Screen-Scraping der Fluggesellschaft
OLG Hamburg: Screen-Scraping der Fluggesellschaft
Ein Luftfahrtunternehmen klagt gegen den Betreiber eines Internetvergleichsportals auf Unterlassung. Das beklagte Unternehmen hatte mittels eines Screen-Scrapping-Verfahrens die Flugpreise der Klägerin von deren Website gefiltert und neben den Angeboten anderer Airlines aufgelistet.
Das Oberlandesgericht Hamburg hat die Klage abgewiesen. In der vergleichenden Auflistung von Flugpreisen sei die Schaffung einer verbraucherfreudlichen Transparenz zu sehen, die sich in jeder Hinsicht positiv auswirke.
OLG Hamburg | 3 U 191/08 (Aktenzeichen) |
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OLG Hamburg: | OLG Hamburg, Urt. vom 28.05.2009 |
Rechtsweg: | OLG Hamburg, Urt. v. 28.05.2009, Az: 3 U 191/08 |
LG Hamburg, Urt. v. 28.08.2008, Az: 315 O 326/08 | |
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Leitsatz:
2. Die Verwendung des „Screen Scraping“ ist für Vergleichsportale im Internet zulässig.
Zusammenfassung:
3. Ein Luftfahrtunternehmen klagt gegen den Betreiber eines Internet-Vergleichsportals auf Unterlassung. Der Beklagte hatte auf seiner Internetseite, durch Anwendung eines Screen-Scrapping-Programms, Preise von unterschiedlichen Fluganbietern gefiltert und zum Vergleich aufgelistet.
Die Klägerin wehrt sich gegen das Vorgehen des Beklagten. Die Preisangabens seien nur in Verbindung mit den übrigen Inhalten ihrer Internetpräsenz korrekt zu deuten. Aus diesem Grund sei eine losgelöste Darstellung auf fremden Webseiten unzulässig.
Das Oberlandesgericht Hamburg hat die Klage abgewiesen. Grundsätzlich sei die Vervielfältigung und Veröffentlichung von unternehmenseigenem Datenbankinhalten auf Internetseiten von Drittanbietern unzulässig. So habe die Airline ein Recht auf die alleinige Präsentation ihrer Unternehmenserzeugnisse.
Vorliegend sei in den angebotenen Flugpreisen jedoch kein essentieller Unternehmensbestandteil zu sehen. Die von der Beklagten aufgelisteten Flugpreise entsprächen einer herkömmlichen Datenbankauswertung und verstoßen als solche nicht gegen etwaige Schutzvorschriften.
Vielmehr sei in der vergleichenden Auflistung durch den Beklagten eine verbraucherfreundliche Preistransparenz geschaffen worden, die in keinem Konflikt mit den Urheber- und Datenschutzrechten der Klägerin stehe.
Tenor:
4. Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des LGs Hamburg, Zivilkammer 15, vom 28.08.2008 (Geschäfts-Nr. 315 O 326/08) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Verfügungsklägerin wird die einstweilige Verfügung dahingehend neu erlassen, dass der Verfügungsbeklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) verboten wird,
die Website www.ryanair.com zu kommerziellen Zwecken wie folgt zu nutzen und/oder nutzen zu lassen und/oder diesbezüglich zu werben:
Vornahme von Flugbuchungen, um gebuchte Ryanair-Flüge an Dritte weiterzuverkaufen.
Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Gründe:
5. Die Verfügungsklägerin, ein Linienflugunternehmen des sog. Low-Fare-Segments, beanstandet im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Nutzung ihres Internetangebots durch die Verfügungsbeklagte, welche im Internet Pauschalreisen vertreibt.“
6. Die Verfügungsklägerin vertreibt ihr Flugangebot über ihren Internet-Auftritt www.Ryanair.com sowie ein Callcenter. Über den am unteren Rand der Internetseite www.Ryanair.com/site/DE/ befindlichen link „Terms and Conditions“ (Anlage A 4) gelangt man zu den „Terms of Use of the Ryanair Website“, die unter Ziff. 3 bestimmen:
7. „Permitted use. You are not permitted to use this website other than for the following, private, non commercial purposes: (i) viewing this website; (ii) making bookings; (iii) reviewing/changing bookings; (iv) checking arrival/departure information; (v) performing online check-in; (vi) transferring to other websites through links provided on this website; and (vii) making use of other facilities that may be provided on the website. Use of this website for any purpose other than the aforementioned private, non-commercial purposes is prohibited. In particular, use of any automated system or software to extract data from this website for display on any other website („screen scraping“) is prohibited. In addition, the website may not be used without Ryanair’s prior written consent for providing in a commercial basis details of Ryanair flights to others, offering Ryanair’s services for sale to others, purchasing of Ryanair’s services for resale to others, or the like.“
8. Die Verfügungsklägerin hat die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 24.06.2008 unter Hinweis auf ihre vorstehend genannten „Terms of Use of the Ryanair Website“ abmahnen und zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auffordern lassen (Anlage A 10).
9. Im Antwortschreiben vom 26.06.2008 (Anlage A 11) erklärte der Prozessbevollmächtigte der Verfügungsbeklagten, nach Urlaubsrückkehr im Juli 2008 auf den Vorgang zurückkommen zu wollen.
10. Die Verfügungsbeklagte beantragt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
11. Die Verfügungsklägerin beantragt die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass sie den Verfügungsanspruch zu (2) in der Berufung nicht mehr verteidige.
12. Die Verfügungsklägerin beantragt im Wege der Anschlussberufung, das angefochtene Urteil abzuändern und die einstweilige Verfügung des LGs Hamburg vom 07.07.2008, Az. 315 O 326/08, vollständig zu bestätigen.
13. Die Verfügungsbeklagte beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen.
14. Die Verfügungsklägerin wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag und ergänzt ihn wie folgt: Die Verfügungsbeklagte habe ihre, der Verfügungsklägerin, Kenntnis von dem rechtswidrigen Verhalten der Verfügungsbeklagten vor dem 30.05.2008 nicht substantiiert dargelegt.
15. Erst durch die am 30.05.2008 erfolgte Testbuchung habe sie, die Verfügungsklägerin, erkennen können, das die Verfügungsbeklagte in der beanstandeten Weise handele. Dies habe sie auch im Zusammenhang mit den gegen die Firmen Travel S.de und T. vorgenommenen Abmahnungen nicht erfahren.
16. Weder nach §21 LuftVG noch dem GWB unterliege sie, die Verfügungsklägerin, hinsichtlich der Verfügungsbeklagten einem Kontrahierungszwang. Der von der Verfügungsbeklagten als relevant erachtete Markt von durch Low Cost Carrier erbrachten Auslandsflügen existiere nicht. Ohnehin erfasse das Low Cost Segment nicht alle für den Verkauf von Pauschalreisen marktrelevanten Fluggesellschaften, da hierzu auch die Charterfluggesellschaften gehörten.
17. Ihr, der Verfügungsklägerin, billigenswertes Interesse an dem Ausschluss kommerzieller Nutzer bestehe darin, dass sie sicherstellen wolle, dass ihr Geschäftsmodell als billigster Anbieter von Flugtickets gegenüber den Endkunden nicht beeinträchtigt werde, dass an den Endkunden gerichtete und für diesen wichtige Informationen auch tatsächlich an diesen weitergereicht würden und dass ihre für die Durchführung von Flugbuchungen existentielle Webseite durch Screenscraper nicht lahmgelegt werde.
18. Im Vorgehen der Verfügungsbeklagten liege ein unlauterer Schleichbezug gemäß §4 Nr. 10 UWG, da sie zur gewerblichen Weitervermittlung nicht berechtigt sei und Flugtickets unter Vorspiegelung der Tatsache erlange, sie sei eine natürliche Person, um diese Flugtickets dann zur Gewinnerzielung zusammen mit anderen Leistungen an Endkunden weiterzuverkaufen. Die Verfügungsbeklagte beeinträchtige ihr, der Verfügungsklägerin, legitimes Interesse an ihrem Absatzsystem und beschränke ihre wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten; das subjektive Unlauterkeitsmoment liege darin, dass die Verfügungsbeklagte ihre Weiterverkaufsabsicht verschleiere.
