Begriff der akuten unerwarteten Erkrankung

OLG Köln: Begriff der akuten unerwarteten Erkrankung

Der Kläger schloss bei der Beklagten eine Reisekrankenversicherung für die Zeit vom 1. September 2007 bis zum 30. November 2007 zu einem Beitrag von 286,- € für seine Schwiegermutter. Die Versicherte reiste am 28.09.2007 nach Deutschland ein und erlitt am 5. Oktober 2007 einen Myokardinfarkt, in dessen Folge sie einer Bypassoperation unterzogen werden musste. Im Anschluss war sie noch in weiterer ärztlicher Behandlung.
Die Versicherung verweigerte die Zahlung der Behandlungskosten, mit der Begründung, dass die Erkrankung bereits vor Reiseantritt bekannt und mit einer Behandlungsbedürftigkeit zu rechnen gewesen sei. Der Kläger forderte mit seiner Klage die Erstattung der gesamten Behandlungskosten.

Das OLG Köln gab dem Kläger im Berufungsverfahren überwiegend Recht, und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von Behandlungskosten i.H.v. insgesamt 24.147,53 € nebst Zinsen.

OLG Köln 20 U 62/09 (Aktenzeichen)
BGH: BGH, Urt. vom 21.09.2011
Rechtsweg: BGH, Urt. v. 21.09.2011, Az: IV ZR 227/09
OLG Köln, Urt. v. 30.10.2009, Az: 20 U 62/09
LG Bonn, Urt. v. 02.03.2009, Az: 9 O 485/07
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Oberlandesgericht Köln

1. Urteil vom 30. Oktober 2009

Aktenzeichen 20 U 62/09

Leitsätze:

2. I.S.d. Bedingungen einer Reisekrankenversicherung liegt eine „akute, unerwartete“ Erkrankung vor, wenn, aus obektiver Perspektive, die Erkrankung plötzlich und ohne Anzeichen, die vorher ekennbar waren, auftritt. Wenn die im Zeitraum der Versicherung auftretende Erkrankung mit einer Vorerkrankung zusammenhängt, ist sie dann objektiv unerwartet, wenn sie nicht eine zwingende Folge der Vorerkrankung ist.

Absehbar i.S.d. der Bedingungen einer Reisekrankenversicherung ist die Behandlungsbedürftigkeit einer vor Beginn des Versichertenzeitraums bekannten Erkrankung, wenn sie sich, aufgrund konkreter Kenntisse über den vor Beginn des Versichertenzeitraums bestehenden Krankheitszustands mindestens wahrscheinlich ist. Die Behandlung des Versicherten wegen Herzbeschwerden führt nicht zwingend zur Vorhersehbarkeit einer medizinischen Behandlung wegen eines neu aufgetretenen Herzinfarkts während der Versicherungsperiode.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger schloss bei der Beklagten zu einem Preis von 286,- € eine Reisekrankenversicherung für die Zeit vom 1. September 2007 bis zum 30. November 2007 für seine, zum Zeitpunkt der Klage bereits verstorbene, Schwiegermutter. Die Schwiegermutter reiste am 28.09.2007 nach Deutschland und erlitt am 5. Oktober 2007 einen Myokardinfarkt, in dessen Folge sie einer Bypassoperation unterzogen werden musste. Im Anschluss folgten Krankenhausaufenthalte bis zum 14. November. Danach befand sie sich im November und Dezember 2007 in ambulanter ärztlicher Behandlung.
Die Versicherung verweigerte die Zahlung der Behandlungskosten, mit der Begründung, dass die Erkrankung bereits vor Reiseantritt bekannt und mit einer Behandlungsbedürftigkeit zu rechnen gewesen sei, weswegen kein Versicherungsschutz bestanden habe. Der Kläger forderte mit seiner Klage die Erstattung aller Behandlungsksoten.

