Flugverspätung wegen Erkrankung

AG Rüsselsheim: Flugverspätung wegen Erkrankung

Der Kläger und seine Ehefrau buchten bei der Beklagten einen Flug, welcher schließlich 14 Stunden Verspätung hatte. Nun verlangen sie Ausgleichsansprüche nach der Fluggastrechteverordnung von dem ausführenden Luftfahrtunternehmen.

Das Amtsgericht Rüsselsheim sprach dem Kläger einen solchen Ausgleichsanspruch zu, da die Beklagte sich hier nicht auf außergewöhnliche Umstände berufen kann, welche zu einer Exkulpation des Luftfahrtunternehmens geführt hätte.

AG Rüsselsheim 3 C 109/10 (31) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 25.08.2010
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 25.08.2010, Az: 3 C 109/10 (31)
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Hessen-Gerichtsurteile

Amtsgericht Rüsselsheim
1. Urteil vom 25. August 2010
Aktenzeichen 3 C 109/10 (31)

Leitsatz:

2. Erkrankungen von Mitarbeitern stellen keinen außergewöhnlichen Umstand, im Sinne der Fluggastrechteverordnung, dar.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall buchte der Kläger bei der Beklagten einen Flug für sich und seine Ehefrau. Dieser hatte insgesamt 14 Stunden Verspätung, sodass er nun Ausgleichsansprüche nach der Fluggastrechteverordnung gegen die Beklagte geltend macht.

Die Beklagte, als ausführendes Luftfahrtunternehmen, begründet diese Verspätung mit der Erkrankung eines Crewmitglieds. Dies sei ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der VO und würde damit zu ihrer Exkulpation führen. Ein Ausgleichsanspruch bestehe somit ihrer Ansicht nach nicht.

Das Amtsgericht Rüsselsheim kam zu einem anderen Ergebnis und entschied, dass dem Kläger ein Ausgleichsanspruch zusteht. Da die Ankunftsverspätung des Fluges hier mehr als drei Stunden betrug, steht dem Kläger eine Ausgleichszahlung zu. Die Erkrankung eines Crewmitglieds ist kein außergewöhnlicher Umstand, sondern ein geradezu gewöhnlicher, womit eine Fluggesellschaft rechnen muss. Jeder Arbeitgeber muss für solche Situationen Vorsorge zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes treffen. Somit kann die Beklagte sich hier nicht exkulpieren. Die Klage ist folglich begründet.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.134,11 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.03.2008 zuzüglich 155,30 Euro vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen; im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten ist gestattet, eine Zwangsvollstreckung gegen Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Forderung abzuwenden, soweit nicht der Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten um Ausgleichsansprüche nach Art. 7 der Verordnung Verordnung (EG) Nr. 261/2004.

6. Der Kläger buchte für seine Ehefrau und sich bei einem Reiseveranstalter eine Flugreise, bei der die Beklagte ausführendes Luftfahrtunternehmen war.

7. Der für den 30.01.2008 um 13.45 Uhr vorgesehene Abflug von Ras AI Khaimah nach F wurde erst am 31.01.2008 um 04.00 Uhr ausgeführt.

8. Der Kläger begehrte vorprozessual für seine Ehefrau und sich mit Schreiben vom 01.02.2008 (Kopien hiervon Bl. 28 – 32 d. A.) vom Reiseveranstalter zusätzliche Verpflegungskosten in Höhe von 144,11 Euro und eine Entschädigung nach der vorgenannten Verordnung in Höhe von 1.200,00 Euro.

9. Mit Schreiben vom 05.03.2008 (Kopien hiervon Bl. 51 – 52 d. A.) übersandte die Beklagte an den Kläger einen von diesem eingelösten Verrechnungsscheck über 210,00 Euro als Reisepreisminderung und Ersatz von Nebenkosten für den verspätet durchgeführten Flug. Eine weitergehende Entschädigung lehnte die Beklagte jedoch ab. Als Grund für die Verspätung gab sie einen technischen Defekt an.

