Verletzung von Informationspflichten bei Unterbringung während eines Gastschulaufenthalts auf einem Schweinemastbetrieb

LG Berlin: Verletzung von Informationspflichten bei Unterbringung während eines Gastschulaufenthalts auf einem Schweinemastbetrieb

Die Kläger traten von einem Gastschulaufenthaltsvertrag für ihre Tochter zurück und verlangten von dem beklagten Reiseveranstalter die Rückzahlung des Reisepreises und Schadensersatz für vertane Urlaubszeit.

Das LG Berlin hat den Klägern die Rückzahlung des Reisepreises zugesprochen und entschieden, dass eine Platzierungsinformation zum Vertragsinhalt gehört.

LG Berlin 5 O 569/03 (Aktenzeichen)
LG Berlin: LG Berlin, Urt. vom 03.06.2004
Rechtsweg: LG Berlin, Urt. v. 03.06.2004, Az: 5 O 569/03
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Landgericht Berlin

1. Urteil vom 03.06.2004

Aktenzeichen: 5 O 569/03


Leitsätze
:

2. Die Platzierungsinformation bei einem Gastschulaufenthaltsvertrag gehört zu dem Inhalt des Vertrags.

Stimmen die Inhalte einer Platzierungsinformation mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht überein, so liegt ein erheblicher Reisemangel vor, welcher zum Rücktritt berechtigt.


Zusammenfassung
:

3. Die Kläger buchten bei dem beklagten Reiseveranstalter einen 5-monatigen (von September 2003 bis Januar 2004) Gastschulaufenthalt in Frankreich für ihre minderjährige Tochter. In der Folgezeit zahlten die Kläger den gesamten Reisepreis und Anfang Juni 2003 übersandte der Beklagte eine „Platzierungsinformation“ an die Kläger. In der Platzierungsinformation stand, dass die Gasteltern Bauer sind, die Entfernung des Hauses von der Schule 15 Minuten beträgt und das Haus sich in einem Dorf mit 8000 Einwohnern befindet. Als die Kläger ihre Tochter mit dem eigenen Fahrzeug zu der Gastfamilie nach Frankreich brachten stellten sie fest, dass die Gastfamilie einen Schweinemastbetrieb mit über 2500 Tieren betreibt, welcher sich in unmittelbarer Nähe des Wohnhauses befindet. Den Aufenthalt ihrer Tochter auf einem Schweinemastbetrieb wollten die Kläger nicht hinnehmen. Außerdem lag die Schule 15 km von dem Hof entfernt. Der 1,1 km lange Weg zu der Bushaltestelle war unbeleuchtet uns führte durch ein bewaldetes Gebiet ohne Bebauung. Da der Reiseveranstalter den Klägern keine andere Gastfamilie anbieten wollte, kündigten die Kläger den Reisevertrag und verlangten von dem Reiseveranstalter die Rückzahlung des Reisepreises und Schadensersatz für vertane Urlaubszeit für ihre Tochter.

Das Landgericht Berlin hat den Klägern die Rückzahlung des Reisepreises zugesprochen. Die an die Kläger durch die Beklagte übersandte Platzierungsinformation ist zum Vertragsinhalt geworden, sodass die tatsächlichen Verhältnisse dem Inhalt der Platzierungsinformation entsprechen müssen. Die Inhalte der Platzierungsinformation entsprechen jedoch nicht der Wirklichkeit. Tatsächlich beträgt die Entfernung des Hauses von der Schule ca. 45 Minuten, also das Dreifache der von der Beklagten angegebenen Zeit. Der Schweinemastbetrieb und somit auch das Haus der Gasteltern befindet sich in 15 Minuten Entfernung zu dem Dorf, so dass von einer problemlosen Teilnahme der Schülerin an dem dörflichen Leben nicht gesprochen werden kann. Es liegt also ein erheblicher Reisemangel vor, welcher zur Kündigung des Reisevertrages berechtigt. Einen Anspruch auf Schadensersatz für vertane Urlaubszeit haben die Kläger jedoch nicht, weil § 651 f Abs. 2 BGB auf Gastschulaufenthalte nicht anwendbar ist.


Tenor
:

4.

