Umfang der Aufklärungspflicht eines Reiseveranstalters

LG Heidelberg: Umfang der Aufklärungspflicht eines Reiseveranstalters

Die Klägerin buchte eine Studienreise mit Exkursionen und Ausflügen. Im Anschluss forderte sie von dem Reiseveranstalter Reisepreisminderung, da ihrer Ansicht nach zu große körperliche Anstrengungen während der Reise aufgebracht werden mussten und dies einen Reisemangel darstellten.

In erster Instanz bekam die Klägerin vor dem AG Heidelberg Recht. Auf die Berufung des Beklagten hin hob das LG Heidelberg das Urteil auf und wies die Klage insgesamt zurück.

LG Heidelberg 4 S 19/83 (Aktenzeichen)
LG Heidelberg: LG Heidelberg, Urt. vom 18.10.1983
Rechtsweg: LG Heidelberg, Urt. v. 18.10.1983, Az: 4 S 19/83
AG Heidelberg, Urt. v. 20 C 27/82, Az: 28.04.1983
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Landgericht Heidelberg

1. Urteil vom 18.10.1983

Aktenzeichen 4 S 19/83

Leitsätze:

2. Ergibt sich aus der Art der Reise und aus dem Reiseprospekt, dass die Reise mit körperlichen Anstrengungen verbunden ist, dann stellen diese keinen Reisemangel i.S.d. § 651c Abs. 1 BGB dar.

Führt die Pflichtverletzung nicht zu einem Reisemangel, sind die §§ 651c ff. BGB nicht anwendbar.

Kann der Reisende sich aufgrund des Reiseprospektes ein umfassendes Bild von der Reise machen, ist der Veranstalter nicht zu weiteren ausdrücklichen Aufklärungen verpflichtet.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin, eine Ärztin mit einer Gehbehinderung, buchte bei dem beklagten Reiseveranstalter eine Studienreise mit Exkursionen und Ausflügen. Im Anschluss forderte sie von dem Reiseveranstalter Reisepreisminderung, da ihrer Ansicht nach zu große körperliche Anstrengungen während der Reise aufgebracht werden mussten und dies einen Reisemangel darstellten.

In erster Instanz bekam die Klägerin vor dem AG Heidelberg Recht. Auf die Berufung des Beklagten hin hob das LG Heidelberg das Urteil auf und wies die Klage insgesamt zurück. Da die Klägerin von ihrer Gehbehinderung gewusst habe, hätte sie wissen müssen, dass eine Studienreise mit Ausflügen zu Ruinen und der Erkundung der Landschaft ihr u.U. zu anstrengend werden könnte. Aus diesem Grund lag schon keine Verletzung der Informationspflichten durch den Veranstalter vor und überdies auch kein Reisemangel.

Tenor:

4. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 28.04.1983 – 20 C 27/82 – unter Aufhebung im Kostenpunkt wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

 

Tatbestand:

5. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

 

Entscheidungsgründe:

6. Die Berufung ist, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet wurde, zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

7. Zwar ergibt sich die Begründetheit der Berufung nicht schon daraus, dass zwischen der letzten mündlichen Verhandlung des Amtsgerichts und der Verkündung des Urteils ein Zeitraum von mehr als 3 Monaten lag, der Erstrichter somit bei der Bestimmung des Verkündungstermins gegen die zwingende Regelung des § 310 Abs. 1 Satz 2 ZPO verstoßen hat. Denn auf diesem Verfahrensfehler beruht das angefochtene Urteil nicht.

8. Die Berufung ist jedoch deshalb begründet, weil der Klägerin gegen die Beklagte keine Ansprüche aus dem Reisevertrag zustehen.

9. Die unstreitig programmgemäß verlaufene Reise war auch für die Klägerin nicht mit Fehlern behaftet, die die Tauglichkeit zu dem nach dem Vertrage vorausgesetzten Nutzen aufhoben oder minderten (§ 651c Abs. 1 BGB). Insbesondere fehlt es auch im Hinblick auf die körperlichen Beanspruchungen der Reiseteilnehmer an einer Abweichung der tatsächlich erbrachten von den vertraglich vereinbarten Reiseleistungen.