10. Der Kläger verfolgte seine Zahlungsansprüche zunächst unter Einschaltung seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten weiter.

11. Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger aus abgetretenem und eigenem Recht von der Beklagten die Zahlung der titulierten Forderung, wobei hinsichtlich der Berechnung auf die Aufstellung in der Klageschrift (Bl. 3 – 4 d. A.) verwiesen wird.

12. Desweiteren begehrt er aus übergegangenem Recht den Ersatz vorprozessual entstandener Rechtsanwaltskosten in titulierter Höhe.

13. Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.134,11 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.03.2008 zuzüglich 155,30 Euro vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.

14. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

15. Die Beklagte behauptet, die Ankunftsverspätung habe auf einer kurzfristig eingetretenen Erkrankung eines Flugzeugbesatzungsmitgliedes beruht, so dass der Flugkapitän „die Anordnung eines sog. minimum crewrest“ getroffen habe.

16. Sie ist der Auffassung, dass es sich hierbei um einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der vorgenannten Verordnung handele.

17. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

18. Die Klage ist überwiegend begründet.

19. Der Klägerin hat aus eigenem und abgetretenen Recht gegen die Beklagte im zuerkannten Umfange wegen der nicht planmäßigen Durchführung einer Flugreise einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 b) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004.

20. Nach dem insoweit unstreitigen Parteienvortrag führte die Beklagte die Flugreise von Ras AI Khaimah nach F am 30.01.2008 mit knapp 14-stündiger Verspätung durch.
21. Nach der Rechtsprechung des BGHs (Urteil vom 18.02.2010 – Az.: Xa ZR 95/06) hat der Kläger daher als Fluggast wegen einer mehr als 3-stündigen Ankunftsverspätung einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der vorgenannten Verordnung.

22. Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der vorgenannten Verordnung auf außergewöhnliche Umstände als Begründung des verspäteten Rückfluges berufen hat. Die von ihr behauptete kurzfristig aufgetretene Erkrankung eines Crewmitgliedes steht zunächst in Widerspruch zu ihrer vorprozessualen Ablehnungsbegründung.

23. Erkrankungen von Mitarbeitern sind nicht ungewöhnlich oder nur sehr selten, so dass jeder Arbeitgeber damit rechnen und Vorsorge zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes treffen kann und muss.

24. Insoweit sind die konkreten Umstände darzulegen, warum es im konkreten Fall gerade nicht möglich war, so dass von einer außergewöhnlichen Situation ausgegangen werden kann. Diese konkrete Darlegung aller Umstände für die verzögerte Ausführung des Fluges ist nicht erfolgt; insbesondere, warum ein Ersatzcrewmitglied nicht bereit gestellt werden konnte, so dass die Verzögerung vermeidbar war.

25. Die Beklagte kann sich daher gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 nicht exkulpieren, so dass der Ausgleichsanspruch des Klägers in titulierter Höhe besteht. Soweit dieser in der Person seiner Ehefrau entstanden ist, erfolgte eine wirksame Abtretung.

26. In Ansehung der Leistungsbestimmung der Beklagten hinsichtlich der Zahlung von 210,00 Euro ist die vom Kläger vorgenommene Berechnung der Klageforderung korrekt.

27. Die von der Beklagten erklärte Berufung auf eine Anrechnung nach Art. 12 der vorgenannten Verordnung scheitert schon daran, dass nach dem Wortlaut der Bestimmung zu leistende Ausgleichszahlung auf anderweitige Schadensersatzansprüche angerechnet werden können, aber nicht umgekehrt, wie die Beklagte meint.

28. Der Zinsanspruch ist aus dem Zahlungsverzug der Beklagten begründet (§§ 286 ff BGB). Verzugseintritt ist die Ablehnungserklärung der Beklagten im Schreiben vom 05.03.2008. Der weitergehende Verzinsungsanspruch war daher abzuweisen.

29. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 2 ZPO.

30. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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