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 5.793,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 5.886,20 € seit dem 5. Januar 2004 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu 38 % und die Beklagte zu 62 % zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Tatbestand:

5. Die Kläger begehren von der Beklagten nach Rücktritt von einem Reisevertrag über einen Gastschulaufenthalt ihrer minderjährigen Tochter … die Rückzahlung des Reisepreises, den Ersatz angeblich entstandener Vermögensschäden und für ihre Tochter eine angemessene Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit.

6. Am 20./24. August 2002 schlossen die Kläger einen schriftlichen Vertrag mit der … (im Folgenden. … ) über einen 5-monatigen Gastschulaufenthalt ihrer minderjährigen Tochter … in Frankreich in der Zeit von September 2003 bis Januar 2004. Wegen des Vertragsinhaltes wird auf die eingereichte Kopie des Vertrages vom 20./24. August 2002 Bezug genommen. Der Gastschulaufenthalt sollte für … während des ersten Halbjahres der 11. Schulklasse erfolgen. In der Folgezeit zahlten die Kläger den gesamten Reisepreis und Anfang Juni 2003 übersandte … eine „Platzierungsinformation“ (B 2 und gelbes Blatt in dem Anlagenkonvolut zur Klageschrift) in französischer Sprache an die Kläger. Wegen des Inhaltes der Platzierungsinformation wird Bezug genommen auf die eingereichten Kopien. Am 29. August 2003 brachten die Kläger ihre Tochter mit dem eigenen Fahrzeug zu der Gastfamilie … nach Frankreich. Die Familie … betreibt einen Schweinemastbetrieb etwa 15 Minuten Fußweg von dem nächstgelegenen Ort Saint Renan entfernt. Etwa 250 Schweine nebst Ferkel werden in der Nähe des Wohnhauses gehalten, eine weitere Mastanlage mit etwa 2.500 Tieren befindet sich nicht in der Nähe des Wohnhauses. Wegen der örtlichen Gegebenheiten wird ergänzend auf die von beiden Parteien eingereichten Fotos Bezug genommen. Das für … vorgesehene Zimmer lag etwa 20 – 25 m von dem Schweinemaststall entfernt. Die von … zu besuchen beabsichtigte Schule befand sich in Brest. Auf ihrem Schulweg hätte … zunächst einen etwa 1,0 km (so die Beklagte) oder etwa 1,1 km (so die Kläger) langen Weg zu einer Bushaltestelle zurücklegen müssen. Der Weg war unbeleuchtet und führte zu größten Teil durch bewaldetes Gebiet ohne Bebauung, im Außenbereich des Ortes entlang einer Schnellstraße ohne Fußgängerweg. Die – nach Angaben des Klägers zu 2) in der mündlichen Verhandlung etwa 15 km entfernte – Stadt Brest ist dann mit dem Bus in etwa 15 Minuten zu erreichen. Nach einem Aufenthalt mit Kaffeetrinken bei der Gastfamilie … versuchte der Kläger zu 2) – angeblich – gegen 19.00 Uhr erfolglos, die in der Platzierungsinformation genannte Ansprechpartnerin, Frau … , und anschließend die Beklagte in Berlin anzurufen, da er insbesondere wegen der abgelegenen Lage des Hofes, der Länge und der Art des Schulweges, der unmittelbaren Nähe des Schweinemastbetriebes und der hygienischen Zustände auf dem Hof einen Aufenthalt seiner Tochter auf dem Schweinemastbetrieb in den nächsten 5 Monaten nicht hinnehmen wollte. Anschließend reisten die Kläger mit ihrer Tochter zurück nach Deutschland. Nach einem Anruf des Klägers zu 2) am Montag, dem 1. September 2003, bei der Beklagten in Berlin, teilte die Beklagte mit Fax vom 2. September 2003 (Anlage B 5) mit, dass es sich bei der Familie … um eine geeignete Gastfamilie handele, und bot nochmals eine Platzierung bei dieser Familie an. Auf die schriftliche Bitte des von den Klägern beauftragten … vom 3. September 2003 (Anlage B 6), eine neue angemessene Gastfamilie zu benennen, bot die Beklagte mit Fax vom 4. September 2003 (Anlage B 7) erneut eine Platzierung bei der Familie … an. Daraufhin traten die Kläger mit Schreiben vom 4. September 2003 (Anlage B 8) von dem Vertrag zurück und begehrten Rückzahlung des Kaufpreises sowie Schadensersatz.