19. Der Anspruch erstrecke sich, wie vom LG ausgesprochen, auf die Internetseite www.Ryanair.com , die als first level domain vom Internetbrowser angesteuert werde; von dieser Hauptseite gelange der Buchungsinteressent sodann auf die untergeordnete Seite www.Ryanair.com/side/de .
20. Die Anschlussberufung, so die Verfügungsbeklagte weiter, sei begründet, weil das Werben mit der streitgegenständlichen Nutzung der Website ebenso und aus denselben Rechtsgründen zu unterlassen sei wie die Nutzung selbst. Das LG habe den Antrag unzutreffend dahingehend ausgelegt, die Verfügungsklägerin begehre ein unabhängig von einer bestimmten Fluggesellschaft bestehendes Verbot von Flugbuchungen mit dem Ziel des Weiterverkaufs an Dritte.
21. Der Antrag beziehe sich vielmehr nur auf Werbung für etwaige Nutzungshandlungen betreffend Online-Angebote unter www.Ryanair.com, wie durch das Wort „diesbezüglich“ deutlich werde. Im Hinblick auf die streitgegenständlichen Handlungen – Vornahme von Flugbuchungen auf der Website – betreibe die Verfügungsbeklagte Werbung im Sinne der Richtlinie 2006/114/EG, wenn sie die entsprechenden Flugbuchungsdaten und weitere Fluginformationen über ihren Internetauftritt bzw. im Wege der direkten Kommunikation mit dem Endkunden verbreitet (Anlagen A 6 und A 7). Mit diesen Handlungen sei mindestens auch die Erklärung der Verfügungsbeklagten verbunden, die Flüge weiterverkaufen zu dürfen und zu wollen bzw. die Fluginformation nutzen zu dürfen und zu wollen.
22. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die angefochtene Entscheidung sowie die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
23. Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten ist unbegründet (nachfolgend A.). Die zulässige Anschlussberufung der Verfügungsklägerin hat Erfolg (nachfolgend B.).
24. Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten bleibt ohne Erfolg, weil die Verfügungsbeklagte im Umfange des von der Verfügungsklägerin in der Berufung noch verteidigten Antrags zur Unterlassung verpflichtet ist.
25. Gegenstand des zuerkannten Antrags im von der Verfügungsklägerin noch verteidigten Umfang ist das Verbot die Website www.Ryanair.com zu kommerziellen Zwecken wie folgt zu nutzen und/oder nutzen zu lassen:
26. Vornahme von Flugbuchungen, um gebuchte Ryanair-Flüge an Dritte weiterzuverkaufen.
27. Der Antrag erfasst die Buchung von Flügen über die genannte Website zu kommerziellen Zwecken mit dem Ziel, diese Flüge an Dritte weiterzuverkaufen. Dieser Antragsteil kennzeichnet mit der konkret benannten Nutzungsart „Vornahme von Flugbuchungen zwecks Weiterverkauf an Dritte“ eine bestimmte Handlungsweise.
28. Die Verfügungsklägerin hat gegenüber der Verfügungsbeklagten in der beantragten Weise Anspruch darauf, dass diese die Vornahme von Flugbuchungen zu kommerziellen Zwecken über die homepage der Verfügungsklägerin unterlässt.
29. Der Verfügungsklägerin steht zwar kein vertraglicher, jedoch ein gesetzlicher Verfügungsanspruch gemäß §§8, 3, 4 Nr. 10 UWG zu.
30. Auf vertraglicher Grundlage, also aufgrund des im jeweiligen Einzelfall zwischen der Verfügungsklägerin und der Verfügungsbeklagten zustande gekommenen Flugbeförderungsvertrags kann die Verfügungsklägerin Unterlassung in der beantragten Form nicht verlangen. Denn selbst wenn die auf der Homepage verzeichneten „Terms and Conditions“ jeweils wirksam in den Vertrag einbezogen worden wären und deshalb ein kommerzieller Weiterverkauf vertraglich untersagt wäre, könnte aufgrund des jeweils geschlossenen Vertrags nicht die Unterlassung künftiger Buchungen verlangt werden.
