwelt derart stieg, dass Gesundheitsgefahren bestanden, beeinträchtigt und gefährdet die Reise erheblich.

8. Folglich liegt ein Fall der höheren Gewalt vor. Dabei kommt es auf die genaue Strahlenbelastung im Großraum … nicht an. Denn entscheidend ist hier, dass zum Zeitpunkt der Kündigung und des Reiseantritts nicht mit Sicherheit beurteilt werden konnte, wie sich die Lage im Atomkraftwerk … entwickelt, ob es weitere Reaktorunfälle oder Komplikationen geben wird. Über die mit der geplanten Reise verbundenen Gefahren hat somit eine große Ungewissheit bestanden. Das Risiko, dass eine erhöhte Strahlenbelastung auch in … nicht auszuschließen war, ist der Klägerin nicht zuzumuten gewesen.

9. Nach §§ 651j Abs. 2 Satz 1, 651e Abs. 3 Satz 2 BGB kann die Beklagte nach der Kündigung eine Entschädigung für bereits erbrachte Leistungen verlangen. Welche Leistungen die Beklagte bereits erbracht hat, hat sie nicht dargetan. Die konkret dargelegten und in Aussicht gestellten Stornokosten kann die Beklagte nicht, auch nicht wie sie meint zur Hälfte, verlangen. Denn diese begründen sich allein im Verhältnis zwischen Veranstalter und Leistungsträger. Diese Kosten wurden weder von der Beklagten erbracht, noch gehören sie zu den bis zur Beendigung der Reise zu erbringenden Reiseleistungen. Darüber hinaus ist es in der Sache auch nicht gerechtfertigt, der Klägerin das „Investitionsrisiko“ der Beklagten anteilig aufzubürden (vergleiche Staudinger, Buch 2, Neubearbeitung 2011, § 651j BGB, Rn. 42).

10. Auf die Rechtsfolgen nach einem Rücktritt vom Vertrag kommt es folglich nicht an. Auch hiernach stünde der Beklagten ein Anspruch gegen die Klägerin nicht zu. Denn eine Vereinbarung zwischen den Parteien bezogen auf eine Pauschalentschädigung hat die Beklagte nicht unter Beweisantritt dargetan. Die Darlegungen der Beklagten zu Gewinnverlusten und entstandenen Stornokosten entsprechen keiner Berechnung des Anspruchs nach § 651i Abs. 2 BGB.

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