7. Mit der Klage begehren die Kläger die Zahlung folgender Beträge:

8.

Reisepreis 4.214,00 €
Kosten der Fahrt zum Vorbereitungstreffen in Köln 67,20 €
Fahrtkosen nach Frankreich (0,60 €/km) 1.488,00 €
Übernachtung/Maut 145,00 €
Kosten der Rechtsberatung durch A. B. e.V. 320,00 €
Telefonkosten 45,00 €
Zeitaufwand des Klägers zu 2) 608,00 €
Zeitaufwand des Klägers zu 2) 228,00 €
Versicherungspaket für Gastschulaufenthalt 271,00 €
Reiserücktrittsversicherung 80,00 €
Klageforderung: 7.466,20 €.

9. Die Kläger behaupten, auf dem Hof der Gastfamilie … habe es – auch innerhalb des ihrer Tochter zugewiesenen Zimmers -, wie neben einer geöffneten Güllegrube, nach Gülle gestunken. Auch seien die hygienischen Umstände für ihre Tochter unzumutbar gewesen. So seien die Hände des Gastvaters während des Kaffeetrinkens ungewaschen und die Kaffeetassen ungespült gewesen. In der Küche hätten sich massenhaft Fliegen auf ungeschützt herumstehenden Nahrungsmitteln befunden. Auf den Freiflächen neben dem Maststall und unmittelbar hinter dem Wohnhaus seien Kot und Urin in Pfützen sichtbar und zu riechen gewesen. Vor einer Stalltür stand – unstreitig – ein Eimer mit toten Ferkeln. Auch in der Zuchtstation lagen – unstreitig – tote Ferkel. Durch die Reise nach Frankreich und den anschließenden, gescheiterten Versuch, doch noch einen Gastschulaufenthalt für ihre Tochter in Frankreich zu ermöglichen, seien den Klägern Kosten in der geltend gemachten Höhe entstanden.

10. Die Kläger beantragen,

11. 1. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger als Gesamtgläubiger 7.466,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 6. Januar 2004 zu zahlen;

12. 2. die Beklagte weiter zu verurteilen, an ihre minderjährige Tochter, … , eine Entschädigung gemäß § 651 f. Abs. 2 BGB, § 287 ZPO zu zahlen.

13. Die Beklagten haben die Klageforderung in Höhe von 92,50 € anerkannt und beantragen im Übrigen,

14. die Klage abzuweisen.

15. Sie bestreiten ihre Passivlegitimation und verweisen darauf, dass ein Vertrag zwischen den Klägern und der … geschlossen worden sei. Letztere werde lediglich durch die Beklagte in Deutschland vertreten. Bei der Gastfamilie … handele es sich um eine sorgfältig ausgesuchte und ausgezeichnet geeignete Gastfamilie. Auf dem Schweinemastbetrieb habe es auch nicht gestunken. Es handele sich um ganz normale Gerüche eines ländlichen Betriebes. Die hygienischen Verhältnisse seien einwandfrei und das Geschirr sauber gewesen. Im übrigen erhebt sie Einwendungen gegen die Ersatzfähigkeit und die Höhe einzelner Schadenspositionen.

16. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

Entscheidungsgründe:

17. Die Klage ist – über den durch Anerkenntnisteilurteil vom 13. Mai 2004 zugesprochenen Betrag hinaus – in Höhe des aus dem Tenor ersichtlichen Umfangs begründet.

18. Bei der Entscheidung des Rechtsstreits ist das BGB in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung zugrunde zu legen, Artikel 229 § 5 EGBGB.

19. Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von weiteren 5.793,70 € aus §§ 651 l, 651 e Abs. 1 Satz 1, 651 c Abs. 1, 651 f Abs. 1 BGB.

20. Die Beklagte ist passiv legitimiert, denn gemäß § 651 a Abs. 2 BGB kann die Beklagte nicht damit gehört werden, nur als Vertreter eines selbst in diesem Rechtsstreit noch nicht ordnungsgemäß benannten Dritten aufgetreten zu sein. Weder aus den Vertragsunterlagen noch aus dem Vortrag der Beklagten in diesem Rechtsstreit ist ersichtlich, wen die Beklagte überhaupt vertreten haben will. Es sind weder die gesetzlichen Vertreter noch die ladungsfähige Anschrift des angeblichen Vertragspartners der Klägerin genannt. Eine Klage gegen den angeblich von der Beklagten vertretenen Dritten könnten die Kläger nicht ordnungsgemäß erheben, sie können nicht einmal versuchen, die Genehmigung des Vertretenen einzuholen, um etwa gemäß § 179 BGB vorzugehen.

