Ausrutschen auf Plastikfolie

KG Berlin: Ausrutschen auf Plastikfolie

Eine Reisende rutscht während eines Fluges auf einer Plastiktüte aus und zieht sich dabei eine schmerzhafte Verletzung zu. In der Folge verlangt sie von der sie befördernden Airline eine Schadensersatzzahlung im Sinne von Art. 20 des Montrealer Übereinkommens.

Das Kammergericht Berlin hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Das Montrealer Übereinkommen ermögliche lediglich Schadensersatzansprüche für Handlungen, die einen direkten Bezug zum Luftverkehr hätten. Ein solcher sei vorliegend nicht gegeben.

KG Berlin 3 U 17/07(Aktenzeichen)
KG Berlin: KG Berlin, Urt. vom 04.07.2008
Rechtsweg: KG Berlin, Urt. v. 04.07.2008, Az: 3 U 17/07
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Berlin-Gerichtsurteile

Kammergericht Berlin

1. Urteil vom 04. Juli 2008

Aktenzeichen: 3 U 17/07

Leitsatz:
2. Anwendbarkeit des Montrealer Übereinkommens setzt direkten Bezug zum Luftverkehr voraus.

Zusammenfassung:
3. Eine Reisende buchte bei einem privaten Luftfahrtunternehmen einen Linienflug nach China. Im Flugzeug lagen Decken bereit, die aus hygienischen Gründen in Plastikfolie verpackt waren. Während des Flugs rutschte die Klägerin auf einer solchen Tüte aus und verletzte sich.
In der Folge verlangt sie von der Airline die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes im Sinne von Art. 20 des Montrealer Übereinkommens.
Das Kammergericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Grundsätzlich sei das Montrealer Übereinkommen auf Zwischenfälle während einer Teilnahme am Luftverkehr anzuwenden. Vorliegend habe das schädigende Ereignisse jedoch keinen unmittelbaren Bezug zum Flugverkehr. So stelle das ausrutschen auf einer Plastiktüte keine aus dem Flug resultierende typische Gefahr dar.
Eine Anwendung des Montrealer Übereinkommens scheide vor diesem Hintergrund aus.
Auch Ansprüche aus nationalem Recht (§280 I BGB) lehnte das Gericht ab. Eine zwischen den Sitzreihen liegende Plastiktüte stelle keine Gefahr dar, die der Airline zuzuschreiben sei. Es bestehe weder eine regelmäßige Kontrollpflicht des Personals, noch könne der Gesellschaft das Einbringen der Tüte in den Innenraum des Flugzeuges als schadensersatzbegründendes Verschulden angerechnet werden.

Tenor:

4. Die Berufung der Klägerin gegen das am 10. August 2007 verkündete Urteil der Zivilkammer 15 des LGs Berlin wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

5. Gemäß § 540 Abs.1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem Urteil des LGs Berlin vom 10. August 2007 verwiesen.

6. Die Klägerin wendet sich gegen die Bewertung des LGs, dass nach dem Montrealer Übereinkommen – zu dessen Vertragsstaaten auch China gehöre – nur eine Haftung für luftverkehrstypische Gefahren vorgesehen sei und mit dem in Verkehr bringen von ca. 450 in Plastikfolien verschweißten Decken in einem Flugzeug keine luftverkehrstypische Gefahr geschaffen worden sei. Sie greift ferner die Beweiswürdigung des LGs an, dass mit der Aussage des Zeugen C. C. der Beweis, dass die Klägerin im Gang auf der Folie ausgerutscht sei, nicht erbracht sei.

7. Sie behauptet, nachdem die Tabletts mit dem Geschirr des zuvor servierten Abendessens wieder eingesammelt waren, sei zumindest drei Stunden lang niemand vom Kabinenpersonal den Gang entlang gekommen. Daran erinnere sich der Zeuge C. C. , da er lange Zeit darauf gewartet habe, dass sich eine Stewardess sehen lasse, weil er gerne noch ein Bier bestellt hätte.