Das LG Bonn wies die Klage in erster Instanz ab. Das OLG Köln gab dem Kläger in dem Berufungsverfahren überwiegend Recht. Es befand, dass der Herzinfarkt nicht aufgrund der Vorerkrankung der Versicherten vorhersehbar war. Das OLG verurteilte die Beklagte zur Zahlung der Krankenhausbehandlungen i.H.v. insgesamt 24.147,53 €.

Tenor:

4. Auf die Berufung des Klägers wird das am 2. März 2009 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn, 9 O 485/07, unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 23.821,33 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 12.882,13 € seit dem 23. Oktober 2007 und aus einem Betrag von 10.939,20 € seit dem 17. Januar 2008 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen, in Höhe von 164,69 € als derzeit unbegründet.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwen-​den, wenn der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

5. Der Kläger schloss bei der beklagten Versicherung eine Reisekrankenversicherung „Income“ für die Zeit vom 1. September 2007 bis 30. November 2007 zu einem Beitrag von 286,- € unter Einbeziehung der Versicherungsbedingungen Reise-​Versicherungen für Besucher der Bundesrepublik Deutschland (im folgenden: AVB; GA 7 f.) ab. Auszugsweise ist in den AVB folgendes geregelt:

  • 1 Ziffer 1.

6. Der B erbringt im Rahmen dieser Versicherungsbedingungen Versicherungsschutz bei akuter, unerwarteter Erkrankung, Verletzung und einem unerwarteten Todesfall. …

  • 1 Ziffer 2. a) Satz 1

7. Kein Versicherungsschutz besteht, wenn Sie oder Ihr Gast vor Reiseantritt wussten oder absehbar war, dass Ihrem Gast vor Reiseantritt bekannte Beschwerden, Erkrankungen oder Verletzungen während seiner Reise behandlungsbedürftig werden; der Ausschluss gilt auch für die Folgen einer solchen Behandlung (einschließlich Tod).

8. Versicherte Person war die am 29. September 1936 geborene, auf den S. lebende und mittlerweile verstorbene Schwiegermutter des Klägers, Frau F. U.. Frau U. litt nach Angaben ihrer behandelnden Ärztin auf den S. im wesentlichen an nicht insulinabhängigem Diabetes mellitus, Koronararterienerkrankung (Brustschmerzen, Angina), Herz-​Rhythmus-​Störungen, Hypertonie und Hyperurikämie. Ein am 1. Juni 2007, dem letzten Behandlungstermin vor Reisantritt, durchgeführtes EKG ergab einen alten inferioren Myokardinfarkt. Frau U. wurden Medikamente verordnet, wobei nach Einschätzung der Ärztin fraglich ist, ob sie diese auch tatsächlich eingenommen hat.

9. Frau U. reiste am 28. September 2007 nach Deutschland ein. Am 5. Oktober 2007 erlitt sie einen Myokardinfarkt. Sie musste sich im Universitätsklinikum C. einer Bypassoperation unterziehen. Ihr Krankenhausaufenthalt im Universitätsklinikum C. und im Gemeinschaftskrankenhaus St. G., St. Q., St. K. in C. dauerte bis zum 14. November 2007 an. Sie befand sich des weiteren im November/Dezember 2007 in ambulanter ärztlicher Behandlung in der HNO-​Gemeinschaftspraxis Dres. E. sowie bei den Ärzten Dr. L. und Dres. T. , H. und O. in C.

10. Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung eines Betrages von insgesamt 24.147,53 €, der sich wie folgt zusammensetzt:

 

Univer­si­täts­kli­nikum C. (Rechnung v. 17.10.2007; GA 12 f.): 12.932,13 €
Gemein­schaftskh. C. (Rechnung v. 12.12.2007; GA 29 f.): 10.626,12 €
Dres. E. (2. Mahnung v. 3.1.2008; GA 25): 164,69 €
Dr. L. (Rechnung v. 28.12.2007; GA 26 f.): 350,34 €
Dres. T. /H./O. (Rechnung v. 11.12.2007; GA 28): 74,25 €

 

11. Die Beklagte verweigerte mit Schreiben vom 23. Oktober 2007 die Erstattung der Rechnung des Universitätsklinikums C. mit der Begründung, es bestehe kein Versicherungsschutz, weil die Erkrankung bereits vor Reiseantritt bekannt und mit einer Behandlungsbedürftigkeit zu rechnen gewesen sei.

12. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zur Erstattung der geltend gemachten Beträge verpflichtet. Dass Frau U. während des Besuchs in Deutschland einen Herzinfarkt erleiden werde, sei nicht absehbar gewesen.

13. Der Kläger hat beantragt,

1.

14. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 12.932,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. November 2007 zu zahlen,

15. hilfsweise,

16. die Beklagte zu verurteilen, an das Universitätsklinikum C. zu Debitoren-​Nr. … und Rechnungs-​Nr. … 12.932,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. November 2007 zu zahlen,

2.

17. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 11.215,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. Januar 2008 zu zahlen,

18. hilfsweise,

19. die Beklagte zu verurteilen,

3.

A.

20. an die Gemeinschaftspraxis I., Belegärzte im N. Krankenhaus C./V., M-​str. X, … C., zu Rechnungsnummer … 164,69 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. Januar 2008 zu zahlen,

B.

21. an Herrn Dr. L. , A.-​Str. X, … C., zu Rechnungsnummer … 350,34 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. Januar 2008 zu zahlen,

C.

22. an Dres. T. /H./O. zu Rechnungsnummer … einen Betrag in Höhe von 74,25 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. Januar 2008 zu zahlen,

D.

23. an das Gemeinschaftskrankenhaus C. St. G. – St. Q. – St. K. gGmbH, B.-​Str. X, … C., zu Rechnungsnummer … einen Betrag in Höhe von 10.626,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. Januar 2008 zu zahlen

24. Die Beklagte hat beantragt,

25. die Klage abzuweisen.

26. Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, der Herzinfarkt sei keine unerwartete Erkrankung. Wegen der schon bestehenden Vorerkrankung sei absehbar gewesen, dass in Deutschland Behandlungsbedürftigkeit eintreten werde. Sie hat deshalb gemeint, zur Gewährung von Versicherungsschutz nicht verpflichtet zu sein.

27. Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens mit Urteil vom 2. März 2009, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, abgewiesen.

28. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser seine erstinstanzlich gestellten Klageanträge in vollem Umfang weiterverfolgt. Er vertritt weiterhin die Ansicht, der Herzinfarkt, den seine Schwiegermutter in Deutschland erlitten habe, stelle eine eigenständige Krankheit dar; der Infarkt sei sowohl unerwartet aufgetreten als auch nicht absehbar gewesen. Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Herzinfarktes innerhalb des versicherten Zeitraums von drei Monaten habe nur bei einem Prozent gelegen. Aus der Sicht des Reisenden sei dies ein geringes Risiko gewesen. Jedenfalls habe Frau U. nicht grob fahrlässig gehandelt.

29. Die Beklagte, die die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil. Frau U. habe bewusst ein Gesundheitsrisiko in Kauf genommen. Sie habe in Kenntnis ihrer Erkrankung eine Weiterbehandlung auf den S. entgegen ärztlichem Rat aus finanziellen Erwägungen nicht durchgeführt. Im übrigen weist die Beklagte darauf hin, dass keine der streitgegenständlichen Rechnungen auf den Kläger ausgestellt sei und dieser auch nicht dargelegt habe, welche Rechnungen er ausgeglichen habe.

30. Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

31. Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache zum weitaus überwiegenden Teil Erfolg.

32. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die durch Rechnungen belegten Aufwendungen für die ärztliche Behandlungen des bei Frau U. während des Besuchs in Deutschland aufgetretenen Herzinfarkts in Höhe eines Gesamtbetrages von 23.821,33 € zu erstatten.

33. Bei dem Herzinfarkt handelt es sich um eine akute, unerwartete Erkrankung im Sinne von § 1 Ziffer 1. AVB. Wie der in den Bedingungen verwendete Begriff der akuten, unerwarteten Erkrankung zu verstehen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist maßgebend, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Klausel bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (BGHZ 123, 83, 85; BGH, VersR 2001, 184).