21. Die Kläger waren gemäß §§ 651 e Abs. 1 Satz 1, 651 c Abs. 1 BGB zur Kündigung des Gastschulaufenthalts wegen eines Mangels berechtigt, denn die Leistungen der Beklagten weisen nicht die von ihr durch die Platzierungsinformation (Anlage B 2) zugesicherten Eigenschaften auf.

22. Durch den schriftlichen Vertrag vom 20./24. August 2002 (Anlagenkonvolut I) haben die Parteien einen Reisevertrag, der einen mindestens drei Monate andauernden und mit dem geregelten Besuch einer Schule verbundenen Aufenthalt einer Gastschülerin bei einer Gastfamilie in einem anderen Staat zum Gegenstand hat, abgeschlossen. Auf einen solchen Vertrag finden gemäß

23.  § 651 l BGB die Vorschriften des Reisevertragsrechts Anwendung.

24. Als zugesicherte Eigenschaften gelten im Reiserecht alle wesentlichen, für die Wahl des Urlaubsortes in Betracht zu ziehenden Verhältnisse, die wegen ihrer Art und Dauer nach der Verkehrsanschauung Einfluss auf die vertragsgemäße Beschaffenheit der Reise haben (Staudinger/Eckert (2003), § 651 c, Rdnr. 45). Als zugesicherte Eigenschaften gelten danach insbesondere die Angaben, die der Reiseveranstalter in dem Reiseprospekt, der Reisevertragsbestätigung und den sonstigen Vertragsunterlagen hinsichtlich der von ihm zu erbringenden Leistungen macht (BGH NJW 2000, 1188, 1189; Staudinger/Eckert (2003), § 651 c, Rdnr. 45). Diese Grundsätze finden auf die von der Beklagten im Rahmen eines Gastschulaufenthaltes zu erbringenden Leistungen entsprechende Anwendung, insbesondere also auf die Vermittlung einer angemessenen Gastfamilie (§ 651 l Abs. 2 Nr. 1 BGB ), das Schaffen der Voraussetzungen für einen geregelten Schulbesuch des Gastschülers (§ 651 l Abs. 2 Nr. 2 BGB), sowie die angemessene Vorbereitung des Aufenthalts (§ 651 l Abs. 3 BGB).

25. Zwischen den Klägern und … wurde die Bestimmung über die konkrete Unterbringung der … nicht schon im Reisevertrag vom 20./24. August 2002 getroffen. Vielmehr wurde in diesem Vertrag das diesbezügliche Bestimmungsrecht ausdrücklich … vorbehalten (vgl. hierzu: OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 841; Motive des Gesetzgebers, Bundestagsdrucksache 14/5944, Seite 15). Diese Bestimmung hat die Beklagte durch die im Juni 2003 an die Kläger übersandte Platzierungsinformation vorgenommen, so dass der Inhalt der Platzierungsinformation Vertragsinhalt geworden ist und so, dass die tatsächlichen Verhältnisse dem Inhalt dieser Bestimmung entsprechen müssen.

26. Nach dem Inhalt der Platzierungsinformation hat … eine Gastfamilie ausgewählt, deren Gasteltern als Bauern tätig sein sollen. Die Entfernung des Hauses zur Schule soll 15 Minuten betragen. Das Haus soll sich in einer ländlichen Gemeinde mit 8000 Einwohnern befinden. Die nächste größere Stadt soll Brest sein. Diesen Angaben entsprechend die tatsächlichen Verhältnisse nicht. Tatsächlich erwecken die Angaben in der Platzierungsinformation der … eine grundlegend andere Vorstellung von dem künftigen Aufenthaltsort der Tochter der Kläger als er tatsächlich vorhanden ist. Die von der … ausgewählte Gastfamilie entspricht daher nicht dem durch die Bestimmung der … konkretisierten Vertragsinhalt.