31. Zwar kann §280 Abs. 1 BGB neben dem Anspruch auf Schadensersatz grundsätzlich auch einen Unterlassungsanspruch begründen, solange die Verletzungshandlung im konkreten Vertragsverhältnis noch andauert bzw. der daraus resultierende Schaden noch nicht irreparabel ist. Dieser Unterlassungsanspruch besteht jedoch nicht hinsichtlich künftiger, noch nicht geschlossener Verträge, weil §280 Abs. 1 BGB das Bestehen eines Schuldverhältnisses voraussetzt.
32. Der Verfügungsklägerin steht jedoch ein gesetzlicher Anspruch zu.
33. Die beanstandete Vornahme von Buchungen durch die Verfügungsbeklagte ist eine unlautere Mitbewerberbehinderung im Sinne von §4 Nr. 10 UWG in der Form des Schleichbezugs.
34. Diese Neufassung des §21 Abs. 2 S. 3 LuftVG legt den Luftfahrtunternehmen im Linienflugverkehr die Verpflichtung auf, mit jedermann Beförderungsverträge abzuschließen und ihn (…) zu befördern (Hervorhebungen durch den Senat). Bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ist angesichts der kumulativen Verknüpfung von Vertragsabschluss und Beförderung erkennbar, dass die Verpflichtung zum Vertragsabschluss (lediglich) auf solche Verträge gerichtet ist, die die Beförderung der anderen vertragsschließenden Partei zum Gegenstand haben. Diese Auslegung steht im Einklang mit der Gesetzgebungsgeschichte.
35. Der in §21 Abs. 2 S. 3 LuftVG geregelte privatrechtliche Kontrahierungs- und Beförderungszwang ist im Zuge der Liberalisierung des Luftverkehrs durch das Marktzugangserleichterungsgesetz an die Stelle der vormals bestehenden öffentlich-rechtlichen Beförderungspflicht gemäß §21 Abs. 2 S. 2 LuftVG a.F. getreten, wonach Luftfahrtunternehmen im Linienflugverkehr bei Vorliegen der weiteren – im hiesigen Kontext nicht relevanten – Voraussetzungen gemäß Nrn. 1 bis 3 „zur Beförderung von Personen und Sachen verpflichtet“ waren (Giemulla/Schmied, LuftVG, Stand 8/2005, § 21 Rz. 24). In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es dazu u.a.: „Diese sog. öffentlich-rechtliche Beförderungsverpflichtung wird durch den Kontrahierungszwang ersetzt“ (BT-Drs 14/8730, S. S. 9). Es lässt sich also feststellen, dass die Einführung des Kontrahierungszwanges regelungstechnisches Mittel der (nunmehr) zivilrechtlichen Einbettung der Beförderungspflicht ist, ohne dass beabsichtigt gewesen wäre, auch solchen Vertragsparteien einen Anspruch auf Abschluss eines Flugbeförderungsvertrags einzuräumen, die selbst gar nicht befördert werden wollen (und auf die deshalb auch die zuvor bestehende Beförderungspflicht nicht anwendbar war). Mithin kann sich die Verfügungsbeklagte für ihre Absicht, Beförderungsverträge zugunsten Dritter abschließen zu wollen, nicht auf §21 Abs. 2 S. 2 LuftVG berufen.
36. Das im Rahmen der Abwägung auf Seiten der Verfügungsbeklagten zu berücksichtigende Interesse besteht darin, zum Zwecke des internetgestützten Vertriebs von Pauschalreisen Reiseleistungen anderer Anbieter ausfindig zu machen und mit redlichen Mitteln zu vermarkten. Ein rechtlich geschütztes Interesse der Verfügungsbeklagten, Flüge der Verfügungsklägerin zum Zwecke des kommerziellen Wiederverkaufs zu buchen, obwohl eine solche Buchung, wie der Verfügungsbeklagten jedenfalls seit dem Zugang der Abmahnung bekannt ist, dem Willen der Verfügungsklägerin widerspricht, ist allerdings nicht anzuerkennen. Der Verfügungsklägerin, welche sich in zulässiger Weise (s.o.) entschieden hat, ihr Angebot selbst zu vermarkten, gebührt gegenüber dieser, ihrem erklärten Willen widersprechenden Inanspruchnahme ihres Buchungssystems wettbewerbsrechtlicher Schutz gemäß §4 Nr. 10 UWG.