34. Den Begriff der akuten Erkrankung wird ein Versicherungsnehmer dahin verstehen, dass eine plötzliche Verschlechterung des bisherigen Gesundheitszustandes auftritt. Wenn der Versicherungsnehmer bzw. die versicherte Person bereits an einer chronischen Grunderkrankung leidet, wird er der Klausel nicht entnehmen, dass von vornherein jede weitere Erkrankung, die eine Folge jener Grunderkrankung ist, vom Versicherungsschutz ausgenommen sein soll. Dafür gibt das in die Versicherungsbedingungen aufgenommene Wort „akut“ nichts her; dieses deutet im Gegenteil darauf hin, dass jede nachteilige Veränderung des Gesundheitszustandes, die sich von einem Tag auf den anderen einstellt, vom Versicherungsschutz erfasst ist.

35. Was unter einer „unerwarteten“ Erkrankung zu verstehen ist, erschließt sich dem um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer nicht ohne weiteres. Er wird erkennen, dass es im Rahmen des in § 1 Ziffer 1 AVB gegebenen Leistungsversprechens auf seine subjektive Einschätzung, ob die Erkrankung unerwartet aufgetreten ist, nicht ankommen kann, denn insoweit hat der Versicherer ausdrücklich einen Risikoausschluss in § 1 Ziffer 2 a) AVB formuliert, der anderenfalls weitgehend gegenstandslos wäre. Andererseits wird der Versicherungsnehmer, der zur Kenntnis genommen hat, dass seine subjektive Sicht bei der Ausfüllung des Begriffs der unerwarteten Erkrankung im Sinne von § 1 Ziffer 1. keine Bedeutung haben kann, nicht zu der Erkenntnis gelangen, es sei insoweit auf die Einschätzung Dritter, insbesondere auf eine ärztliche Beurteilung, ob die Erkrankung unerwartet aufgetreten ist, abzustellen, denn dies hätte zur Folge, dass der Umfang des gewährten Versicherungsschutzes für den in aller Regel medizinisch nicht vorgebildeten Versicherungsnehmer undurchschaubar würde. Demgemäß kommt es vorliegend nicht auf die von den beteiligten Gutachtern diskutierte Frage an, mit welcher Wahrscheinlichkeit aus medizinischer Sicht der Eintritt eines Herzinfarktes bei Frau U. angesichts ihrer Vorerkrankungen zu erwarten war; es bedarf deshalb auch nicht der von der Beklagten beantragten Anhörung des Gerichtsgutachters. Um sich die Bedeutung des Begriffs „unerwartete Erkrankung“ in § 1 Ziffer 1 AVB näher zu erschließen, wird der Versicherungsnehmer sehen, dass das Wort „unerwartet“ in den Bedingungen gemeinsam mit dem Begriff „akut“ verwendet worden ist. Es liegt nahe, dass – da, wie ausgeführt, „unerwartet“ hier nur ohne subjektive Komponente verstanden werden kann – die im Zusammenhang aufgeführten Begriffe „akut“ und „unerwartet“ lediglich gemeinsam kennzeichnen sollen, dass die Erkrankung plötzlich und ohne zuvor erkennbare Anzeichen aufgetreten sein muss. In diesem Sinne – und eine solche Auslegung ist als dem Versicherungsnehmer günstig hier anzunehmen – ist eine Erkrankung, die unvermittelt zu einer Verschlechterung des bisherigen Gesundheitszustandes führt, stets akut und unerwartet, denn mindestens der konkrete Zeitpunkt, zu dem eine Erkrankung auftritt, ist nicht vorhersehbar. Auch bei bestehenden Vorerkrankungen ist eine konkret im Versicherungszeitraum aufgetretene und mit der Vorerkrankung im Zusammenhang stehende Erkrankung zumindest dann (objektiv) unerwartet, wenn sie keine zwingende, notwendig eintretende Folge der Vorerkrankung darstellt, sondern allenfalls das Risiko des Eintretens der weiteren Erkrankung erhöht (vgl. OLG Köln, VersR 1998, 354). Dies ist hier der Fall: Die Herzerkrankung mag das Risiko, dass Frau U. einen Herzinfarkt erleiden kann, gesteigert haben; gleichwohl war der Zeitpunkt, zu dem sich dieses Risiko gegebenenfalls verwirklichen würde, schlechterdings nicht zu prognostizieren. Der Herzinfarkt ist damit (objektiv) unerwartet eingetreten.

