Außergewöhnlicher Umstand durch von außen wirkende Kräfte beim Startvorgang

AG Köln: Außergewöhnlicher Umstand durch von außen wirkende Kräfte beim Startvorgang

Ein Flugreisender buchte bei einer Airline einen Linienflug. Weil dieser erst mit mehrstündiger Verspätung startete, verlangt der Kläger nun eine Ausgleichszahlung. Die Airline weigert sich der Zahlung und begründet die Verspätung mit dem Vorliegen außergewöhnlicher Umstände.

Das Amtsgericht Köln hat die Klage abgewiesen. Der Flugzeugstart sei auf windtechnische Auswirkungen des vorherigen Abfluges zurückzuführen, welche einem außergewöhnlichen Umstand entsprechen würden.

AG Köln 124 C 506/15 (Aktenzeichen)
AG Köln: AG Köln, Urt. vom 16.06.2016
Rechtsweg: AG Köln, Urt. v. 16.06.2016, Az: 124 C 506/15
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Amtsgericht Köln

1. Urteil vom 16. Juni 2016

Aktenzeichen 124 C 506/15

Leitsatz:

2. Muss ein Flugzeug trotz Freigabe der Startbahn den Start wegen Wirbelschleppen des zuvor gestarteten Flugzeugs abbrechen, so liegen außergewöhnliche Umstände vor.

Zusammenfassung:

3. Ein Reisender buchte bei einer Fluggesellschaft einen Linienflug. Unmittelbar nach dem Beschleunigungvorgang auf der Fahrbahn brach der Pilot den Start jedoch ab, weil äußere Kräfte auf die Maschine einwirkten, die von einem Sachverständigen im Nachhinein als Wirbelschleppen des vorher gestarteten Fluges eingestuft worden waren.
Wegen der hierdurch entstandenen mehrstündigen Verspätung verlangt der Kläger nun eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Fluggastrechte Verordnung. Die Gesellschaft weigert sich der Zahlung und begründet die Verzögerung mit dem Vorliegen außergewöhnlicher Umstände.

Das Amtsgericht Köln hat die Klage abgewiesen. Die von dem Kläger begehrte Ausgleichszahlung wegen Verspätung entfalle regelmäßig, wenn die Verzögerung auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen sei. Nach Art. 5 der Verordnung 261/2004 ist ein außergewöhnlicher Umstand ein Ereignis, das nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entspricht, sondern außerhalb dessen liegt, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist. Ein solches Ereignis sei in den Wirbelschwingen zu sehen, da die Airline unmöglich auf diese hätte reagieren können.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. Ohne Tatbestand (gemäß § 313a Abs. 1 ZPO).

 Entscheidungsgründe:

6. Die zulässige Klage ist unbegründet.

7. Der Kläger als Fluggast hat gegen die Beklagte als ausführendem Luftfahrtunternehmen keinen Anspruch auf Zahlung von 600,00 € aus Art. 7 Abs. 1 lit. c VO (EG) 261/2004.

8. Zwar steht gemäß der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 19.11.2009 – C-402/07, C-432/07) eine Ankunftsverspätung von mehr als drei Stunden der Annullierung eines Flugs gleich, die gem. Art. 5 Abs. 1 lit. c VO (EG) 261/2004 bei einem nicht-innergemeinschaftlichen Flug über mehr als 3.500 km einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 Abs. 1 S. 1 lit. c VO (EG) 261/2004 begründet.

9. Die Pflicht zur Ausgleichszahlung entfällt jedoch gemäß Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004, da die Beklagte nachgewiesen hat, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Das Gericht stützt seine Überzeugung dabei auf die Aussagen der Zeugen T., E. und ‚S.

10. Die Verspätung beruhte auf einem außergewöhnlichen Umstand. Erforderlich sind diesbezüglich Umstände, die nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen, sondern außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Es sollen Ereignisse erfasst werden, die nicht zum Luftverkehr gehören, sondern als – jedenfalls in der Regel von außen kommende – besondere Umstände seine ordnungs- und planmäßige Durchführung beeinträchtigen oder unmöglich machen können (vgl. BGH, Urt. v. 12.06.2014, X ZR 121/13, Rn. 11 – zitiert nach juris). Dies ist bei den Umständen, die zum Abbruch des Vorflugs des streitgegenständlichen Flugs geführt haben, nämlich von außen auf das Fluggerät wirkenden Kräften in Form von – zumindest höchstwahrscheinlich – Wirbelschleppen der Fall.