37. Dass für die Verfügungsklägerin die von der Verfügungsbeklagten für Dritte vorgenommenen Buchungen anhand des Namens der Verfügungsbeklagten als Auftraggeberin der Buchung – zumindest potentiell – erkennbar sind, steht der Annahme eines Schleichbezugs nicht entgegen. Denn die Verfügungsbeklagte, die in – jedenfalls seit der Abmahnung bestehender – Kenntnis der entgegenstehenden Geschäftsbedingungen der Verfügungsklägerin das Buchungsportal in kommerzieller Absicht nutzt, vermag sich lauterkeitsrechtlich nicht mit Erfolg darauf zu berufen, dass die Verfügungsklägerin eine solche Nutzung ggf. unterbinden könnte. Das den Unlauterkeitsvorwurf auslösende Handlungsmoment liegt vielmehr gerade in der bewussten Ausnutzung einer im Vertrauen auf den geschäftsbedingungsgemäßen Gebrauch ihres Buchungssystems von der Verfügungsklägerin hingenommenen Überwachungslücke. Dieses Verhalten kommt bei wertender Betrachtung der Täuschung über die Wiederverkaufsabsicht gleich.
38. Zugunsten der Verfügungsklägerin besteht auch ein Verfügungsgrund . Die Dringlichkeitsvermutung des §12 Abs. 2 UWG ist (noch) nicht widerlegt. Die Verfügungsklägerin hat durch ihr Verhalten nicht zu erkennen gegeben, dass ihr die Verfolgung des geltend gemachten Wettbewerbsverstoßes nicht eilig ist. Die Verfügungsklägerin hat nach Erlangung der Kenntnis durch die Testbuchung vom 30.05.2008 erst die Verfügungsbeklagte unter dem 24.06.2008 (hinsichtlich des beanstandeten Buchungsverhaltens erstmals) abgemahnt und sodann, nachdem sie in den folgenden Tagen weitere Verstöße festgestellt und die Gegenseite eine Reaktion auf die Abmahnung erst für Mitte Juli angekündigt hatte, am 30.6.2008 die einstweilige Verfügung beantragt. Diese Vorgehensweise ist noch nicht als unangemessen verzögernd zu beurteilen.
39. Auf der Grundlage des Vortrags der Verfügungsbeklagten ist zunächst nicht festzustellen, dass die Verfügungsklägerin vor der Durchführung des Testkaufs vom 30.05.2008 Kenntnis von der beanstandeten Buchungspraxis der Verfügungsbeklagten besaß.
40. Der Verletzte hat dringlichkeitsschädliche Kenntnis, wenn er die den Wettbewerbsverstoß begründenden Tatsachen kennt, nicht jedoch, wenn die Wettbewerbswidrigkeit erst aufgrund weiterer Nachforschungen erkennbar ist (Hefermehl/Köhler/Bornkamm 27. Aufl. 2009, § 12 Rz. 3.15). Der vorliegend streitgegenständliche Wettbewerbsverstoß wird gekennzeichnet durch die Praxis der Verfügungsbeklagten, im eigenen Namen und für eigene Rechnung Flüge über die Webseite der Verfügungsklägerin zu buchen und diese im Rahmen von Pauschalreisen an Dritte weiterzuverkaufen.
41. Dass die Verfügungsbeklagte nach eigenem Bekunden bereits seit März 2007 laufend Flüge in der beanstandeten Weise gebucht hat, führt nicht zur Annahme einer dringlichkeitsschädlichen Kenntnis der Verfügungsklägerin. Der Umstand, dass – wie unstreitig ist – die Verfügungsklägerin ihr Buchungssystem automatisiert betreibt und über die Webseite getätigte Buchungen keine manuelle Kontrolle durchlaufen, wirkt sich hier nicht zu ihrem Nachteil aus. Denn eine Verpflichtung des Anbieters, zur Abwehr des Verdikts der Kenntnis von Wettbewerbsverstößen ohne konkrete Anhaltspunkte laufend sein computergestütztes Buchungssystem zur Aufklärung und Abwehr etwaiger wettbewerbswidriger Nutzungen durch Dritte zu durchsuchen, ist – ebenso wenig wie eine allgemeine Marktbeobachtungspflicht (vgl. Hefermehl/Köhler/Bornkamm, a.a.O.) – nicht anzuerkennen.