27. Bei der Auslegung eines Reisevertrages ist auf das Verständnis eines durchschnittlichen Reiseinteressenten abzustellen (BGH NJW 2000, 1188, 1189; BGHZ 84, 268, 272; BGHZ 100, 157, 176). Auf der Grundlage der Informationen in der Platzierungsinformation muss ein durchschnittlicher Gastschüler davon ausgehen, dass er die nächsten 5 Monate auf einem bäuerlichen Betrieb in einer ländlichen 8000 Einwohnergemeinde außerhalb der Stadt Brest mit etwa 160.000 Einwohnern, die zum Schulbesuch für den Gastschüler mit den ihm zur Verfügung stehenden Fortbewegungsmitteln in 15 Minuten erreichbar ist. Diese von der Platzierungsinformation vermittelte und Vertragsgegenstand gewordene Vorstellung weicht von den tatsächlichen Gegebenheiten in erheblichem Umfang ab. Die Gastschülerin … hätte nicht innerhalb einer 8000 Einwohner-Gemeinde gelebt und nicht problemlos an deren dörflichem Leben teilnehmen können. Tatsächlich hätte sie schon die als Entfernung zur Schule angegebenen 15 Minuten benötigt, um den Dorfrand zu erreichen und sich für gewöhnlich innerhalb der Familie weit außerhalb des Dorfes in einer schon räumlich isolierten Familiengemeinschaft befunden. Die nächstgrößere Stadt ist nicht Brest, sondern das ländliche Dorf selbst. Wahrheitsgemäß hätte in der Spalte „community information“ angegeben werden müssen: Abgelegener Schweinemastbetrieb; nächstgrößere Siedlung: Dorf mit 8000 Einwohnern. Bei dieser Formulierung hätte der Leser der Platzierungsinformation ein zutreffendes Bild erhalten und sich entsprechend auf seinen Gastschulaufenthalt einrichten können.

28. Auch die tatsächliche Entfernung zur Schule entspricht nicht den Angaben in der Leistungsbestimmung der … . Nach dem Inhalt der Platzierungsinformation beträgt die Entfernung zur Schule 15 Minuten. Diese Angaben können durchschnittliche Gastschuleltern und Gastschüler nur dahin verstehen, dass der Gastschüler von dem Haus der Gastfamilie aus die in Brest gelegene Schule mit den ihm vor Ort zur Verfügung stehenden Fortbewegungsmitteln in 15 Minuten erreichen kann. Tatsächlich konnte … in 15 Minuten die in dem Dorf befindliche Bushaltestelle erreichen und befand sich dann noch etwa 15 km von Brest entfernt. Für diese Entfernung benötigt ein Bus zumindest weitere 15 Minuten, eher eine längere Zeit. Unter Berücksichtigung einer kurzen Wartezeit auf den Bus und eines kurzen Weges von der Bushaltestelle in Brest zur Schule dürfte die tatsächliche Entfernung des Hauses der Gastfamilie von der Schule einen Zeitaufwand von etwa 45 Minuten erfordern – also das Dreifache der von der Beklagten angegebenen Zeit. Soweit die Beklagte im Rahmen dieses Rechtsstreits vorträgt, die bedeutende Stadt Brest läge nur 15 Minuten, erreichbar mittels Bus oder PKW, entfernt, entsprechen diese Angaben nicht den Tatsachen. Von dem Hof der Gastfamilie startet unstreitig kein Bus. Zur Bushaltestelle bedarf es eines Fußweges von etwa 15 Minuten. Der Beklagten dürfte bei Übersendung der Platzierungsinformation bekannt gewesen sein, dass die damals 16-jährige … weder einen PKW führen durfte, noch dass ihr für die Fahrt zur Schule ein PKW zur Verfügung steht. Ebenso gut hätte die Beklagte die Entfernung zur Schule mit 5 Minuten angeben und jetzt auf die bequeme Nutzung eines Helikopters verweisen können. Dem durchschnittlichen Verständnis eines Reisenden würde dies ebenfalls nicht entsprechen.