8. Die Klägerin beantragt,

9. die Beklagte wird unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils vom 1.08.2006 verurteilt, an die Klägerin 10.000,00 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit 11.07.2006 zu zahlen.

10. Die Beklagte beantragt die Berufung zurückzuweisen.

11. Die Beklagte verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das angefochtene Urteil. Sie behauptet, auf dem fraglichen Flug habe das Kabinenpersonal der Beklagten nach dem Verpflegungsservice die Gänge alle 15 Minuten kontrolliert und auch anlässlich des Getränkeservices, der alle 30 Minuten nach dem Essen erfolgt sei, Kontrollen durchgeführt. Während dieser Kontrollen, bei denen das Kabinenpersonal zum Ausleuchten der Gänge eine Taschenlampe benutzt habe, sei keine auf dem Gangboden liegende Plastikfolie gefunden worden.

12. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen

13. Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

14. Das LG hat zutreffend ausgeführt, dass eine Haftung nach Art. 17 I des Montrealer Übereinkommen vom 28.05.1999 ( im Folgenden nur : MÜ) nur dann in Betracht kommt, wenn der Unfall seine Ursache in einer typischen, dem Luftverkehr eigentümlichen Gefahr hat. Zum Warschauer Abkommenssystem ( WA) war diese einschränkende Auslegung herrschende Meinung (Führich, Reiserecht, 5. Aufl., Rn 1064 mit Nachweisen in Fußnote 365). Das Montrealer Übereinkommen ist am 4.11.2003 in Kraft getreten. Mit diesem wird das WA modernisiert, letzteres sollte damit sukzessive abgelöst werden. Für die Bundesrepublik Deutschland ist das am 28.06.2004 in Kraft getreten. Zur Durchführung des und zu notwendigen Änderungen des nationalen Luftverkehrsgesetzes ist am 6.04.2004 das Gesetz zur Harmonisierung des Haftungsrechtes im Luftverkehr erlassen worden.

15. Danach kann wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschadens ist, auch eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden. Für Schäden nach Art. 17 I MÜ, die 100.000 Sonderziehungsrechte ( kurz : SZR – Stand 27.06.2008 1 SZR des IWF = 1,03501 EUR ) für jeden Reisenden nicht übersteigen, kann die Haftung des Luftfrachtführers nicht ausgeschlossen werden ( Art. 21 I MÜ). Damit ist bis zu diesem Betrag kein Entlastungsbeweis möglich und die Haftung verschuldensunabhängig. Nur für Personenschäden über 100.000 SZR kann der Luftfrachtführer gemäß Art 21 II MÜ den Entlastungsbeweis führen. Lediglich durch den Nachweis des Mitverschuldens des Geschädigten nach Art. 20 MÜ kann der Luftfrachtführer daher bei Schäden, die 100.000 SZR nicht übersteigen, der Haftung entgehen.

16. Es ist die von dem Luftfahrzeug ausgehende besondere Betriebsgefahr, die diesen strengen Haftungsmaßstab rechtfertigt (Führich, aaO, Rn 1067; Denkschrift BR-Drucks. 826/03 S.43). Dafür, dass mit den Regelungen im MÜ die ( bis 100.000 SZR ) verschuldensunabhängige Haftung ausgedehnt werden sollte auf Unfälle, die ihre Ursache in anderen Gründen haben als der besonderen Betriebsgefahr, die von einem Luftfahrzeug ausgeht, spricht nichts. Nur mit dieser speziellen Gefahr lässt sich die Regelung, dass eine Haftung des Luftfrachtführers eintreten soll, unabhängig davon, ob ihn ein Verschulden trifft, rechtfertigen. Aus welchem Grund die vertragsschließenden Parteien des MÜ eine ( im vorgenannten Rahmen) verschuldensunabhängige Haftung des Luftfrachtführers hätten statuieren wollen und sollen für Unfälle jeglicher Art, nur weil sie in einem Luftfahrzeug oder beim Ein- und Aussteigen passieren, ist nicht ersichtlich.