10. Ein den Minderungsanspruch nach § 651d Abs. 1 BGB rechtfertigender Reisemangel im Sinne des § 651c Abs. 1 BGB liegt nur dann vor, wenn die wirkliche Beschaffenheit der Reise von dem abweicht, was die Parteien vereinbart haben. Der Inhalt des Reisevertrages wird dabei in erster Linie von der im Reisekatalog enthaltenen Leistungsbeschreibung bestimmt, der der Reisende die Information über die jeweiligen Einzelheiten der Reise zu entnehmen pflegt. Die vertraglich vereinbarte Sollbeschaffenheit der Reise bestimmt sich weiterhin nach der Art und dem Zweck der Reise sowie dem sich daraus ergebenden Gesamtcharakter (Münchener Kommentar § 651 c Anmerkung 5; Erman, BGB, 7. Auflage, § 651 c Anmerkung 2; Palandt, BGB, 42. Auflage, § 651 c Anmerkung 2; Jauernig, BGB, 2. Auflage, § 651 c Anmerkung 1 a). Was der Reiseveranstalter nach den im Prospekt enthaltenen Angaben an Reiseleistungen zu erbringen hat, ist aus der Sicht eines verständigen Durchschnittskunden zu ermitteln. Fehlen im Reiseprospekt ausdrückliche Angaben, so ist darauf abzustellen, was der Reisende üblicherweise erwarten darf („gewöhnlicher Nutzen“). Die von der Beklagten durchgeführten Reise wich von der anhand dieser Kriterien zu ermittelnden vereinbarten Sollbeschaffenheit auch hinsichtlich der von den Reiseteilnehmern geforderten körperlichen Anstrengungen nicht ab. Auch wenn dies im Reiseprospekt der Beklagten nicht ausdrücklich hervorgehoben wurde, ergibt sich doch bereits aus dem Typus der Studienreise mit Exkursionen und aus der Prospektbeschreibung der von der Klägerin gebuchten Reise, dass eine gute Konstitution erforderlich war, um an allen Exkursionen und Ausflügen uneingeschränkt teilnehmen zu können.

11. Dies folgt zwar entgegen der Ansicht der Beklagten nicht schon aus dem Hinweis auf die „freiwillige Teilnahme“ an den jeweiligen Exkursionen. Aus diesem Hinweis, der allein zum Ausdruck bringt, dass keine Teilnahmepflicht besteht, ergeben sich für den Durchschnittsleser keine Anhaltspunkte auf mögliche körperliche Belastungen. Solche ergeben sich jedoch aus Charakter und Zweck einer Studienreise mit Exkursionen und Ausflügen, da sich mit dieser Art von Reisen regelmäßig – anders als etwa bei reinen Erholungsurlauben – mehr oder weniger anstrengende Fußmärsche verbinden. Auch das Vorwort der Prospektbeschreibung weist darauf hin, dass Kunst und Kultur den Reiseteilnehmern in „nicht zu anstrengenden Führungen“ vermittelt werden sollten; aus dieser Formulierung wird jedermann deutlich, dass gewisse körperliche Anstrengungen gefordert würden. Dass die Reise nicht völlig unerhebliche Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit der Teilnehmer stellen würde, lässt sich auch den Angaben zu den einzelnen vorgesehenen Exkursionszielen („befestigte Stadt … am Berg“, „Führungen durch Ausgrabungen“ und „Ruinenstädte“, in bergreichem, touristisch unberührtem Gebiet gelegene „Festungen“) entnehmen. Bei Führungen durch Ausgrabungen und Besichtigungen von Ruinenstädten, am Berg gelegener Festungen und griechischer Theater ist auch für einen Durchschnittsleser erkennbar, dass – da zudem touristisch nicht erschlossen, notwendigerweise zu Fuß – steilere, durch unwegsames Gelände führende und nicht leicht begehbare Strecken zurückgelegt werden müssen. Dass dies mit nicht unerheblichen, eine gute Konstitution voraussetzenden Anstrengungen verbunden ist, versteht sich von selbst.

12. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Reise mit „echter körperlicher Erholung“ verbunden sein sollte. Betrachtet man die gesamte sich aus dem Prospekt ergebende Reisebeschreibung, so lässt sich diese Formulierung von einem verständigen Leser nur dahin verstehen, dass gerade aufgrund der und neben den „nicht zu anstrengenden Führungen“, also zusätzlich, die einzelne Reise auch hinreichend Möglichkeit zur Erholung bieten werde.

13. Da sonach die Reise auch im Hinblick auf die tatsächlich geforderten körperlichen Anstrengungen nicht von der Leistungsbeschreibung im Prospekt abwich, fehlt es an dem von der Klägerin behaupteten Reisemangel. Dass die Klägerin eine für sie aufgrund ihrer besonders beeinträchtigten körperlichen Konstitution teilweise nutzlose Reise buchte und damit einen nicht erwartungsgerechten Vertrag abschloss, stellt keinen derartigen Reisemangel dar.

14. Der Klägerin steht auch kein Schadensersatzanspruch auf Rückzahlung eines Teils des geleisteten Reisepreises (sogenannte schadensersatzrechtliche Minderung, Jauernig, § 276 Anmerkung VI 4 e) wegen angeblich unvollständiger Information durch die Beklagte über die mit der Reise verbundenen Anstrengungen zu.