29. Unabhängig davon, dass die Verhältnisse vor Ort somit nicht den Zusicherungen der Beklagten entsprechen und ein Mangel gegeben ist, hat die Beklagte durch diese fehlerhafte Information die Tochter der Kläger auch nicht angemessen auf den Aufenthalt vorbereitet (§ 651 l Abs. 3 a. E. BGB). Der Gastschüler muss hinreichend über die ihn im Aufnahmeland erwartenden Sitten und Gebräuche sowie über die für seinen Aufenthalt relevanten Lebensumstände informiert werden. Dazu gehören insbesondere auch Regeln, mit deren Vorhandensein der Gastschüler nicht zu rechnen braucht, die aber die Fortsetzung seines Aufenthaltes gefährden können (Staudinger/Eckert (2003), § 651 l, Rdnr. 23; Bundestagsdrucksache 14/5944, Seite 16). Auf die Verhältnisse vor Ort konnte sich die Tochter der Kläger auf der Grundlage des Inhaltes der Platzierungsinformation – auch gedanklich – nicht angemessen vorbereiten. Die Verhältnisse vor Ort mussten für die Kläger zwingend eine große Überraschung darstellen. Gerade wenn auf einen Gastschulaufenthaltsvertrag die – auf der Grundlage des Artikel 238 Abs. 1 EGBGB erlassene – Verordnung über Informations- und Nachweispflichten keine Anwendung finden soll, da dem Reiseveranstalter hinsichtlich der Unterbringung ein Bestimmungsrecht zusteht, und daher die Informationen über die Unterbringung nicht hinreichend konkret gegeben werden können, bedarf es der Nachholung der konkreten Mitteilung der genauen Umstände der Unterbringung jedenfalls dann, wenn der Ort der Unterbringung feststeht und diese Informationen daher problemlos gegeben werden können.

30. Der Reisende darf darauf vertrauen, dass der Reiseveranstalter alles zur erfolgreichen Durchführung der Reise Erforderliche unternimmt und ihn, soweit eine Mitwirkung des Reisenden notwendig ist, rechtzeitig darauf hinweist. Die Gesamtheit von Reiseleistungen beschränkt sich nicht auf die im Angebot (Prospekt) aufgeführten Einzelleistungen, sondern umfasst auch die Überwindung aller durchweg in Betracht zu ziehenden Reisehindernisse, die die Reise vereiteln oder beeinträchtigen können (BGH NJW 1985, 1165). Es sind keine Gründe ersichtlich, die dafür sprechen, dass diese Grundsätze nur für den Veranstalter von Urlaubsreisen, nicht aber für den Veranstalter von Gastschulaufenthalten gelten sollen. Denn gerade der noch jugendliche Gastschüler, der sich für den verhältnismäßig langen Zeitraum von zumindest einem Schulhalbjahr in eine fremde und ungewohnte Kultur begibt, ist auf eine auch gedankliche Einstellung auf die fremden Verhältnisse angewiesen, um sich angemessen auf den Aufenthalt vorzubereiten (vgl.: Bundestagsdrucksache 14/5944, Seite 16). Der Inhalt der Platzierungsinformation gab für die Kläger und deren Tochter keinerlei Anlass, sich auf einen zumindest fünfmonatigen Aufenthalt der Tochter auf einem abgelegenen Schweinemastbetrieb in einiger Entfernung zu dem nächsten Dorf einzurichten. Bei dieser Informationspflicht des Reiseveranstalters handelt es sich auch nicht nur um eine Nebenpflicht, sondern um eine vertragliche Hauptpflicht, die zu einer Schadensersatzpflicht des Reiseveranstalters aus § 651 f BGB führen kann (BGH NJW 1985, 1165).

31. Da allein auf Grund des erheblichen Abweichens der tatsächlichen Verhältnisse am Unterbringungsort von dem von der Beklagten bestimmten Vertragsinhalt zugesicherte Eigenschaften im Sinne des § 651 c Abs. 1 BGB nicht gegeben sind, bedarf es keiner Erörterung, ob die Unterbringung einer Gastschülerin auf einem abgelegenen Schweinemastbetrieb mit der ihm eigenen Geruchsentwicklung eine vertragsgerechte Unterbringung einer Gastschülerin darstellt. Aus der Sicht des Gerichts erscheint die Unterbringung auf einem abgelegenen Schweinemastbetrieb ohne jede vorherige konkrete Aufklärung ebenso unangemessen wie die Unterbringung in einer Gastfamilie mit „intensiv religiöser Ausrichtung“ (vgl. hierzu und zu dem Erfordernis der Aufklärung: OLG Stuttgart – 6 U 119/98 – in OLGR Stuttgart 1999, 313).