17. Dem LG ist auch darin zu folgen, dass sich mit dem Ausrutschen der Klägerin auf der Plastikfolie, in dem eine Decke verpackt war, keine typische, dem Luftverkehr eigene Gefahr realisiert hat. Zu Unfallereignissen, die durch typische, dem Luftverkehr eigentümliche Gefahren bedingt sind, zählen z.B. Körperschaden infolge falschen Druckausgleichs in der Flugzeugkabine, Herabfallen von Bordgepäck aus dem Kabinenstauraum (overhead bin), Verletzung durch einen ungesicherten Service-Wagen während des Sinkfluges ( vgl. Führich, aaO, Rn 1064). Anders als die Klägerin meint, folgt daraus, dass an keinem anderen Ort als in einem Großraumflugzeug 450 in Plastikfolie verpackte Decken ausgegeben werden, keine luftfahrttypische Gefahr. Wenn einzelne Plastikfolien auf den Boden des Flugzeugs, dort wo sich Passagiere bewegen, gelangen, so steht das in keinem inneren Zusammenhang mit den Gefahren der Luftfahrt. Das ist nicht auf die besondere Betriebsgefahr, die von einem Flugzeug ausgeht, zurückzuführen.

18. Es ist nicht so, dass, indem den Flugzeugpassagieren für die Nachtruhe Decken zur Verfügung gestellt werden, die aus hygienischen Gründen in Plastikfolien eingeschweißt sind, die Gefahr geschaffen wird, dass durch die Flugweise oder die räumliche Enge in der Flugzeugkabine hunderte von Plastikfolien in die Gänge gelangen. Die weichen Folien haben ein so geringes Volumen, dass man sie leicht zusammendrücken und ohne Mühe in die Sitztasche auf der Rückseite des Vordersitzes verstauen kann, selbst wenn sich dort noch andere Gegenstände befinden. Es ist keineswegs so, dass das Auspacken der Decken zur Folge hat, dass eine Vielzahl dieser Plastikfolien auf den Boden der Gänge in der Flugzeugkabine gelangt. Wenn solche Folien vereinzelt dorthin gelangen, so hat das nichts mit dem Flugbetrieb an sich zu tun.

19. Einen Anspruch der Klägerin nach den subsidiär geltenden allgemeinen Vorschriften der Leistungsstörungen in Bezug auf den Luftbeförderungsvertrag (§ 241 Abs.2 BGB , 280 BGB) oder nach den Vorschriften der unerlaubten Handlung ( §§ 823, 831 BGB) hat das LG im Ergebnis zu Recht ebenfalls verneint.

20. Der Senat teilt die Auffassung des LGs, dass das Kabinenpersonal eines Flugzeuges während des Fluges keine Obliegenheit trifft, den in den einzelnen Sitzreihen vor den Sitzen befindlichen Raum auf Gefahrenquellen zu kontrollieren und dass dieses auch nicht gehalten war, die Folien, in der die für die Nachtruhe der Flugzeugpassagiere zur Verfügung gestellten Decken eingeschweißt waren, nach dem Auspacken der Decken einzusammeln und verweist dazu auf die zutreffenden Ausführungen in dem LGlichen Urteil. Dadurch, dass Decken in Plastikfolien zur Verfügung gestellt worden sind, wurde keine allgemeine Gefahrenquelle geschaffen, die durch systematisches Einsammeln der Folien hätte beseitigt werden müssen. Das Kabinenpersonal des Flugzeuges traf hingegen, wie das LG zutreffend angenommen hat, die Pflicht, während des Fluges die Gänge der Kabine in einem solchen Zustand zu halten, dass die Flugzeugpassagiere sie risikolos passieren können, also dafür Sorge zu tragen, dass sich dort nichts befindet, was eine Gefahr des Ausrutschens und Stürzens für die dort entlang laufenden Personen in sich birgt. Dies erfordert regelmäßige Kontrollgänge.