15. Auf die etwaige Verletzung von Informationspflichten sind die besonderen Gewährleistungsvorschriften der §§ 651c ff. BGB nicht anwendbar, sofern die Pflichtverletzung nicht zu einem Reisemangel führt (Heinz, Die Rechtsstellung des Reisenden nach Inkrafttreten der Reisevertragsnormen, Seite 115 f; Erman, vor § 651 c Anmerkung 8; Palandt, § 651 a Anmerkung 2 c und vor § 651 c Anmerkung 3). Denn alle Gewährleistungsvorschriften der §§ 651c ff. BGB setzen das Vorliegen eines Reisemangels voraus.

16. Entgegen der Ansicht der Klägerin hat die Beklagte nicht gegen eine vorvertragliche Informations- und Aufklärungspflicht verstoßen, so dass auch ein Schadensersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens beim Vertragsschluss nicht besteht. Aufgrund ihrer persönlichen Vorkenntnisse und der im Reiseprospekt enthaltenen Reisebeschreibung konnte die Klägerin auch ohne weitere Information durch die Beklagte Kenntnis davon haben, dass die Reise eine erhöhten Anforderungen genügende Konstitution erfordern würde.

17. Der Reiseveranstalter ist zwar verpflichtet, dem Reisenden die zu einer ordnungsgemäßen Durchführung der Reise erforderlichen allgemeinen und auf Anfrage auch besondere Informationen zu erteilen (Palandt, § 651 a Anmerkung 2 a). Unter welchen Voraussetzungen und hinsichtlich welcher Umstände eine Informations- und Aufklärungspflicht besteht, ist jedoch nach den Umständen des Einzelfalles zu entscheiden. So besteht eine auf der besonderen Sachkunde des Reiseveranstalters beruhende Informations- und Aufklärungspflicht dann nicht, wenn der Reisende von den maßgeblichen Umständen objektiv Kenntnis hat oder haben kann, sei es, weil diese Allgemeingut sind, sei es infolge subjektiver Spezialkenntnisse (Bartl, Reiserecht, 2. Auflage, Anmerkung 8 a). In diesem Falle bedarf der Reisende nämlich keines Schutzes durch den in anderen Fällen etwa allein sachkundigen Veranstalter. Bei der Beurteilung von Umfang und Grenzen der Informationspflicht des Veranstalters hinsichtlich der Durchführung der Reise ist auch auf die Angaben im Reisekatalog zurückzugreifen. Da die Haftung nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsschluss eine Haftung für zumindest fahrlässig mitverursachte fehlerhafte Willensbildung auf seiten des (unkundigen) Vertragspartners darstellt (Jauernig, § 276 Anmerkung VI 2 c), kommt insoweit eine Haftung des Reiseveranstalters wegen unterlassener oder nicht ausreichender Aufklärung nur in Betracht, wenn die Katalogangaben lückenhaft, unklar oder gar irreführend sind.

18. Vorliegend war die Beklagte nicht verpflichtet, die Klägerin ausdrücklich auf das Erfordernis einer guten Konstitution hinzuweisen. Die Klägerin, eine ihre Gehbehinderung kennende Ärztin, kannte die mit einer Studienreise mit Exkursionen verbundenen körperlichen Anstrengungen, und sie wusste auch, dass die von ihr gebuchte Reise in ein besonders bergreiches Gebiet führen würde. Ferner wusste sie aufgrund der Katalogbeschreibung, dass die vorgesehenen Exkursionsziele, Berg- und Ruinenstädte, am Berg gelegene Festungen und Ausgrabungsstätten, in einem touristisch nicht erschlossenen Gebiet lagen und in „nicht zu anstrengenden Führungen“ besichtigt werden sollten. Damit war ihr ohne weiteres erkennbar, dass sie aufgrund ihrer Behinderung an einzelnen Reiseveranstaltungen sehr wahrscheinlich nicht würde teilnehmen können. Eines zusätzlichen ausdrücklichen Hinweises auf das Erfordernis einer guten körperlichen Konstitution über die im Reiseprospekt enthaltenen Einzelangaben hinaus bedurfte es daher nicht. Wenn der Reisende sich bereits aufgrund der im Prospekt enthaltenen Einzelangaben ohne weiteres ein klares Bild von den für die ordnungsgemäße Durchführung der Reise erforderlichen Umständen machen kann, ist er insoweit auf die besondere Sachkunde des Veranstalters nicht mehr angewiesen. Da die Angaben zu der von der Klägerin gebuchten Reise auch nicht unklar, lückenhaft oder irreführend waren, die Klägerin vielmehr bereits, wie ausgeführt, Rückschlüsse auf die bevorstehenden Anstrengungen und die zu ihrer Bewältigung erforderliche Konstitution ziehen konnte, war die Beklagte nicht verpflichtet, sie auf diesen Umstand nochmals ausdrücklich hinzuweisen.

19. Da die Beklagte sonach keine ihr obliegende vorvertragliche Pflicht verletzt hat, stehen der Klägerin keine Schadensersatzansprüche zu, so dass die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen war.

20. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

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