11. Nach den Aussagen des Zeugen T. und des Zeugen S. steht fest, dass der Flug LHXXX am XX.XX.2015 von Frankfurt/Main nach Tokyo der unmittelbare Vorflug des streitgegenständlichen Flugs LHxxx am 23.08.2015 von Tokyo nach Frankfurt/Main war und beide Flüge mit der Maschine A-AAAA und derselben Crew durchgeführt werden sollten. Der Start des Flugs LHXXX am 22.08.2015 von Frankfurt/Main nach Tokyo musste vom Kommandanten durch eine Notbremsung abgebrochen werden, nachdem der Kommandant beim Beschleunigungsvorgang bemerkt hatte, dass äußere Kräfte auf das Flugzeug wirken und er wahrscheinlich in Wirbelschleppen des zuvor gestarteten Flugzeugs  – einer C. XXX der D. – geraten war, wobei dies geschah, nachdem der Kommandant durch den Tower die Startfreigabe erhalten hatte. Die Maschine D-AAAA war nach dem Abbruch des Starts beschädigt, betroffen waren insbesondere die Bremsen.

12. Zudem steht nach der Aussage des Zeugen E. fest, dass bei der Maschine D-AAAA bei einer Untersuchung nach dem Startabbruch festgestellt wurde, dass bei dem Start eine äußere Einwirkung auf die Maschine stattgefunden hatte, deren einzige plausible Erklärung Wirbelschleppen waren, und die den Startabbruch und zeitaufwändige Reparaturen an der Maschine erforderlich gemacht hatten.

13. Es kann letztlich dahinstehen, ob man davon ausgeht, dass Wirbelschleppen als Ursache des Startabbruchs feststehen, weil nach Aussage der Zeugen anzunehmen ist, dass andere möglichen Ursachen auszuschließen sind. Zur Überzeugung des Gerichts steht jedenfalls fest, dass eine äußere Einwirkung abseits des üblichen Betriebsablaufs zu dem Startabbruch und letztlich der streitgegenständlichen Verspätung geführt hat.

14. Insofern die Bekundungen der Zeugen nicht auf eigener Wahrnehmung, sondern auf der Wiedergabe von insbesondere computergestützt festgehaltenen Informationen beruhen, bestehen keine substantiellen Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Informationen.

15. Dass das außergewöhnliche Ereignis unmittelbar nur den Vorflug des streitgegenständlichen Flugs betroffen hat, ist unschädlich (vgl. BGH, Urt. v. 12.06.2014, X ZR 121/13, Rn. 15 ff. – zitiert nach juris).

16. Die Beklagte hat auch alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um die außergewöhnlichen Umstände zu verhindern.

17. Nach den Aussagen des Zeugen T. steht fest, dass die Beklagte nach einer technischen Untersuchung der Maschine D-AAAA festgestellt hat, dass die Maschine nicht zeitnah repariert werden konnte. Insbesondere mussten alle Räder und Bremsen gewechselt werden. Die Crew der Maschine konnte keinen Flug am selben Tag mehr durchführen, weil die maximal zulässige Flugdienstzeit überschritten worden wäre. Die Beklagte hat daraufhin ein Ersatzfluggerät mit der Kennung D-ABBB und eine Ersatzcrew bereitgestellt. Der Flug LHXXX konnte wegen des Nachtflugverbots in Tokyo dennoch erst mit einer Verspätung von 23 Stunden und 8 Minuten aus Frankfurt/Main abfliegen, weswegen der Flug LHxxx von Tokyo nach Frankfurt/Main erst mit einer Verspätung von 22 Stunden und 17 Minuten in Frankfurt/Main landete.

18. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung, auf dem Flughafen in Tokyo Ersatzfluggeräte vorzuhalten, bestand für die Beklagte nicht (vgl. BGH, Urt. v. 12.06.2014, X ZR 121/13, Rn. 25 – zitiert nach juris).

19. Mangels Begründetheit des Hauptanspruchs besteht auch kein Anspruch auf Zinsen.

20. Die Entscheidung zu den Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

21. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

22. Da mit dieser Entscheidung für keine Partei die zur Eröffnung der Berufung führende Beschwer von über 600,00 € erreicht ist, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen die Zulassung der Berufung zu prüfen, § 511 Abs. 4 ZPO. Die Berufung ist danach nicht zuzulassen gewesen, weil die Rechtssache ihre Entscheidung allein aus den Umständen des vorliegenden Falles gefunden hat und somit weder grundsätzliche Bedeutung besitzt oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert, § 511 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. Abs. 4 Nr. 1 ZPO.

23. Der Streitwert wird auf 600,00 EUR festgesetzt.

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