21. Nach Auffassung des Senats ist es aber jedenfalls bei einem Flug über Nacht, während der üblichen Zeit der Nachtruhe, nicht geboten, dass das Kabinenpersonal ununterbrochen die Gänge abläuft, um zu kontrollieren, dass dort nichts hin gelangt ist, was eine Gefahr darstellen kann, sondern reichen in dieser Zeit Kontrollgänge im Abstand von 15 Minuten, wie sie nach Behauptung der Beklagten hier stattgefunden haben sollen. Der Sturz der Klägerin erfolgte unstreitig zur Nachtzeit.

22. Es kann hier offen bleiben, ob die Einwendungen der Klägerin gegen die Würdigung des LGs, mit der Aussage des Zeugen C. C. sei der Beweis, dass die Folie in Höhe der Sitzreihe im Gang lag, als die Klägerin nach Rückkehr aus dem Waschraum darauf ausrutschte, durchgreifen. Denn selbst wenn sich die Folie an dieser Stelle befunden haben sollte, als die Klägerin zu Fall kam, so ist damit noch nicht der Beweis erbracht, dass eine Pflichtverletzung des Kabinenpersonals vorliegt, die ursächlich für den Sturz der Klägerin war. Eine Pflichtverletzung läge nur dann vor, wenn das Kabinenpersonal der zuvor beschriebenen Kontrollpflicht nicht nachgekommen wäre. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Beklagte eine Pflichtverletzung gegenüber der Klägerin begangen hat und diese ursächlich für das Ausrutschen der Klägerin war, liegt bei der Klägerin.

23. Die Klägerin hat aber nicht dargelegt und unter Beweis gestellt, dass die Plastikfolie schon einige Zeit, bevor sie darauf ausgerutscht ist, an der von ihr behaupteten Stelle gelegen hat und das Unterlassen eines Kontrollganges des Kabinenpersonals dazu geführt hat, dass die Folie dort verblieben ist. Die Klägerin hat zwar behauptet, nach Beendigung des Verpflegungsservice mit dem Abendessen sei vom Kabinenpersonal mindestens drei Stunden lang niemand den Gang entlang gegangen und hat dafür ihren Ehemann und eine weitere Person als Zeugen benannt. Wenn diese Behauptung zutreffen sollte, dann läge eine Pflichtverletzung des Kabinenpersonals vor. Einer Beweiserhebung über diese Behauptung bedurfte es jedoch nicht. Denn der erforderliche Beweis, dass diese Pflichtverletzung ursächlich für das Ausrutschen Klägerin war, wäre, auch wenn die vorgenannte Behauptung bewiesen würde, damit nicht erbracht.

24. Es handelt sich hier nicht um einen typischen Geschehensablauf, bei dem der Schluss gezogen werden kann, dass die Folie sich schon bevor die Klägerin – die den Fensterplatz innehatte -, der Zeuge C. C. – der den mittleren Platz innehatte – und die weitere Person – die den Gangplatz innehatte – aufgestanden und aus der Sitzreihe herausgetreten waren, damit die Klägerin zum Waschraum gehen kann, an der von der Klägerin behaupteten Stelle befunden haben muss. Die Folie kann auch erst anlässlich des Heraustretens aus der Sitzreihe an diese Stelle gefallen sein, die Folie der Decke der auf dem Gangplatz sitzenden Person kann dabei dorthin gelangt sein. Dann hätte das Kabinenpersonal sie aber auch bei einem unmittelbar vorher durchgeführten Kontrollgang nicht finden und beseitigen können. Es kann somit nicht festgestellt werden, dass fehlende Kontrollgänge des Kabinenpersonals ursächlich dafür waren, dass sich die Folie im Gang befand, als die Klägerin ausrutschte. Die behauptete Pflichtverletzung allein begründet keine Haftung der Beklagten.

25. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO.

26. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

27. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache wirft keine entscheidungserheblichen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf; eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs.2 ZPO).

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