36. Ob der Herzinfarkt subjektiv vorhersehbar war, ist – wie sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer bei Lektüre der Bedingungen ohne weiteres erschließt – alleine Gegenstand des in § 1 Ziffer 2 a) AVB geregelten Leistungsausschlusses. § 1 Ziffer 2 a) AVB stellt nach seinem Wortlaut nur darauf ab, ob absehbar war, dass vor Reiseantritt bekannte Erkrankungen während der Reise behandlungsbedürftig werden. Mit dieser Formulierung wird für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer schon nicht hinreichend deutlich gemacht, ob von dem Leistungsausschluss auch das Auftreten solcher neuer gesundheitlicher Beschwerden, die lediglich ihre Grundlage in einem schon vorhandenen, bekannten Leiden haben, erfasst werden sollen. Bekannt waren bei Frau U. allein ein chronisches Herzleiden und ein älterer durchgemachter Herzinfarkt. Ob der neu aufgetretene Herzinfarkt nach dem Verständnis eines durchschnittlichen, nicht medizinisch vorgebildeten Versicherungsnehmers als eine Behandlung der bekannten Herzgrunderkrankung verstanden werden muss, ist fraglich und im Zweifel bei dem Gebot, Ausschlussklauseln eng auszulegen (vgl. BGHZ 88, 228, 231), nicht anzunehmen. Aber selbst dann, wenn die Ausschlussklausel auch insoweit einschlägig sein sollte, fehlt es an zureichenden Anhaltspunkten dafür, dass der Eintritt des Herzinfarktes für Frau U. im versicherten Zeitraum von drei Monaten „absehbar“ war. Unter „absehbar“ versteht ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer mehr als nur ein gering erhöhtes Risiko, dass es zu einer ärztlichen Behandlung bei bestehender Vorerkrankung kommen kann. Die Behandlungsbedürftigkeit muss sich für den Versicherungsnehmer oder die versicherte Person aufgrund konkreter Kenntnisse über den vor Reiseantritt bestehenden Gesundheitszustand wenigstens als wahrscheinlich darstellen; es müssen Anhaltspunkte dafür gegeben sein, dass es im versicherten Zeitraum voraussichtlich zu einer Behandlung der schon vorhandenen Erkrankung kommen wird. Solche Anhaltspunkte sind, soweit es das Auftreten eines Herzinfarktes angeht, vorliegend nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass Frau U. sich zuletzt am 1. Juni 2007 auf den S. auch wegen vom Herzen herrührender Beschwerden (Angina) in ärztliche Behandlung begeben hat und ihr Medikamente verschrieben worden sind, besagt nichts über die Vorhersehbarkeit einer Behandlung wegen eines neu aufgetretenen Herzinfarktes während ihres Deutschlandaufenthaltes. Frau U. kann auch nicht angelastet werden, dass sie auf den S. keine weitere ärztliche Hilfe mehr in Anspruch genommen hat. Dazu war sie nach den Versicherungsbedingungen nicht verpflichtet; insbesondere ist ihr kein ärztliches Zeugnis über die Reisefähigkeit abverlangt worden. Die Behandlungsbedürftigkeit wegen eines erst in Deutschland im versicherten Zeitraum aufgetretenen Herzinfarktes war nach allem weder für den Kläger noch für Frau U. im Sinne von § 1 Ziffer 2 a) AVB absehbar. Demgegenüber war eine Behandlung der Grunderkrankung mit Blick auf die schon auf den S. bestehende regelmäßige Behandlungsbedürftigkeit absehbar, so dass insoweit kein Versicherungsschutz besteht.