32. Infolge des Mangels wurde der Gastschulaufenthalt der Tochter der Kläger auch erheblich beeinträchtigt; denn ein Gastschulaufenthalt von knapp einem halben Jahr auf einem abgelegenen Schweinemastbetrieb entspricht nicht im entferntesten den Vorstellungen, die die Gastschülerin auf Grund der Angaben in dem Prospekt, dem Vertrag und der Platzierungsinformation der Beklagten haben durfte und musste. Sie wurde insoweit nicht nur nicht vorbereitet, sondern nicht einmal aufgeklärt. Zumindest ohne vorherige Aufklärung ist einem Gastschüler ein solcher Aufenthalt auch nicht zumutbar.

33. Da eine Abhilfe von der Beklagten schon in ihrer ersten Stellungnahme unmissverständlich abgelehnt worden ist, bedurfte es einer Fristsetzung durch die Kläger nicht (§ 651 e Abs. 2 Satz 2 BGB).

34. Die begründete Klageforderung berechnet sich wie folgt:

35.

Reisepreis 4.214,00 €
Kosten der Fahrt zum Vorbereitungstreffen in Köln 67,20 €
Fahrtkosten nach Frankreich (2.480 km x 0,30 €) 744,00 €
Übernachtung, Maut 145,00 €
Telefonkosten 45,00 €
Versicherungspaket für Gastschulaufenthalt 271,00 €
Reiserücktrittsversicherung 80,00 €
Kosten der Rechtsberatung durch Verbraucherschutzverein 320,00 €
Gesamtanspruch 5.886,20 €
./. durch Anerkenntnisteilurteil bereits zugesprochener Betrag 92,50 €
begründete Klageforderung: 5.793,70 €.

36. Der Anspruch auf Erstattung des bereits gezahlten Reisepreises folgt aus §§ 651 e Abs. 3 Satz 1 und 3, 812 Abs. 1 Satz 1 BGB; denn die von der Beklagten erbrachten Leistungen haben für die Kläger infolge der Aufhebung des Vertrages ersichtlich kein Interesse. Der gesamte Gastschulaufenthalt hat für die Tochter der Kläger nicht stattgefunden.

37. Der Anspruch auf Zahlung der einzelnen Schadenspositionen folgt aus § 651 f. Abs. 1 BGB; denn der Mangel der Reise beruht auf der Nichteinhaltung der zugesicherten Leistungen und der – in Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse – bewusst fehlerhaften Aufklärung durch die Beklagte. Die Fahrtkosten hat das Gericht entsprechend dem im Jahr 2002 geltenden Ansatz im Steuerrecht für „sonstige Fahrten“ auf 0,30 € je Kilometer geschätzt (§ 287 Abs. 1 ZPO). Die übrigen von den Klägern geltend gemachten Schadenspositionen erscheinen – soweit zugesprochen – auch der Höhe nach gut nachvollziehbar und den tatsächlich entstandenen Kosten zu entsprechen (§ 287 Abs. 1 ZPO). Die Kosten für die Inanspruchnahme der Hilfe des Verbraucherschutzvereins in Bildungsfragen sind als sogenannter Begleitschäden (vgl. hierzu: Staudinger/Eckert (2003), § 651 f, Rdnr. 26) ebenfalls ersatzfähig; denn die Kläger waren auf kompetente und schnelle Hilfe angewiesen bei dem Versuch, doch noch kurzfristig den nur zu dieser Zeit in der 11. Klasse durchführbaren Gastschulaufenthalt ihrer Tochter durch die Stellung einer angemessenen Gastfamilie von der Beklagten zu retten. Nicht ersatzfähig ist hingegen der Zeitaufwand des Klägers zu 2) bei der Abwicklung der Ansprüche gegen die Beklagte (vgl.: Palandt-Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 249, Rdnr. 23 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).

38. Ansprüche wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit aus § 651 f Abs. 2 BGB stehen der Tochter der Kläger nicht zu, denn diese Vorschrift ist auf Gastschulaufenthalte nicht anwendbar. Ein Gastschulaufenthalt stellt keine Urlaubszeit im Sinne dieser Vorschrift dar (Landgericht Berlin – 14 O 585/03 -, Urteil vom 19. April 2004).

39. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

40. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 709 Sätze 1 und 2, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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