42. Der von der Verfügungsbeklagten vorgelegten Korrespondenz über einen einzelnen Zahlungsvorgang im Zusammenhang mit einer von der Verfügungsbeklagten für Dritte getätigten Flugbuchung (Anlage AG 4) ist die Kenntnis der den Wettbewerbsverstoß begründenden Tatsachen ebenfalls nicht zu entnehmen. Denn die Verfügungsklägerin steht – wie dargelegt (s.o. unter 2.a)bb)(1)) – nicht jeglichen Buchungen zugunsten Dritter ablehnend gegenüber, sondern lediglich solchen, die in kommerzieller Absicht – also zum Zwecke des gewerblichen Weiterverkaufs – erfolgen. Mithin hatte – ohne dass nähere Einzelheiten der etwaigen Wissenszurechnung hier zu erörtern wären – der von der Verfügungsbeklagten vorgetragene, einer Mitarbeiterin der Verfügungsklägerin zur Kenntnis gelangte Einzelfall keine spezifische wettbewerbliche Aussagekraft und vermochte Kenntnis des dem streitgegenständlichen Anspruch zugrundeliegenden Sachverhalts nicht zu begründen.
43. Den Abmahnungen der Fa. H. (Anlage AG 13) und Scout24 (Anlage AG 16) ist eine dringlichkeitsschädliche Kenntnis dieser Umstände schon deshalb nicht zu entnehmen, weil ein Bezug zur vorliegend beanstandeten Tätigkeit der Verfügungsbeklagten nicht erkennbar ist; ferner ist nicht erkennbar, dass die Verfügungsklägerin von der Vornahme eigener Buchungen der abgemahnten Firmen ausging. Vielmehr lassen die Abmahnungen erkennen, dass die Verfügungsklägerin annahm, es werde (lediglich) eine Vermittlungsfunktion ausgeübt (s.S. 21. Absatz der Anlage AG 13 – ähnlich in Anlage AG 16: „Further, although you may have taken bookings for our flights, or facilitated others to take bookings for our flights you, and any other third party, are not authorised to conclude contracts between us and third parties .“ [Hervorhebung durch den Senat]).
44. Die an die Firma T. gerichtete Abmahnung (Anlage AG 14) weist ebenfalls keinen Bezug zur Verfügungsbeklagten auf. Ferner ging der Prozessbevollmächtigte der Verfügungsklägerin bei Abfassung dieser Abmahnung noch davon aus, dass die Fa. T. lediglich Daten zwischen Verfügungsklägerin und Endkunden weiterleite (siehe S. 3, dritter Absatz: „(…) Der Kunde wird bewusst im Unklaren darüber gelassen, dass er im Hinblick auf Flugsuche und Flugbuchung letztlich direkt mit unserer Mandantin kommuniziert und Sie insoweit nur eine Datenweiterleitungsfunktion ausüben.“ bzw. S. 4, zweiter Absatz: „(…) R. Flüge vermitteln bzw. dafür Buchungen für Kunden generieren zu können“).
45. Die an die Verfügungsbeklagte gerichtete Abmahnung vom 05.05.2008 (Anlage AG 7) ist zum Nachweis der Kenntnis von der Buchungspraxis ebenfalls nicht geeignet. Diese Abmahnung gründete in tatsächlicher Hinsicht ausdrücklich – ebenso wie die Abmahnungen gemäß Anlagen AG 13, 14 und 16 – auf der Auffassung, die Verfügungsbeklagte leite lediglich Daten zwischen der Verfügungsklägerin und den Kunden weiter und beinhaltete auf dieser – nachfolgend von der Verfügungsklägerin als unzutreffend erkannten – Tatsachengrundlage die Geltendmachung datenbankbezogener Urheberrechte (Anlage AG 7, S. 2 unter 2.) bzw. lauterkeitsrechtlicher Ansprüche wegen Nachahmung einer datenbankgestützten Leistung sowie Täuschung über die betriebliche Herkunft der Datenbankinhalte, nicht jedoch die vorliegend streitgegenständliche Vornahme von Buchungen durch die Verfügungsbeklagte.