37. Die Beklagte hat nach den vorstehenden Ausführungen Versicherungsschutz zu gewähren, soweit die Behandlungen von Frau U. auf den Herzinfarkt und nicht auf die bestehende Grunderkrankung zurückgeführt werden können. Insoweit hat der Sachverständige Dr. J., ohne dass die Beklagte dem weiter entgegengetreten ist, ausgeführt, dass sämtliche Behandlungen im Universitätsklinikum C., im Gemeinschaftskrankenhaus C. sowie bei den Ärzten Dr. L. und Dr. T. bis zum 30. November 2007 im Zusammenhang mit dem erlittenen Herzinfarkt stehen. Zu kürzen ist damit lediglich die Rechnung von Dr. L. um die Aufwendungen, die für Behandlungen ab Dezember 2007 angefallen sind; das macht einen Betrag von 111,51 € aus.

38. Zumindest derzeit nicht erstattungsfähig sind die vom Kläger für die Inanspruchnahme der Ärzte Dres. E. geltend gemachten Kosten in Höhe von 164,69 €. Der Kläger hat nicht, wie es § 9 AVB verlangt, eine Rechnung eingereicht, sondern lediglich eine „2. Mahnung“. Aus ihr ergibt sich nicht, welche Leistungen die Ärzte Dres. E. erbracht haben; es erschließt sich auch nicht, ob insoweit – es handelt sich um Hals-​Nasen-​Ohren-​Ärzte – eine versicherte Erkrankung zugrunde lagt. Damit fehlt es jedenfalls an der Fälligkeit eines Erstattungsanspruchs.

39. Insgesamt ist die Beklagte verpflichtet, Leistungen in Höhe von 23.821,33 € zu erbringen. Von dem mit der Klage verfolgten Betrag von 24.147,53 € sind 164,69 € (Dres. E. ), 111,51 € (Rechnung Dr. L. ) sowie die vertragliche vereinbarte Selbstbeteiligung von 50,- € in Abzug zu bringen.

40. Dem Kläger steht dieser Betrag als Zahlungsanspruch gegen die Beklagte zu. Der Kläger ist als Versicherungsnehmer Gläubiger der von der Beklagten geschuldeten Leistung, die diese unter den Voraussetzungen des § 9 AVB mit dem Kläger abzurechnen hat. Es steht außer Streit, dass die ärztlichen Leistungen für die Behandlung der versicherten Person, Frau U., erbracht worden sind. Wer gegenüber den behandelnden Ärzten Kostenschuldner ist, ist für die Leistungspflicht der Beklagten nicht von Bedeutung. Der Kläger ist nach den Bedingungen auch nicht verpflichtet, nachzuweisen, dass er Zahlungen an die Ärzte/Krankenhäuser erbracht hat (vgl. zu insoweit gleichlautenden Bedingungen in den MB/KK: Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 3. Aufl., § 6 MB/KK, Rn. 5; Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 6 MB/KK 94, Rn. 2). Auch wenn er bislang keine Zahlungen geleistet hat, ist der Kläger nach den Bedingungen nicht gehalten, auf Leistung an die behandelnden Ärzte zu klagen.

41. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 3 und 291 BGB. Der Betrag von 12.882,13 € (Rechnung Universitätsklinikum C. abzüglich 50,- € Selbstbeteiligung) ist erst ab dem 23. Oktober 2007 zu verzinsen; an diesem Tag hat die Beklagte die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. § 286 Abs. 3 Satz 1 BGB ist nicht einschlägig; Leistungsansprüche gegen eine Versicherung sind keine Entgeltforderungen im Sinne dieser Bestimmung (vgl. nur Palandt/ Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 286, Rn. 27).

42. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1 Nr. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

43. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Der Senat weicht nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung ab. Den von der Beklagten herangezogenen Instanzentscheidungen liegen anders gelagerte Sachverhalte zugrunde.

44. Berufungsstreitwert: 24.147,53 €

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