46. Unter dem Aspekt der Dringlichkeit ist es nicht zu beanstanden, dass die Verfügungsklägerin weitere Schritte zur Sachverhaltsaufklärung unternahm, nachdem die Verfügungsbeklagte – legt man ihren eigenen Vortrag zugrunde – im auf die Abmahnung folgenden Telefonat zwischen den Prozessbevollmächtigten der Parteien am 09.05.2008 sowie dem Antwortschreiben vom 19.05.2008 (Anlage AG 5) sinngemäß entgegnet hatte, Flüge „nicht weiterzuverkaufen, sondern sie in Pauschalreisen zu inkludieren“.
47. Hierbei handelt es sich um ein hinsichtlich des tatsächlichen Geschehens sowie seiner rechtlichen Einordnung zunächst terminologisch unklares Geschäftsmodell, welches in Zusammenschau mit den der Verfügungsklägerin jedenfalls am 23.05.20098 vorliegenden screenshots, in welchen die Verfügungsbeklagte als „Reiseveranstalter“ aufgeführt ist (Anlagen AG 15, AG 16), noch weiterer Nachforschungen bedurfte. Insofern hatte die Verfügungsklägerin zwar allen Anlass, jedoch eben unter dem Dringlichkeitsaspekt auch noch die Gelegenheit, zum Zwecke der effektiven Anspruchssicherung den ihr vorliegenden, jedoch für die Rechtsverfolgung nicht hinreichend konkreten Anhaltspunkten für ein etwaig wettbewerbswidriges Handeln der Verfügungsbeklagte nachzugehen.
48. Diese Gelegenheit hat die Verfügungsklägerin in Gestalt des am 30.05.2009 durchgeführten Testkaufs in einer Weise wahrgenommen, die bei Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls noch nicht als verzögerlich bezeichnet werden kann. Auch der weitere zeitliche Ablauf – Abmahnung am 24.06.2008, Antragstellung am 30.06.2008 – begründen bei Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls noch nicht die Annahme, die Verfügungsklägerin habe es mit der Rechtsverfolgung selbst nicht eilig gehabt.
49. Grob fahrlässige Unkenntnis kann der Verfügungsklägerin ebenfalls nicht zur Last gelegt werden. Anerkanntermaßen kommt die Annahme grob fahrlässiger Unkenntnis in Betracht, sofern der Antragsteller sich bewusst der Kenntnis verschlossen hat oder ihm der Wettbewerbsverstoß nach Lage der Dinge nicht verborgen geblieben sein kann (siehe nur Hefermehl/Köhler/Bornkamm, a.a.O.). Hinreichende Anhaltspunkte für die Feststellung, die Verfügungsklägerin habe sich bewusst der Wahrnehmung der Buchungspraxis der Verfügungsbeklagten verschlossen, bestehen vorliegend nicht. Vielmehr folgt aus dem vorstehend zur Frage der etwaigen Kenntnis Ausgeführten, auf welches verwiesen wird, dass die Verfügungsklägerin dem angesichts bestehender Anhaltspunkte für wettbewerbsrechtlich relevantes Verhalten der Verfügungsbeklagten gegebenen Anlass, weitere Nachforschungen anzustellen, in noch geeigneter Weise nachgekommen ist.
50. Die Kostenentscheidung beruht auf §91 ZPO. Die Verfügungsklägerin hat durch ihre eingeschränkte Verteidigung des LGlichen Urteils den ursprünglich gestellten Antrag nicht auch nur teilweise zurückgenommen, da dieser Antrag – wie die Verfügungsklägerin in der Berufungsverhandlung klargestellt hat – kumulativ gestellt und daher bereits aufgrund der Begründetheit des Antragsteils zu (1) – ohne Rücksicht auf das weitere Schicksal des Antrags zu (2) – vollen Umfangs zuzusprechen war.
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